Tag: Arbeiteraufstand

  • Arbeiteraufstand von 1987 in Kronstadt jährt sich zum 35. Mal

    Arbeiteraufstand von 1987 in Kronstadt jährt sich zum 35. Mal





    Der Tag, der nicht in Vergessenheit gerät“ ist der Titel eines Buches, das zwei rumänische Zeithistoriker, Marius Oprea und Stejărel Olaru, dem antikommunistischen Arbeiteraufstand vom 15. November 1987 in Brașov (Kronstadt) gewidmet haben. Obwohl er brutal unterdrückt wurde, erschütterte der Aufstand die kommunistische Diktatur von Nicolae Ceaușescu und war, so sagen es die beiden Historiker, der Auftakt zur Revolution vom Dezember 1989, die nach fast 50 Jahren das von der sowjetischen Besatzungsarmee am Ende des Zweiten Weltkriegs an die Macht gehievte kommunistische Regime hinwegfegte.



    In Moskau brach der letzte sowjetische Staatschef, der Reformer Michail Gorbatschow, mit der Tradition des von Lenin und Stalin errichteten Polizeistaates und versuchte, dem System durch die so genannte Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umstrukturierung) ein menschliches Antlitz zu verpassen. In Polen, das wie Rumänien nach dem Krieg ein Satellitenstaat der Sowjetunion geworden war, legte die Arbeitergewerkschaft Solidarność durch Proteste und Marathonstreiks ein kommunistisches Regime lahm, das noch immer behauptete, im Namen und zum Wohle der Arbeiter zu regieren.



    Es ist kein Zufall, dass die Zornentladung der Arbeiter von Kronstadt ihren Ausgang auf einer der grö‎ßten industriellen Plattformen der sozialistischen Republik nahm: Im düsteren Klima der späten 1980er Jahre, als die Versorgungsengpässe mit einer lückenlosen polizeilichen Überwachung und einem wahnhaften Personenkult um Ceaușescu einherging, war die Stimmung in der Bevölkerung äu‎ßerst bedrückt und angespannt.



    Marius Boieriu, Vorsitzender des Kronstädter Vereins 15. November 1987“ erinnert sich, welche die Forderungen der aufständischen Arbeiter waren:



    Wir haben buchstäblich Brot gefordert, damals war es rationiert, man erhielt es nur unter Vorweisen einer Lebensmittelkarte und nach stundenlangem Schlangestehen nach der Arbeitsschicht. Wir haben ein funktionierendes Fernwärmesystem für unsere kalten Wohnungen gefordert, wo wir und insbesondere die Kinder der älteren Arbeitskollegen im Winter frieren mussten. Ich war damals 20 Jahre alt. Und wir forderten Freiheit. Um all dem Nachdruck zu verliehen, skandierten wir »Nieder mit Ceaușescu!«. Während unseres Aufmarschs in Richtung Parteikreisrat sangen wir das Revolutionslied von 1848 Erwache, Rumäne“, in der Hoffnung, dass sich die Bürger der Stadt auf unsere Seite schlagen und auf die Stra‎ße gehen. Doch es sollte noch zwei Jahre dauern, bis die Menschen tatsächlich aus ihrer Ohnmacht erwachten. Es ist schwer, in wenigen Worten zu beschreiben, was wir damals durchmachen mussten.“



    Nach dem Protest in den Fabriken stürmten die aufständischen Arbeiter den örtlichen Parteisitz und warfen Porträts von Ceaușescu und die roten Fahnen der kommunistischen Einheitspartei aus den Fenstern. In der Folge wurden rund 300 Demonstranten verhaftet und von der Securitate, der politischen Polizei des Regimes, unter Folter verhört. Offiziell wurden die Proteste als isolierte Fälle von Rowdytum“ eingestuft, und die Strafen gingen nicht über drei Jahre Gefängnis ohne Freiheitsentzug hinaus, eine relativ moderate Strafe im kommunistischen Strafgesetzbuch. Es wird auch eine Rolle gespielt haben, dass einige Tage nach den Unruhen Studenten in Brașov auf dem Campus ein Transparent mit der Aufschrift Verhaftete Arbeiter dürfen nicht sterben“ ausrollten, ein Zeichen dafür, dass die Unzufriedenheit über die Tore der Fabriken der Stadt hinausging und von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wurde.



    Zwei Jahre später setzte die Revolution von Dezember 1989 dem kommunistischen Regime ein Ende; der postkommunistische rumänische Staat tat sich allerdings Jahre danach noch schwer damit, die ehemalige Diktatur als verbrecherisch und unrechtmä‎ßig zu verurteilen.

  • Zeitgeschichte: Ausstellung thematisiert 70 Jahre der Protestkultur in Rumänien

    Zeitgeschichte: Ausstellung thematisiert 70 Jahre der Protestkultur in Rumänien

    Die Wurzeln der Protestkultur liegen in der Französischen Revolution des 18. Jahrhunderts. Proteste waren schon immer ein Ma‎ß für die Freiheit in einer modernen Gesellschaft. Tyrannen des 20. Jahrhunderts hatten eine pathologische Abneigung gegen Proteste, die ihre Autorität in Frage stellten. Diese Abneigung wurde von den illiberalen und populistischen Führern der gegenwärtigen Periode geerbt, die glücklicherweise nicht zum Verschwinden oder der Unterdrückung der Proteste geführt haben, wie es unter faschistischen und kommunistischen Regimen der Fall war.



    In der Zwischenkriegszeit waren Proteste in Rumänien ein gängiges Mittel, um Meinungsverschiedenheiten zwischen einer sozialen oder politischen Gruppe und den Behörden auszudrücken. Ab 1945, als das kommunistische Regime stufenweise etabliert wurde, begann auch die brutale Unterdrückung der Proteste. Doch auch zwischen 1945 und 1989 protestierten die Rumänen, wenn die Lebens- und Arbeitsbedingungen unerträglich wurden. Solche Proteste waren die Streiks der Bergleute 1977 und die Streiks der Arbeiter in den Schwerlastmaschinenfabriken Steagul Roşu“ und Tractorul“ in Braşov (Kronstadt). Und 1989 erlangten die Rumänen wie in einem Racheakt der Geschichte ihr Recht auf Protest durch massive Proteste wieder, die zum Sturz des Regimes führten. Seitdem kann die jüngste rumänische Geschichte auch aus der Perspektive des Wiederanschlusses an die Protestkultur betrachtet werden.



    Die Dichterin Ana Blandiana, eine Gegnerin des kommunistischen Regimes und eine öffentliche Figur, die einen wichtigen Beitrag zur Wiedergeburt des Protestes in Rumänien geleistet hat, hat kürzlich eine Ausstellung unter den Stichworten Demokratie und Protest“ eröffnet. Blandiana sagte, dass der Zweck darin bestand, die Erinnerung an die Momente wiederherzustellen, die die Wiedergeburt des Geistes des Protestes markiert haben:



    Diese Idee, die nicht originell ist, enthält einige besondere Highlights der Gegenwart. Wir wollten die gro‎ßen Proteste, die in Rumänien von 1945 an stattgefunden haben, beginnend mit den ersten Protesten gegen das aufstrebende kommunistische Regime bis hin zu den Protesten auf dem Siegesplatz Anfang 2017, zusammenfassen. Wir sprechen von einer Zeitspanne von über einem halben Jahrhundert, mit 30 Jahren Freiheit und 45 Jahren Diktatur. Es ist ein Appell, eine Kultur des Protestes aufzubauen. Eine wahre Zivilisation hat eine Kultur des Protestes, und eine Kultur des Protestes bedeutet, verschiedene Proteste im Laufe der Jahre miteinander zu verbinden. Die Proteste gegen die Goldförderung in Roşia Montană wurden mit viel Naivität und Freimut betrachtet, und zwar deshalb, weil man schlichtweg behauptete, es seien die ersten echten Proteste in der modernen Geschichte Rumäniens gewesen. Das hat mich erstaunt, denn die Hälfte der Demonstranten auf dem Siegesplatz (Piaţa Victoriei) waren dieselben Menschen, die 20 Jahre zuvor auf dem Universitätsplatz protestiert hatten. Die Menschen, die 2017 erstmals auf die Stra‎ße gingen, wussten das einfach nicht, denn wir leben in einer Gesellschaft, die systematisch die Erinnerung zerstört. Es ging nicht um schlechten Willen, es war vielmehr ein schlechtes Omen, das einen beunruhigen konnte, denn es ging um die Zukunft einer Generationen, die nicht aus der Erfahrung der Vergangenheit schöpfen wollte.“




    Proteste sind allerdings nicht immer vorteilhaft für die Demokratie. Ana Blandiana berichtet weiter:



    Ich habe unlängst aus den USA einen Essay mit dem Titel »Die Sprache des Protestes« bekommen. Auf dem Umschlag befindet sich das berühmte Anarchiesymbol, das A im Kreis. Ich hatte eine Offenbarung, als ich das las, der Essay berichtet über den Unterschied zwischen den Formen des Protestes. Für den Amerikaner, der das Buch geschrieben hat, war der Protest ein Weg, die Gesellschaft herauszufordern. Die Anarchie will die Gesellschaft zerstören, oftmals ohne viel darüber zu sagen, was sie an ihrer Stelle errichten will. Die Proteste, über die wir für diese Ausstellung nachdachten, sprachen sich für die Rechtsstaatlichkeit aus, um sie zu unterstützen. Bereits 1945 war sie bedroht und stand kurz davor, zerstört zu werden, aber die Menschen stemmten sich dagegen. Wofür sonst waren die Proteste von 1987 in Braşov? Die jungen Aufständischen, die die Arbeiter in Braşov vertraten, waren beinahe keine Erwachsene. Danach war das Jahrzehnt der Bürgerallianz [in den 1990er Jahren — Anm. d. Red.] ein Plädoyer und ein Protest gegen die Weigerung, auf der Grundlage der Proklamation von Timişoara einen Rechtsstaat aufzubauen. Und die Proteste von 2017 sind schlicht Proteste der Menschen, die nicht akzeptieren wollen, dass Rumänien nicht in der Lage ist, die Rechtsstaatlichkeit zu konsolidieren.“




    Die Kultur des Protestes ist für die Rumänen nach 50 Jahren Unterdrückung zur zweiten Natur geworden. Die 1990er Jahre waren geprägt von einer Vielzahl von Protesten, vom konstruktiven friedlichen Protest bis hin zu extrem gewalttätigen Formen. Politische Proteste sorgten jahrelang für Schlagzeilen in Zeitungen sowie in Fernseh- und Radionachrichten. Der 52-tägige Marathonprotest auf dem Universitätsplatz im April–Mai 1990 bleibt der Höhepunkt für Menschen, die glauben, dass es von grö‎ßter Bedeutung ist, Nein“ zu sagen, wenn sie das Gefühl haben, dass Politiker die Gesellschaft nicht auf dem Weg zum Gemeinwohl führen. Man kann sagen, dass die Wiedergeburt des Protestes in Rumänien nach 1989 mit einer Wiedergeburt der Demokratie und einer Form der Politik verbunden war, in der die Menschen nach dem Gemeinwohl streben.

  • Proteste im Kommunismus: Liviu Babeş – der Märtyrer aus der Zivilgesellschaft

    Proteste im Kommunismus: Liviu Babeş – der Märtyrer aus der Zivilgesellschaft

    Der 2. März 1989, im Skiort Poiana Brașov bei Kronstadt: Hunderte von Touristen beobachten mit Entsetzen, wie ein Mann auf Skiern in Flammen aufgeht und eine der Pisten hinunterrast. Dann sehen sie, wie der Mann unter einem Baum zusammensackt, rauchend und schreiend. Er hat noch die Kraft, ein Stück Karton unter seiner zerfetzten Jacke hervorzuholen, auf dem steht: Stop Murder. Brașov = Auschwitz“. Es ist eine Botschaft zur Solidarisierung mit dem antikommunistischen Streik und anschlie‎ßenden Arbeiteraufstand vom November 1987 in Kronstadt, der blutig niedergeschlagen worden war.



    30 Jahre nach der extremen Geste ist die Aktion von Liviu Babeş schwer nachvollziehbar. Es war ein Schrei der Verzweiflung und Hilflosigkeit gegenüber der Passivität und fehlenden Perspektiven im damaligen Rumänien. Liviu Babeş hat sein eigenes Leben geopfert und ist somit zum Märtyrer des zivilen Widerstands geworden — wie andere Menschen im Kommunismus auch. Etwa die Tschechen Jan Palach, Evžen Plocek und Jan Zajíc, der Pole Ryszard Siwiec, der Litauer Romas Kalanta, der Ukrainer Oleksa Hirnyk oder der Ungar Sándor Bauer.



    Liviu Babeş war am 10. September 1942 geboren und arbeitete als Elektriker in einem Werk für Halberzeugnisse in Kronstadt. Ferner war er auch Hobbymaler. Auf der Rückseite seines letzten Bildes hatte er diskret auf deutsch das Wort Ende“ hingekritzelt — nur einige Wochen vor dem Höhepunkt seiner Existenz. Babeş war von der Verschlechterung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und moralischen Situation der 1980er Jahre zutiefst mitgenommen. Der Streik der Arbeiter in den Werken Steagul Roşu und Tractorul hatte ihn in seinem Tatendrang bestärkt. Am meisten war er wegen der Passivität der Menschen bedrückt, diese stellte er nach Aussagen seiner Frau oftmals in Frage.



    Der Journalist und Schriftsteller Mircea Brenciu ist Autor des Bands Der Märtyrer“, der Liviu Babeş gewidmet ist. Er habe sich verpflichtet gefühlt, dieses Buch zu schreiben, gleichzeitig sei es auch eine Ehre für ihn gewesen, erzählt Brenciu. Babeş sei ein echter Intellektueller gewesen, seine Geste habe eine starke zivile Botschaft übermittelt, glaubt der Schriftsteller.



    Babeş war ein Intellektueller, ein sehr raffinierter sogar. Er hatte eigene Ausstellungen, er verkaufte seine Bilder, er war recht bekannt im damaligen Kronstadt. Seine Haltung und Geste waren symbolhaft für eine Erlösung, es war eine Geste, die nur ein Intellektueller hätte machen können. Babeş gehörte der rumänischen Elite an, die die Schandtaten der Kommunisten nicht mehr ertragen konnte. Aber gleichzeitig war er eng an die Massen angeschlossen, weil er beruflich Elektrikermeister in einem Werk für Halberzeugnisse war und mit einfachen Menschen zusammenarbeitete. Er stellte die Verbindung zwischen zwei sozialen Klassen her. Seine Geste hat einen gro‎ßen kulturellen Wert, sie wurde infolge einer sehr aufmerksamen Beobachtung begangen. Er plante seine Tat mit gro‎ßer Sorgfalt und die Botschaft, die er im Augenblick der Selbstverbrennung auf der Skipiste übermittelt, zeugt von einem kulturellen Niveau. Das Kartonschild, auf dem steht: »Stop Murder. Braşov = Auschwitz« — ist nicht das Werk eines einfachen Menschen.”




    Im Jahr 1968 hatte sich der tschechische Student Jan Palach in Prag selbst angezündet, als Zeichen des Protests gegen den Eingriff der Truppen des Warschauer Paktes zur Unterdrückung des Prager Frühlings. Mircea Brenciu sieht allerdings einen Unterschied zwischen der Geste Palachs und jener von Babeş.



    Aus Sicht der Umsetzung, der Vorbereitung, ist die Tat von Babeş stärker. Sie trägt heldenhafte Züge, wie in einer antiken Tragödie. Jan Palach begeht seine Geste in einem Moment der psychischen Explosion, eines Kontrollverlustes. Babeş tut es nach einer nüchternen Planung. Bevor er sich im Skiort selbst anzündet, trifft er viele Bekannte, plaudert und scherzt mit ihnen, als ob das Leben seinen gewöhnlichen Weg gehen würde. Er ist sich bewusst, dass unter den damaligen Bedingungen einer strengen, ja gar wahnsinnigen Verfolgung durch die Securitate, er seine Geste hätte nicht ankündigen können. Sie hätte nicht dieselbe Einschlagskraft gehabt. Es war bekannt, dass die Spitzel unter uns lebten, und er musste vorsichtig handeln, um nicht aufzufliegen. Palach begeht seine Geste inmitten von Hunderten und Tausenden von Tschechen, die gegen die Invasion protestieren, während Babeş sie alleine begeht, angesichts der schrecklichen Diktatur Ceauşescus.




    Beim Schreiben seines Buchs Der Märtyrer“ habe sich vor allem die Recherche, die Suche nach den Quellen als schwierig erwiesen, sagt der Autor Mircea Brenciu.



    Von dem Moment seiner Selbstverbrennung und dem Transport im Krankenwagen an, wei‎ß niemand mehr, was mit ihm passiert ist. Dieser Mann ist seltsamerweise sehr schnell verstorben, für einen Menschen mit seinen Brandwunden. Ein Mensch mit gro‎ßflächigen Hautverbrennungen stirbt nicht am gleichen Tag. Menschen mit schlimmen Hautverbrennungen halten einige Tage aus, bis schlie‎ßlich ihre Nieren versagen. Aber Babeş ist am gleichen Tag gestorben. Und als er für die Bestattung nach Hause gebracht wurde, wurde der Familie untersagt, den Sarg aufzumachen. Eine Exhumierung könnte helfen, aber ich bezweifle, dass man wirklich neue Erkenntnisse daraus schlie‎ßen könnte. Das sind reine Spekulationen.“




    Liviu Babeş wurde in einer relativ isolierten Ecke des Stadtfriedhofs von Kronstadt, unter der strengen Aufsicht der Securitate, bestattet. Zwölf Stunden nach dem Ereignis berichtete der Radiosender Freies Europa darüber und so erfuhr die freie Welt die Geschichte des Märtyrers von vor 30 Jahren.

  • Nachrichten 15.11.2017

    Nachrichten 15.11.2017

    Präsident Klaus Iohannis hat den jüngsten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zum rumänischen Justizwesen als Warnzeichen für die Regierungskoalition bezeichnet. Das Bündnis aus Sozialdemokraten und der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) sollte den Bericht im Rahmen des sogenannten Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM) berücksichtigen, so der Staatschef. Er verwies darauf, dass die ganzen Anstrengungen Rumäniens zur Stärkung der Justizreform und für die Korruptionsbekämpfung durch die Handlungen einiger Politiker gefährdet werden könnten. Diese wollten nicht akzeptieren, dass sie im Dienste der Bürger arbeiteten und nicht einiger Partei- oder Gruppeninteressen dienten. Im aktuellen CVM-Bericht behauptet die Europäische Kommission, dass der allgemeine Reformrhythmus 2017 stagniert habe und die Herausforderungen für die Unabhängigkeit des rumänischen Justizsystems besorgniserregend seien. Dennoch habe man Fortschritte in Bereichen wie der Überprüfung der Interessenkonflikte oder bei den öffentlichen Ausschreibungen festgestellt. Die Bukarester Regierung müsse die notwendigen Reformen fortsetzen und Rückschritte vermeiden, will sie das Ziel zur Aussetzung des CVM während der aktuellen Amtszeit der Kommission (2018) erreichen, erklärte der Erst-Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans. Der rumänische Justizminister Tudorel Toader meinte, der Bericht hebe Fortschritte hervor und Rumänien könne sein Ziel betreffend die Aufhebung des CVM im Laufe des nächsten Jahres erfüllen.



    Die Bukarester Regierung hat am Mittwoch die zweite Haushaltskorrektur für dieses Jahr, unter Einhaltung des Defizitziels von 2,9% des BIP, gebilligt. Laut dem Finanzministerium sei die besagte Anpassung positiv und stüze sich auf das diesjährige Wirtschaftswachstum, das die Erwartungen übertrifft. Zusätzliche Gelder werden für die Zahlung der Löhne im voruniversitären Bildungswesen und für den Kinderschutz bereitgestellt. Zusätzliche Mittel erhalten auch das Arbeitsministerium für Zuwendungen an Personen mit Behinderungen und für die Zahlung des Kindergeldes, das Innenministerium für die Renten der Polizisten und das Gesundheitsministerium für die Gehälter der auszubildenden Ärzte. Kürzungen wird es beim Kulturministerium, beim Ministerium für Regionalentwicklung, beim Ministerium für Europäische Fördermittel und beim Finanzministerium geben. Unterdessen beteiligt sich Premierminister Mihai Tudose an dem Führungstreffen des größten Gewerkschaftsverbandes CNSLR Frăţia, der mit dem Generalstreik gedroht hat, sollten die Nettolöhne infolge der Steuerreform fallen. Premierminister Tudose wiederholte mehrmals, dass die vollständige Übertragung der Sozialabgaben auf die Arbeitnehmer, die in der neulich per Eilverordnung verabschiedeten Steuerreform vorgesehen ist, nicht zur Senkung derer Einkommen führen werde.



    Im zentralrumänischen Braşov (Kronstadt) sind am Mittwoch 30 Jahre seit dem antikommunistischen Aufstand in der Stadt begangen worden. Damals protestierten die Angestellten eines Werkes gegen die Führung und riefen Parolen gegen Diktator Nicolae Ceauşescu. Die Sicherheitsorgane unterdrückten die Revolte mit Gewalt. Hunderte Personen wurden an den nachfolgenden Tagen verhaftet. Viele von ihnen sollten nie wieder in die Stadt zurückkehren. Die Staatsanwaltschaft des Obersten Justiz- und Kassationshofes Rumäniens kündigte Ermittlungen im Fall der Repression des antikommunistischen Arbeiteraufstandes in Kronstadt. Die Untersuchungen der Staatsanwälte sind Bestandteil der sog. Akte Verbrechen des Kommunismus“, in der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird. Verdächtigt werden die Sicherheitsbehörden, die repressiv und systematisch gegen die Protestteilnehmer von damals vorgegangen sind.



    Notenbankchef Mugur Isărescu hat erneut vor der Gefahr des Handelsbilanzdefizits für die Wirtschaft gewarnt. Das Defizit sei in den letzten Monaten aufgrund des hohen Binnenkonsums zu stark angestiegen. Ein unausgewogenes Wirtschaftswachstum würde in langfristigen Problemen münden, sagte der Gouverneur der Zentralbank noch. Die Nationalbank unterstütze eine Steigerung von Konsum und Gehältern, allerdings in den notwendigen Dosierungen entsprechend der Arbeitsproduktivität, so Isărescu abschließend.

  • Der Arbeiteraufstand von 1987 in Kronstadt

    Der Arbeiteraufstand von 1987 in Kronstadt

    Die Unterdrückung der Regimekritiker und die schlechte Wirtschaftslage des Landes haben im kommunistischen Rumänien der achtziger Jahre in ihrem Ausma‎ß deutlich zugenommen. Auch der Ehrgeiz des Diktators Nicolae Ceauşescu, die Staatsschulden des Landes zu begleichen, hat den Wohlstand der Bevölkerung stark gefährdet. Die Rationierung der Lebensmittel, des Stroms und des warmen Wassers für Haushaltskonsumenten gehörten in den Achtzigern zum Alltag der Rumänen. Währenddessen genossen Mitglieder der Nomenklatur jedoch einen deutlichen materiellen Wohlstand.



    Das kommunistische Regime betrieb eine extreme Sparpolitik und die Reaktion des Volkes lie‎ß trotz der repressiven Ma‎ßnahmen gegen jede Protestbewegung durch die Sicherheitsorgane zu jener Zeit nicht lange auf sich warten. Am 15. November 1987 zeigten einige Rumänen den Mut, ihrem Unmut Luft zu machen. Es handelt sich um die Arbeiter des Werks für Omnibusse und Lastkraftwagen Steagul Roşu“ (Rote Fahne“). In der Nacht auf den 15. November brach ein sogenannter Arbeitskonflikt zwischen den Arbeitern des Werks mit Sitz im mittelrumänischen Braşov (Kronstadt) und ihren Vorgesetzten aus. Als Auslöser des Konflikts galten die drastischen Gehaltskürzungen als Teil der Wirtschaftspolitik von Nicolae Ceauşescu.



    Währenddessen berichtete die Propagandapresse von einer ambitionierten Planerfüllung bei schweren Arbeitsbedingungen. Am 15. November sollten Wahlen für die Leiter des Lokalrates Braşov stattfinden, in Wirklichkeit standen die Gewinner schon lange vorher fest. Nach verbalen und physischen Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitern und deren Vorgesetzten, bei denen der Abteilungschef, der Parteisekretär sowie der Vorsitzende der Gewerkschaft mit Handgreiflichkeiten konfrontiert wurden, starteten rund 200 Arbeiter des Kronstädter Werkes, noch in ihrer Dienstkleidung angezogen, einen Protestzug durch die Stra‎ßen der siebenbürgischen Stadt. Der Marsch führte zum Sitz der kommunistischen Parteivertretung in Braşov. Wir wollen unser Geld!“, Nieder mit dem Diktator, nieder mit Ceauşescu!“, Nieder mit der kommunistischen Partei!“ riefen die verärgerten Arbeiter.



    Dem Protestzug schlossen sich in Kürze auch Mitarbeiter der Fabrik Tractorul“ an. Rund 15.000 Demonstranten erreichten die Parteizentrale in Kronstadt, wo sie die Porträts des Diktators Ceauşescu und seine Bücher verbrannten. Die repressiven Ma‎ßnahmen des kommunistischen Regimes lie‎ßen auch nicht lange auf sich warten. Rund 300 Demonstranten wurden festgenommen, die unter der strengen Kontrolle des kommunistischen Regimes stehende Presse verschwieg jedoch das Ereignis. Der Radiosender Freies Europa, mit Sitz in München, in der Bundesrepublik Deutschland, berichtete darüber, der Journalist Mircea Carp erinnerte sich 1997 in einem Interview mit Radio Rumänien an den Ausbruch der Revolte:



    Wir alle erwarteten eine grundlegende Änderung, nicht unbedingt durch Gewaltmittel, sondern durch eine Entwicklung, wie es der Fall in anderen Ländern war. Ich hatte Dienst, als die Nachricht über den Aufstand in Braşov kam. Sowohl der Radiosender Freies Europa als auch die Stimme Amerikas mussten gemä‎ß der deontologischen Ethik eine Information zuerst zwei Mal bestätigen lassen, bevor sie zu einer Nachricht wurde. Die Information über die Arbeiterrevolte in Braşov kam jedoch aus einer einzigen, aber vertrauenswürdigen Quelle. Vlad Georgescu, der damals Leiter der rumänischen Abteilung bei Radio Freies Europa war, und ich, der für das politische Programm zuständig war, kamen zur Schlussfolgerung, dass es besser sei, jetzt auszustrahlen. Es wäre zu spät gewesen, bis zum nächsten Tag zu warten.




    Ein anderer Journalist von Radio Freies Europa, Emil Hurezeanu, erinnerte sich 1999, wie er in die Redaktion die Information brachte, dass die Arbeiter in Kronstadt gegen die Ausbeutung durch das kommunistische Regime protestierten:



    Es war ein Novembertag, ein Feiertag in München, im katholischen Bayern, und ich arbeitete zusammen mit Vlad Georgescu an einem politischen Programm. Vlad sagte mir, ich solle schnell über den Englischen Park zum Amerikanischen Konsulat gehen, weil man uns einen Briefumschlag überreichen möchte. Das Amerikanische Konsulat war, wie der Radiosender Freies Europa, eine Hochburg, die sehr gut bewacht wurde. Es regnete, es war Abend und es war das erste Mal, das ich etwas Bedeutendes vom Amerikanischen Konsulat bekommen sollte. Ich ging sehr schnell hin, habe einen Briefumschlag bekommen und brachte ihn meinem Kollegen Vlad Georgescu. Er öffnete den Umschlag, las und sagte zu mir: »Gro‎ße Protestbewegungen in Kronstadt«. Es war eigentlich der Sonntagabend am 15. November. Aus Bukarest war die kodierte Reportage eines Pressekorrespondenten, der in Kronstadt war, angekommen. Wir waren die ersten, die die Nachricht gesendet haben, wir waren die ersten, die darüber gesprochen haben. In den kommenden Stunden und den nächsten Tagen haben wir viele Informationen erhalten, einschlie‎ßlich von einer Kronstädterin, die mit dem Kind aus Braşov nach Belgien ausreiste und die an dem Streik teilgenommen hatte. Wir haben die Geschichte der Kronstädter Revolte in eine internationale Geschichte umgewandelt, weil wir Beziehungen zu ausländischen Journalisten hatten.“




    Am 3. Dezember 1987 begann der Prozess gegen 61 Protestführer — unter Ausschluss der Öffentlichkeit und vom Regime verschwiegen. Die Anführer der Revolte wurden physisch und psychisch gefoltert. Man lastete ihnen Hooliganismus an und bezichtigte sie, sozial und moralisch verfallen zu sein. Sie bekamen zwischen 3 und 5 Jahren Haftstrafe und Zwangsumsiedlung in eine andere Ortschaft. Ein besonders tragischer Fall war der Arbeiter Vasile Vieru, Vater von 5 Kindern, der 9 Monate nach Beendung des Prozesses durch Folter sein Leben verlor.

  • Historienfilm-Festival in Rosenau: Globalisierung und Populismus zur Debatte

    Historienfilm-Festival in Rosenau: Globalisierung und Populismus zur Debatte

    Ohne roten Teppich, ohne Stars und Hysterie, ohne Breaking News. Damit jeder wei‎ß, was gerade mit der Welt passiert“ — unter dieser Devise zeigt das Internationale Festival der Geschichtsfilme zwischen dem 28. Juli und dem 6. August im mittelrumänischen Râşnov (Rosenau) 44 Spielfilme, die auf historischen Figuren und Ereignissen basieren. Seit neun Jahren prägt die Veranstaltung die kulturelle Identität der Kleinstadt im Herzen Siebenbürgens. Der Intendant des Festivals, Mihai Dragomir von der Kulturstiftung Mioritics, ist der Ansicht, dass die siebenbürgische Burg der ideale Ort für ein Festival der Historienfilme ist:



    Es gibt keinen besseren Platz für dieses Festival. Alles hat durch eine Zusammenarbeit mir der Stadtverwaltung Rosenau begonnen. Es war eigentlich ihr eigenes Projekt und die Kulturstiftung Mioritics hat sich der Initiative angeschlossen. Wir haben 8 Auflagen mit einem reichhaltigen Programm hinter uns und das Festival ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Beim ersten Festival haben wir einfach 16 Geschichtsfilme präsentiert, dann haben wir das Programm mit Musik, Ausstellungen, Buchpräsentationen und der sogenannten Sommerschule ergänzt, die dieses Jahr bereits zum sechsten Mal stattfindet. Einen Höhepunkt des Festivals stellen, wie jedes Jahr, die Neuinszenierungen geschichtlicher Ereignisse dar, um gar nichts zu sagen von der tollen Stimmung am Lagerfeuer, das wir im Hof der Burg organisieren. Diese Festspiele sind also zu einer Veranstaltung gewachsen, die mehr als ein Filmfestival ist. Während der zehn Festivaltage sprechen wir ohnehin über viel mehr als die offizielle Geschichte. In unserem Leben haben wir immer mit unterschiedlichen Geschichten zu tun, mit wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Geschichten, mit einer aus unteschiedlichen Blickwinkeln betrachteten Geschichte. Daher haben wir dieses Jahr die Veranstaltung in Film- und Geschichtefestival Râşnov umbennant.“




    Neben den 44 Filmen locken die Organisatoren die Filmliebhaber nach Rosenau auch mit 15 Konzerten, 22 Vorlesungen, Debatten, Workshops und 5 Ausstellungen. Auf dem Programm der Festspiele stehen dieses Jahr unter anderen die Produktion Hidden figures“, die 2017 für einen Oscar in der Kategorie Bester Film nominalisiert wurde, Lodyssée“, ein Spielfilm über das Leben des Pioniers in der Meeresforschung Jacques-Yves Cousteau, sowie die rumänischen Streifen Der Rest ist Schweigen“ und 6.9 auf der Richterskala“ in der Regie von Nae Caranfil. Was die 9. Festspiele neu bringen, erläutert in den folgenden Minuten Mihai Dragomir:



    Im Hebst letzten Jahres haben wir ein neues Projekt angesto‎ßen und somit steigen wir langsam auch in die Filmproduktion ein. Es handelt sich um eine Koproduktion zwischen dem Geschichtsmuseum Braşov (Kronstadt) und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, einen Dokumentarfilm, der ein Licht auf die Ereignisse von 15. November 1987 in Braşov wirft. Im Herbst jähren sich die Ereignisse zum 30. Mal. Damals fand ein Aufstand von rund 20.000 Arbeitern gegen das kommunistische Regime statt. Der Film wird seine Premiere am 6. August feiern und die endgültige Version der Dokumentation soll am 15. November im Fernsehen präsentiert werden. Bei der diesjährigen Auflage der Festspiele wird zum ersten Mal auch eine Buchmesse organisiert. Im Salon der Geschriebenen Geschichte, den wir zusammen mit dem Verband rumänischer Verleger veranstalten, präsentieren sich dieses Jahr 15 Verlage. Wir sind zudem sehr begeistert von einer Idee, die wir voriges Jahr zum ersten Mal getestet haben: die Burg Râşnov als Gastgeber auf Airbnb zu listen. Nur während der Festspiele kann ein Tourist, ein Besucher der siebenbürgischen Stadt, eine Übernachtung in der Burg auf Airbnb buchen. Wir bieten ein Paket mit Übernachtung in Ritterzelten des 13. Jahrhunderts, traditionellen Speisen aus dieser Zeit und Festivaltickets an.“




    Die Dokumentation Braşov 1987. Zwei Jahre früher“ des Regisseurs Liviu Tofan versucht den Aufstand der rumänischen Arbeiter des Lastkraftwagen-Werkes in Braşov Steagul Roşu“ (Rote Fahne”), der als spontaner Streik ausbrach, nachzuzeichnen. Zum ersten Mal waren im kommunistischen Rumänien die Rufe Nieder mit dem Diktator!“, Nieder mit Ceauşescu!“, Nieder mit dem Kommunismus!“ zu hören. Der Aufstand von Braşov war der erste Massenprotest im kommunistischen Rumänien und hat entscheidend zum Sturz des Kommunismus beigetragen.



    Das Haupthema des 9. Festivals der Geschichtsfilme ist Globalisierung und Populismus“. Die Sommerschule Astra, die im Rahmen der Festspiele stattfindet, wird auch davon thematisch bestimmt. Die Organisatoren laden das Publikum ein, Debatten über ein höchst aktuelles Thema zu verfolgen. An den Diskussionen, die um Nebenthemen wie Religion und Populismus“, Globalisierung der Kultur“ und Die Zukunft Europas“ kreisen, nimmt dieses Jahr auch der US-Botschafter in Bukarest, Hans Klemm, teil. Der Diplomat wird eine Vorlesung mit dem Titel Populism and the Rule of Law“ halten. Das Festival der Geschichtsfilme fand zum ersten Mal im Jahr 2009 aus der Initiative statt, unbekannte Teile der rumänischen Geschichte ans Licht zu bringen.