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  • Zeitgeschichte: Ausstellung thematisiert 70 Jahre der Protestkultur in Rumänien

    Zeitgeschichte: Ausstellung thematisiert 70 Jahre der Protestkultur in Rumänien

    Die Wurzeln der Protestkultur liegen in der Französischen Revolution des 18. Jahrhunderts. Proteste waren schon immer ein Ma‎ß für die Freiheit in einer modernen Gesellschaft. Tyrannen des 20. Jahrhunderts hatten eine pathologische Abneigung gegen Proteste, die ihre Autorität in Frage stellten. Diese Abneigung wurde von den illiberalen und populistischen Führern der gegenwärtigen Periode geerbt, die glücklicherweise nicht zum Verschwinden oder der Unterdrückung der Proteste geführt haben, wie es unter faschistischen und kommunistischen Regimen der Fall war.



    In der Zwischenkriegszeit waren Proteste in Rumänien ein gängiges Mittel, um Meinungsverschiedenheiten zwischen einer sozialen oder politischen Gruppe und den Behörden auszudrücken. Ab 1945, als das kommunistische Regime stufenweise etabliert wurde, begann auch die brutale Unterdrückung der Proteste. Doch auch zwischen 1945 und 1989 protestierten die Rumänen, wenn die Lebens- und Arbeitsbedingungen unerträglich wurden. Solche Proteste waren die Streiks der Bergleute 1977 und die Streiks der Arbeiter in den Schwerlastmaschinenfabriken Steagul Roşu“ und Tractorul“ in Braşov (Kronstadt). Und 1989 erlangten die Rumänen wie in einem Racheakt der Geschichte ihr Recht auf Protest durch massive Proteste wieder, die zum Sturz des Regimes führten. Seitdem kann die jüngste rumänische Geschichte auch aus der Perspektive des Wiederanschlusses an die Protestkultur betrachtet werden.



    Die Dichterin Ana Blandiana, eine Gegnerin des kommunistischen Regimes und eine öffentliche Figur, die einen wichtigen Beitrag zur Wiedergeburt des Protestes in Rumänien geleistet hat, hat kürzlich eine Ausstellung unter den Stichworten Demokratie und Protest“ eröffnet. Blandiana sagte, dass der Zweck darin bestand, die Erinnerung an die Momente wiederherzustellen, die die Wiedergeburt des Geistes des Protestes markiert haben:



    Diese Idee, die nicht originell ist, enthält einige besondere Highlights der Gegenwart. Wir wollten die gro‎ßen Proteste, die in Rumänien von 1945 an stattgefunden haben, beginnend mit den ersten Protesten gegen das aufstrebende kommunistische Regime bis hin zu den Protesten auf dem Siegesplatz Anfang 2017, zusammenfassen. Wir sprechen von einer Zeitspanne von über einem halben Jahrhundert, mit 30 Jahren Freiheit und 45 Jahren Diktatur. Es ist ein Appell, eine Kultur des Protestes aufzubauen. Eine wahre Zivilisation hat eine Kultur des Protestes, und eine Kultur des Protestes bedeutet, verschiedene Proteste im Laufe der Jahre miteinander zu verbinden. Die Proteste gegen die Goldförderung in Roşia Montană wurden mit viel Naivität und Freimut betrachtet, und zwar deshalb, weil man schlichtweg behauptete, es seien die ersten echten Proteste in der modernen Geschichte Rumäniens gewesen. Das hat mich erstaunt, denn die Hälfte der Demonstranten auf dem Siegesplatz (Piaţa Victoriei) waren dieselben Menschen, die 20 Jahre zuvor auf dem Universitätsplatz protestiert hatten. Die Menschen, die 2017 erstmals auf die Stra‎ße gingen, wussten das einfach nicht, denn wir leben in einer Gesellschaft, die systematisch die Erinnerung zerstört. Es ging nicht um schlechten Willen, es war vielmehr ein schlechtes Omen, das einen beunruhigen konnte, denn es ging um die Zukunft einer Generationen, die nicht aus der Erfahrung der Vergangenheit schöpfen wollte.“




    Proteste sind allerdings nicht immer vorteilhaft für die Demokratie. Ana Blandiana berichtet weiter:



    Ich habe unlängst aus den USA einen Essay mit dem Titel »Die Sprache des Protestes« bekommen. Auf dem Umschlag befindet sich das berühmte Anarchiesymbol, das A im Kreis. Ich hatte eine Offenbarung, als ich das las, der Essay berichtet über den Unterschied zwischen den Formen des Protestes. Für den Amerikaner, der das Buch geschrieben hat, war der Protest ein Weg, die Gesellschaft herauszufordern. Die Anarchie will die Gesellschaft zerstören, oftmals ohne viel darüber zu sagen, was sie an ihrer Stelle errichten will. Die Proteste, über die wir für diese Ausstellung nachdachten, sprachen sich für die Rechtsstaatlichkeit aus, um sie zu unterstützen. Bereits 1945 war sie bedroht und stand kurz davor, zerstört zu werden, aber die Menschen stemmten sich dagegen. Wofür sonst waren die Proteste von 1987 in Braşov? Die jungen Aufständischen, die die Arbeiter in Braşov vertraten, waren beinahe keine Erwachsene. Danach war das Jahrzehnt der Bürgerallianz [in den 1990er Jahren — Anm. d. Red.] ein Plädoyer und ein Protest gegen die Weigerung, auf der Grundlage der Proklamation von Timişoara einen Rechtsstaat aufzubauen. Und die Proteste von 2017 sind schlicht Proteste der Menschen, die nicht akzeptieren wollen, dass Rumänien nicht in der Lage ist, die Rechtsstaatlichkeit zu konsolidieren.“




    Die Kultur des Protestes ist für die Rumänen nach 50 Jahren Unterdrückung zur zweiten Natur geworden. Die 1990er Jahre waren geprägt von einer Vielzahl von Protesten, vom konstruktiven friedlichen Protest bis hin zu extrem gewalttätigen Formen. Politische Proteste sorgten jahrelang für Schlagzeilen in Zeitungen sowie in Fernseh- und Radionachrichten. Der 52-tägige Marathonprotest auf dem Universitätsplatz im April–Mai 1990 bleibt der Höhepunkt für Menschen, die glauben, dass es von grö‎ßter Bedeutung ist, Nein“ zu sagen, wenn sie das Gefühl haben, dass Politiker die Gesellschaft nicht auf dem Weg zum Gemeinwohl führen. Man kann sagen, dass die Wiedergeburt des Protestes in Rumänien nach 1989 mit einer Wiedergeburt der Demokratie und einer Form der Politik verbunden war, in der die Menschen nach dem Gemeinwohl streben.

  • The 1987 Revolts of Brasov

    The 1987 Revolts of Brasov

    In Romania, everything was brought to its peak by Nicolae Ceausescu’s ambition to pay the country’s debts in full, placing the burden squarely on the shoulders of the populace. The economic crisis meant rationing food, hot water, heating and electricity for domestic consumption. The pain was felt by the masses, while the members of the state and Communist party apparatus lived in opulence.



    This policy of extreme austerity, in spite of the repressive regime, led to protests. The tension caused a burst of discontent on the morning of November 15, 1987. The previous night, a labor conflict arose in section 440 of the Red Flag industrial plant. The spark that ignited the conflict was a drastic cut in wages. That occurred as the communist press published information according to which the centralized plan was met, but living conditions kept worsening.



    On November 15, local council elections were scheduled, with foregone winners. After several incidents between employees and management, in which the head of section, the Communist Party secretary and the head of union were molested, about 200 employees in factory overalls and flags in hand went on a march along the city streets, towards the Brasov Communist Party Organization headquarters. They were chanting slogans such as “Give us our money!, “Down with the dictator, down with the bastards!, “Down with Ceausescu!, “Down with the Communist Party!. The protesters were joined by passers-by, as well as by fellow workers from the Tractorul industrial plant. About 15,000 protesters gathered in the center of the city, in front of the Communist Party headquarters, where they destroyed portraits of Ceausescu and copies of his books.



    Security forces intervened, arresting about 300 protesters. The rest of the country, however, could only find out about the event from Radio Free Europe, which was broadcasting from West Germany, since such incidents were not mentioned in the press controlled by the Communist regime in Bucharest.



    Mircea Carp recalled the events, in 1997, in an interview with the Oral History Center of Radio Romania, telling us about how it all started: “What we were waiting for, for a long time, was a fundamental change in Romania, not necessarily by violent means, but if possible by evolution, as was the case for other countries. For us, this wait reached a very short-lived climax, the revolt of Brasov in November 1987. I was on duty when the news came that there was trouble in Brasov, that the workers took to the streets. According to the instructions I had been issued, both Radio Free Europe and The Voice of America, and the other media, we could not put out a piece of news unless it was confirmed by two sources. The news about what was happening in Brasov had come from only one source, but a trustworthy source, a very important one. Vlad Georgescu, who was the head of the Romanian Department with Radio Free Europe, and myself, who was presenting the political program, reached the conclusion that we should air that, because the next day would be too late.



    One other Radio Free Europe journalist, Emil Hurezeanu, recalled in 1999 how they brought in the news that the Brasov workers were rising up against the exploitation they were subjected to by the communist regime: “I remember that it was a November evening, it was a holiday in Munich, in Catholic Bavaria. I was working with Vlad Georgescu on a political show, when Vlad Georgescu told me to go quickly to the English Park, a huge park, at the American consulate, a fortress just as well defended like Radio Free Europe, because I had to pick up an envelope with something important. I went there as fast as I could, I picked up a sealed envelope, I took it to Vlad Gerogescu, he read it, and told me: ‘Brasov is moving. It was Sunday, November 15. The consulate had received by diplomatic courier from Bucharest the encrypted report of a correspondent from Brasov, who had been witness to the scattering of the protesters. Of course we dug into this piece of news, we were the first to broadcast it. In the following few hours and the following day we got a lot of information, including information from a woman from Brasov who had left Romania with her child for Belgium, and who had been there. Of course we turned the Brasov story into an international story, because we were keeping in touch with foreign journalists as well.



    On December 3, 1987, against complete silence from the regime, trials against 61 protest leaders started. In addition to the physical and psychological torture they were subject to, they were branded as hooligans and depraved members of society. They got compulsory sentences of 3 to 5 years in jail, and home arrest in a different city.Only one of the protesters. worker Vasile Vieru, father of 5, died nine months after the trial as a result of torture.

  • Nachrichten 15.11.2017

    Nachrichten 15.11.2017

    Präsident Klaus Iohannis hat den jüngsten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zum rumänischen Justizwesen als Warnzeichen für die Regierungskoalition bezeichnet. Das Bündnis aus Sozialdemokraten und der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) sollte den Bericht im Rahmen des sogenannten Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM) berücksichtigen, so der Staatschef. Er verwies darauf, dass die ganzen Anstrengungen Rumäniens zur Stärkung der Justizreform und für die Korruptionsbekämpfung durch die Handlungen einiger Politiker gefährdet werden könnten. Diese wollten nicht akzeptieren, dass sie im Dienste der Bürger arbeiteten und nicht einiger Partei- oder Gruppeninteressen dienten. Im aktuellen CVM-Bericht behauptet die Europäische Kommission, dass der allgemeine Reformrhythmus 2017 stagniert habe und die Herausforderungen für die Unabhängigkeit des rumänischen Justizsystems besorgniserregend seien. Dennoch habe man Fortschritte in Bereichen wie der Überprüfung der Interessenkonflikte oder bei den öffentlichen Ausschreibungen festgestellt. Die Bukarester Regierung müsse die notwendigen Reformen fortsetzen und Rückschritte vermeiden, will sie das Ziel zur Aussetzung des CVM während der aktuellen Amtszeit der Kommission (2018) erreichen, erklärte der Erst-Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans. Der rumänische Justizminister Tudorel Toader meinte, der Bericht hebe Fortschritte hervor und Rumänien könne sein Ziel betreffend die Aufhebung des CVM im Laufe des nächsten Jahres erfüllen.



    Die Bukarester Regierung hat am Mittwoch die zweite Haushaltskorrektur für dieses Jahr, unter Einhaltung des Defizitziels von 2,9% des BIP, gebilligt. Laut dem Finanzministerium sei die besagte Anpassung positiv und stüze sich auf das diesjährige Wirtschaftswachstum, das die Erwartungen übertrifft. Zusätzliche Gelder werden für die Zahlung der Löhne im voruniversitären Bildungswesen und für den Kinderschutz bereitgestellt. Zusätzliche Mittel erhalten auch das Arbeitsministerium für Zuwendungen an Personen mit Behinderungen und für die Zahlung des Kindergeldes, das Innenministerium für die Renten der Polizisten und das Gesundheitsministerium für die Gehälter der auszubildenden Ärzte. Kürzungen wird es beim Kulturministerium, beim Ministerium für Regionalentwicklung, beim Ministerium für Europäische Fördermittel und beim Finanzministerium geben. Unterdessen beteiligt sich Premierminister Mihai Tudose an dem Führungstreffen des größten Gewerkschaftsverbandes CNSLR Frăţia, der mit dem Generalstreik gedroht hat, sollten die Nettolöhne infolge der Steuerreform fallen. Premierminister Tudose wiederholte mehrmals, dass die vollständige Übertragung der Sozialabgaben auf die Arbeitnehmer, die in der neulich per Eilverordnung verabschiedeten Steuerreform vorgesehen ist, nicht zur Senkung derer Einkommen führen werde.



    Im zentralrumänischen Braşov (Kronstadt) sind am Mittwoch 30 Jahre seit dem antikommunistischen Aufstand in der Stadt begangen worden. Damals protestierten die Angestellten eines Werkes gegen die Führung und riefen Parolen gegen Diktator Nicolae Ceauşescu. Die Sicherheitsorgane unterdrückten die Revolte mit Gewalt. Hunderte Personen wurden an den nachfolgenden Tagen verhaftet. Viele von ihnen sollten nie wieder in die Stadt zurückkehren. Die Staatsanwaltschaft des Obersten Justiz- und Kassationshofes Rumäniens kündigte Ermittlungen im Fall der Repression des antikommunistischen Arbeiteraufstandes in Kronstadt. Die Untersuchungen der Staatsanwälte sind Bestandteil der sog. Akte Verbrechen des Kommunismus“, in der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird. Verdächtigt werden die Sicherheitsbehörden, die repressiv und systematisch gegen die Protestteilnehmer von damals vorgegangen sind.



    Notenbankchef Mugur Isărescu hat erneut vor der Gefahr des Handelsbilanzdefizits für die Wirtschaft gewarnt. Das Defizit sei in den letzten Monaten aufgrund des hohen Binnenkonsums zu stark angestiegen. Ein unausgewogenes Wirtschaftswachstum würde in langfristigen Problemen münden, sagte der Gouverneur der Zentralbank noch. Die Nationalbank unterstütze eine Steigerung von Konsum und Gehältern, allerdings in den notwendigen Dosierungen entsprechend der Arbeitsproduktivität, so Isărescu abschließend.

  • Der Arbeiteraufstand von 1987 in Kronstadt

    Der Arbeiteraufstand von 1987 in Kronstadt

    Die Unterdrückung der Regimekritiker und die schlechte Wirtschaftslage des Landes haben im kommunistischen Rumänien der achtziger Jahre in ihrem Ausma‎ß deutlich zugenommen. Auch der Ehrgeiz des Diktators Nicolae Ceauşescu, die Staatsschulden des Landes zu begleichen, hat den Wohlstand der Bevölkerung stark gefährdet. Die Rationierung der Lebensmittel, des Stroms und des warmen Wassers für Haushaltskonsumenten gehörten in den Achtzigern zum Alltag der Rumänen. Währenddessen genossen Mitglieder der Nomenklatur jedoch einen deutlichen materiellen Wohlstand.



    Das kommunistische Regime betrieb eine extreme Sparpolitik und die Reaktion des Volkes lie‎ß trotz der repressiven Ma‎ßnahmen gegen jede Protestbewegung durch die Sicherheitsorgane zu jener Zeit nicht lange auf sich warten. Am 15. November 1987 zeigten einige Rumänen den Mut, ihrem Unmut Luft zu machen. Es handelt sich um die Arbeiter des Werks für Omnibusse und Lastkraftwagen Steagul Roşu“ (Rote Fahne“). In der Nacht auf den 15. November brach ein sogenannter Arbeitskonflikt zwischen den Arbeitern des Werks mit Sitz im mittelrumänischen Braşov (Kronstadt) und ihren Vorgesetzten aus. Als Auslöser des Konflikts galten die drastischen Gehaltskürzungen als Teil der Wirtschaftspolitik von Nicolae Ceauşescu.



    Währenddessen berichtete die Propagandapresse von einer ambitionierten Planerfüllung bei schweren Arbeitsbedingungen. Am 15. November sollten Wahlen für die Leiter des Lokalrates Braşov stattfinden, in Wirklichkeit standen die Gewinner schon lange vorher fest. Nach verbalen und physischen Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitern und deren Vorgesetzten, bei denen der Abteilungschef, der Parteisekretär sowie der Vorsitzende der Gewerkschaft mit Handgreiflichkeiten konfrontiert wurden, starteten rund 200 Arbeiter des Kronstädter Werkes, noch in ihrer Dienstkleidung angezogen, einen Protestzug durch die Stra‎ßen der siebenbürgischen Stadt. Der Marsch führte zum Sitz der kommunistischen Parteivertretung in Braşov. Wir wollen unser Geld!“, Nieder mit dem Diktator, nieder mit Ceauşescu!“, Nieder mit der kommunistischen Partei!“ riefen die verärgerten Arbeiter.



    Dem Protestzug schlossen sich in Kürze auch Mitarbeiter der Fabrik Tractorul“ an. Rund 15.000 Demonstranten erreichten die Parteizentrale in Kronstadt, wo sie die Porträts des Diktators Ceauşescu und seine Bücher verbrannten. Die repressiven Ma‎ßnahmen des kommunistischen Regimes lie‎ßen auch nicht lange auf sich warten. Rund 300 Demonstranten wurden festgenommen, die unter der strengen Kontrolle des kommunistischen Regimes stehende Presse verschwieg jedoch das Ereignis. Der Radiosender Freies Europa, mit Sitz in München, in der Bundesrepublik Deutschland, berichtete darüber, der Journalist Mircea Carp erinnerte sich 1997 in einem Interview mit Radio Rumänien an den Ausbruch der Revolte:



    Wir alle erwarteten eine grundlegende Änderung, nicht unbedingt durch Gewaltmittel, sondern durch eine Entwicklung, wie es der Fall in anderen Ländern war. Ich hatte Dienst, als die Nachricht über den Aufstand in Braşov kam. Sowohl der Radiosender Freies Europa als auch die Stimme Amerikas mussten gemä‎ß der deontologischen Ethik eine Information zuerst zwei Mal bestätigen lassen, bevor sie zu einer Nachricht wurde. Die Information über die Arbeiterrevolte in Braşov kam jedoch aus einer einzigen, aber vertrauenswürdigen Quelle. Vlad Georgescu, der damals Leiter der rumänischen Abteilung bei Radio Freies Europa war, und ich, der für das politische Programm zuständig war, kamen zur Schlussfolgerung, dass es besser sei, jetzt auszustrahlen. Es wäre zu spät gewesen, bis zum nächsten Tag zu warten.




    Ein anderer Journalist von Radio Freies Europa, Emil Hurezeanu, erinnerte sich 1999, wie er in die Redaktion die Information brachte, dass die Arbeiter in Kronstadt gegen die Ausbeutung durch das kommunistische Regime protestierten:



    Es war ein Novembertag, ein Feiertag in München, im katholischen Bayern, und ich arbeitete zusammen mit Vlad Georgescu an einem politischen Programm. Vlad sagte mir, ich solle schnell über den Englischen Park zum Amerikanischen Konsulat gehen, weil man uns einen Briefumschlag überreichen möchte. Das Amerikanische Konsulat war, wie der Radiosender Freies Europa, eine Hochburg, die sehr gut bewacht wurde. Es regnete, es war Abend und es war das erste Mal, das ich etwas Bedeutendes vom Amerikanischen Konsulat bekommen sollte. Ich ging sehr schnell hin, habe einen Briefumschlag bekommen und brachte ihn meinem Kollegen Vlad Georgescu. Er öffnete den Umschlag, las und sagte zu mir: »Gro‎ße Protestbewegungen in Kronstadt«. Es war eigentlich der Sonntagabend am 15. November. Aus Bukarest war die kodierte Reportage eines Pressekorrespondenten, der in Kronstadt war, angekommen. Wir waren die ersten, die die Nachricht gesendet haben, wir waren die ersten, die darüber gesprochen haben. In den kommenden Stunden und den nächsten Tagen haben wir viele Informationen erhalten, einschlie‎ßlich von einer Kronstädterin, die mit dem Kind aus Braşov nach Belgien ausreiste und die an dem Streik teilgenommen hatte. Wir haben die Geschichte der Kronstädter Revolte in eine internationale Geschichte umgewandelt, weil wir Beziehungen zu ausländischen Journalisten hatten.“




    Am 3. Dezember 1987 begann der Prozess gegen 61 Protestführer — unter Ausschluss der Öffentlichkeit und vom Regime verschwiegen. Die Anführer der Revolte wurden physisch und psychisch gefoltert. Man lastete ihnen Hooliganismus an und bezichtigte sie, sozial und moralisch verfallen zu sein. Sie bekamen zwischen 3 und 5 Jahren Haftstrafe und Zwangsumsiedlung in eine andere Ortschaft. Ein besonders tragischer Fall war der Arbeiter Vasile Vieru, Vater von 5 Kindern, der 9 Monate nach Beendung des Prozesses durch Folter sein Leben verlor.

  • Historienfilm-Festival in Rosenau: Globalisierung und Populismus zur Debatte

    Historienfilm-Festival in Rosenau: Globalisierung und Populismus zur Debatte

    Ohne roten Teppich, ohne Stars und Hysterie, ohne Breaking News. Damit jeder wei‎ß, was gerade mit der Welt passiert“ — unter dieser Devise zeigt das Internationale Festival der Geschichtsfilme zwischen dem 28. Juli und dem 6. August im mittelrumänischen Râşnov (Rosenau) 44 Spielfilme, die auf historischen Figuren und Ereignissen basieren. Seit neun Jahren prägt die Veranstaltung die kulturelle Identität der Kleinstadt im Herzen Siebenbürgens. Der Intendant des Festivals, Mihai Dragomir von der Kulturstiftung Mioritics, ist der Ansicht, dass die siebenbürgische Burg der ideale Ort für ein Festival der Historienfilme ist:



    Es gibt keinen besseren Platz für dieses Festival. Alles hat durch eine Zusammenarbeit mir der Stadtverwaltung Rosenau begonnen. Es war eigentlich ihr eigenes Projekt und die Kulturstiftung Mioritics hat sich der Initiative angeschlossen. Wir haben 8 Auflagen mit einem reichhaltigen Programm hinter uns und das Festival ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Beim ersten Festival haben wir einfach 16 Geschichtsfilme präsentiert, dann haben wir das Programm mit Musik, Ausstellungen, Buchpräsentationen und der sogenannten Sommerschule ergänzt, die dieses Jahr bereits zum sechsten Mal stattfindet. Einen Höhepunkt des Festivals stellen, wie jedes Jahr, die Neuinszenierungen geschichtlicher Ereignisse dar, um gar nichts zu sagen von der tollen Stimmung am Lagerfeuer, das wir im Hof der Burg organisieren. Diese Festspiele sind also zu einer Veranstaltung gewachsen, die mehr als ein Filmfestival ist. Während der zehn Festivaltage sprechen wir ohnehin über viel mehr als die offizielle Geschichte. In unserem Leben haben wir immer mit unterschiedlichen Geschichten zu tun, mit wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Geschichten, mit einer aus unteschiedlichen Blickwinkeln betrachteten Geschichte. Daher haben wir dieses Jahr die Veranstaltung in Film- und Geschichtefestival Râşnov umbennant.“




    Neben den 44 Filmen locken die Organisatoren die Filmliebhaber nach Rosenau auch mit 15 Konzerten, 22 Vorlesungen, Debatten, Workshops und 5 Ausstellungen. Auf dem Programm der Festspiele stehen dieses Jahr unter anderen die Produktion Hidden figures“, die 2017 für einen Oscar in der Kategorie Bester Film nominalisiert wurde, Lodyssée“, ein Spielfilm über das Leben des Pioniers in der Meeresforschung Jacques-Yves Cousteau, sowie die rumänischen Streifen Der Rest ist Schweigen“ und 6.9 auf der Richterskala“ in der Regie von Nae Caranfil. Was die 9. Festspiele neu bringen, erläutert in den folgenden Minuten Mihai Dragomir:



    Im Hebst letzten Jahres haben wir ein neues Projekt angesto‎ßen und somit steigen wir langsam auch in die Filmproduktion ein. Es handelt sich um eine Koproduktion zwischen dem Geschichtsmuseum Braşov (Kronstadt) und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, einen Dokumentarfilm, der ein Licht auf die Ereignisse von 15. November 1987 in Braşov wirft. Im Herbst jähren sich die Ereignisse zum 30. Mal. Damals fand ein Aufstand von rund 20.000 Arbeitern gegen das kommunistische Regime statt. Der Film wird seine Premiere am 6. August feiern und die endgültige Version der Dokumentation soll am 15. November im Fernsehen präsentiert werden. Bei der diesjährigen Auflage der Festspiele wird zum ersten Mal auch eine Buchmesse organisiert. Im Salon der Geschriebenen Geschichte, den wir zusammen mit dem Verband rumänischer Verleger veranstalten, präsentieren sich dieses Jahr 15 Verlage. Wir sind zudem sehr begeistert von einer Idee, die wir voriges Jahr zum ersten Mal getestet haben: die Burg Râşnov als Gastgeber auf Airbnb zu listen. Nur während der Festspiele kann ein Tourist, ein Besucher der siebenbürgischen Stadt, eine Übernachtung in der Burg auf Airbnb buchen. Wir bieten ein Paket mit Übernachtung in Ritterzelten des 13. Jahrhunderts, traditionellen Speisen aus dieser Zeit und Festivaltickets an.“




    Die Dokumentation Braşov 1987. Zwei Jahre früher“ des Regisseurs Liviu Tofan versucht den Aufstand der rumänischen Arbeiter des Lastkraftwagen-Werkes in Braşov Steagul Roşu“ (Rote Fahne”), der als spontaner Streik ausbrach, nachzuzeichnen. Zum ersten Mal waren im kommunistischen Rumänien die Rufe Nieder mit dem Diktator!“, Nieder mit Ceauşescu!“, Nieder mit dem Kommunismus!“ zu hören. Der Aufstand von Braşov war der erste Massenprotest im kommunistischen Rumänien und hat entscheidend zum Sturz des Kommunismus beigetragen.



    Das Haupthema des 9. Festivals der Geschichtsfilme ist Globalisierung und Populismus“. Die Sommerschule Astra, die im Rahmen der Festspiele stattfindet, wird auch davon thematisch bestimmt. Die Organisatoren laden das Publikum ein, Debatten über ein höchst aktuelles Thema zu verfolgen. An den Diskussionen, die um Nebenthemen wie Religion und Populismus“, Globalisierung der Kultur“ und Die Zukunft Europas“ kreisen, nimmt dieses Jahr auch der US-Botschafter in Bukarest, Hans Klemm, teil. Der Diplomat wird eine Vorlesung mit dem Titel Populism and the Rule of Law“ halten. Das Festival der Geschichtsfilme fand zum ersten Mal im Jahr 2009 aus der Initiative statt, unbekannte Teile der rumänischen Geschichte ans Licht zu bringen.

  • Das Ceauşescu-Regime und die blutige Revolution von 1989

    Das Ceauşescu-Regime und die blutige Revolution von 1989

    In Rumänien war die Wende nicht friedlich, sondern gewaltsam. Das Regime von Nicolae Ceauşescu war eher geneigt, Gewalt gegen das eigene Volk einzusetzen. Die brutale Niederschlagung der Arbeiter-Revolte von Braşov/Kronstadt im November 1987 war ein erstes Zeichen. Leider hat sich die Vermutung im Dezember 1989 bestätigt.



    Wir haben den ehemaligen Leiter des Instituts der Rumänischen Revolution, Ioan Scurtu, gefragt, ob man das Blutvergie‎ßen vom Dezember 1989 vermeiden hätte können.



    Theoretisch hätte man das vermeiden können. Wenn wir Nicolae Ceauşescu mit den anderen Anführern der sozialistischen Staaten vergleichen, können wir sagen, dass er der einzige war, der die Ideen Gorbatschows betreffend die Glasnost und die Perestroika nicht akzeptiert hat. Er war der Ansicht, dass Gorbatschow durch diese Ideen den Sozialismus schwächte und so zu seinem Fall beiträgt. Folglich wurde Ceauşescu nach 1987 einer der unbeugsamsten politischen Anführer in Mittel- und Südosteuropa. Seine Bezugspunkte waren Marx, Engels und Lenin. Er akzeptierte nicht, dass die Gesellschaften in der Zwischenzeit Fortschritte gemacht hatten, dass man andere Aufbau-Formen des Sozialismus und des Kommunismus braucht.“




    Die Obsession der völligen Unabhängigkeit Rumäniens sei ein anderes Merkmal des Ceauşescu-Regimes gewesen, meint der Historiker Ioan Scurtu:



    Er war der einzige, der sich vorgenommen hatte, alle Au‎ßenschulden des Landes zu begleichen. Er dachte, er hätte so nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische Unabhängigkeit des Landes erreichen können. Man hat massiv Güter exportiert, sowohl Industriegüter als auch Lebensmittel. Das führte zu einer schwerwiegenden Lebensmittel-Krise.“




    Nicolae Ceauşescu, ein Gefangener der marxistischen Klischees, hat eine verheerende Politik eingeleitet. Die Bevölkerung hatte stark darunter zu leiden:




    Ceauşescu hat die petrochemische Industrie weiter stark ausgebaut. Diese braucht viel Energie, und Ceauşescu hat entschieden, dass die Bevölkerung das tragen muss. So kam es zu den vielen Stromausfällen und der mangelhaften Heizung in den Wohnungen. Man hat die Bevölkerung in sehr schwierige Lagen versetzt. Es herrschte eine allgemeine Unzufriedenheit, die sich nach April 1989, als Ceauşescu die Zahlung aller Au‎ßenschulden bekannt gab, vertiefte. Ceauşescu wollte er selbst Kreditgeber werden und Zinsen für Kredite einkassieren. Mit anderen Worten befand sich Rumänien in einem viel schlimmeren Zustand als alle anderen sozialistischen Staaten, und so kam es zu dieser unglaublichen Unzufriedenheit. Im Dezember 1989 gingen Millionen Menschen auf die Stra‎ße, um Ceauşescu zu stürzen.“




    Wir haben Ioan Scurtu auch gefragt, warum die Kommunistische Partei überhaupt nicht reformiert wurde.



    Ceauşescu war sehr geschickt, er hat in einer relativ kurzen Zeit von 6-7 Jahren seine potentiellen Gegner in der Führung der Rumänischen Kommunistischen Partei (PCR) und des Landes ausgeschaltet. Er hat Leute, die ihm treu waren, gefördert. In den Memoiren von Dumitru Popescu, Mitglied im exekutiven Politausschuss des Zentralkomitees der kommunistischen Partei, habe ich gelesen, dass bei den Treffen dieses Führungs-Ausschusses nur Nicolae Ceauşescu sprach. Alle anderen hörten zu. Nach diesen Treffen musste Dumitru Popescu zu Fu‎ß nach Hause, ins Primăverii-Viertel gehen, um sich zu entspannen und die Kopfschmerzen los zu werden. Natürlich dachte er nicht, dass er auch eine Verantwortung trägt. Wenn nur Ceauşescu sprach und die anderen sich Notizen machten, hatte man das denen, die diese erniedrigende Lage akzeptiert haben, zu verdanken. Unglaublich war der Moment, in dem Ceauşescu empört war, dass keine harten Ma‎ßnahmen gegen die Demonstranten in Timişoara/Temeswar getroffen wurden, und sagte: ‚Ich kann mit diesem exekutiven Politausschuss nicht mehr arbeiten, wählt euch einen anderen Generalsekretär.‘ Und alle sagten: ‚Bitte, verlassen Sie uns nicht, wir sind Ihnen treu, wir bleiben an Ihrer Seite, mit Ihnen an der Spitze.‘ Nicht mal in dem Moment hatten sie den Mut, zu sagen: ‚Wir nehmen Ihren Rücktritt an, wir bilden eine kollektive Leitung und geben dem empörten Volk bekannt, dass Nicolae Ceauşescu zurück getreten ist.‘ Vielleicht hätte das Blutbad nicht mehr stattgefunden und man hätte einen anderen Weg gefunden. Der Opportunismus dieser Leute spielte eine sehr wichtige Rolle.“




    Das tyrannische, gierige und alleswissende Regime von Nicolae Ceauşescu endete im Dezember 1989. Leider mussten dafür 1204 Menschen sterben.