Tag: Ana Mărgineanu

  • Theater am Montag in Green Hours: Kaderschmiede des unabhängigen Theaters wird 20

    Theater am Montag in Green Hours: Kaderschmiede des unabhängigen Theaters wird 20

    Am 1. Dezember 1997 wurde im Untergeschoss eines Gebäudes auf der zentralen Stra‎ße Calea Victoriei (Siegesstra‎ße) in Bukarest das erste unabhängige Theater in Rumänien ins Leben gerufen. Bald wurde es als Theater am Montag“ bei Green Hours bezeichnet, weil es in der Bar Green Hours zum Leben kam, einer angesagten Bar in der rumänischen Hauptstadt, die der Besitzer Voicu Rădescu im Jahr 1994 gründete. Sein Bruder ist der Darsteller Vlad Rădescu, der dank seiner Rolle im Streifen Ciprian Porumbescu“ in der Regie von Gheorghe Vitanidis über die Landesgrenzen hinaus berühmt wurde. Aus Liebe zur Kunst und aus dem Bedarf der Darsteller jener Zeit hinaus, sich mehr als im Staatstheater frei auf der Bühne ausdrücken zu können, entstand das unabhängige Theater Green Hours. Voicu Rădescu erinnert sich, wie seine Initiative allmählich Gestalt annahm:



    Damals betrieb ich hier schon seit drei Jahren einen Jazz-Club, der Green Hours hie‎ß. Über meinen Bruder und meine Schwägerin, die bekannte Theatermenschen sind, habe ich Theaterstudenten kennengelernt, die aus eigener Initiative hier in der Bar während der Konzertpausen Theatersketsche präsentierten. Es war der Winter 1994-1995. Auf den Plakaten zu den jeweiligen Aufführungen stand »Acting Performances« mit verschiedenen Darstellern — Mihaela Rădescu, Dragoş Bucur, Bogdan Dumitrache u.a.m. Zwei Jahre später, als ich die renommierte Schauspielerin Maia Morgenstern kennenlernte, bin ich auf die Idee gekommen, sie zu fragen, ob sie in einer Theateraufführung im Jazz-Club Green Hours auftreten möchte. Zusammen mit der Darstellerin Dorina Crişan Rusu hat sie mich zu einer Aufführung im Nationaltheater eingeladen, wo sie am Klavier einen gro‎ßen Teil der Aufführung »Chantan au Lait« gespielt haben. Diese Aufführung eröffnete ein paar Wochen später die ständige Spielzeit am Montagstheater, das allerdings damals nicht so hie‎ß.“




    Nachdem Maia Morgenstern und Dorina Crişan Rusu sozusagen das Eis gebrochen hatten, lockte das Untergeschoss der beliebten Bar auf der Calea Victoriei immer mehr junge Darsteller und Theatermacher an:



    Die Zahl der Schauspieler, die bei uns auftreten wollten, nahm allmählich zu. Die berühmte Darstellerin Coca Bloos kam auf die Bühne mit einer One Woman Show. Ich konnte es nicht fassen, als sie unsere Einladung akzeptierte, denn in derselben Zeit trat sie mit einer erfolgreichen Aufführung auf der Bühne des Nationaltheaters auf. Das gab uns den Antrieb und die Kraft, weiterzumachen. Es wurde klar, dass wir nicht aufgeben sollen, denn unser Projekt fand nicht nur beim Publikum eine positive Resonanz, sondern auch bei Theatermenschen.“




    Schritt für Schritt haben sich sowohl junge Regisseurinnen und Regisseure wie Theodora Herghelegiu, Gianina Cărbunariu, Radu Afrim, Ana Mărgineanu als auch bereits bekannte Theatermacher — Alexandru Dabija, Alexandru Tocilescu und die Darstellerinnen und Darsteller Andreea Bibiri, Daniel Popa, Dorina Chiriac, Lia Bugnar, Şerban Pavlu — dem Projekt angeschlossen. Alle stellen einen Teil der zwanzigjährigen Geschichte des Theaters dar.



    Einen Wendemoment erlebte das Theater, als sich auch Florin Piersic Jr. dem Projekt anschloss. Der Darsteller inszenierte hier seit Anfang der Jahre 2000 vier Aufführungen. Die erste war Würfel und Karten“ von Sam Henry Kass im Jahr 2001. 2003 wurde Florin Piersic Jr. für seine Rolle in der Aufführung Sex, Drugs, Rock & Roll“ von Eric Bogosian mit dem Preis des Rumänischen Theaterverbands UNITER in der Kategorie Bester Darsteller“ ausgezeichnet. Das war der erste Preis, den UNITER der Aufführung eines unabhängigen Theaters vergab. Der Schauspieler erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem Theater am Montag:



    Es war ein Silvesterabend in Bukarest und ich hatte nichts für die Nacht zwischen den Jahren vor. Auf einem Flugblatt stand, dass in der Bar Green Hours um 8-9 Uhr abends eine Theateraufführung präsentiert wird. Die Bar war total anders und einzigartig im damaligen Bukarest. Später, als ich beruflich eine schwere Zeit durchmachte, habe ich mich daran erinnert, den Barbesitzer kontaktiert, und er stand sehr offen gegenüber meinem Vorschlag, in einer der Aufführungen aufzutreten. So haben wir diesen Prozess in Gang gesetzt. Ich habe es immer wieder hervorgehoben und das mache ich jetzt noch einmal: Ohne Green Hours hätte ich nicht existiert. Es war für mich wie ein Sprungbrett. Dort wurde ich als Darsteller entdeckt und dank meinen Auftritten bei Green Hours habe ich später viele Arbeitsaufträge bekommen.“




    Das Theater Am Montag mit den 100 Zuschauern, die ihm am Anfang zur Seite standen und die im kleinen Raum der Bar Green Hours passten, war für viele eine Theaterschule, eine Emotion, die Ausdrucksfreiheit. Florin Piersic Jr:



    In den Augen der anderen waren wir diese Enfants terribles des rumänischen Theaters, diese Au‎ßenseiter, die durch ihr Benehmen auffielen. Damals galt ein selbstständiger Darsteller nicht als wahrer Darsteller, in Wahrheit war es aber andersrum, denn es gab so viele an verschiedenen Theatern festangestellte Darsteller, die mit ihrem Status nicht zufrieden waren und hier, im unabhängigen Theater, eine Stimme bekamen. Hier hatten sie die Gelegenheit, unvergessliche Rollen zu verkörpern, auf einer 2 qm gro‎ßen Bühne vor 70 oder 100 Zuschauern aufzutreten und für ihren Auftritt begehrte Preise zu erhalten. Für manche mag das seltsam vorkommen, dass ein Darsteller für ein paar Zuschauer all seine Energie bündelt, während man als Schauspieler, der im Fernsehen auftritt, Millionen Menschen auf einmal erreichen kann. Ich sehe aber die Sachen ganz anders. Das Theater und seine Stimmung kann man nicht ersetzen.“




    Zwei Jahrzehnte später sind in Bukarest lauter unkonventionelle Räume entstanden, die den unabhängigen Darstellern eine Bühne bieten. Das Theater am Montag bleibt jedoch in den Herzen zahlreicher Theaterfreunde. Das erste unabhängige Theater Rumäniens erfüllt auch heute in der Bar Green Hours, seine Rolle, junge Darsteller zu unterstützen. Seiner Gastfreundschaft erfreut sich auch die Theatergruppe Frilensăr“ aus dem ostrumänischen Iaşi. Geleitet wird die Gruppe vom Darsteller und Regisseur Daniel Chirilă:



    Kaum zu glauben, dass wir bereits zur fünften Aufführung gekommen sind. Die Erinnerungen, als wir sagten, ‚Schau mal, Lia Bugnar und Marius Manole treten bei Green Hours auf, das muss cool sein‘, habe ich noch so frisch im Gedächtnis. Und auf einmal kriegt man eine Einladung von Voicu, ein paar Worte in einem Interview über das 20. Jubiläum dieses Theaters zu sagen. Hier genie‎ßen wir immer eine ganz schöne Atmosphäre und wir fühlen wirklich, dass wir dazugehören. In diesem Theater fühlen wir die Freiheit und das ist uns sehr wichtig. Das Theater am Montag ist der Motor des rumänischen unabhängigen Theaters.“

  • Theateraufführung als Vergangenheitsforschung: „Das versunkene Jahr. 1989“

    Theateraufführung als Vergangenheitsforschung: „Das versunkene Jahr. 1989“

    Wenn man die Menschen in Rumänien fragt, womit sie das Jahr 1989 in Verbindung bringen, kommt sofort die logische Antwort: mit den Dezembertagen, an denen die Revolution stattfand. Zu dem Schluss kamen auch der Drehbuchautor Peca Ştefan und die Regisseurin Ana Mărgineanu. Sie versuchten sich in einer Rekonstruktion der 11 Monate vor der Wende. Die Initiative wurde künstlerisch konkretisiert — mit der Aufführung Das versunkene Jahr. 1989“. Die Premiere des Stücks fand vor kurzem am Kleinen Theater in Bukarest statt.



    Aus ihrer Idee soll eine ganze Reihe entstehen, erzählt die Regisseurin Ana Mărgineanu.



    Die Aufführung ist Teil eines Projekts, das wir in den folgenden Jahren begleiten wollen, es hei‎ßt »Das versunkene Jahr«. Der Hauptgedanke dabei ist, jeweils ein vergangenes, verblichenes Jahr auszuwählen und zu schauen, woran wir uns in Verbindung mit diesem Jahr noch erinnern können. Und dabei Forschungsarbeit zu betreiben, diesmal wollen wir nicht in den Akten, Zeitungen oder dem Archiv recherchieren, sondern das Mikrouniversum erforschen, die menschliche Ebene. Praktisch wollen wir das künstlerische und technische Team der zukünftigen Aufführung zusammenbringen und sehen, woran sich jeder noch erinnern kann und was das betreffende Jahr für jeden von ihnen bedeutet hat. Und aufgrund dieser Geständnisse wollen wir ein Theaterstück schreiben, das genau unsere Erlebnisse aus dem jeweiligen Jahr subjektiv widerspiegelt.“




    1989 — ein ausschlaggebendes Jahr für die Geschichte Europas, ein Jahr, in dem eine Welt durch eine neue ersetzt wurde. Dass genau dieses Jahr für den Auftakt des Projektes Das versunkene Jahr“ ausgewählt wurde, ist wohl eine selbstverständliche Entscheidung gewesen. Das glaubt auch Peca Ştefan, der Autor des Drehbuchs für die Aufführung am Kleinen Theater in Bukarest.



    Wir haben darüber gesprochen, dass wir uns lediglich an die Dezembertage des Jahres 1989 erinnern, weil es ein Trauma war. Nach einem Trauma bleibt der Moment, den man immer wieder lebt. Aber die 11 Monate vor dem Ereignis sind wirklich verblichen, sie sind verloren gegangen, obwohl sie sehr interessant sind. Es gab sehr viele Hinweise darauf, dass etwas passieren würde. Weltweit gab es gro‎ße Umwälzungen, auch in Europa. In Rumänien hatte man das Gefühl, dass alles eingefroren war, dass die Zeit stillstand, dass man in der Luft hing. Das waren ungefähr unsere Gefühle. Und bei all den Gesprächen, die wir führten, ist das der rote Faden gewesen. Es war eine Art Winterschlaf und ein explosionsartiges Aufbäumen. Es gab auch viele andere Dinge unter dem Teppich, die herausgewachsen sind, bis es nicht mehr ging, und so kam die Wende, die leider nicht friedlich wie in den anderen sozialistischen Ländern herbeigeführt wurde, sondern mit menschlichen Opfern.“




    Der bunte Glasfisch, die Knüpfarbeiten, Schlange stehen beim Orangenkauf, der Winter, die grünen Bananen, in Zeitungspapier verpackt und zum Reifen auf den Schrank gestellt. Der Sommer, in dem ich meinen Mann mit einer anderen bei uns im Bett erwischt habe, danach lie‎ßen wir uns auch scheiden. Der Turbo-Kaugummi mit Überraschungsbildern. Das Pegas-Fahrrad. Vor dem Kleinen Theater standen die Menschen an, um Karten zu kaufen, obwohl es kalt war und im Saal auch Ratten hausten. Witze über Ceauşescu im Flüsterton erzählt. Ein Mädchen hatte eine Dauerkarte für die Freitagkonzerte der Philharmoniker.“ Das sind die Erinnerungen des künstlerischen und technischen Teams der Aufführung Das versunkene Jahr 1989“, die von Peca Ştefan und Ana Mărgineanu für eine intime, persönliche Rekonstruktion des Jahres 1989 verwendet wurden. Die Mitglieder des Teams sind aus den unterschiedlichsten Jahrgängen, was die Rekonstruktion sehr interessant macht. 1989 waren die ältesten 38 Jahre alt, sagt der Autor Peca Ştefan.



    Das war irgendwie auch unser Ausgangspunkt. Ich bin jetzt 33 Jahre alt. Ich habe mich gefragt: Was hätte ich gemacht, wenn ich 1989 33 Jahre alt gewesen wäre? Das ist ein Paralleluniversum, in das wir eingetaucht sind, denn dieses Projekt nimmt sich vor, auch die Brücken zu untersuchen, die es zwischen dem verschwundenen Jahr und dem heutigen Jahr gibt. Das ist unser Versuch eines ehrlichen Unterfangens. Dadurch wird es relevant. Es ist ein ehrlicher, oder es sollte ein ehrlicher Blick sein. Ich glaube, dass das uns in all dieser Zwischenzeit gefehlt hat. Das haben wir 1989 und unmittelbar danach, 1990, nicht gemacht… Nämlich einen sehr ehrlichen, sehr harten und unbarmherzigen Nullpunkt. Es ist eine Art Ehrlichkeit und die Verantwortung für einen Standpunkt. Wir haben diese Ehrlichkeit erstickt und uns in einer Heuchelei gesuhlt, die diese Gesellschaft auszeichnet. Unsere Gegenwart ist auf einer gro‎ßen Lüge aufgebaut. Wir sind Mutanten, die zwischen allerlei Ängsten und Komplexen herumschwirren — und das ist überall sichtbar. Ich glaube, dass wir in diesem Projekt generell nach Mutationen Ausschau halten.“




    In der Besetzung des Stücks Das versunkene Jahr. 1989“ von Peca Ştefan, unter der Regie von Ada Mărgineanu, sind die Schauspieler Gheorghe Visu, Maria Ploae, Mihaela Rădescu, Toma Cuzin, Isabela Neamţu, Viorel Cojanu und Virgil Aioanei. Das Projekt Das versunkene Jahr“ wird im kommenden Jahr am Jugendtheater in Piatra Neamţ fortgesetzt. Dabei soll ein Jahr aus den 1990ern ausgewählt werden.