Tag: Altenpflege

  • Demographisches Gefälle: Europas Bevölkerung wird immer älter

    Demographisches Gefälle: Europas Bevölkerung wird immer älter

    Im jüngsten Demographie-Bericht der Europäischen Kommission vom Juni 2020 hei‎ßt es, dass die Lebenserwartung in der EU für Männer und Frauen heute 10 Jahre höher als vor 50 Jahren liegt. Heute ist einer von 5 EU-Bürgern über 65 Jahre alt und bis 2070 soll es fast einer von drei sein. Bei Radio Rumänien spricht Vladimir Alexandrescu vom Nationalen Statistikinstitut (INS) über die Faktoren, die zu dieser Lage in der EU beitragen:



    Egal wie kritisch wir sind — die Ernährung ist in europäischen Ländern einfach besser. Genauso steht es um die Gesundheitsversorgung, die Pandemie als ganz au‎ßerordentliche Situation jetzt mal au‎ßen vor gelassen. Das Leben ist überall besser geworden und die Lebenserwartung steigt deshalb konstant. Wir sind jetzt in der EU bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren und wir in Rumänien kommen diesem Niveau immer näher. Natürlich ist damit ein Problem verbunden — schlie‎ßlich brauchen ältere Menschen mehr medizinische Fürsorge als die jungen Menschen. Daher werden die Sozialkosten in den nächsten Jahren in allen Ländern zunehmen.“



    Senioren in der EU leben in der Regel gesünder, ihre Leiden werden früher und genauer erkannt und behandelt. Sie können deshalb freier über ihren Lebensabend entscheiden — und viele arbeiten länger oder nehmen mehr an der Gesellschaft teil. Aber das ist eben nur die Regel — es ist die Herausforderung und Verantwortung der Sozialfürsorgesysteme, sich um die Ausnahmen zu kümmern. Wie der Demographieforscher Vladimir Alexandrescu erklärt, sollte man den Wald vor lauter Bäumen nicht übersehen:



    Vor einigen Jahren haben Demographen neben der Lebenserwartung bei der Geburt einen zweiten Indikator ins Spiel gebracht: die gesunde Lebenserwartung. Denn es ist wichtig, dass der Mensch nicht zu einer Bürde für die Gesellschaft wird, für seine Mitmenschen, und dass er im Gegenteil durch ein aktives und gesundes Leben eine Stütze für seine Familie ist. Und hier gibt es gegensätzliche Dinge zu bemerken.“



    Frauen, meint Vladimir Alexandrescu, haben eine höhere Lebenserwartung bei der Geburt als Männer. Im Falle Rumänien sind es z.B. 79 Jahre für Frauen und 72 für Männer, also ein Unterschied von sieben Jahren. In der EU sind es 83 zu 78 Jahren zugunsten der Frauen. Schauen wir uns aber die gesunde Lebenserwartung an, ist es umgekehrt: Frauen schneiden schlechter ab als Männer, stellt der Statistiker fest. Und in puncto Lebenswartung nach dem 60. Lebensjahr sind es wieder die Männer, die eine längere Erwartung als die Frauen haben, führt er aus.



    Brüssel prüft aufmerksam diese Fakten, die einen wichtigen Platz auf der Tagesordnung der Debatten in der Union einnehmen. Dabei geht es um den Beitrag, den Senioren zur Gesellschaft leisten, bis hin zu den Rentensystemen und ihrer Fähigkeit, mit den aktuellen Herausforderungen einer steigenden Zahl von Rentnern fertig zu werden. Ein Schlagwort ist diesbezüglich die sogenannte Ökonomie des dritten Alters — Produkte und Dienstleistungen, die gezielt Senioren ansprechen und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Diese Branche könnte um 5% im Jahr wachsen — auf bis 5,7 Billionen Euro in 2025.



    Tourismus, intelligentes Wohnen in Eigenregie, Technologien zur Begleitung der Alterungsprozesse, Wellnessrobotik, automatisierte Mobilität — in solchen Bereichen könnten viele Jobs entstehen. Die Perspektiven der Patienten könnten durch Telemedizin verbessert werden. Frühdiagnostik kann durch neue Biosensoren, die an Smartphones angeschlossen sind, ebenfalls sicherer werden. Und dadurch ist auch eine Überwachung von Patienten aus der Ferne möglich.



    All das kommt in einem Grünbuch zur Alterung der Gesellschaft vor, das nach dem Bericht der Europäischen Kommission herausgegeben wurde. Das Papier stö‎ßt eine breite Diskussion zu Chancen und Herausforderungen für die europäischen Gesellschaften an. Es spricht das Tempo und den Umfang der Veränderungen und die diesbezüglichen Fragestellungen an. Aus der Perspektive der Kommission gehört alles dazu — von der Förderung einer gesunden Lebensweise und des lebenslangen Lernens bis hin zur Konsolidierung der Gesundheits- und Pflegesysteme. Nicht minder wichtig ist allerdings die Unterstützung einer höheren Geburtenrate, um das Demographiegefälle wieder auszutarieren.

  • Pfleger im Einsatz beim Auftraggeber: Arbeit der Hausangestellten unzureichend reguliert

    Pfleger im Einsatz beim Auftraggeber: Arbeit der Hausangestellten unzureichend reguliert

    Die Altenpflege zu Hause ist genauso wichtig und anstrengend wie die Pflege der Kleinkinder. Und, wie auch im Falle der Kinder, ist die Auswahl der Person, wenn die Familie nicht selbst pflegen kann, von grö‎ßter Bedeutung. Andererseits sind für die Pfleger die Arbeitsbedingungen sehr wichtig. Es ist ein Beruf, der von der Konvention 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) definiert und beschrieben wird. Die Norm versucht diesen Personen Schutz und das Recht auf eine menschenwürdige Arbeit zu sichern. Um zu erfahren, wie der Tag einer Pflegerin verläuft, die zu Hause beim Auftraggeber arbeitet, haben wir mit Anişoara diskutiert. Sie hat eine 18-jährige Erfahrung als Pflegerin. Zurzeit pflegt sie täglich drei alte Personen. Sie besucht diese zu Hause und verbringt mit ihnen ein paar Stunden täglich.



    Ich helfe ihnen, die Medikamente einzunehmen, kaufe für sie ein, gehe mit ihnen zum Arzt, wasche sie, koche und putze.“




    Trotz der Konvention 189 der Internationalen Arbeitsorganisation ist Anişoaras Beruf nicht in allen europäischen Staaten gesetzlich geregelt. Und auch da, wo manche Bereiche vom Gesetz abgedeckt sind, werden die Regelungen manchmal nicht befolgt. Anişoara erklärt:



    Ich habe für eine Firma gearbeitet, die mit dem Rathaus einen Vertrag unterzeichnet hatte. Da war ich angemeldet, aber das Rathaus hatte keine Fonds mehr, um die Pfleger dieser Firma zu bezahlen. Ich wurde arbeitslos und heute arbeite ich privat. Und die alten Menschen, die es sich nicht leisten können, zu bezahlen, sind hilflos geblieben.“




    Diese Geschichte bringt die Verletzbarkeit sowohl der Hausangestellten, als auch der zu Hause gepflegten Personen in den Vordergrund. Die Familien, die aus eigenen Mitteln keine Pfleger bezahlen können, bleiben ohne Hilfe, wenn das Rathaus ihnen nicht hilft. Die Pfleger müssen ihrerseits manchmal schwarz arbeiten und ihre Rechte werden folglich nicht eingehalten. Anişoara berichtet weiter:



    Ich bin nicht offiziell angemeldet, ich kann meine Sozialversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge nicht zahlen. Ich habe seit vielen Jahren keinen Arzt mehr besucht, auch wenn ich es tun sollte, denn ich leide unter hohem Blutdruck und habe auch weitere Probleme.“




    Mehrere Details zu der rechtlichen Lage der Hausangestellten gibt uns die Vizevorsitzende des Humanitären Verbandes Habilitas“. Dieser Verband schult Altenpfleger. Rodica Căciulă erklärt:



    Der Hauspfleger ist in Rumänien offiziell als Beruf anerkannt. Um Haus-Altenpfleger zu werden, muss man eine Qualifikation von 360 Stunden absolvieren: 240 Stunden Praxis und 120 Stunden Theorie. Es gibt aber viele nichtqualifizierte Personen, die nicht legal arbeiten. Wir wissen nicht, wieviele angestellt sind, es scheint aber, dass wenige legal angemeldet sind. Viele von ihnen befinden sich in einem grauen Bereich des Arbeitsmarktes.“




    Eine Lösung für den Schutz der Rechte der Hausangestellten und der Empfänger ihrer Dienstleistungen wäre die Ratifizierung der Konvention 189, so der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss. Dieser hat vor kurzem die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, diese Konvention zu ratifizieren. Dumitru Forna, Mitglied in dem genannten Ausschuss, über die Vorteile einer strengeren Regelung der Hauspflege:



    Diese Konvention ist sehr wichtig. Bis jetzt haben nur manche Staaten — Belgien, Irland, Portugal, Deutschland, Finnland und die Schweiz — diese ratifiziert und manche sind dabei, es zu tun. Das ist eine Voraussetzung, um eine ernsthafte Debatte über eine Regelung im Bereich und über die Wiederherstellung der Menschenwürde dieser Angestellten zu haben. Dieser Sektor scheint vernachlässigt zu sein. Wenn wir uns aber die Alterung der Bevölkerung und die Pflege-Notwendigkeiten anschauen, wird dieser immer wichtiger.“




    Eine strengere Regelung und insbesondere die Befolgung des Gesetzes würden zudem auch die gepflegten Personen besser schützen. Rodica Căciulă dazu:



    Es ist wichtig, dass ein Pfleger von einem privaten Dienstleister oder von den lokalen Behörden angestellt wird, denn es kann auch Missbrauchsfälle geben, denen die alten Personen zum Opfer fallen. Ohne Dokumente können die Sozial- oder die Arbeitsinspektion nicht einschreiten, und wir wissen nicht, was zwischen einem Hausangestellten und einer alten Person zu Hause passiert. Es kann sein, dass der Pfleger oder die Pflegerin erschöpft ist, weil niemand ihn oder sie ersetzt, weil sie keinen Urlaub haben. Es gibt keine Regelung dieser Arbeit. Es ist wichtig, diese Konvention zu ratifizieren.“




    Anişoara und auch andere Pfleger und Pflegerinnen sowie auch die Empfänger ihrer Dienstleistungen warten auf eine bessere Regulierung des Bereichs. Bis dahin versuchen sie, sich gegenseitig zu helfen.

  • Altenpflege: NGO-Netzwerk SeniorNet hilft zuhause

    Altenpflege: NGO-Netzwerk SeniorNet hilft zuhause

    27,5% der über 65-Jährigen, knapp 900.000 Personen, leben in Rumänien in extremer Armut. Der EU-Durchschnitt liegt bei 7%. Von diesen brauchen 20% Pflege zu Hause. Laut Statistik bekommen aber nur 0,23% dieser Menschen die Pflege zu Hause. Es sind Zahlen, die der Öffentlichkeit wenig bekannt sind. Die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen, die Pflege-Dienstleistungen anbieten, meinen, etwa 350.000 Personen bräuchten in Rumänien Pflege zu Hause. Aus dem Haushalt der Sozialversicherungen und des zuständigen Ministeriums wurden im Jahr 2012 Pflege-Dienstleistungen zu Hause für 29.306 Personen gezahlt.



    Unter diesen Bedingungen haben die NGO ihre Kräfte vereint, um die fehlenden Regierungsfonds auszugleichen. Doina Crângaşu, Exekutivdirektorin der Konföderation Caritas Rumänien, erinnert sich, wie die Initiative gestartet wurde:



    Caritas Rumänien hat vor zwei Jahren die Gründung einer Plattform der Nichtregierungsorganisationen, die soziale und medizinische Dienstleistungen für alte Personen anbieten, eingeleitet. In Rekordzeit haben wir es geschafft, 57 Nichtregierungsorganisationen aus mehreren Landkreisen zusammen zu bringen. 81% der Mitgliedsorganisationen von SeniorNet haben eine Steigerung der Anfragen für Pflege zu Hause gemeldet. Leider kann nicht allen Anfragen stattgegeben werden, weil es in Rumänien in diesem Bereich noch Probleme gibt.“




    Im Moment arbeitet man an einer Karte der Bedürfnisse der alten Personen, um genau zu sehen, wer diese sind und wo sie wohnen. Die Nichtregierungsorganisationen bieten unterschiedliche Pflege-Dienstleistungen an: psychologische Beratung, soziale Assistenz, medizinische Behandlung, Hilfe bei der Arbeit im Haushalt. Viele der Probleme haben ihren Ursprung in der Armut, andere in der Einsamkeit. Manche alte Menschen wurden von der Familie aufgegeben, in anderen Fällen arbeiten die Kinder im Ausland. Doina Crângaşu.



    Gewöhnlich handelt es sich um alte Personen, die allein wohnen, weil sie keine Familienangehörige mehr haben — Ledige, Menschen ohne Kinder oder deren Kinder ausgewandert sind — oder die infolge einer Krankheit ihre Selbstständigkeit verloren haben und die ihre täglichen Angelegenheiten — von persönlicher Pflege bis zum Arzt-Besuch — nicht mehr allein erledigen können. Rumänien konfrontiert sich mit einer Auswanderungswelle der jüngeren Bevölkerung. In den ländlichen Gebieten wohnen überwiegend alte Leute, die von der Familie oder von den lokalen Behörden keine Unterstützung bekommen.“




    Es gibt auch Rentner, die eigene Unterstützungsstrukturen gegründet haben. Es solches Beispiel ist die Kasse für gegenseitige Unterstützung der Rentner OMENIA. Landesweit hat diese 1,4 Millionen Mitglieder. Diese Organisation lebt von den Beiträgen der Mitglieder, von Sponsorings und von einer kleinen Handelstätigkeit. Im Rahova-Ferentari Viertel in Bukarest, einem der ärmsten Viertel Bukarests, befindet sich auf einer Stra‎ße mit kleinen Häusern eine Filiale von OMENIA. Es ist ein Städtchen der Rentner, mit einem kleinen Laden, einer Schneiderwerkstatt, einer Schusterwerkstatt, einem Friseursalon, einer Apotheke und Arzt-Praxen. Die Mitglieder können sich hier auch Geld ausborgen. Alle Preise seien niedrig, ohne Aufschlag, versichert Gheorghe Chioaru, der Vorsitzende der Nationalen Föderation der Kassen für gegenseitige Unterstützung der Rentner. Er gab uns auch weitere Details über den Zugang der Mitglieder zu diesen Dienstleistungen:



    Jeder zahlt einen Mitgliedsbeitrag. Wenn jemand austritt, bekommt dieser den Beitrag zurück. Zusätzlich gibt es einen monatlichen Beitrag von 3 Lei (ca. 70 Eurocents). 70% dieses Beitrags werden für die Beerdigungshilfen benutzt. Der Beitrag hängt von der Rentenhöhe ab. Am Anfang trägt jedes Mitglied mit 20 Lei bei. Die Mitglieder können abhängend von ihrem Beitrag Kredite bekommen, bis zu dreimal so hoch wie der Beitrag. Die Zinsen liegen zwischen 1% und 14%.“




    Um den Laden, die Werkstätten und die Arzt-Praxen zu besuchen, muss man beweglich sein. Es gibt aber auch Programme für diejenigen, die sich nicht mehr bewegen können. Gheorghe Chioaru dazu:



    Es gibt Rentner, die nie in ihrem Leben einen Arzt besucht haben. Wir schicken ihnen den Hausarzt nach Hause. Wir organisieren Ärzte-Karawanen, die durch die Dörfer ziehen. Auf dem Lande wurden die Alten vergessen und verlassen. Wir bringen ihnen auch Lebensmittel. Ein anderes Projekt in Zusammenarbeit mit UnitedAway bietet 100 Rentnern, die sich nicht bewegen können, Lebensmittel, Hygiene-Produkte, medizinische Assistenz, Zahnarzt und Pfleger zu Hause. Die Letzteren sind eine Seltenheit, denn sie besuchen unsere Kurse, werden ausgebildet und gehen dann ins Ausland. Der Staat unterstützt uns überhaupt nicht.“




    Zurzeit arbeitet die Regierung an einer nationalen Strategie für den Schutz der Senioren. Diese Strategie müsse verbessert werden, meint Doina Crângaşu:



    Das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz hat Anfang Januar eine öffentliche Debatte eingeleitet. Debattiert wird über die Nationale Strategie zur Förderung der aktiven Alterung und zum Schutz der alten Personen. Wir begrü‎ßen diese Initiative, aber bei der Analyse des Projekts wurden Mängel entdeckt. Man fördert zum Beispiel die aktive Alterung, man spricht aber nicht über die Lage, in der die meisten alten Menschen leben.“




    Bis zur Genehmigung der erwähnten Strategie suchen die Nichtregierungsorganisationen nach unabhängigen Finanzierungsquellen. Sie werden auch EU-Gelder aus dem mehrjährigen Haushaltsrahmen 2014-2020 abrufen.