Tag: Angst essen Seele auf

  • Unabhängige Kulturprojekte: Das Privattheater Apollo 111

    Unabhängige Kulturprojekte: Das Privattheater Apollo 111

    Die Initiative zu diesem Projekt hatte der Schauspieler Bogdan Dumitrache (bekannt aus der Hauptrolle in dem vielfach prämierten Film Die Stellung des Kindes“). Ihm schlossen sich auch der Regisseur Călin-Peter Netzer, der Creative Director Cătălin Rusu und der Filmproduzent Dragoş Vîlcu an. Das Projekt entstand zu einem Zeitpunkt, als das unabhängige Theater in Bukarest besonders aktiv und sichtbar wurde. Bogdan Dumitrache erläutert, wie diese Situation seine Managementstrategie beeinflusst hat:



    Ich kam auf diese Idee, weil in den letzten Jahren sehr viele unabhängige Aufführungen, sehr viele unabhängige Theaterproduktionen entstanden waren und nach Räumen suchten, wo man spielen konnte. Eins führte zum anderen und letztendlich glaube ich, dass die vielen Veranstaltungen viel Interesse hervorgerufen und ein neues Publikum für sich gewonnen haben. Dieses neue Publikum erwartet jetzt aber ein bisschen mehr. Ein nicht geeigneter Raum kann die höheren Erwartungen des Publikums nicht erfüllen. Daraus entstand auch die einfache, organische Idee, dass man mehr braucht, als eine Bar oder ein Café, wo gelegentlich auch Theater gespielt wird. Das unabhängige Theater braucht einen geeigneten Raum, wo man mehr als einen Tisch und drei Lichtquellen zu Verfügung hat.“




    In diesem Sinne suchte Bogdan Dumitrache nach einem geeigneten Raum, der auch wirtschaftlich entsprechend sein sollte, und fand einen 850 qm gro‎ßen Saal in der Bukarester Stadtmitte, im Palais Universul. Das renovierte historische Gebäude bietet Räumlichkeiten für mehrere unabhängige Kunstinitiativen und ist dabei, eine Art Kulturzentrum zu werden. Der gro‎ße Saal des Theaters Apollo 111 wurde in mehrere Räume mit unterschiedlichen Zwecken unterteilt. Eine Hälfte ist den eigentlichen Theaterräumen gewidmet — das sind ein Theatersaal mit 127 Plätzen, ein Foyer und mehrere Künstler-Garderoben. Bogdan Dumitrache dazu:



    Es gibt drei Hauptabteilungen — die grö‎ßte ist die Theaterabteilung mit dem Theatersaal, dem Foyer und den Künstler-Garderoben. Dann kommen das Theatercafé und die Verwaltungsabteilung mit Büros, Probesälen und Castingstudios. In der Büroabteilung funktioniert auch die Castingagentur, die ich seit mehreren Jahren betreibe. Ich habe meine Castingagentur hierhergebracht, um alles zusammen zu haben und besser kontrollieren zu können. Und ich bleibe auch ständig im Kontakt mit den Schauspielern.“




    Das unabhängige Theater Apollo 111 schlägt ein Repertoire vor, das sich von den anderen Theatern in Rumänien unterscheidet. Die Abend-Spielzeit wird nach dem System Run“ organisiert. Bogdan Dumitrache:



    In diesem System besteht die Möglichkeit, dass eine Aufführung auf die Bühne kommt und sechs Wochen lang so oft gespielt wird, wie das Publikum danach fragt. Das ist zum Vorteil aller Beteiligten — die Aufführung wächst, entwickelt sich von einem Abend zum anderen, es gibt keine leeren Zeiten, die Schauspieler bleiben konzentriert und denken nicht an andere Projekte. Die Aufführung wächst und wird besser, wenn sie oft gespielt wird. Sie ist wie eine Maschine, die gut funktioniert. Jeder ist ein Teil des Mechanismus, jeder wei‎ß genau, was er zu tun hat, und zusammen bringen wir höchste Leistungen. Ich betreibe dieses Theater mit vier Mitarbeitern, und ich denke gar nicht daran, weitere Leute einzustellen. Zwei Techniker für Ton und Beleuchtung, einen Bühnentechniker und eine Produzentin — mehr brauche ich nicht. Wir tun alles, was zu tun ist, und es funktioniert bestens.“




    Jedes Jahr ist ein anderes Teammitglied als Dramaturg für das Programm der jeweiligen Spielzeit verantwortlich. Für das erste Jahr hat der Theaterintendant Bogdan Dumitrache die Aufgaben des Dramaturgen übernommen, und in der Spielzeit 2017-2018 wird der Regisseur Radu Afrim Dramaturg des Theaters Apollo 111. Bogdan Dumitrache dazu:



    In unserer heutigen Welt geschieht so viel in so kurzer Zeit, und wenn man sich auf ein einziges Thema konzentriert, verpasst man Hundert andere. Daher scheint es mir, dass Aktualität durch Diversität zu erreichen ist. Indem ich mit den Interessenbereichen vieler Autoren in Berührung komme, werde ich aktuell. Ein Dramaturg, der die Titel einer Spielzeit vorschlägt, sollte die fünf Produktionen der jeweiligen Spielzeit einer bestimmten Idee unterordnen. Sei es, dass man eine Musical-Spielzeit gestalten will, und alle fünf Produktionen sich um diese Idee drehen, sei es, dass man sich ein Hauptthema aussucht (zum Beispiel den Krieg), und dieses Thema in fünf Texten aus fünf verschiedenen Epochen behandelt, sei es, dass man in den fünf Produktionen eine Hauptidee auf verschiedenen Weisen verfolgt — man hat immer ein bestimmtes Spielzeit-Konzept.“




    Das Konzept, das Bogdan Dumitrache für die erste Spielzeit des Theaters Apollo 111 vorstellt, ist die Begegnung zwischen Theater und Film, mit mehreren Projekten über die Kinowelt. Bei der Eröffnung des Theaters Apollo 111 und der ersten Spielzeit wurde eine Bühnenadaption des Textes Ali: Angst essen Seele auf“ in der Regie von Radu Jude erstaufgeführt. Der Text war bekanntlich die Grundlage für Rainer Werner Fassbinders erfolgreichen gleichnamigen Spielfilm. Radu Jude ist seinerseits für seine Spielfilme Aferim!“ und Vernarbte Herzen“ bekannt. Zurzeit laufen die Proben für das Stück Nach dem Regen“ von Sergi Belbel, in der Regie von Alex Maftei (der auch die Spielfilme Hallo, wie geht’s?“ und Fräulein Christina“ gedreht hat. Eine dritte Produktion wird eine Bühnenadaption nach dem Spielfilm Sieranevada“ von Cristi Puiu — wer dabei Regie führen wird, steht noch nicht fest.



    Das neue unabhängige Theater Apollo 111 hat auch eine Spielzeit für Kinder, mit Matineeaufführungen, und auch eine dritte Spielzeit für junge Künstler unter 35 — Regisseure, Bühnenbildner, Choreographen, Musiker.

  • Theaterjahr 2016 – Rückblick auf die wichtigsten Aufführungen und Festivals

    Theaterjahr 2016 – Rückblick auf die wichtigsten Aufführungen und Festivals

    Die internationalen Theaterfestspiele im mittelrumänischen Sibiu (Hermannstadt), Timişoara, Cluj (Klausenburg), Bukarest haben auch im vergangenen Jahr zahlreiche Theaterliebhaber aus allen Ecken der Welt nach Rumänien gebracht. Thematisiert wurden dabei aktuelle Probleme in der heutigen Gesellschaft: das mangelnde Vertrauen, das Erlebnis der Entfremdung, die Migration. Das Thema Vertrauen aufbauen“ stand im Mittelpunkt des 23. Internationalen Theaterfestivals in Sibiu. Ohne Vertrauen hätten die internationalen Festspiele in der siebenbürgischen Stadt ein solches Ausma‎ß allerdings nicht erreicht: 472 Veranstaltungen und renommierte Theatermacher Rumäniens und der Welt, die 2016 dabei waren — Victor Rebengiuc, Anamaria Marinca, Gigi Căciuleanu, Silviu Purcărete, Tim Robbins, Evgeny Mironov, Thomas Ostermeier. Alle Aufführungen, Konzerte, Filmvorführungen, Buchpräsentationen, Publikumsgespräche im Anschluss an die Theateraufführungen, die Partnerschaften, die während der zehn Festivaltage geschlossen wurden, stellten einen riesigen Schritt nach vorne für die Theatergemeinschaft und die rumänische Kultur dar. Die vom Hermannstädter Nationaltheater Radu Stanca“ organisierten Festspiele gelten europaweit als das drittgrö‎ßte Theaterfestival.



    Der rumänische Theaterverband UNITER hat im vergangenen Jahr das 26. Nationale Theaterfestival organisiert. Die Festivalintendantin Marina Constantinescu wählte für diesen Event 40 Aufführungen der Spielzeit 2015-2016 aus. Präsentiert wurden sowohl Aufführungen rumänischer Staatstheater als auch unabhängiger Theater. Seit 2005 widmet das Internationale Theaterfestival auch ausländischen Aufführungen eine Sektion. 2016 brachte das Event zwei weltweit renommierte Choreographen nach Bukarest: Angelin Preljocaj und Carolyn Carlson. Dem Tanz widmeten allerdings die Organisatoren ein spezielles Augenmerk im vergangenen Jahr. Im Mittelpunkt der 26. Nationalen Theaterfestspiele stand das Werk der rumänischen Choreographin Miriam Răducanu. Das Festival ging mit der Aufführung von Tschechows Kirschgarten“ in der Regie von Lew Dodin, einer Produktion des Theaters Malyj Drama aus Sankt Petersburg zu Ende.



    Das Thema Europa — wohin steuerst du?“ stand 2016 im Mittelpunkt des Europäischen Theaterfestivals Eurothalia“, organisiert vom deutschen Staatstheater Temeswar. Das Festival erforscht innovative Tendenzen der darstellenden Künste in Europa. Die ausgewählten Stücke setzten sich 2016 sowohl mit Themen von aktueller Relevanz auseinander wie der Migration, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und ihrer Folgen als auch mit Themen, die den modernen Menschen auf persönlicher Ebene beschäftigen.



    Das Internationale Theaterfestival Interferenzen“ wird vom Ungarischen Staatstheater in Klausenburg organisiert und findet jedes zweite Jahr statt. Die 22 ausgewählten Aufführungen haben im vergangenen Jahr aus verschiedenen Perspektiven Die Odyssee des Fremden“ thematisiert. Die Organisatoren bezeichnen die Festspiele, die 2016 bereits zum 5. Mal stattfanden, als ein Festival aller Klausenburger“, einem Treffpunkt verschiedener Gemeinschaften und Generationen.



    Zum Jahresende wurden zwei neue Theater eröffnet. Das Stadttheater Matei Vişniec“ im nordostrumänischen Suceava, das den Namen eines renommierten rumänischen Dramatikers trägt, brachte im Dezember seine erste Aufführung auf die Bühne: Der Tiger in meiner Stadt“ von Gianina Cărbunariu, in der Regie von Bobi Pricop. Das Privattheater Apollo 111 öffnete November 2016 seine Pforten mit der Aufführung Ali: Angst essen Seele auf“ nach Rainer Werner Fassbinders Drehbuch zum gleichnamigen Film, in der Regie des Filmemachers Radu Jude. Das Theater wurde vom Filmregisseur Călin Peter Netzer gegründet.