Tag: Altertum

  • Altertumsgeschichte „live“ erlebt – Reenactments in Rumänien

    Altertumsgeschichte „live“ erlebt – Reenactments in Rumänien

    Reenactment (das ist das englische Wort für Wiederaufführung“ oder Nachstellung“) nennt man die Neuinszenierung konkreter geschichtlicher Ereignisse in möglichst authentischer Weise. Über den Weg der historischen Wiedererlebbarkeit soll Geschichte verständlich und erlebbar gemacht werden. Das historische Reenactment ist der zentrale Teil der von dem britischen Philosophen und Historiker Robin George Collingwood aufgestellten Theorie der Historiographie. Die Nachstellung von historischen oder sagenhaften Ereignissen geht allerdings bis in die Antike zurück.



    Andrei Pogăciaş ist Vizepräsident des Verbands Terra Dacica Aeterna aus Cluj (Klausenburg) und organisiert sogenannte Reenactments oder Neuinszenierungen von historischen Schlachten an verschiedenen Orten in Rumänien:



    Die Reenactment-Idee ist sehr alt; die ersten, die Nachstellungen von historischen Ereignissen veranstaltet haben, waren die alten Römer. Während des Römischen Reiches wurden Schlachten aus der römischen Geschichte in Amphitheatern, z. B. im Kolosseum, wiederaufgeführt. Das professionelle Reenactment begann im 20. Jh. und entwickelte sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jh., als verschiedene Organisationen und Verbände anfingen, Kostüme aus gewissen Epochen und geographischen Zonen anzufertigen und historische Ereignisse nachzustellen. Ende des 20. Jh. fanden auch in Rumänien die ersten Reenactments statt, und die ersten rumänischen Reenactment-Verbände entstanden an der Schwelle zwischen dem 20. und dem 21. Jh. Alles begann wie ein Experiment einiger Geschichtsfans und Historiker, die sich vor allem für die Zeit der Eroberungskriege des Römischen Reiches in Dakien interessierten. 2007 wurde der Verband Terra Dacica Aeterna gegründet; anfangs war es eine Römer-Truppe, weil die Verbandsmitglieder Römer-Truppen bei anderen Veranstaltungen im Ausland gesehen hatten. Die Römer konnten aber nicht ewig allein in Rumänien bleiben, und daher bildeten wir auch eine Daker-Truppe. So entstand der Reenactment-Verband Terra Dacica Aeterna, zunächst mit Römern und Dakern. Später schlossen sich auch unsere Szekler-Freunde als Sarmaten an, und nun haben wir drei Reenactment-Armeen: Daker, Römer und Sarmaten.“




    Die drei Armeen trainieren in speziell dazu eingerichteten Werkstätten, in ihrer Heimatstadt Cluj oder bei verschiedenen Geschichtsfestivals. An den angekündigten Orten und Zeiten können die Interessenten historische Schlachten live“ beobachten, die sie sonst nur aus den Geschichtsbüchern kennen. In Rumänien gibt es mehrere Festivals, auf denen Reenactments veranstaltet werden; mehr dazu von Andrei Pogăciaş:



    Ein wichtiges Geschichtsfestival, vielleicht das grö‎ßte in Rumänien, ist das Festival der dakischen Burgen im Landkreis Alba. Ebenfalls im zentralrumänischen Kreis Alba, in der Stadt Alba Iulia, wird jeden Frühling das Römische Festival veranstaltet — es ist praktisch die Eröffnung der jährlichen ‚Schlachtzeit‘. Dann gibt es die Festivals in Zalău und in Porolissum, im Kreis Sălaj (im Nordwesten Rumäniens) das antike Festival Tomis in Constanţa (dem grö‎ßten rumänischen Schwarzmeerhafen im Osten des Landes) und das Festival Dacfest, das von uns, Terra Dacica Aeterna, im Kreis Hunedoara (Mitte-Westen) organisiert wird. Letztes Jahr wurde zum ersten Mal ein Festival in Simeria, in der Nähe der Ortschaft Gura Uroiului organisiert. Das war ein exzellenter Standort, der beste Standort für ein Geschichtsfestival zum Thema Altertum. Es ist eine Wiese unter einem riesigen Fels, der wie eine Daker-Mütze aussieht. Da bauen wir unsere Lager und unsere Werkstätte auf, wir haben auch genug Platz für die Schlacht und für die Zuschauer, die uns umgeben. Letztes Jahren waren erstaunlich viele Leute gekommen, und dieses Jahr versuchen wir, ein grö‎ßeres Festival zu organisieren, mit mehreren Aktivitäten und mehreren Truppen. Wir hoffen, dass noch mehr Besucher kommen, und dass wir eine Festivaltradition im Kreis Hunedoara bilden. Hunedoara war das Zentrum des dakischen Königreiches, und mit solchen Aktivitäten halten wir die Erinnerung an Dakien wach.“




    Ein Festival dauert in der Regel drei Tage. Am Freitag werden die verschiedenen Lager, die Werkstätte und die Feuerstätte aufgebaut. Wie es weiter geht, erzählt Andrei Pogăciaş:



    Am Freitag holen wir die gesamte Ausrüstung heraus und bauen unsere Lager auf. Am Samstag und Sonntag haben wir am Vormittag verschiedene Aktivitäten mit den Besuchern, vor allem in den Werkstätten, und am Mittag beginnt die richtige Action, die von allen erwartet wird: die Schlacht, die etwa drei Stunden dauert, je nachdem wie das Szenario aussieht. Die Rollen sind klar aufgeteilt, die einen sind Daker, die anderen Römer und die dritte Gruppe stellt Sarmaten dar. Innerhalb einer Armee wei‎ß jeder genau, was er zu tun hat: Einer ist Kommandant, ein anderer ist Adliger, ein anderer ist Handwerker oder Schütze, jeder kennt seine Stellung auf dem Kampffeld, und am wichtigsten ist, auf die Befehle seines Kommandanten zu hören. Auf den ersten Blick scheint das Ganze ein Spiel zu sein, an dem 30- bis 40-jährige Kinder ihren Spa‎ß haben, aber im Feuer des Gefechts ist es nicht leicht zu hören, was der Kommandant schreit. Unsere Kämpfe sind echt, wir haben Waffen aus Metall und Schilder aus Holz mit Metallumrahmung, überall kracht es, das Adrenalin steigt, man hört kaum noch etwas, man wird in den Kampf hineingezogen, der Feind attackiert von allen Seiten, es gibt Momente, wenn man die Gegenwart vergisst und wirklich zum Daker oder zum Römer wird.“




    Nach der Schlacht kommen die Besucher ins Lager, sie stellen Fragen, probieren Kostüme und Waffen aus und beteiligen sich an Aktivitäten in den Werkstätten. Die Ausrüstungen und die Waffen sind historischen Modellen genau nachgebildet und perfekt funktionsfähig. Um Unfälle vorzubeugen wird aber dem Publikum nicht erlaubt, an den Schlachten teilzunehmen. Für Kinder gibt es immerhin leichte Kampfübungen und kurze Schlachten mit Holzwaffen. Anfang Mai findet das erste Geschichtsfestival des Jahres 2015 in Hunedoara (Eisenmarkt) statt. Sie sind alle herzlich eingeladen, das Reenactment einer historischen Schlacht zwischen Daken, Römern und Sarmaten live zu erleben.

  • Am Anfang war Callatis

    Am Anfang war Callatis

    Zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert vor Christus fand ein Phänomen statt, dass die Historiker als gro‎ße griechische Kolonisation bezeichnen — Siedler wagten sich aus den Zivilisationshochburgen des alten Hellas heraus und gründeten Städte überall im Mittelmeerraum und am Schwarzen Meer. Die neuen Niederlassungen blieben im regen politischen, kulturellen und kommerziellen Austausch mit ihren jeweiligen Herkunftsstädten. Am westlichen Ufer des Schwarzen Meeres, auf dem heutigen Gebiet von Rumänien, erschienen auf diese Weise zum einen die Städte Histria und Tomis, die von Siedlern aus Milet auf dem östlichen Ufer des Ionischen Meers gegründet wurden. Zum anderen entstand weiter südlich davon Callatis — gegründet wurde die Burg von Siedlern aus der so genannten Heraclea Pontica am Südufer des Schwarzen Meeres, rund 100 km von der Bosporus-Meerenge entfernt.



    Die hellenischen Siedler mussten allerdings nicht ganz bei Null anfangen, sondern knüpften an eine getische Siedlung an, die in den Annalen der Geschichte als Acervetis oder Cerbates einging. Die Getodaker und die zugezogenen Hellenen bewohnten die neue Stadt Callatis gemeinsam. Heute liegt auf dem Standort von Callatis die rumänische Stadt Mangalia, mit einer Bevölkerung von etwa 33.000 Einwohnern. Spezialisten und Archäologen gehen davon aus, dass Callatis im Altertum das wichtigste Kulturzentrum in der Region war, die heute unter dem Namen Dobrudscha bekannt ist. Aber Callatis gehörte auch zu den wichtigsten Handelsplätzen, da der Wirtschaftsstandort durch den Hafen einwandfrei an die regionalen Seewege angebunden war. Das geschäftige Leben der Stadt lässt sich durchaus belegen, sagt Sorin Marcel Colesniuc, der Leiter des Museums Callatis im gleichnamigen Kulturkomplex in Mangalia.



    Es gibt erstens die Inschriften, die wir in Mangalia gefunden haben, dann auch die Darstellungen von Professoren auf Grabmalen. Und antike Schriftsteller der Burg Callatis Istros von Callatis, Demetrios von Callatis, Herakleides alias Lembos und den Rhetoriker Thales. In Mangalia ist der einzige antike Papyrus auf rumänischem Gebiet gefunden worden, im Jahr 1959.“




    Der Historiker Colesniuc erzählt weiterhin, dass damals in Rumänien keine richtigen Lagerungsbedingungen geschaffen werden konnten, also wurde der Papyrus aus dem 4. Jahrhundert vor Christus nach Moskau gebracht. Für die rumänischen Wissenschaftler galt das Schriftstück als verschollen, doch Colesniuc und sein Kollege Dr. Ion Pâslaru stie‎ßen letztendlich im Jahr 2011 nach zwei Jahren akribischer Suche auf das Fundstück beim Zentrum für Restaurierung und Konservierung in Moskau und brachten es zurück nach Rumänien. Niemand wei‎ß, was darauf steht, denn bei der Entdeckung fiel der Papyrus aufgrund der Einwirkung von Licht und Sonne komplett auseinander. Zum Glück konnte es in Moskau konserviert werden. Im Moment existieren 154 Fragmente — auf den grö‎ßeren können altgriechische Buchstaben erkannt werden, die allerdings kein vollständiges Wort ergeben. Doch auch sonst sind viele interessante Objekte im Callatis-Museum von Mangalia zu bewundern, sagt Sorin Marcel Colesniuc.



    Es gibt viele Architekturteile zu sehen, darunter Säulen, Kapitelle, Architrave, Friese mit Metopen, Simsstücke mit abgebildeten Rinderschädeln, Keramikgefä‎ße — vor allem Amphoren. Auch haben wir Öllichter, Aquädukte, Tanagra-Statuen, Glasgefä‎ße, Grabsterne, Inschriften, Götterdarstellungen, Schmuck, Münzen, Metallobjekte und vieles anderes mehr. Vor dem Museum sind viele Architekturteile zu sehen. Es gibt au‎ßerdem einen archäologischen Park und nicht zuletzt Fundstellen um Mangalia. Die Nordmauer der Burg Callatis und die Nordwestecke können besucht werden — und auch das Prinzengrabmal auf der Stra‎ße nach Albeşti, 3 km von der Stadt entfernt.“




    Aussagekräftig für die Wirtschafts- und Handelsmacht der Siedlung war der alte Hafen von Callatis — doch er liegt heute unter Wasser, sagt der Historiker und Archäologe Colesniuc.



    Der Hafen von Callatis wurde im 4. Jahrhundert vor Christus gebaut. In den letzten 200 Jahren ist der Meeresspiegel leider um etwa 2 Meter gestiegen, so dass der Hafen und dessen Anlagen heute unter dem Meer begraben sind. In den Jahren 1960-1970 hat der Forscher Constantin Scarlat mehrmals Taucharbeiten durchgeführt und eine Karte des Hafens gezeichnet. Dabei hat er viel Keramik gefunden, besonders Ziegeln und Amphoren. Die Karte hat er 1973 in einer Klausenburger Fachzeitschrift veröffentlicht. Eingezeichnet sind dort auch einige Schiffswracks. Wir haben mit Firmen aus Italien und Ungarn gearbeitet, die den Meeresboden gescannt haben, und auch dort erscheinen die Überreste der Schiffe aus dem Altertum.“




    Wie der Historiker weiter erzählt, verfällt Callatis nach einigen Jahrhunderten seiner Blütezeit und wird später quasi zur Ruine — eine Folge der Einfälle der Barbaren, wei‎ß der Wissenschaftler:



    Um das zweite Jahrhundert nach Christus erscheinen in der Region die Wandervölker — zuerst die Kostoboken, dann die Goten, Karpen und im 5. Jahrhundert die Hunnen. Ende des 6., Anfang des 7. Jahrhunderts fallen dann die Awaren und die Slawen ein, die die Burg Callatis vollständig zerstören. 300 Jahre lang verschwindet sie faktisch von der Bildfläche, archäologische Quellen gibt es keine mehr. Plötzlich erscheint dann im 13. Jahrhundert auf dem Standort des antiken Callatis zum ersten Mal eine Siedlung mit der Bezeichnung Pangalia, der Name Mangalia erscheint zum ersten Mal im Jahr 1593.“




    Callatis teilt das Schicksal vieler Städte, die sich uns nur noch durch archäologische Fundstücke offenbaren. Sie verraten wenig über die Menschen, die in der Burg lebten — aber auch die geahnten dunklen Geheimnisse der Vergangenheit wirken faszinierend auf die Menschen von heute.