Tag: Bildungstheater

  • Kulturprojekte zur Förderung des gemeinschaftlichen Zusammenhalts

    Kulturprojekte zur Förderung des gemeinschaftlichen Zusammenhalts

    Einige Initiativen zur Annäherung der Menschen an die Kultur und an die anderen wurden z.B. von der NGO Home Made Culture“ ins Leben gerufen. Diese fokussierte in den letzten Jahren auf Theaterschauspielen an unkonventionellen Orten wie z.B. in einer Hochhauswohnung. In diesem Herbst wurde die Wohnung durch ein Treppenhaus ersetzt, wo an sieben Abenden sieben Schauspiele inszeniert wurden. Diese wurden gemeinsam mit dem Publikum, den Hochhausbewohnern, ausgewählt. Die Veranstaltung Wir spielen mit offenem Treppenhaus“ war ihrerseits ein Teil eines umfangreicheren Projekts. Dieses trug den Namen Generator“ und nahm sich vor, die Bürger zu fördern, Aktivitäten vorzuschlagen, die ihren alltäglichen Sozialisierungsbedürfnissen entgegen kommen. Nach etlichen Versuchen sto‎ßen die Initiatoren des Vorhabens Wir spielen mit offenem Treppenhaus“ schlie‎ßlich auf Bereitschaft in einem Hochhaus des Bukarester Stadtviertels Crângaşi. Cristina Epure, Mitglied des Verbandes Home Made Culture“, erzählt uns, wie die Menschen ihre Initiative entgegen genommen haben.



    Sie waren von Anfang an sehr offen, was eher selten zu finden ist. Bevor wir dieses Wohnhaus gewählt haben, haben wir einen Aufruf gemacht, wir sind von Tür zu Tür gegangen, zu allen Wohnungen, aber die Menschen zeigten Zurückhaltung. Es handelte sich um etwas Neues. Darüber hinaus hat sich mit der Zeit eine Art Furcht oder Distanz unter den Nachbarn entwickelt. Deshalb wird etwas Neues zuerst als mögliche Gefahr betrachtet. Au‎ßerdem ist das Treppenhaus ein Niemandsland. Keiner beansprucht es, aber wenn jemand dort etwas unternehmen möchte, dann nehmen einige Bewohner das Treppenhaus plötzlich wieder in Anspruch als ihren Raum.“




    Langsam wandelte sich das Treppenhaus in einen Ort um, an dem man für jeden etwas fand. Man hat Schauspiele inszeniert, Opern aufgeführt, Origami-, Mal- und Collage-Werkstätten veranstaltet hat. Es hat alles Mögliche gegeben, alles kostenlos, oder jeder Nachbar hat als Entgelt ein kleines Häppchen mitgebracht. Somit hat man den Gemeinschaftsgeist zusammengeknüpft, und die Menschen haben erfahren, dass sie mit wenig Ressourcen gemeinsam eine schöne Zeit verbringen können. Cristina Epure.



    Jean-Lorin Sterian, der Mensch, der unseren Verband ins Leben gerufen hat, hat eine breite Vision und kennt die rumänische Künstlerszene sehr gut. Er hat Leute vorgeschlagen, die Projekte mit sozialem und erzieherischem Effekt vorlegen. Wir betrachten nicht nur die künstlerische Seite. So war zum Beispiel das erste Stück »Böse Kinder« mit Katia Pascariu. Das ist Bildungs-Theater. Wir wollten eine sowohl für Kinder als auch für Erwachsene zugängliche Thematik haben. Auch wenn die Zeitspanne kurz war, haben wir gefühlt, dass es eine Wirkung hatte. Ich hoffe, die Menschen werden sich an diese Events erinnern, wenn sie durchs Treppenhaus gehen, und an eine Alternative zum Fernsehen oder zum Computer denken.“




    Nicht nur durch Bildungstheater kann man den Gemeinschaftsgeist stimulieren, sondern auch durch Architektur-Projekte. Genau das tun zwei junge Architekten von StudioBasar“. 2016 haben sie die 2014 angefangene Zusammenarbeit mit der Städtischen Bibliothek Bukarest fortgesetzt. Ihrer Meinung nach stellen die öffentlichen Bibliotheken eine der wenigen Ressourcen dar, die den Gemeinschaftsgeist wieder erwecken können. Der Architekt Alex Axinte von StudioBasar“ dazu:



    Ich glaube, das ist eine Folge der Nachwendezeit, es ist ein Element, das wir verloren haben, und jetzt fragen wir uns, warum das Essen keinen Geschmack mehr hat. Wir wissen nicht, dass dem Essen das Salz fehlt. Wir Architekten von StudioBasar haben uns gedacht, dass das ein Notfall ist. Architekten müssen auch handeln und mit ihren eigenen Mitteln die Überreste des Gemeinschaftsgeistes, da wo es diese noch gibt, identifizieren.“




    In diesem Sommer haben die Architekten von StudioBasar zusammen mit Architektur- und Soziologie-Studenten die Filiale der Städtischen Bibliothek auf einem viel befahrenen Boulevard in Bukarest umgestaltet, um diese sichtbarer zu machen. Sie haben auch dazu beigetragen, eine andere Filiale im Militari-Viertel, einem gro‎ßen Plattenbau-Viertel aus der kommunistischen Zeit, wieder zu eröffnen. Die Bewohner zeigten sich froh darüber, dass die Bibliothek wieder eröffnet wird, auch wenn sie vergessen hatten, dass es sie gegeben hat. Alex Axinte dazu:



    Wir haben mit den Besuchern der Kinder-Bibliothek von nebenan diskutiert und auch mit Bibliothekaren und Bibliothekarinnen. Wir alle waren uns einig, dass die Bibliothek mehr Platz für andere Tätigkeiten braucht, ohne aber die Zahl der Bücher zu reduzieren. Die Geselligkeit im kulturellen Kontext stellt eine riesige Notwendigkeit in einem Viertel mit 300 Tausend Einwohnern dar. Vor dem Projekt haben die Studenten eine Befragung gemacht. Auf die Frage ‚Wo treffen sie Ihre Bekannten?‘ lautete meistens die Antwort ‚im Supermarkt, im Treppenhaus‘. Es gibt ein Problem, wenn die Supermärkte zu sozialen Treffpunkten geworden sind. Die Leute freuen sich, dass eine Bibliothek von 40 Quadratmetern wieder eröffnet wird.“




    Die öffentlichen Bibliotheken können Treibstoff für den Gemeinschaftsgeist sein, wenn sie nicht nur mit Büchern assoziiert werden, meint auch Anca Râpeanu, die Leiterin der Städtischen Bibliothek. In den 33 Filialen in Bukarest werden auch Strickerei-Workshops, IT-Kurse und Fremdsprachen-Kurse kostenlos organisiert. Zudem wurde im letzten Sommer die Initiative Märchen-Karawane“ ins Leben gerufen. Auch an diesem Projekt nahm Alex Axinte teil. Er stellte einen passenden Anhänger zur Verfügung. Wie ein Tag im Leben dieses Projekts ausschaut, sagt uns jetzt Anca Râpeanu:



    Es ist 5.30 — 6 Uhr in der Früh. Aus dem Lagerbereich werden alle Schachteln mit Spielzeug, Stiften, Bällen, Theater-Puppen, Brettspielen geholt. Sie werden dann der Reihe nach in den Anhänger gepackt, um sie dann in den Park zu bringen. Die Karawane setzt sich in Bewegung. Im Park werden alle Schachteln ausgepackt, alles wird in Ordnung gebracht und um 10 Uhr fangen die Workshops an: Basteln, Zeichnen, Spielen im Freien. Um 11 Uhr beginnt das Hüpfen und Spielen. In der Zwischenzeit diskutieren meine Kollegen mit den Eltern und erklären ihnen, was wir mit der Bibliothek und der Karawane vorhaben. Um 7 Uhr abends gibt es Puppen-Theater und dann eine Zumba-Werkstatt. Am Abend müssen meine Kollegen von den kurzen Pausen profitieren, um alles wieder einzupacken, denn ansonsten kann die Karawane nicht mehr nach Hause fahren.“




    Das alles, um zu beweisen, dass die Bibliothek in erster Reihe ein öffentlicher Platz ist und erst nachher ein kultureller Platz. Und die freiwilligen Helfer hoffen, dass dieser in 2017 sichtbarer wird.

  • Bildungstheater: Bukarester Ensemble „Replika“ bringt Alltagsthemen auf die Bühne

    Bildungstheater: Bukarester Ensemble „Replika“ bringt Alltagsthemen auf die Bühne

    Wir spazieren entlang eines der gro‎ßen Bukarester Boulevards, der an den südlichen Stadtrand führt. Hier biegen wir rechts ab und finden eine Volksschule, die unterschiedliche Kurse für Kinder anbietet. Die Volksschule und das Staatliche Bildungstheater Replika“ teilen sich den Innenhof. Auf dem Hof und drau‎ßen, auf dem Bürgersteig, warten Kinder und Jugendliche aller Altersklassen auf den kostenlosen Einlass zu einer Theateraufführung, bei der es um ihre alltäglichen Probleme gehen soll.



    Die Räumlichkeiten sind unspektakulär. Im Februar 2015 gründeten fünf Menschen hier das erste soziale Theater in Bukarest: Die Kritikerin und Dramaturgin Mihaela Michailov, der Regisseur Radu Apostol sowie Katia Pascariu, Schauspielerin am Jüdischen Staatstheater, Viorel Cojanu und Mihaela Rădescu, beide Schauspieler am Kleinen Theater. Die Idee von Theaterprojekten zu sozialen und bildungsbezogenen Themen sei allerdings viel älter, ebenso die Zusammenarbeit zwischen den Gründern, erzählt Mihaela Rădescu.



    Die erste Aufführung war »Die Offline-Familie«, an der Mihaela Mihailov und Radu Apostol eineinhalb Jahre lang gearbeitet haben. Dabei haben sie sich mit den Schülern in Bukarest unterhalten. Mit der Aufführung waren wir oft auf Tour, in der Moldau und in Siebenbürgen, das Thema ist sehr heikel. Es handelt sich um Eltern, die als Gastarbeiter ins Ausland ziehen und ihre Kinder zurücklassen. Dann haben wir »Die Geständnisse eines Hundes« gespielt, ein Stück über Tierrechte. Anschlie‎ßend haben wir »Das Theater der Kinderrechte« bearbeitet, daraus wurde die Aufführung »Recht im Gesicht«, nach einem Text von Mihaela Michailov.“




    Es folgten Aufführungen über die Schule, etwa Böse Kinder!“ und Erinnerungen an die Schulzeit“, bei denen es stets um Bullying, Missbrauch und Gewalt in der Schule geht. Die Texte sind ausnahmslos aus dem gewöhnlichen Alltag inspiriert, was für das Bildungstheater des REPLIKA-Teams von wesentlicher Bedeutung ist, wie die Schauspielerin Katia Pascariu erklärt.



    Die Bildungskomponente ist nicht streng aus schulischer Sicht zu betrachten. Unter Bildungskomponente verstehen wir, dass das Publikum eines jeden Alters zu uns kommen kann. Unsere künstlerischen Ansätze zu bestimmten schulgebezogenen Themen beinhalten bereits diese Bildungskomponente. Der ästhetische Teil ist weniger wichtig, dafür sind die Botschaft und das Thema viel wichtiger. Die Bildungskomponente bezieht sich auch auf das Publikum, das wir anziehen wollen, auf das Umfeld, aus dem es stammt, auf die Recherche, die wir für die Aufführungen betreiben, also auf die Vorarbeit zu den Stücken. Das Bildungstheater hat grö‎ßtenteils mit den Jugendlichen zu tun.“




    Wenn die Themen die Jugend und ihre alltäglichen Probleme im Mittelpunkt haben, dann gehört die Dramaturgie auch der Gemeinschaft, sagt die Schauspielerin Mihaela Rădescu. Die Texte entstehen mit der Entdeckung der Themen, im Rahmen der Recherche und in den Gesprächen mit den Menschen. An der sogenannten Sammlung“ der Texte sei das gesamte Team beteiligt, verrät Katia Pascariu.



    Die Themen sind in unterschiedlichen Quellen zu suchen: in den Medien, in echten Fällen, in den Gesprächen mit den Jugendlichen, die an unseren unterschiedlichen Werkstätten für Schüler mitmachen. Au‎ßerdem finden wir immer Themen in den Bereichen, die uns, also die Teammitglieder, interessieren. Dann kommt der Moment, in dem all die gesammelten Themen sortiert werden — und dann schauen wir, welche geeignet wären für eine Aufführung, jenseits der persönlichen Neugier.“



    Die sozialen Stücke des REPLIKA-Theaters sind sowohl für die Stadt- als auch für die Landbevölkerung relevant. Und das entsprechende Umfeld im Allgemeinen, die Stimmung oder die Gemeinschaft spielen eine zentrale Rolle für das Theaterteam. Aussagekräftig ist der Stadtteil, in dem das REPLIKA-Zentrum seinen Sitz hat, so Katia Pascariu.



    Die Bewohner dieses Stadtviertels entdecken uns langsam und wir versuchen, unser Vorhaben aufrechtzuerhalten, die Entdeckung einer Gegend, die über keinen eigenen Kunstraum verfügt. Wir versuchen, vor allem diese Menschen im Stadtteil selbst zu erreichen. Es ist eine sehr interessante Gegend, man ist nah am Stadtzentrum und hat doch auch das Gefühl, in einem Randbezirk zu stehen. Es ist eine Gegend mit hohem Verkehrsaufkommen, eine ehemaliges Gewerbegebiet, in dem heute viele Plattenbauten zu sehen sind. Viele sind vom Theater regelrecht überrascht. Sehr viele haben vor unseren Stücken noch nie einer Aufführung beigewohnt. Andere sind begeistert von den alltäglichen Themen, die wir behandeln, weil sie sie sofort wiedererkennen und unmittelbar darauf reagieren können. Sie haben sehr direkte, unmittelbare Reaktionen und für uns ist ihr Feedback an Ort und Stelle sehr wichtig.“




    Weil Partnerschaften mit bestimmten Schulen bestehen und weil es sich um ein Bildungstheater handelt, sind die meisten Zuschauer Kinder. Dennoch möchte das REPLIKA-Theam sein Publikum erweitern, sagt Mihaela Rădescu.



    Wir möchten Partnerschaften schlie‎ßen und eine Annäherung an die Verantwortlichen in Kinder- und Altersheimen suchen. Unsere Aufführung »Unser alltäglicher Hunger«, die im vergangenen Jahr ihre Premiere feierte, ist älteren Menschen gewidmet. Wir versuchen, konsequent Aufführungen für die anfälligen Gesellschaftsgruppen zu spielen, und ihnen so Mut einzuflö‎ßen.“




    Ebenfalls verletzlichen Personen ist ein Theaterprojekt gewidmet, an dem die Schauspielerin Katia Pascariu selbst beteiligt ist. Es handelt sich um die Theateraufführung Maşkar“, die im Rahmen eines gleichnamigen, grö‎ßeren, Projekts stattfand. Dabei ging es um eine sozio-kulturelle Intervention in Roma- und Nichtromagemeinschaften im südrumänischen Landkreis Teleorman, berichtet Pascariu.



    Dieses Projekt hatte auch eine Forschungskomponente, und am Ende ist es uns gelungen, auch eine Aufführung zu erarbeiten, die nach unserer einjährigen Arbeit eigentlich unerwartet kam. In Teleorman finden sich viele der rumänischen Probleme von heute wieder: entvölkerte Städte, die Kluft zwischen Armen und Reichen, Diskriminierung, schulische Segregation usw. Die Region hat aber auch eine eigene Besonderheit aufgrund der Geschichte der dort seit langem lebenden Roma-Gemeinschaften. Sie sind sehr unterschiedlich und in ländlichen Gebieten gut integriert. Wir, das Team, haben festgestellt, dass es sehr schwer ist, aus einer uns fremden Perspektive zu berichten. Und wir sind zum Schluss gekommen, dass die Mehrheit ein gro‎ßes Problem hat, denn das Problem ist bei denen die diskriminieren zu suchen. Wir haben versucht, eine Aufführung auf die Beine zu stellen über Wege zur Beseitigung der Diskriminierung — ausgehend von uns, die selbst diskriminieren und von Haus aus eine herablassende Haltung haben.“




    Maşkar” bedeutet in der Sprache der Roma Dazwischen“, eine Anspielung auf die Positionierung des Bildungstheaters REPLIKA: zwischen der pur ästhetischen oder künstlerischen Erfahrung des Theaters und dem Eingriff in die Gemeinschaft.