Tag: Bauern

  • Kommunismus auf dem Lande: Überwachungsapparat wandte brutale Methoden an

    Kommunismus auf dem Lande: Überwachungsapparat wandte brutale Methoden an

    Die politische Überwachung in Rumänien während des kommunistischen Regimes (1945–1989), war eine der Säulen des Terrors, auf denen das System beruhte. Der Sicherheitsdienst Securitate“, die Miliz (die damalige Polizei) und das Netzwerk von Spitzeln, in Deutschland inoffizielle Mitarbeiter genannt, verfolgten unschuldige Menschen und brachten viele davon ins Gefängnis. Der Apparat der politischen Überwachung und Repression war allgegenwärtig und schreckte auch vor Mord nicht zurück.



    Die politische Überwachung im Kommunismus ist in den Städten gut dokumentiert. In den gro‎ßen städtischen Ballungsräumen, wo die Lebensbedingungen schwierig und das Risiko eines Widerstandes grö‎ßer waren, konzentrierte das Regime mehr Ressourcen. Darüber hinaus gaben dem Regime gerade die Arbeiter, wegen ihrer Fähigkeit zur Solidarität, mehr Grund zur Sorge.



    Aber auch auf dem Lande war der Überwachungs- und Repressionsapparat des Staates vertreten. Die Geschichte der kommunistischen Überwachung und Unterdrückung begann im Grunde genommen auf dem Lande und hörte erst 1989 auf. Der bewaffnete antikommunistische Widerstand, gebildet aus Soldaten und Bauern, die sich gegen die Zwangskollektivierung wehrten, veranlasste den kommunistischen Staat, den Terror zunächst auf dem Lande zu etablieren. Der Staat brauchte Spitzel, um herauszufinden, wer die Partisanen in den Bergen waren, wer die Bauern in den Dörfern und Gemeinden waren, die sie unterstützten, und wie die Netzwerke der Partisanen, Bauern und der städtischen Bevölkerung funktionierten.



    Die Überwachung auf dem Lande war also von gro‎ßer Bedeutung. Spitzel hatten einen wichtigen Beitrag zur Liquidierung der Partisanengruppen, sagen die Geschichtsforscher. In Massengräbern wurden Dutzende Bauern entdeckt, die auf den Feldern, am Waldrand oder an anderen abgelegenen Orten erschossen wurden.



    Der Historiker Gheorghe Miu hat den Überwachungs- und Repressionsapparat in der Region Buzău, im Südosten Rumäniens, erforscht.



    Diese militarisierten Strukturen des kommunistischen Regimes operierten auf dem Lande, in den sozialistischen Dörfern, indem sie die Milizposten der Gemeinden nutzten. Die Securitate hatten gut ausgebaute Informationsnetzwerke mit konspirativen Häusern, inoffiziellen Mitarbeitern und einer Informationsstruktur, wie aus den durch gesichteten Dokumenten hervorgeht. Der Milizposten war eine Informationsquelle. Von dort aus wurden Netzwerke von inoffiziellen Mitarbeitern überwacht und beaufsichtigt. Meistens übernahm der Leiter des Milizpostens auch die Aufgaben des Sicherheitsoffiziers, der für das Gebiet zuständig war. Er gab Informationen an den Sicherheitsbeauftragten weiter, der üblicherweise als operativer Sicherheitsmitarbeiter bezeichnet wurde.“




    Ein Überwachungs- und Repressionsapparat könnte ohne inoffizielle Mitarbeiter nicht auskommen. Diese kamen aus allen Gesellschaftsschichten und bespitzelten aus den unterschiedlichsten Gründen. Einige gaben Erpressung nach, andere erhielten laut den Archiven materielle Vorteile: Sie oder ihre Familienmitglieder bekamen begehrte Arbeitsplätze, erhielten bessere Wohnungen, höhere Gehälter oder finanzielle Belohnungen, wieder andere durften ins Ausland reisen. Aber auf dem Lande gab es keine Belohnungen, die inoffiziellen Mitarbeiter bespitzelten aus Angst, sagt Gheorghe Miu.



    Wir haben unzählige inoffizielle Mitarbeiter entdeckt, die Decknamen trugen. Sie kamen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Im Allgemeinen stammten sie aus dem Umfeld der Zielperson, die von der Securitate und der Miliz ins Visier genommen wurde. Sie waren Nachbarn oder LPG-Bauern. Aber wir haben auch Lehrer gefunden, die inoffizielle Mitarbeiter waren. Wir entdeckten sogar einen Bank-Angestellten, der den Bauern die Vorteile der CEC-Bank vorstellen sollte und gleichzeitig einen konkreten Auftrag von den Sicherheitsbeamten hatte. Die Spitzel auf dem Lande erhielten keine materiellen Vorteile. Die Miliz und die Securitate operierten auf dem Lande mit der Methode des Terrors: Sie erzeugten Angst. Die Leute wurden zum Milizposten einbestellt und sagten aus Angst oder aus eigenem Willen aus.“




    Der Historiker Gheorghe Miu erklärt die Arbeitsweise der Securitate am Beispiel seines Gro‎ßvaters väterlicherseits.



    Eine Fallstudie betrifft meinen Gro‎ßvater, Vasile Miu, einen Bauern, der sich der Kollektivierung widersetzte. Er trat bis 1989 nicht der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft bei, musste dafür aber die Konsequenzen tragen. Er wurde vernommen und ihm wurde ein Strafverfahren angehängt. Mein Gro‎ßvater war ein Bauer aus der Mittelschicht, hatte 9 Hektar Land und wurde als Reaktionär, als Feind des kommunistischen Regimes abgestempelt. Unter dem Vorwand eines Briefes, den er an den Vorsitzenden des Volksrates in Padina, Gigel Stoicescu, einen der Köpfe der Kollektivierung in Padina, im Kreis Buzău, schickte, wurde er von der Securitate überprüft und gegen ihn wurde eine strafrechtliche Ermittlungsakte eröffnet. Was darauf folgte, war eine Tortur. Obwohl der Bauer Vasile Miu nicht als politischer Gefangener eingestuft wurde, wurde er für drei Monate inhaftiert, weil er ein Pferd verkauft hatte, das von den kommunistischen Steuerbehörden für anstehende landwirtschaftliche Schulden auf dem Markt beschlagnahmt wurde.“




    Der Überwachungs- und Repressionsapparat des kommunistischen Regimes operierte auf dem Lande mit der gleichen Brutalität wie in den Städten. Und viele Bauern erinnern sich noch gut an die Methoden der Securitate, der Miliz und auch an die Spitzel auf dem Lande.



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  • Neues Museum thematisiert Zwangskollektivierung der Landwirtschaft

    Neues Museum thematisiert Zwangskollektivierung der Landwirtschaft

    Im Jahr 1951 wurden 80.000 Bauern eingekerkert oder zu Zwangsarbeit an den berüchtigten Donau-Schwarzmeer-Kanal geschickt, weil sie den Beitritt in die Genossenschaften verweigerten. Insgesamt wurden 800.000 Bauern in kommunistische Gefängnisse eingesperrt, weil sie ihr Land nicht freiwillig aufgaben. Nach 13 Jahren der Zwangskollektivierung, in denen Propaganda und Terror Hand in Hand gingen, konnte die Kommunistische Partei die Kollektivierung der Landwirtschaft in Rumänien als abgeschlossen erklären. Das Ereignis wurde im Rahmen einer Sondersitzung der Gro‎ßen Nationalversammlung gefeiert. Sie fand zwischen dem 27. und 30. April 1962 statt. 11.000 Bauern nahmen daran teil. Die damaligen kommunistischen Führer erklärten, der Sozialismus habe sich in der Volksrepublik Rumänien endgültig durchgesetzt.



    Im Dorf Tămăşeni im Bezirk Neamţ wurde zur Erinnerung an diese Ereignisse ein Museum eröffnet. Es stellt typische Gegenstände bäuerlicher Haushalte aus den 1950er Jahren aus. Iulian Bulai, der Projektleiter, erzählte Radio Rumänien davon:



    Heute eröffnen wir die ersten drei Räume des Museums der Kollektivierung. Seit eh und je fragen wir uns schon, warum die Landwirtschaft in Rumänien im Chaos versinkt, warum sich die Menschen nicht wie in anderen Ländern um den öffentlichen Raum kümmern, warum es ein solches Entwicklungsgefälle zwischen ländlichen und städtischen Gebieten in Rumänien gibt und warum es einen solchen Unterschied zwischen den ländlichen Gebieten in Rumänien und dem Westen gibt. Ich habe versucht, diese Fragen zu beantworten. Eine Antwort, die ich fand, war die Kollektivierung. Als soziales und politisches Phänomen wirkte sie sich irreversibel auf das rumänische Dorf aus, in dem Sinne, dass die Beschlagnahmung von Privateigentum zu dem führte, was wir heute auf dem Land sehen — ein enormes Ausma‎ß an Unterentwicklung, das man in westlichen Ländern nicht findet. Bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, die sich auch auf meine Familiengeschichte beziehen, die ebenfalls von Kollektivierung betroffen wurde, verstand ich, dass wir uns Fragen stellen müssen, um uns selbst besser kennen zu lernen. Wir müssen uns das Drama vor Augen führen, das Millionen von Rumänen während der Kollektivierung in den 1950er Jahren betroffen hat. Ich musste dieses Museum errichten, um die soziale und anthropologische Realität der Gegenwart widerzuspiegeln.“




    Iulian Bulai lie‎ß den Haushalt seiner Gro‎ßeltern in ein Museum verwandeln. Wir fragten ihn, was es dort vorerst zu sehen gebe.



    Wir haben zwei Häuser und einen Anbau. Dies ist ein typischer moldauischer Haushalt, den es seit 100 Jahren gibt und die Kollektivierung durchmachte. Dies ist das Haus meiner Vorfahren, die diesen Prozess in den 1950er Jahren durchliefen. Ihnen wurde das Land, die Werkzeuge, die Mühlen konfisziert. Dieses Haus zeugt von der Geschichte einer Familie, deren Leben von der Kommunistischen Partei entführt wurde, deren Häuser konfisziert und einige von ihnen in Dorfläden verwandelt wurden, wie es hier zwischen 1950 und 1992 geschah, als es an die Familie zurückgegeben wurde. Das ist ein Symbol, das viele Rumänen noch immer erkennen können, denn Millionen von Rumänen ging es ähnlich.“




    Iulian Bulai fuhr fort, das Museum zu beschreiben:



    Dieses Museum stützt sich nur in geringem Ma‎ße auf Gegenstände, die früher meinem Gro‎ßvater gehörten. Diese zeigen zwar, wo wir als ländliche Gesellschaft stehen, die seit den 1950er Jahren, also seit etwa 70 Jahren, sich kaum verändert hat. Doch diese Gegenstände sind nicht der Kern des Museums. Es basiert vielmehr auf Installationen, die Geschichten erzählen und eine wissenschaftliche Sicht auf dieses Phänomen vermitteln. Wir haben aber auch einige Objekte, die eine Geschichte erzählen, landwirtschaftliche Geräte, die hier verblieben sind, seit ich den Haushalt geerbt habe, und die ich in den 17 oder 18 Ausstellungsräumen des Museums ausstellen werde.“




    Iulian Bulai startete diese Initiative aus der Zuversicht heraus, dass sich die Dinge ändern könnten:



    Wir werden uns nur dann als Volk im heutigen Rumänien verstehen können, wenn wir der Vergangenheit aufrichtig entgegentreten und unsere wahren Geschichten erzählen. Auf diese Weise werden wir in der Lage sein, einige traurige Momente unserer Geschichte zu überwinden. Bis jetzt waren wir nicht in der Lage, den Kommunismus in irgendeiner Hinsicht positiv zu deuten und somit eine heilende Wirkung zu erlangen. Da viele Orte der Kultur schlie‎ßen, eröffnen wir einen weiteren. Ich glaube, dies ist ein guter Ausgangspunkt für eine allgemeine Haltung, die wir in diesen schwierigen Zeiten von einem zum anderen weitergeben können.“




    Das Museum soll künftig noch wachsen und die Besucherräume werden erweitert. Auch Veranstaltungen sollen hier stattfinden, sobald es möglich sein wird. Dadurch werden die Gäste die Möglichkeit haben, mit der Vergangenheit in Kontakt zu kommen.

  • Constantin Dobrogeanu-Gherea (1855–1920): sozialdemokratischer Vordenker und Literat

    Constantin Dobrogeanu-Gherea (1855–1920): sozialdemokratischer Vordenker und Literat

    Constantin Dobrogeanu-Gherea wurde 1855 in Slawjanka bei Jekaterinoslaw in der heutigen Ukraine als Solomon Katz in einer Familie jüdischer Kaufleute geboren und hatte ein sehr abenteuerliches Leben. Die Familie gehörte zur Mittelschicht der damaligen russischen Gesellschaft — sein Bruder war Arzt, sein Vater Inhaber einer Bierbrauerei. Katz besuchte die Hochschule in Charkiw und fand als Student schnell den Anschluss zu russischen Anarchisten. Er nahm 1874 Teil am sogenannten Gang ins Volk“, einer Gro‎ßaktion der russischen Narodniki –Volksanarchisten, die als Studenten dem Bauernvolk die Revolution schmackhaft machen wollten.



    Verfolgt von der zaristischen Polizei, erreichte er die Stadt Iaşi in Rumänien und gelangte von hier aus in die Schweiz, wo er Verbindung mit den dortigen russischen Revolutionären aufnahm. Wieder zurück in Rumänien schmuggelte er illegale Literatur ins Russische Reich. Doch er lebte sich auch schnell in Rumänien ein, wo er 1890 auch die Staatsbürgerschaft erwarb. Zur damaligen Zeit war jedoch die rumänische Staatsbürgerschaft den christlich-orthodoxen Menschen vorbehalten. Solomon Katz wurde zu Constantin Dobrogeanu-Gherea, entschied sich für eine Karriere als Literaturkritiker und gehörte 1893 zu den Gründern der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rumäniens. Professor Călin Cotoi von der Universität Bukarest wei‎ß mehr über das Leben dieses linken Denkers:



    Sein Leben ist sehr interessant — er wird 1877 von der russischen Geheimpolizei entführt und nach Sibirien gebracht, von wo er über Norwegen flüchten kann und nach Rumänien zurückkehrt“ — Amerikaner würden ihn als larger than life beschreiben, meint Cotoi.



    Gherea lässt später ab von der gesellschaftlichen Vision der Narodniki und Anarchisten und wird zu einem der wichtigsten Vertreter des orthodoxen Marxismus nach Kautsky. Er übersetzt das Erfurter Programm“, versucht aber, den Marxismus an Rumänien anzupassen, dass damals als Agrarperipherie ganz andere Besonderheiten aufwies, erläutert der Historiker — der mehrsprachige Constantin Dobrogeanu-Gherea wurde in kurzer Zeit zu einem exzellenten Diagnostiker der gesellschaftlichen Missstände im rumänischen Dorf. Sein Buch zur neuen Leibeigenschaft wird zur echten Inspirationsquelle rumänischer Sozialisten.



    Gherea ist keine alleinstehende Figur“, sagt Professor Cotoi, es gibt ein breiteres Spektrum, in der es linkes Gedankengut und Sozialismus an diese Peripherie anzupassen gilt, in der Rumänien und Südrussland als Grenzgebiet zwischen Europa und dem russischen Reich lagen.“



    Er prägte den Begriff der neuen Leibeigenschaft — in seinem gleichnamigen Buch versucht er den Ideen eines anderen Ex-Narodniki, Constantin Stere, sein eigenes Konzept entgegenzustellen — sozialistische Ideen haben Sinn und Zweck in Rumänien und sind sogar die einzig fortschrittliche Denkweise, die auch in Rumänien existieren könnte. Solche Konzepte sollten dann auch die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rumäniens im Jahr 1893 mitbestimmen — Gherea war einer der Gründungsmitglieder, sagt Călin Cotoi: Die Partei war schon von Anfang an problematisch — die Mitglieder der Arbeiterklasse, insofern sie der Rede wert ist, hatten nicht alle die rumänische Staatsangehörigkeit Es waren viele Juden, Magyaren, Deutsche und siebenbürgische Rumänen darunter — dazu kommen, dass antisemitische Töne in der Arbeiterschaft laut werden und die Partei sie zu beschwichtigen versucht“, beschreibt der Historiker die damalige Lage.



    Die Partei brach schlie‎ßlich unter dem Gewicht der eigenen Paradoxien zusammen und Gherea wollte sich nicht vom Mahlstrom mitrei‎ßen lassen, umso mehr er gerade die rumänische Staatsbürgerschaft bekommen hatte. Er taucht also in den rumänischen kulturellen Mainstream ein und wird zu einem der bedeutsamsten Literaturkritiker, nachdem er in Konflikt mit der Koryphäe Titu Maiorescu gerät. Das hei‎ßt, dass einer der grö‎ßten linken Denker nicht als Parteimensch bekannt wird, sondern als Literat. Der Bukarester Historiker Cotoi meint, dass der im November 1917 auch nicht mehr jüngste Gherea das bolschewistische Regime eher ablehnt — er war ein Sozialist, der gegen die gesellschaftlichen Probleme mit demokratischen Waffen kämpfen wollte.



    Er war ein Sozialdemokrat à la Kautsky. Nach seiner Theorie versucht er, Politik zu leben. Und nach Kautsky sind die Bolschewiki eher Häretiker. Aber Gherea steht in Kontakt mit ihnen, mit Rakowski zum Beispiel. Ghereas Sohn wirkt dort mit, er selbst behält sich eine gewisse Autonomie vor und bleibt in der Sozialdemokratie deutscher Prägung“, findet der Bukarester Historiker.

  • Bauernaufstand 1907: Reformunfähigkeit des Staates in der Agrarfrage

    Bauernaufstand 1907: Reformunfähigkeit des Staates in der Agrarfrage

    Rumänien befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Wege der Modernisierung und Europäisierung. Bereits im 19. Jh. hatten die Eliten und die Bürger den Weg der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Emanzipierung eingeschlagen, was einer allmählichen Verabschiedung von den Gepflogenheiten des Mittelalters gleichkam. Doch Gro‎ßgrundbesitzer waren weniger reformbereit, ein Gro‎ßteil der Bauernschaft lebte in Armut und Abhängigkeit. Vor diesem Hintergrund fand der Bauernaufstand von 1907 statt, der in seiner Heftigkeit und Brutalität für gro‎ßes Aufsehen in Europa sorgte.



    Der Historiker Alin Ciupală, Professor für moderne Geschichte der Rumänen an der Fakultät für Geschichte der Bukarester Universität, erläutert den Schock des Bauernaufstandes von 1907, der im krassen Gegensatz zum Wunsch Rumäniens stand, ein modernes europäisches Land zu werden:



    Der Bauernaufstand von 1907 war in der damaligen Epoche ein gro‎ßer Schock. Es war das grö‎ßte derartige Ereignis in der Geschichte. 1906 hatte Rumänien eine Jubiläumsausstellung organisiert, die im Ausland für Echo sorgte. Es war eine Ausstellung, die Europa die wirtschaftlichen Fortschritte Rumäniens in den 40 Jahren seit dem Amtsantritt von Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, dem späteren König Carol I., der 1866 nach Rumänien gekommen war und die Verfassung eingeführt hatte, die das politische System der konstitutionellen Monarchie untermauerte. Einerseits gab es die Fortschritte, die in 40 Jahren erzielt worden waren, und andererseits die Misserfolge, ein Beweis der Grenzen dieses Systems.“




    Die Zustände in der Landwirtschaft wurden unterschätzt, die Produktionserträge waren schwach. Hinzu kamen der Mangel an einer Ethik der Arbeit, der Analphabetismus und der Alkoholismus im bäuerlichen Milieu. Der Aufstand begann im Norden der Moldau am 8. Februar 1907 in der Gemeinde Flămînzi. Am 9. März weitete sich der Aufstand nach Süden aus, in der Gro‎ßen und Kleinen Walachei (Muntenien und Oltenien). Ende März wurde der Bauernaufstand mithilfe der Armee unterdrückt. Die Bauern haben die Eigentümer der Pächter und die Bojarenhäuser angegriffen. Sie setzten Häuser und Güter in Brand. Der Schriftsteller I. L. Caragiale schrieb, dass sich der Bauernaufstand zu einer terroristischen Revolution, fast zu einem Bürgerkrieg entwickelt hatte. Es kam auch zu Zusammenstö‎ßen zwischen den aufständischen Bauern und den Bauern, die an den Gewaltaktionen nicht teilnehmen wollten. Das chronische Agrarproblem war aber nicht die Hauptursache des Bauernaufstandes von 1907, meint der Historiker Alin Ciupală:



    Die rumänische Historiographie nennt als Hauptursache die Tatsache, dass die Bauern keinen Grundbesitz hatten. Meiner Meinung nach hängen die Ursachen des Bauernaufstandes von einem komplexen Phänomen ab, und zwar von der Tatsache, dass das System auf keinem Niveau richtig funktionierte. Die Lokalverwaltung, die den Bauern eigentlich unterstützen sollte, war korrupt. Der Bauer stand allein vor einem bürokratischen System, das er nicht verstand und dem er nicht gewachsen war. Die Bauern machten ihrer Unzufriedenheit Luft, der Bauernaufstand war ein Akt der Verzweiflung. Sie wollten die Aufmerksamkeit der Elite durch Gewalt gewinnen. Es ist ein Paradox der rumänischen Gesellschaft: Das Problem ist bekannt, doch das System ist unfähig, die schon gefundenen Lösungen umzusetzen.“




    Alin Ciupală kommentierte einige historische Deutungen des Bauernaufstandes, die ihm z.B. auch einen antisemitischen Charakter attestierten oder gar seine Ursachen in einem Anzetteln durch ausländische Kräfte sahen:



    Als eine Erklärung für den Bauernaufstand gesucht wurde, sprach man sehr viel über die Rolle der Juden. Ähnlich wie die Dreyfuss-Affäre in Frankreich ist der Bauernaufstand von 1907 ein Moment, das den rumänischen Antisemitismus ans Licht brachte. Die Juden wurden als schuldig an den Zuständen gesehen, weil jüdische Pächter in der Moldau Missbräuche gegen die Bauern begangen hätten. Niemand wollte die Tatsache wahrnehmen, dass die meisten Pächter eigentlich keine Juden waren, sondern Rumänen. Andere Interpretierungen sind ziemlich hirnrissig. Man sagte, der Bauernaufstand sei von den österreich-ungarischen oder von den russischen Geheimdiensten organisiert worden, um Spannungen in Rumänien zu verursachen. Dieses Szenario ist falsch. Der Aufstand fu‎ßt auf einem rumänischen Problem, das nicht einmal in der Zwischenkriegszeit gelöst wurde.“




    Es gibt auch Schätzungen, dass die Repression des Bauernaufstandes von 1907 11 Tausend Opfer gefordert habe. Der Historiker Alin Ciupală bezweifelt die Zahl und macht eine realistischere Einschätzung:



    Die Zahl 11.000 kam damals in den linken Zeitungen »Adevărul« und »Dimineaţa« vor, die von dem Sozialisten Constantin Mille geleitet wurden. Es geht um eine Zahl, die in Wirklichkeit auf nichts basiert. Das kommunistische Regime hat diese Zahl einfach übernommen und sie nicht überprüft. Nicolae Ceauşescu hat im Jahr 1977 einen Bauernkongress organisiert, zu dem er 11.000 Delegierte einlud, um der Opfer des Bauernaufstandes von 1907 propagandistisch zu gedenken. Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen wirklich damals ihr Leben verloren haben, vielleicht werden wir es nie wissen. Die Dokumente über den Aufstand wurden von Ionel Brătianu, dem damaligen Innenminister, unter Verschluss gestellt. Später gab er sie dem König, als die Nationalliberale Partei die Regierungsgeschäfte beendete und ihr Mandat niederlegte. Brătianu wusste, dass seine konservativen Gegner die betreffenden Unterlagen als Waffe gegen ihn einsetzen würden. Leider sind diese Dokumente verschollen. Ich persönlich schätze rund 2.000 Opfer. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob 11.000 oder 2.000 Menschen ums Leben kamen. Bedeutend ist, dass in einer Gesellschaft, die sich modernisierte, Menschen ihr Leben verloren haben, weil der bürokratische Apparat unfähig war, ein ernstes Problem zu lösen.“

  • Sozialistisches Gedankengut in Rumänien Ende des 19. Jh.

    Sozialistisches Gedankengut in Rumänien Ende des 19. Jh.

    Um das Jahr 1900 suchten die rumänischen Intellektuellen nach einer Lösung für die Probleme der Landwirte. Die Bevölkerung Rumäniens bestand damals zu 80% aus Bauern. Diesen sollte geholfen werden, aus der Armut herauszukommen. Der wichtigste Teil der rumänischen Elite war Anhänger der nationalen Idee, der Emazipation durch die Pflege der nationalen Identität. Diese Gedankenschule stützte sich vor allem auf kulturelle Elemente. Doch auch sozialistische Ideen hatten ihre Befürworter.



    Eine Minderheit der Intellektuellen war der Ansicht, dass die Wirtschaft und die soziale Emanzipation eine wichtigere Rolle spiele. Unter dem Einfluss des Sozialismus und des Marxismus hatten diese nicht nur gegen ihre konservativen Gegner zu kämpfen, sondern auch gegen diejenigen, die ihre Ideen, aber nicht ihre Lösungen unterstützten.



    Die nationale Idee war jedoch stärker, auch wenn um das Jahr 1900 sowohl der Nationalismus als auch der Sozialismus blühten. Der Soziologe Călin Cotoi von der Bukarester Soziologie-Fakultät erklärt, warum sich die nationale Idee durchsetzte:



    Wir haben es hier mit einer Art Ereignis, das eigentlich kein Ereignis darstellt, zu tun. Das Soziale erscheint nicht als Problem. Es handelt sich um eine rasche Nationalisierung des Sozialen, bevor es ein Problem wurde. Das geschah innerhalb der sozialistischen Disputen der Epoche. Wegen dieser raschen Nationalisierung infolge des Disputs zwischen den Poporanisten (abgeleitet von rum. ‚popor‘ = Volk) und den Marxisten kam es zur Entstehung einer nationalisierten sozialen Idee mit einer ethnischen Komponente. Als dann in der Zwischenkriegszeit das soziale Programm erscheint, ist es auf diese Periode zurückzuführen. Die Technokraten der Gusti-Schule oder der demographischen Schule von Sabin Manuilă und der Klausenburger Schule von Moldovan setzten die Diskussionen von 1900 fort.“



    Die beiden wichtigen Bewegungen, die sich für die Emanzipation der Landwirte einsetzten, waren der Marxismus und der Poporanismus. Obwohl beide Bewegungen peripherisch waren, konnten sie meistens keine gemeinsamen Punkte finden. Der Sozialismus hatte keinen gro‎ßen Einfluss in den Reihen der Landwirte.



    Der Marxismus wurde insbesondere von Constantin Dobrogeanu-Gherea vertreten. Er kam als Solomon Katz in einer jüdisch-ukrainischen Familie zur Welt, flüchtete nach Rumänien und wurde in Bukarest zu einem der einflussreichsten sozialistischen Theoretiker. Dobrogeanu-Gherea veröffentlichte mehrere Bücher, darunter auch eine marxistische Analyse der wirtschaftlichen Lage der Landwirte. Sein Gegner war ebenfalls ein Flüchtling, der aus Bessarabien stammende Constantin Stere. Dieser brachte die Ideen der russischen Narodniki nach Rumänien. Zusammen mit dem Literaturkritiker Garabet Ibrăileanu gründete er nach dem russischen Vorbild den Poporanimus. Der Soziologe Călin Cotoi dazu:



    Die Mehrheit der rumänischen Sozialisten entstammt — abgesehen von einer kleinen Minderheit mit einer französisch-belgischen Orientierung — dem russischen Projekt der Narodniki, der Volksfreunde. Die rumänischen Volksfreunde wollten aber nicht als russische Narodniki angesehen werden. Die rumänischen Poporanisten versuchen, sich von den Russen zu distanzieren. Stere hat Texte, die fast identisch mit denen von Nikolai Michailowski sind. Er zitiert aber Eduard Bernstein, Karl Kautsky, Karl Marx, deutsche Neopositivisten. Seine Literaturangaben sind überwiegend deutsch.“




    Die Beziehung zwischen den Intellektuellen und den Landwirten war wesentlich, der Vergleich mit dem Westen, der wirtschaftlich entwickeltesten Region, und die Überwindung der Gegensätze zwischen Fortschritt und Tradition waren wichtige Programm-Punkte. Călin Cotoi erläutert:



    Es ist interessant, den rumänischen Fall in diesem russischen Kontext zu betrachten. Der Poporanismus spielt, meiner Meinung nach, eine viel geringere Rolle in der Modernisierung der sozialen Idee. Es gibt zwei Dimensionen des Poporanismus, die man verstehen muss. Zum einen den theoretischen Weg, darauf bezieht sich insbesondere Constantin Stere — auch bei seinen Disputen mit den Marxisten. Die andere Dimension ist der diffuse Poporanismus, der, wie die Bewegung der Narodniki, Elemente der genossenschaftlichen Bewegung, die Entstehung von Banken und Unterstützung der ländlichen Kreditaufnahme umschlie‎ßt. Diese entwickeln sich nur wenig und werden vom Staat übernommen und zerstört. Die Übernahme der Bewegung der russischen Volksfreunde von Russland nach Rumänien bedeutet die Transplantation einer Bewegung aus einem Imperium in einen Rahmen, in dem gerade eine Nation aufgebaut wurde. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Gedankenrichtungen.“



    Der Bauernaufstand von 1907 veranschaulicht und bestätigt die Diagnose, die die rumänischen Sozialisten um 1900 Rumänien folgenlos bescheinigt hatten. Die Lösung kam allerdings vom Staat, durch die später eingeleitete Bodenreform.



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