Tag: Betreuung

  • Das Drama des inneren Kindes: Über den Umgang mit Problemkindern

    Das Drama des inneren Kindes: Über den Umgang mit Problemkindern

    Mit neun Jahren ist die neunjährige Bernadette (genannt Benni“) das, was Sozialarbeiter bereits als Problemkind“ bezeichnen. Sie hat nur ein Ziel: nach Hause zu ihrer Mutter zu kommen, während die Sozialarbeiter ihr Bestes tun, um für sie ein stabiles Zuhause zu finden. Das Drama der sogenannten Problemkinder“ ist vom realen Leben inspiriert, von dem vieler Kinder in Rumänien und anderswo. Über die Debatte, die diesbezüglich stattgefunden hat, wei‎ß Sorin Lucaci, PR-Vertreter des Herald Verlags mehr:



    Die Experten, die wir ausgewählt haben, sind eingeladen, einige Grundbegriffe der zeitgenössischen psychologischen und pädagogischen Theorien zu vermitteln, die uns helfen können, ein besseres Verständnis, mehr Einfühlungsvermögen und Mitgefühl für unsere Kinder und ihre Probleme, eine bessere Kommunikation in der Kind-Eltern-Beziehung zu erreichen. Hier geht es um emotionale Wunden, Ablehnung, Verlassenheit, Angst, Trauma, Verletzlichkeit und Rebellion, Abhängigkeit und Herausforderung, Verbindung, Bindung und Empathie. Wir sollten auch die Wurzeln der Gewalt in der Kindheit diskutieren.“




    Bennis Geschichte in dem Film Systemsprenger“ spiegelt eine grausame Realität in der heutigen Welt wider. Tausende von Kindern leben jedes Jahr das Drama der Verlassenheit in einem sehr zarten Alter, und die meisten von ihnen leiden an emotionalen Wunden, die sehr schwer zu behandeln sind, so die Psychologin und Beraterin Iulia Feordeanu:



    Ich hatte die Gelegenheit, fünf Jahre lang mit Kinderschutzämtern in Rumänien zu arbeiten. Ich sah Kinder mit ähnlichem Verhalten wie Benni, aber auch Pädagogen, Psychologen, Sozialarbeiter, die jahrelang versuchen, diesen Problemkindern zu helfen. Das ist Realität, wir reden nicht von Fiktion. Leider haben viele Kinder, die schlie‎ßlich erwachsen werden, in ihrer Kindheit nicht genügend Sicherheit und nicht genug Verständnis für ihre Bedürfnisse von den Eltern bekommen.“




    Die Umgebung, in der sich ein Kind in den ersten Lebensjahren entwickelt, ist sehr wichtig für seine emotionale und geistige Entwicklung im Erwachsenenalter. Leider können die Kinderschutzsysteme die Genesung solcher Kinder mit Traumata in diesen Bereichen in Rumänien und in anderen Ländern nicht gewährleisten. Die Psychologin Iulia Feordeanu wei‎ß, warum das so ist:



    Ohne eine sichere Umgebung und verantwortungsvolle Eltern können sich Kinder nicht richtig entwickeln. Ihr emotionales Gleichgewicht ist stark beeinträchtigt. Leider muss ich sagen, dass sie sich meist nicht erholen, trotz der besten Absichten von Seiten der Erwachsenen. Ich hatte die Gelegenheit, an Projekten zur emotionalen Unterstützung sowohl in Rumänien, mit Kindern im System, als auch in anderen Ländern, wie der Ukraine und asiatischen Ländern, zu arbeiten. Überall, wo ich hinkam, sind institutionalisierte Problemkinder, verlassene Kinder, missbrauchte Kinder alle gleich.“




    Die Experten tun alles, was in ihrer Macht steht, um solche Kinder, die Opfer wiederholten Verlassenwerdens sind, wieder zu integrieren und versuchen, ihnen das zu geben, was für sie eine Familie werden kann. Leider bleiben bei vielen Bindungsängste zurück, sagt die klinische Psychologin Sorina Petrică:



    Heilung kann nur in einer Beziehung stattfinden. Die Systeme des Kinderschutzes überall auf der Welt sind eine unvollkommene Lösung für diese Kinder. Meistens werden sie von einem Zuhause in ein anderes verlegt, und jedes Mal, wenn sie eine Beziehung abbrechen, erleben sie erneut das Gefühl des Verlassenwerdens. Es ist, als ob sie mit jeder Beziehung, die sie gewinnen und dann verlieren, traumatisiert werden.“




    Sorina Petrică erklärt, warum die Behandlung und Heilung dieser Kinder gerade von den Erwachsenen erschwert wird, die nicht bereit sind, ein solches Problem richtig anzugehen:



    Heilung ist nur möglich, wenn es diesen Kindern endlich gelingt, sich mit gro‎ßer Anstrengung an einen Erwachsenen zu binden, denn sie brauchen eine ständige Präsenz in ihrem Leben. In dem Moment, in dem dies geschieht, ist nicht nur diese ständige Präsenz nötig, sondern es ist notwendig, dass diese Kinder das bekommen, was sie vorher nie hatten: Respekt für ihre eigene Person, für das, was sie wirklich sind, nicht für das, was ihre Eltern in sie hineinprojizieren. Sie brauchen Verständnis, Akzeptanz und bedingungslose Liebe. All diese Dinge sind im Falle von verlassenen Kindern sehr schwer zu erreichen. Verlassenheit lehrt, dass man anderen nicht trauen kann, dass Erwachsene eine Gefahr sind. Sie entwickeln eine Reihe von emotionalen Problemen, die sehr schwer zu bewältigen sind. Sie leben und erleben sehr intensive Gefühle und haben gro‎ße Schwierigkeiten, sich zu beruhigen.“




    Sabina Strugariu, eine integrative Therapeutin, erzählte uns von dem Bedürfnis der Erwachsenen, mit ihrem inneren Kind in Kontakt zu kommen, um mit institutionalisierten Kindern umgehen zu können:



    Ich hatte schon immer ein gro‎ßes Problem mit der Bezeichnung ‚Problemkind‘. Mir gefällt der Titel »Systemsprenger« viel besser, weil er den Schwerpunkt an eine andere Stelle verlagert, denn ich glaube nicht, dass das Kind das Problem ist. Die Kinder sind nie das Problem in Bezug auf den Bindungsstil, weil wir als Kinder den Bindungsstil unseres Betreuers, der uns in unserer Entwicklung hilft, kopieren. Diese Problemkinder im System und in den Heimen werden verteufelt, wir haben Angst vor ihnen, weil ihre Emotionen schwer zu beherrschen sind. Oftmals geschieht dies, weil wir als Erwachsene ein inneres Kind haben, das genauso beschädigt ist, vor dem wir Angst haben. Und da es uns schwer fällt, für uns selbst zu sorgen, projizieren wir auf unsere Kinder, was wir nicht für uns selbst tun können.“




    Bis Ende 2018 wurden in Rumänien jeden Monat etwa tausend Kinder bei der Geburt in Krankenhäusern ausgesetzt. Sie landen schlie‎ßlich bei Kinderpflegerinnen oder in Vermittlungszentren. Der Adoptionsprozess ist schwierig, und das Trauma, das diese Kinder erleiden, ist manchmal irreversibel.

  • Häusliche Gewalt: Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer gegründet

    Häusliche Gewalt: Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer gegründet

    Vergewaltigung ist ein Trauma mit langfristigen Folgen. Die statistischen Daten der Polizei spiegeln das Phänomen nur zum Teil wider, denn die meisten Opfer erstatten keine Anzeige. Um diese Menschen zu unterstützen, hat die Nationale Agentur für Chancengleichheit für Männer und Frauen kürzlich in der Uni-Klinik in Bukarest das erste Pilot-Krisenzentrum für Vergewaltigungsfälle eröffnet. Opfer von sexuellem Missbrauch werden an diesem Ort die Unterstützung und Hilfe erhalten, die sie brauchen, wie Graţiela Drăghici, Staatssekretärin der Nationalen Agentur für Chancengleichheit für Männer und Frauen, versichert:



    Wir wollen, dass dieses Vorgehen ein starkes Signal an alle Frauen in Rumänien sendet, ein Signal der Unterstützung, ein Signal des Vertrauens, indem ein neues Modell guter Praxis für ein integriertes Management der Vergewaltigungsfälle geschaffen wird, ausgehend von einer traurigen Realität. Das hei‎ßt, die meisten Frauen erstatten aufgrund von Stereotypen und Mentalitäten entweder keine Anzeige bei der Polizei oder geben die Schritte auf, die erforderlich sind, damit der Täter schlie‎ßlich betraft wird. Der erste wichtige Schritt bestand darin, das Nationale Institut für Gerichtsmedizin zu bitten, eine Lösung zu finden, die es Ärzten in der Notaufnahmeeinheit ermöglicht, biologische Proben mit Hilfe eines Standard-Kits für biologische Probenahmen zu entnehmen. Das ist in Fällen von sexueller Gewalt unbedingt nötig. Die gesamte Arbeit und das Management wird von der Notaufnahme übernommen, so dass die Frau nicht mehr hin und her muss und ein sehr gro‎ßer Prozentsatz der Opfer diesen Schritt nicht aufgibt und den ganzen Weg für die Bestrafung der Vergewaltiger geht.“




    Graţiela Drăghici erklärte uns weiter wie dieses Zentrum funktionieren wird.



    Die erste Bedingung ist, dass die Frau die Vergewaltigung anzeigt, dann aktiviert der Arzt in der Notaufnahme die operative Einheit in der Nähe der Uni-Klinik. Das ist eine Einheit, die auf Verbrechen spezialisiert ist. Sie kommen in die Notaufnahme und fordern die Zustimmung des Opfers zur Einreichung der Beschwerde. Mit dieser Beschwerde können wir sagen, dass wir rechtlich einen Vergewaltigungsfall haben. Darüber hinaus werden biologische Proben auf der Grundlage des vom Nationalen Instituts für Gerichtsmedizin zur Verfügung gestellten Standardkits entnommen. Das Opfer wird dann in ein Heim für Opfer häuslicher Gewalt gebracht, wo die Person Unterkunft, psychologische Beratung und Rechtsberatung erhält, so dass es zur Bestrafung des Angreifers kommt.“




    Das Projekt wird auf nationaler Ebene erweitert, so dass die Zahl der sexuellen Übergriffe reduziert wird. Momentan ist die Situation besorgniserregend: 46 Frauen und 12 Kinder kamen im vergangenen Jahr aufgrund von Gewalt durch ehemalige oder gegenwärtige Partner oder andere Familienmitglieder ums Leben. Alle zwei Tage gibt es einen Fall, in dem ein Minderjähriger sexuell missbraucht wird, aber viele Fälle werden nicht gemeldet. Schwerwiegender ist, dass 55% der Rumänen Vergewaltigung in bestimmten Situationen für gerechtfertigt halten. Graţiela Drăghici dazu:



    Aus den Daten der rumänischen Polizei für 2017 geht hervor, dass über 500 Vergewaltigungsfälle gemeldet wurden, gegen die ermittelt wurde und bei denen es zur Bestrafung des Täters kam. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Zahlen für 2018 noch nicht endgültig, aber es gab etwa 450 Fälle. Der folgende Aspekt muss aber beachtet werden. Ein signifikanter Prozentsatz der Opfer, wenn wir über das Phänomen der Gewalt sprechen, der laut einigen Statistiken bei 70% liegt, sei es häusliche Gewalt oder sexuelle Gewalt, erstattet keine Anzeige. Daher beziehen sich diese Zahlen nur auf Fälle, die gemeldet wurden, die der Polizei zur Kenntnis gebracht wurden, und auf Fälle, die mit der Bestrafung der Angreifer abgeschlossen wurden.“




    Feministische Organisationen in Rumänien begrü‎ßen die Initiative der Nationalen Agentur für Chancengleichheit für die Errichtung des Krisenpilotzentrums für Vergewaltigungsfälle. Andreea Braga, Exekutivdirektorin des Filia Centers, einer feministischen Organisation, die Gender-Ungleichheiten durch Aktivismus, Fürsprache und Forschung bekämpft, meint dazu:



    Dies ist ein zusätzlicher Schritt zu dem, was wir bisher hatten, weil es kein Krisenzentrum für Opfer sexueller Gewalt gab. Leider reicht es nicht aus. Wir sind sehr weit entfernt von einer Gesellschaft, in der wir uns auf die Rechte der Opfer konzentrieren und ihnen den richtigen Schutz in dem Sinne bieten, dass ein gro‎ßer Bedarf an Fachleuten besteht, die wissen, wie sie mit sexuellen Traumata umgehen. Es gibt viele Situationen, in denen leider die Vorurteile über die Schuld des Opfers weiterverbreitet werden, und dann befinden sie sich häufig in einer Situation, in der sie erneut traumatisiert werden. Hinzu kommt das Hin und Her, mit dem sich das Opfer konfrontiert, weil es über das Trauma, das es erlebt hat, viele Male berichten muss, und das setzt das Opfer einem Risiko der Retraumatisierung aus. Das hei‎ßt, es ist kein System, das darauf abzielt, das Opfer zu schützen und die Risiken zu minimieren, so wie in anderen europäischen Ländern. Gleichzeitig brauchen wir Bildung und Bildungspolitik, die uns zeigen, was Einwilligung bedeutet. Viele Fälle von sexueller Gewalt, Vergewaltigung, Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen, sexuellen Übergriffen werden nicht gemeldet, da sie im Verborgenen begangen werden.“

  • Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt: Ausstattung mangelhaft, Gesetzgebung unzulänglich

    Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt: Ausstattung mangelhaft, Gesetzgebung unzulänglich

    Häusliche Gewalt ist äu‎ßerst schwer zu definieren, egal ob man ein zufälliger Zeuge oder ein Therapeut ist, der sich um die Gewaltopfer kümmert. In der soziologischen bzw. kriminologischen Forschung werden unterschiedliche Definitionen von häuslicher Gewalt verwendet. So beinhalten juristische Definitionen meist nur die reinen Straftatbestände, während in vielen soziologischen bzw. psychologischen Definitionen die Motivation des Täters ebenfalls mit einbezogen wird. Einerseits wird häusliche Gewalt folgenderma‎ßen definiert: Häusliche Gewalt liegt vor, wenn Personen innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben oder androhen“; laut einer anderen Definition wird jede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, die unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere Person zugefügt wird“ als häusliche Gewalt betrachtet.



    Neben den aggressiven Handlungen eines oder beider Beteiligten wird häusliche Gewalt also auch von anderen Faktoren bestimmt. Es besteht eine emotionale Bindung zwischen der Gewalt ausübenden Person und dem Opfer, welche auch mit einer räumlichen Trennung vorerst nicht beendet ist. Die Gewalt wird in der Wohnung, im gemeinsamen Haushalt, d.h. im privaten Raum ausgeübt. Diese Tatsache hat Konsequenzen für das Sicherheitsgefühl des Opfers. Die körperliche und/oder die psychische Integrität des Opfers wird durch die aggressive Handlung wiederholt verletzt. Die Gewalt ausübende Person nutzt ein existierendes Machtgefälle zu seinem Opfer aus oder schafft ein solches, um es anschlie‎ßend auszunutzen.



    Alle Formen der häuslichen Gewalt werden in Rumänien durch das Gesetz 217/2003 zur Vorbeugung und Bekämpfung der häuslichen Gewalt geahndet. Laut einem Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte wurde im Jahr 2015 in Rumänien eine von vier Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Mehr als 70% der misshandelten Frauen haben keine Anzeige erstattet. Ein Grund dafür sei das fehlerhafte Gewaltschutzgesetz 217/2003, meint Andreea Bragă, Leiterin des Zentrums Filia, einer Nichtregierungsorganisation, die gegen Geschlechtsdiskriminierung kämpft:



    Das Gewaltschutzgesetz von 2003 wurde im Jahr 2012 novelliert, unter anderem mit einer Schutzanordnung, einem absolut notwendigen Instrument zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt. Vorgesehen werden auch Dienstleistungen und finanzielle Zuwendungen für die Opfer, aber oft wurden diese Ressourcen von den Kommunalbudgets nicht gewährt. Daher befinden wir uns in einer schwierigen Lage — 13 rumänische Landkreise haben keine Frauenhäuser oder andere Schutzstellen für Opfer von häuslicher Gewalt. Ferner sichert die erst 2012 eingeführte Schutzanordnung keinen sofortigen Schutz. Das Netz zur Bekämpfung der Gewalt in der Familie, ein Netz mit 24 NGOs, dem auch unsere Organisation angehört, hat die Implementierung der Schutzanordnung von 2012 überwacht. Die Monitoring-Ergebnisse zeigen, dass von der Antragstellung bis zum Inkrafttreten der Schutzanordnung etwa 33 Tage verlaufen.“




    2015 gab es 150.000 Notanrufe wegen häuslicher Gewalt, aber es wurden nur 1.000 Schutzanordnungen ausgestellt. Darüber hinaus erschwert die umständliche Bürokratie die juristischen Schritte, die im Gesetz zum Schutz der Gewaltopfer und zur Bestrafung des Täters vorgesehen werden. Der Rechtsweg ist kompliziert, dauert sehr lange und die Beweismittelführung wird meistens von den Opfern getragen. Hinzu kommen die bedenkliche Wahrnehmung der Nachbarn oder anderer möglicher Zeugen und auch die Zurückhaltung der Behörden bei der Ausstellung der Schutzanordnung. Andreea Bragă, Leiterin des Zentrums Filia, mit weiteren Details:



    Sehr oft meinen die Nahestehenden, dass das Opfer von häuslicher Gewalt selbst daran schuld ist. ‚Du musst doch etwas angestellt haben, er hat dich nicht umsonst geschlagen‘ — bekommt man oft zu hören. Die Behörden sind auch meistens feindlich gesinnt oder versuchen, das antragstellende Opfer zu entmutigen. Manche Gewaltopfer haben nach Kommentaren von Polizeibeamten ihre Klagen zurückgezogen. Es gibt auch die Ansicht: ‚Wie ist es um das Eigentumsrecht des Gewalttäters bestellt? Wir können ihn doch nicht aus seiner eigenen Wohnung rausschmei‎ßen!‘ Dabei geht es nicht um das Eigentumsrecht, sondern um das übergeordnete Recht des Opfers auf Schutz und Sicherheit. Während der 33 Tage bis zur Ausstellung der Schutzanordnung wohnt das Opfer weiterhin mit dem Täter, oder, wenn das Opfer bei Verwandten oder Freunden Unterkunft findet, bleibt es weiterhin in Kontakt mit dem Täter. Dieser kann mit dem Opfer reden, es bedrohen, oder, im Gegenteil, sehr freundlich sein, um das Vertrauen seines Opfers wiederzugewinnen. Dadurch werden die Opfer entmutigt, ein Gerichtsverfahren einzuleiten oder fortzusetzen.“




    Ungeachtet, ob sie Anzeige erstatten oder ob sie darauf verzichten, suchen viele Frauen, die Opfer von Gewalt in der Familie wurden, Unterstützung bei Wohlfahrtsorganisationen wie z.B. dem ANAIS-Verband. Hier erhalten die Gewaltopfer Rechtsberatung zur Vorbereitung der Dokumente, die bei einem Gerichtsverfahren vorgelegt werden müssen, und vor allem psychologische Beratung in individuellen Therapiesitzungen oder in Gruppentherapie. Aber auch in diesem sicheren, empathischen Rahmen, dauert die Heilung der seelischen Wunden sehr lange, da der Psychoterror, denen die Frauen ausgesetzt wurden, tiefe Folgen hat. Dazu Mihaela Mangu, Leiterin des ANAIS-Verbandes:



    Viele Frauen leiden unter Panikattacken und Angstzuständen, weil sie viel Zeit unter Druck, in unmittelbarer Nähe eines gewalttätigen Partners verbringen. Sie trauen sich nicht mehr, Bewegungen oder einfache Gesten zu machen, die den Gewalttäter provozieren könnten. Wenn eine Frau so lange Zeit unter Druck und Angst lebt, wird es ihr sehr schwer, sich von diesen Angstgefühlen zu befreien. Die Selbstschätzung wird zerstört — wenn der Ehemann seiner Ehefrau jeden Tag sagt, sie sei dumm, sie sei nichts wert, sie werde sich allein nie durchkämpfen, dann glaubt die Frau nicht mehr an sich selbst und akzeptiert schlie‎ßlich die Gewaltsituation in der Familie.“




    Ende Februar ratifizierte das rumänische Parlament das Übereinkommen des Europarats über die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention. Die Leiterin des Zentrums Filia, Andreea Bragă, spricht über die Hauptbestimmungen der Istanbul-Konvention:



    Besonders wichtig ist die Einführung der Eilschutzanordnung, die binnen 24 Stunden ausgestellt wird. Für besonders dringliche Fälle stellen die Behörden die Eilschutzanordnung gleich nach der Gewalttat aus. In der Istanbul-Konvention wird auch festgehalten, dass Frauen die meisten Opfer von häuslicher Gewalt sind, als Resultat der historischen Frauendiskriminierung. Das Übereinkommen schreibt vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankert sein muss und dass sämtliche diskriminierenden Vorschriften abzuschaffen sind. Die einzelnen Ma‎ßnahmen sehen eine Rechtsberatung, psychologische Betreuung, finanzielle Beratung, Hilfe im Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten (Einrichtung von Frauenhäusern), Aus- und Weiterbildung sowie Unterstützung bei der Suche nach Arbeit vor. Au‎ßerdem sollen Hilfsangebote für Frauen verbessert und die Menschen über Bildungsangebote für das Problem sensibilisiert werden. Wir hoffen, dass im Lehrplan der rumänischen Schulen auch Unterrichtsstunden über Gleichstellung der Geschlechter, Respekt für den Lebenspartner, Probleme der Gewalt gegen Frauen und Konfliktlösung ohne Gewalt angeboten werden.“




    Rumänien muss umgehend seine Gesetzgebung anpassen, um das Übereinkommen des Europarats über die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt” zu implementieren.

  • Demenzkranke in Rumänien

    Demenzkranke in Rumänien

    Die Demenz muss in Rumänien als Problem der allgemeinen Gesundheit gelten“ — so die Botschaft der Nationalen Alzheimer-Konferenz 2014, die vor einigen Wochen stattfand. Dabei wurde die Umsetzung eines landesweit geltenden Demenz-Plans gefordert, unter dem Titel Nationale Ma‎ßnahmen-Strategie bis 2020“.



    Weltweit wird alle vier Sekunden ein Mensch mit der Alzheimer-Krankheit diagnostiziert. In Rumänien sind von den geschätzten 270.000 Alzheimer-Erkrankten lediglich 35.000 diagnostiziert, die meisten davon im Spätstadium. Obwohl Fachärzte vor allen Dingen an einer Diagnose in frühen Stadien interessiert sind, begünstigt die Struktur des Gesundheitswesens dies in keinster Weise, wie die Ärztin Cătălina Tudose, Vorsitzende der Rumänischen Alzheimer-Gesellschaft, berichtet:



    Der erste Schritt wäre die Gründung einer interministeriellen Abteilung mit Vertretern der 5-6 Ministerien, die an der Planung der finanziellen und menschlichen Ressourcen beteiligt sind, um ein Betreuungssystem auf die Beine zu stellen. Und dann sollte diese Abteilung über Arbeitsgruppen verfügen, die die derzeitige Lage bewerten. Wenn wir an die Anzahl der derzeit arbeitslosen Medizin-Absolventen allein denken — Neurologen, Psychiater, Geriatriker — vielleicht wäre das die Lösung für die Gründung einiger Diagnose-Zentren mit geringem Aufwand. Andererseits muss ein Nationales Demenz-Register erstellt werden. Ferner bedarf es einer Änderung der bestehenden Gesetzgebung bzw. Initiativen für den Schutz der Rechte von Demenzkranken. Das wird nicht in einem Monat oder einem Jahr geschehen. Wir nehmen uns vor, unseren Plan bis 2020 umzusetzen. Aber bis dahin können viele wichtige Dinge erreicht werden, man kann etwa die massenhafte Auswanderung rumänischer Ärzte stoppen. Und das scheint mir von wesentlicher Bedeutung im Hinblick auf den Plan über das System ärztlicher Betreuung.“




    Dr. Bogdan Popescu, Vertreter der Neurologie-Gesellschaft Rumäniens, erklärt uns den Krankheitsverlauf der Demenz-Patienten uns ihre Bedürfnisse.



    Man geht davon aus, dass bei einem Gro‎ßteil der Erkrankten die Diagnose fehlt. Um die Krankheit diagnostizieren zu können, müssen Ärzte verfügbar sein, allerdings sind nicht genügend Experten hier, die eine Demenz-Diagnose stellen können. Au‎ßerdem braucht man bestimmte technische Kapazitäten, denn jede Demenz-Diagnose setzt kostspielige Untersuchungen voraus. Danach beginnen die Probleme mit der Betreuung. In der ersten Phase der leichten Demenz umfasst die ärztliche Versorgung im Allgemeinen die Verabreichung bestimmter Medikamente, die zum Glück von dem Gesundheitsministerium bzw. der Staatlichen Krankenkasse bezahlt werden. Nach der ersten Phase ist die medikamentöse Behandlung nicht mehr ausreichend, die Patienten gehen in eine Etappe über, in der sie nicht mehr alleine für sich sorgen können — angesichts ihrer Verfassung ist die Einlieferung in ein Krankenhaus allerdings noch nicht notwendig. In vielen europäischen Staaten gibt es das Konzept des Betreuers. Schlie‎ßlich folgt die Endphase, in der die Demenzpatienten so hilflos sind, dass sie eingeliefert werden müssen. Es müssen also genügend Betten für die Patienten in der Terminalphase vorhanden sein — in diesem Zusammenhang braucht man Institutionen, die langfristig diese Patienten unterbringen können und über das qualifizierte Personal verfügen.“




    Experten für neurodegenerative Erkrankungen warnen vor der steigenden Häufigkeit der Demenz angesichts der alternden Bevölkerung. Und die Entwicklung wird 2050 nicht zu Ende sein. Aus den weltweit durchgeführten Studien geht hervor, dass 10% der Über-65-Jährigen an einer Form von Demenz leiden, während bei den Über-85-Jährigen die Häufigkeit 40% erreichen kann.



    Der Arzt Gabriel Preda, Vorsitzender der Rumänischen Geriatrie-Gesellschaft, bezog sich auf das zunehmende Ausma‎ß des Phänomens vor dem Hintergrund der alternden Weltbevölkerung:



    In Rumänien hatten im Jahr 1990 etwa 10% der Bevölkerung ein Alter von über 65 Jahren, 2008 schätzte man, dass dieser Anteil 15% betragen wird, also einer von sieben Bürgern, und 2011 hat man festgestellt, dass 16,1% der Bevölkerung älter als 65 Jahre waren. Es ist also ein recht beachtlicher Anstieg, ein fast steiler Anstieg der Anzahl der Personen, die irgendwie für diese Art von Erkrankung anfällig sind. In Rumänien, wie in den meisten Staaten überhaupt, steigt der Anteil der Personen im extremen Alter, über 80-85 Jahren. Deshalb ist ein kohärentes und progressives Betreuungs-System notwendig. Das hei‎ßt, ein System, das an die unterschiedlichen Etappen des Krankheitsverlaufs angepasst sind, beginnend mit den leichten Formen und bis hin zu den schwierigsten Formen.“




    Die Demenz ist auch auf der europäischen Agenda zu finden. Es gibt bestimmte Richtlinien, die die Mitgliedsstaaten dazu bewegen sollen, die Betreuung der Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen zu regeln. Annette Dumas vertritt den Verein Alzheimer Europe:



    Auf europäischer Ebene stellt die alternde Bevölkerung eine Herausforderung für alle Mitgliedsstaaten dar. Das, weil sie die Gründung von langfristigen Betreuungsformen voraussetzt sowie den Zugang zu Diagnose und Behandlungsmethoden für diese Personen. Die alternde Bevölkerung müsste in dieser Hinsicht als Chance angesehen werden und nicht als Last, aber wir müssen dafür auch unsere Mentalitäten ändern.“




    In Europa leiden etwa 13 Millionen Menschen an Alzheimer. Die Demenz ist an siebter Stelle in der Rangliste der häufigsten Todesursachen in den Ländern mit hohen Einkommen. Etwa die Hälfte der Patienten mit neuropsychischen Beschwerden stirbt an Alzheimer.



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