Tag: 1980er

  • Schach in Rumänien der 1960er–80er Jahre: Rumänische Meister waren weltweit anerkannt

    Schach in Rumänien der 1960er–80er Jahre: Rumänische Meister waren weltweit anerkannt

    Das Schachspiel war in Rumänien um 1700 ein Spiel der Elite, erst im 19. Jahrhundert begann man, Schach in bürgerlichen Kreisen zu spielen, und gegen Ende des Jahrhunderts erschienen Publikationen und Vereine. Bei den Schacholympiaden belegten rumänische Mannschaften dann im 20. Jahrhundert recht gute Plätze: 1926 erreichte Rumänien in Budapest den 3. Platz, 1978 in Buenos Aires den 6. Platz und 1984 in Thessaloniki den 5. Platz.



    Einer der Spitzenspieler Rumäniens war Florin Gheorghiu — er siegte auch über Bobby Fischer, der von vielen als der grö‎ßte Spieler in der Geschichte dieses Sports angesehen wird. Fischer und Gheorghiu waren auch befreundet, das Ergebnis der Partien zwischen den beiden war ein friedliches 2:2. Fischer und Gheorghiu trafen sich zum ersten Mal 1962 bei den Olympischen Spielen in Warna, als der Amerikaner 19 und der Rumäne 18 Jahre alt waren. Sie spielten nicht gegeneinander, aber Gheorghiu sagte, dass er, wie die anderen, von Fischers gro‎ßer Spielstärke beeindruckt war.



    Der heute 76 jährige Gro‎ßmeister Florin Gheorghiu erzählte bei RRI von seinen Auseinandersetzungen mit Fischer am Schachbrett, die 1966 in Kuba begannen:


    Unsere erste Begegnung fand bei den Olympischen Spielen 1966 in Havanna statt, und sie endete überraschend mit meinem Sieg. Im Beisein von Fidel Castro und der gesamten kubanischen Regierung, die unser Treffen mit gro‎ßem Interesse verfolgten, legten wir damals den Grundstein für eine Annäherung, für eine zukünftige Freundschaft. Bobby hat sich tadellos verhalten, das Verhalten eines gro‎ßen Champions, seine Leistung in Havanna war ganz au‎ßergewöhnlich. Unser Match begann im Zeichen seiner absolut unglaublichen Punktzahl, 14 von 15 möglichen Punkten hatte er bis dahin erreicht. Er hatte zwei Remis, gegen Boris Spasski und Wolfgang Uhlmann, und da er in Führung lag, hätte er auch diese Partien gewinnen können. Er verlor gegen mich und gewann das letzte Spiel und hatte somit ein Endergebnis von 15 von 17 möglichen Punkten.“




    Fischer stellte sich der Herausforderung von Gheorghiu — und die zweite Runde des Showdowns sollte in zwei Jahren stattfinden.



    Wir haben noch dreimal gespielt, leider nur dreimal, es wäre toll gewesen, mehr zu spielen. Das zweite Treffen fand zwei Jahre später beim gro‎ßen Turnier in Kroatien im Jahr 1968 statt. Dort gewann Bobby das Turnier souverän mit zwei Punkten Vorsprung und präsentierte sich ganz anders, als man ihn kannte, nämlich als fröhlicher, kommunikativer Mann, der gerne Musik hörte. Wir hatten ein absolut au‎ßergewöhnliches Match, das 18 Stunden dauerte, drei Unterbrechungen hatte und in einem Unentschieden endete. Bobby misslang die Revanche und, ein wenig verärgert über dieses Ergebnis, schlug er vor, ein 10-Spiele-Match irgendwo zu machen, möglicherweise sogar in Bukarest. Natürlich habe ich mich gefreut, mich mit Bobby zu messen, es wäre etwas Au‎ßergewöhnliches für das rumänische Schach gewesen. Ich habe diesen ehrenhaften Vorschlag an den rumänischen Schachverband und das Sportministerium weitergeleitet, die natürlich ablehnten und sagten, sie hätten keine Mittel zur Verfügung. Bobby hatte die Messlatte für dieses inoffizielle Match sehr niedrig gelegt. Sicherlich wäre niemand aus diesem Match als Weltmeister hervorgegangen, aber er hätte mit gro‎ßer Wahrscheinlichkeit bewiesen, dass unser Ergebnis in Havanna für ihn ein Unfall gewesen war. Für mich wäre es eine tolle Gelegenheit gewesen, den grö‎ßten Spieler aller Zeiten zu treffen.“




    Fischer sollte im dritten Spiel gegen Gheorghiu, weitere zwei Jahre später, gleichziehen.



    Das dritte Treffen war bei einem Superturnier, das von der grö‎ßten Zeitung Südamerikas, der Zeitung »Clarín«, 1970 in Buenos Aires organisiert wurde. Bobby kam leider zu spät und die Organisatoren hätten ihn fast disqualifiziert. Er gab die ersten beiden Partien auf und zwei Gro‎ßmeister nahmen schändlicherweise in Kauf, durch sein Forfait zu gewinnen. Die Auslosung bestimmte, dass Bobby die dritte Partie mit mir spielen musste. Hätte ich zugestimmt, durch Forfait zu gewinnen, wäre Bobby ausgeschieden und das Turnier wäre uninteressant geworden. Ich weigerte mich, so zu gewinnen, und das ermöglichte es ihm, weiterzumachen. Er kam erst spät ins Spiel, er hat gegen mich ein tolles Match gemacht, wie gegen die anderen auch, und hat es geschafft, den Punktestand zwischen uns beiden auszugleichen.“




    Die vierte und letzte Begegnung der beiden Schachgrö‎ßen endete 1970 ebenfalls mit einem Unentschieden, erinnert sich der rumänische Meister Florin Gheorghiu.



    Das vierte und leider letzte Treffen fand 1970 bei den Olympischen Spielen in Siegen statt, wo die Entwicklung spannend war. Das Spiel hatte dramatische Akzente — wir unterbrachen in einer scheinbar gleichstarken Position. Es musste irgendwie unentschieden ausgehen. Die Nacht der Analyse war interessant, es schien mir, dass Bobbys Chancen in diesem scheinbar geradlinigen Finish besser waren. Ich stellte zur Überraschung aller fest, dass bei der kleinsten Ungenauigkeit Schwarz, also Bobby, gewann. Der einzige Weg zum Remis war ein Pferdeopfer für zwei Bauern. Bekanntlich ist es nie oder fast nie gut, am Ende eine Figur zu opfern. Erfreulicherweise führte das Opfer schlie‎ßlich zu einem Unentschieden.“




    Der gro‎ße amerikanische Meister gewann 1972 in Reykjavik seine berühmte Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Gro‎ßmeister Boris Spasski — sie sollte als Match des Jahrhunderts“ in die Geschichte eingehen. Florin Gheorghiu hat eine ebenfalls beeindruckende Bilanz: Er spielte bei 14 Olympiaden für Rumänien, in vier davon blieb er ungeschlagen. In den 1970er Jahren, als Bobby Fischer Weltmeister wurde, gehörte Gro‎ßmeister Florin Gheorghiu zu den 10 besten Schachspielern der Welt.



    Deutsch von Alex Gröblacher

  • Reenactment: Disko im Stil der 1970er–80er Jahre wiederbelebt

    Reenactment: Disko im Stil der 1970er–80er Jahre wiederbelebt

    Mehr als 200 Bewohner der Stadt Oradea (dt. Gro‎ßwardein) nahmen an der Eröffnung der Dauerausstellung Die Diskothek der 1970er und 1980er Jahre“ im Städtischen Museum teil. Eine Zeitreise, die es den Teilnehmern ermöglichte, herauszufinden, wie die Jugendlichen in den 70er und 80er Jahren in den Diskos in Rumänien Spa‎ß hatten.



    Die Tonbandgeräte, Kassettenrekorder und Tonbänder waren ein Teil der damaligen Wirklichkeit. Allerdings war es damals nicht erlaubt, der gewünschten Musik ohne Weiteres zuzuhören. Es gab einen sogenannten Kontrollausschuss, der diskret entschied, was für Musik in einer Diskothek aufgelegt werden durfte. Die Museographin Cristina Puşcaş erzählte uns, dass mehrere Spenden an das Museum die Veranstaltung einer solchen Ausstellung anregten. Gefolgt von einer gründlichen Recherche.



    Im Jahr 2016 starteten wir die Kampagne »Wirf die Vergangenheit nicht weg, bring sie zum Museum!«. Zahlreiche Bewohner der Stadt Oradea beteiligten sich aktiv an dieser Kampagne zur Sammlung von Gegenständen aus dem Kommunismus. Tausende Gegenstände und Geräte wurden uns gespendet, darunter Vinylschallplatten, Schallplattenspieler, Tonbandgeräte, Tonbänder. Somit brachten wir eine beträchtliche Kollektion zusammen, die von der Ausstattung der Diskotheken in der damaligen Zeit zeugt. Wir dachten, es wäre besser, diese Gegenstände, Geräte und Vorrichtungen der Öffentlichkeit vorzustellen, als dass sie irgendwo in einem Lager in Vergessenheit geraten. Und so entstand der Ausstellungsentwurf. Wir sind vom Gedanken ausgegangen, dass bislang niemand eine solche Recherche, über die Art und Weise, in der früher — also im Kommunismus — die Diskotheken organisiert waren, durchgeführt hat. In der vorbereitenden Phase der Recherche fanden wir keine Regelung über die Organisierung der Aktivität in Diskotheken. Danach untersuchten wir das Archiv. Und da fanden wir tatsächlich einige Vorschriften über die Funktionsweise der Diskotheken. Es gab zentral angeordnete Bestimmungen in Bezug auf die Musik und die Inhalte, die in Diskotheken vorgeführt werden durften. Wir konnten nachvollziehen, worin die Zensur bestand, was für Einschränkungen es gab. Doch wir beschränkten uns nicht auf die Erforschung einer einzigen Stimme, der Stimme der öffentlichen Institutionen. In einem zweiten Schritt unterhielten wir uns mit DJs in Oradea, die während des Kommunismus, vor allem in den 70er und 80er Jahren, in Diskotheken Musik aufgelegt hatten. Und so entstand diese Diskothek in unserem Museum. Sie stellt nicht nur Gegenstände und Geräte aus der kommunistischen Zeit aus, sondern versucht auch die damalige Stimmung erneut ins Leben zu rufen.“




    Die Diskotheken waren in der Regel in den örtlichen Gemeindezentren beherbergt. Tanzabende mit Diskomusik wurden auch in Klubs, Bars oder Restaurants veranstaltet. Manchmal auch in Hotels oder in anderen Erholungseinrichtungen. Diese Veranstaltungsräume mussten verbindlich die Regeln für die Veranstaltung von Diskothek- und Videothek-Programmen“ beachten. Die Diskotheken bedurften demnach einer jährlich durch den Ausschuss für sozialistische Kultur und Bildung erlassenen Genehmigung. Der Erlass der Genehmigung wurde nur nach Zustimmung eines technischen Ausschusses gebilligt, der sich zum Inhalt der in der Diskothek aufgeführten Programme im Voraus äu‎ßerte. Die von den Diskos aufgeführten Programme sahen in den 80er Jahren eine verbindliche Quote rumänischer Musik vor. Und zwar mussten zwei Drittel der aufgelegten Musik einheimischer Herkunft sein. Wir erkundigten uns bei Cristina Puşcaş, wie die Ausstellung von den Besuchern wahrgenommen wurde, was die Besucher im Museums erlebten:



    Die Besucher betreten eine echte Diskothek — mit Disko- und Spiegelkugel, Stroboskop, UV-Lampen, buntem Licht. Die Ausstellung umfasst auch Vinylschallplatten mit Musik aus der damaligen Zeit. Wir haben auch mehrere Tonbandgeräte der Marken Tesla oder Tescam, aber auch Schallplattenspieler und Originalfotos, die einen DJ aus der damaligen Zeit bei der Arbeit abbilden. Die Fotos sind eine Spende des Inhabers. Wir verfügen über wenig Dokumentarmaterial zum Thema, die DJs lie‎ßen sich nicht unbedingt fotografieren, sie hatten keine Ahnung, dass sie irgendwann mal ein Teil der Geschichte der hiesigen Gemeinschaft sein würden. Wir verfügen auch über Songtexte, die von der Hand von den Jugendlichen der 70er Jahre geschrieben wurden. Wir haben auch Liebesbriefe von jungen Menschen, die sich einander erzählten, was für Musik sie hörten. Oder sie schickten sich Ausschnitte aus Zeitungen mit verschiedenen Musikern. Das sind alles Originalteile. Wir sind stolz, ein derartig umfangreiches Dokumentarmaterial zu besitzen.“




    Cristina Puşcaş erzählte uns auch, wo die Ausstellung untergebracht ist:



    Die Ausstellung wurde in der Stadtburg veranstaltet, wo derzeit auch das Museum der Stadt Oradea untergebracht ist. Im zweiten Stock, im A-Gebäude, fanden wir einen geeigneten Raum. Es ist der grö‎ßte Saal, über den wir verfügen. Und hier organisierten wir unsere Diskothek. An der Eröffnung nahmen so viele Besucher teil — mehr als 200 –, dass er viel zu eng schien. Wir hatten nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet. Nachdem Musik ertönte und die Leute zu tanzen anfingen, hatten wir nach einer Weile den Eindruck, der Sauerstoff sei alle. Der nach der klassischen Eröffnung veranstaltete Diskoabend mit Musik aus den 70er und 80er Jahren war ein Riesenerfolg. Es beteiligten sich viele Nostalgiker, aber auch junge Menschen, die gerne zur damaligen Musik tanzen. Der Tanzabend brachte uns allen viel Freude!“




    Zu kommunistischen Zeiten dauerte das Diskothek-Programm zwischen 2 und 4 Stunden. Daher machte auch die im Museum der Stadt Oradea veranstaltete Diskothek rechtzeitig um 8 Uhr abends ihre Türe zu.

  • Autobiographischer Roman der Dramatikerin Alina Nelega erschienen

    Autobiographischer Roman der Dramatikerin Alina Nelega erschienen

    Den Roman Als ob nichts passiert wäre“ könnte man als Biographie einer Frau im Siebenbürgen der achtziger Jahre, also während des kommunistischen Regimes bezeichnen. Alina Nelega hat sich vor allem als Dramatikerin einen Namen geschaffen, sie ist zweifach UNITER-Preisträgerin bei der Gala des Verbands Rumänischer Theatermacher und Professorin bei dem Masterstudium für Kreatives Schreiben an der Universität Târgu Mureş. Mit diesem Roman kehrt die Autorin zu ihrer ersten Liebe, der Prosa, zurück. Ob der Band auch autobiographische Züge hat, erläutert Alina Nelega in den folgenden Minuten:



    Wer etwas zu sagen hat, sagt es einfach. Ich glaube, dass ich etwas zu sagen habe, ich habe eine Meinung und ich möchte sie mit den anderen teilen. Darin liegt auch der Grund, warum ich diesen Roman geschrieben habe. Es handelt sich um einen Roman, der auch einen autobiographischen Teil hat. Das, weil ich die kommunistische Zeit in Rumänien als Teenagerin erlebt habe, dafür musste ich nicht recherchieren, also der Roman beruht auf meiner eigenen Erfahrung. Die besagte Zeit ist Teil meines Lebens und ich glaube, Teil des Lebens aller Menschen, die diese Zeit erlebt haben.“




    Die Weiblichkeit in unterschiedlichen Kontexten und unter verschiedenen Aspekten (Liebe, Mutterschaft, Sexualität) ist das Hauptthema des Romans. Dazu gibt es weitere fesselnden Themen, die der Leser in diesem heftigen Roman selber entdecken wird. Ich empfehle diesen Roman aus meinem ganzen Herzen“, schreibt die Literaturkritikerin Sanda Cordoş über Als ob nichts passiert wäre“.



    Auch in der Theaterwelt bekam der Roman eine gute Resonanz. Der Roman wirft Fragen auf und regt zum Nachdenken an. Dieselbe Reaktion löste der Band auch bei der Familie der Autorin aus, sagt Alina Nelega:



    Meine Kinder haben mir so viele Fragen gestellt, sie sagten, in meinem Buch hätten sie über Sachen gelesen, von denen sie nicht mal wussten, sie wären wirklich passiert. Der Roman handelt von der aufreibenden täglichen Demütigung durch das kommunistische Regime. Der Roman befasst sich nicht mit gro‎ßen Themen, sondern mit dem Alltag, von dem Moment, wenn man nicht genau wei‎ß, wo die Eimischung ins eigene Leben und wo die Diktatur beginnt. Es handelt sich um Prozesse, die allmählich im Leben der Menschen einsetzen. Das ist gleich wie Zenons Paradoxien der Vielheit: Wie viele Bäume sind ein Wald? 1, 2, 3, 10? Und plötzlich sieht man ein, dass man sich bereits inmitten des Waldes befindet, ohne bemerkt zu haben, wo der Wald anfing. Das ist auch mit dem Kommunismus in Rumänien passiert.“




    Metaphorisch oder nicht, ist die Botschaft von Alina Nelega nicht schwer zu verinnerlichen. Nicht nur für ihre Generation, für Verleger, Literaturkritiker und Journalisten, sondern auch für wen sich nicht dessen bewusst ist, dass empörende Sachen in der Tat geschehen, meistens in unserer unmittelbaren Nähe.

  • „80east“ – das Mini-Museum der Lebensbedingungen in den 1980er Jahren

    „80east“ – das Mini-Museum der Lebensbedingungen in den 1980er Jahren

    Im Dezember dieses Jahres verzeichnen wir 30 Jahre seit der antikommunistischen Revolution von 1989 in Rumänien — eine Zeit der Erinnerung, Andacht und Gedenken und vielleicht auch der Nostalgie. In der Auffassung des Vereins Funky Citizens“ ist dieses Jahr auch eine gute Gelegenheit, die bürgerliche Apathie zu bekämpfen. Ausgehend von dem Grundsatz, dass Schüler vielfältige Erfahrungen machen müssen, damit der Bildungsprozess, insbesondere in Bezug auf die politische Bildung, ein gründlicher wird, startete der Verein Funky Citizens“ ein Projekt mit dem Titel 80east“. Dabei sollen die Lebensbedingungen der Menschen in den 1980er Jahren anschaulich wiederhergestellt werden. Vereinsmitglieder rüsteten eine Wohnung mit allem aus, was die Menschen damals zu Hause hatten: von Möbeln über Haushaltsgeräte bis hin zu Dekorationsartikeln.



    Die jungen Besucher dieser Wohnung können die Kluft zwischen den vielen Dingen, die den Menschen damals fehlten, und den Rechten, die sie heute genie‎ßen, wahrnehmen. In diesem bürgerlichen Schulungslabor wird den Gymnasiumschülern die Funktionsweise des derzeitigen demokratischen Systems erklärt, um ihnen zu helfen, sich ihrer Rechte und Pflichten bewusst zu werden und zu lernen, wie sie am Entscheidungsprozess teilnehmen können. Die Anfang des Jahres eingeweihte Wohnung aus den 1980ern wurde als Minimuseum des täglichen Lebens der Menschen während der letzten Jahren des Kommunismus in Rumänien und als bürgerliches Bildungslabor konzipiert, wie Cosmin Pojoran vom Funky-Citizens-Verein sagt:



    In dieser Wohnung machen Kinder eine interaktive pädagogische Erfahrung. Wir beginnen mit Geschichten aus dem täglichen Leben der Menschen. Sie haben vielleicht zu Hause von Ceauşescu oder Gheorghiu-Dej gehört, wissen aber nichts über die persönlichen Geschichten der Menschen. Das ist, was wir tatsächlich in den Vordergrund stellen möchten: Welche Entscheidungen auf hoher Ebene getroffen wurden und wie sie das Leben der einfachen Menschen beeinflussten. Zuerst haben wir ein bisschen mit der Idee eines Museums gespielt, deshalb hat die Wohnung eine nostalgische Atmosphäre, und es wäre leicht, in einen Kult der Vergangenheit zu versinken, aber dies ist nur die erste Schicht. Kinder, die zu uns kommen, gehen aufs Gymnasium, sind also um die 18 Jahre alt und fühlen nichts von der Nostalgie derer, die diese Zeit erlebt haben. Au‎ßerdem haben wir uns zum Ziel gesetzt, eine Brücke zwischen den Generationen zu schaffen, zwischen diesen Kindern und ihren Eltern und Gro‎ßeltern. Wir möchten, dass sie nach ihrem Besuch hier nach Hause gehen und mit ihren Verwandten über den Kommunismus sprechen.“




    Interaktivität ist die wichtigste Unterrichtsmethode in der 80east“-Wohnung, wie Anabella Costache vom Funky-Citizens-Verein sagte:



    Durch Spiel und andere persönliche Erfahrungen, kombiniert mit historischen und theoretischen Informationen, können die Schüler mit dieser Umgebung interagieren und ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen, was in der Schule, in der politischen Bildung oder im Geschichtsunterricht nicht wirklich der Fall ist. Tatsächlich ist das Projekt von der folgenden Feststellung ausgegangen: dass das, was in der Schule unterrichtet wird, zu wenig ist, um die Schüler nachvollziehen zu lassen, was damals geschah, um ihnen zu ermöglichen die vielen Ungerechtigkeiten wahrzunehmen, die damals herrschten, damit die Heranwachsenden wissen, wie sie reagieren sollen, wenn sie Anzeichen sehen, dass ein ähnliches System wieder an die Macht kommt.“




    Nach einem Spaziergang durch die Wohnung und dem Eintauchen in die Welt voller Engpässe der 1980er Jahre werden die jungen Besucher aufgefordert, bestimmte Aufgaben zu erfüllen, die ihnen helfen, Vergangenheit und Gegenwart besser zu unterscheiden. Das erläutert Andrei Bulearcă vom Funky-Citizens-Verein, der zur Aufstellung dieser Aufgaben beigetragen hat:



    Diese Aufgaben sollen ihnen ein wenig auf die Nerven gehen und sie frustriert machen. Zum Beispiel bestand die Küchenaufgabe darin, Lebensmittel zu finden, die während des Kommunismus schwer zu bekommen waren und in der Küche nirgends zu finden sind. Offensichtlich werden sie diese Nahrungsmittel nie finden und am Ende werden wir darüber sprechen, wie frustriert sie sich darüber gefühlt haben, sie nicht zu finden. Dies wird ein Vorwand sein, über Engpässe und über das, was den Leuten damals fehlte, über einige ihrer Rechte, die damals verletzt wurden, jedoch heute in einer Demokratie gewahrt werden, zu sprechen. Somit möchte man den Unterschied zu den Entbehrungen während der kommunistischen Jahre betonen. Dadurch heben wir die Bedeutung der Demokratie hervor und betonen, warum es wichtig ist, dass junge Menschen sich am politischen Leben beteiligen.“




    Der Verein versucht daher, die eher unzureichenden Informationen über den Kommunismus, die den Schülern in der Schule zur Verfügung gestellt werden, zu ergänzen. Zum Beispiel wurde bislang nur ein Wahlkurs zur Geschichte des Kommunismus in die Lehrpläne des Gymnasiums aufgenommen und den Schülern der 11. und 12. Klasse angeboten. Einige der Schüler, die an dem 80east-Projekt teilgenommen haben, hatten jedoch bereits Hintergrundinformationen von ihren Familien. Anabella Costache:



    Wir waren angenehm überrascht, festzustellen, dass viele Leute über den Tag des 17. Dezember 1989 [Tag des Ausbruchs der antikommunistischen Revolution im westrumänischen Temeswar — Anm. d. Red.] sprachen. Diesen Tag heben wir auf besondere Weise hervor, indem wir eine von Radio Freies Europa an diesem Tag ausgestrahlte Sendung spielen. Die Aufnahme, die wir spielen, sollte dazu dienen, einen verschlüsselten Brief an einen Freund in der Bundesrepublik Deutschland zu schreiben, in dem sie Informationen über das Geschehen in Rumänien verlangen, da Ceauşescu eines im öffentlichen Fernsehen sagte und man von Radio Freies Europa etwas völlig anderes erfuhr. Der Brief musste verschlüsselt sein, da Briefe früher von der Securitate (der ehemaligen politischen Polizei) geöffnet wurden und das Briefgeheimnis somit verletzt wurde.“




    Zweifellos besteht Bedarf an Aufklärung und Information über den Kommunismus. Ein Beweis dafür sind ältere Meinungsumfragen, da dieses Thema in letzter Zeit nicht erforscht wurde. Im Jahr 2010 gaben 44% der Rumänen an, dass der Kommunismus eine gute, aber nicht richtig umgesetzte Idee“ gewesen sei. In jüngerer Zeit, im Jahr 2016, antworteten mehr als die Hälfte der Befragten (52%), die bei einer soziologischen Umfrage gebeten wurden, die Leistung der kommunistischen Partei im Vergleich zu den gegenwärtigen Parteien zu bewerten, dass die Kommunisten besser“ regiert hätten, während nur 18% von ihnen schlechter“ antworteten. Über 40% der jungen Befragten glaubten, dass die Kommunistische Partei Rumäniens besser gewesen sei als die derzeitigen Parteien.



    Andrei Bulearcă, 21, Student an der Fakultät für Politikwissenschaften, hat eine Erklärung für die Meinungen der Generation, der er angehört:



    Junge Menschen haben diese Zeiten einfach nicht erlebt, au‎ßerdem haben wir kein Museum der Zeitgeschichte und nur eine Handvoll Kurse zur Geschichte des Kommunismus im Gymnasiums-Unterricht. Sie verfügen nicht über ausreichende Informationsquellen über den Kommunismus. Sie sind jedoch der Meinung, dass es damals besser war, weil sie, meiner Meinung nach, tatsächlich mangelndes Vertrauen in die gegenwärtigen oder jüngsten Regierungen Rumäniens zeigen.“




    Die Menschen können ihre Enttäuschung über die Funktionsweise des derzeitigen Systems und der derzeitigen Institutionen nur dann überwinden, wenn sich der gegenwärtige Stand der Dinge ändert. Dies kann nur durch Wissen und Beteiligung der Bürger erreicht werden und dafür macht sich der Verein Funky Citizens“ stark.