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  • Jugendliche in Rumänien: armutsgefährdet und politisch unterrepräsentiert

    Jugendliche in Rumänien: armutsgefährdet und politisch unterrepräsentiert

    Die 2018 durchgeführte Umfrage zeigt die Einstellung, Perspektive und das Selbstbild der Rumänen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren zu Themen wie Familie, Bildung, Lebensstil, Religion und Demokratie. Sie wurden mit jungen Menschen aus anderen europäischen Ländern, EU- und Nicht-EU-Mitgliedern, verglichen.



    Alle wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren, die sich auf junge Menschen in Rumänien beziehen, sehen sehr schlecht aus, sagt Gabriel Bădescu, einer der Autoren der Umfrage, die zusammen mit Daniel Sandu, Daniela Angi und Carmen Greab erstellt wurde. Einige dieser Indikatoren müssen jedoch in einem breiteren europäischen Kontext angewendet werden. So stimmen beispielsweise mehr als die Hälfte der rumänischen Befragten zu, dass Demokratie eine gute Regierungsform ist, aber 23% glauben immerhin, dass Diktatur unter bestimmten Umständen eine bessere Regierungsform als Demokratie sein könnte. Im Vergleich zu den anderen neun in die Erhebung einbezogenen Ländern Südosteuropas genie‎ßt die Demokratie in Rumänien die geringste Unterstützung, ungeachtet der in allen europäischen Ländern sichtbaren autoritären Tendenzen.



    Bemerkenswert ist, dass der Generationswechsel allein schon bessere, demokratieliebendere Bürger mit sich bringt, sagt Gabriel Bădescu:



    Dieser Rückgang der Bindung der Menschen an die Demokratie ist nicht gleichmä‎ßig über alle Altersgruppen verteilt. Tatsächlich hängt es sehr stark vom Alter des Befragten ab. Wenn wir von der Qualität der Demokratie sprechen, sollten wir wissen, dass junge Menschen eine gefährdete und problematische Kategorie sind. Problematisch, denn Studien zufolge ist es äu‎ßerst schwierig, bestimmte Einstellungen, sobald sie in jungen Jahren geprägt sind, später zu ändern; sie bleiben verwurzelt und verselbstständigen sich.“




    Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchte neben den Mentalitäten auch das Ausma‎ß der Unterstützung von Minderheiten in Rumänien und den anderen neun Ländern. Gabriel Bădescu erzählt uns, was die Ergebnisse sind:



    Die Unterstützung für Minderheitenrechte ist bei jungen Menschen gering. Rumänien hat bei mehreren Kategorien von Minderheiten aus allen zehn Ländern die niedrigste Unterstützung. Sie hat auch die zweitniedrigste Unterstützung für die ethnischen Minderheiten und die drittniedrigste, wenn es um die Rechte der Armen geht.“




    Die Studie hat auch ein Gefälle zwischen den Regionen Rumäniens sowie zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten festgestellt. Das Gefälle zwischen jungen Menschen in den städtischen Gebieten und denen in den ländlichen Gebieten widerspiegelt eine Benachteiligung der letzteren. Nach anderen Umfragen lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2017 im ländlichen Raum bei 37,3% und damit sechsmal höher als in städtischen Gebieten. Die 2018 durchgeführte Umfrage unter Jugendlichen zeigt, dass 23% der Jugendlichen in ländlichen Regionen unter der Kategorie NEET fallen, die für Not in Education, Employment or Training“ (dt. nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung“) steht, was bedeutet, dass sie keine formale Ausbildung absolvieren und auch nicht beschäftigt sind. Diese Zahl ist in den ländlichen Gebieten doppelt so hoch wie in den städtischen Gebieten, ein Unterschied, der in anderen EU-Ländern nicht zu finden ist.



    Die wirtschaftliche Situation wird von den Autoren der Umfrage zum Anlass genommen, um den relativ hohen Anteil junger Menschen zu erklären, die auswandern wollen. Im Gegensatz zu 2014, als eine ähnliche Umfrage durchgeführt wurde und 60% der 14- bis 29-Jährigen emigrieren wollten, sank diese Zahl 2018 auf fast 30%. Der Soziologe Daniel Sandu weist darauf hin, dass diese Zahl den Wünschen und nicht unbedingt konkreten Plänen entspricht, das Land zu verlassen:



    Es ist nicht entscheidend, wie intensiv dieser Wunsch ist, um festzustellen, ob sie das Land tatsächlich verlassen werden. Der Wunsch, zu gehen, kann vielmehr als Antwort auf die Frage interpretiert werden: Wie beurteilen Sie Ihre Chancen auf Selbstentfaltung in Ihrem eigenen Land? Wenn die wirtschaftliche Situation in Ihrem eigenen Land schwierig ist, wie im Jahr 2014, und wenn es weniger Möglichkeiten gibt, dann besteht die Tendenz, Ihre Abreise zu planen oder das Land verlassen zu wollen.“




    Zur Frage, wer das Land am stärksten verlassen will, zeigt die Umfrage einige überraschende Antworten, sagt der Soziologe Daniel Sandu:



    Wenn wir genauer hinsehen, bemerken wir eine bimodale Verteilung der Migrationsabsichten. Es gibt zwei sehr unterschiedliche Gruppen, an den gegenüberliegenden Enden. Eine Gruppe besteht aus jungen Menschen aus begünstigten Familien, die ein Auslandsstudium planen. Die Gruppe besteht aus jungen Menschen aus Familien, die Zugang zu materiellen Gütern haben, aber nicht aufgrund des Wohlstands ihrer Familien, sondern weil verschiedene Familienmitglieder bereits im Ausland sind. Sie schicken Geld zurück ins Land und geben diesen jungen Menschen Zugang zu Gütern, aber sie geben ihnen keine Stabilität und keine wirklichen Zukunftsaussichten in diesem Land.“




    Die Wahrnehmung der Zukunft basiert in der Tat darauf, wie die Gegenwart wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang bestätigt die Umfrage andere Statistiken. Die Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, Victoria Stoiciu, erklärt:



    Wie aus unserer Umfrage und anderen Studien hervorgeht, sind junge Menschen eindeutig eine unterprivilegierte Kategorie, in erster Linie wirtschaftlich. Wenn wir uns die Armutsquote unter jungen Menschen ansehen, und da meine ich die Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren, werden wir sehen, dass sie sehr hoch ist, höher als in anderen Altersgruppen. Wir beziehen uns in der Regel auf ältere Menschen oder Rentner, wenn wir solche Vergleiche anstellen. Das bedeutet nicht, dass ältere Menschen keine Probleme haben, sondern dass die wirtschaftliche Situation junger Menschen viel schlechter ist. Au‎ßerdem sind junge Menschen politisch unterrepräsentiert.“

  • Chancenlos am Arbeitsmarkt: Europas Jugend nach der Krise

    Chancenlos am Arbeitsmarkt: Europas Jugend nach der Krise

    Viele junge Europäer zwischen 16 und 30 Jahren fühlen sich in ihren Ländern ausgegrenzt — die meisten in Griechenland, wo 93% der Befragten dieser Aussage zustimmten, die wenigsten in Deutschland, wo 27% der jungen Menschen dieses Gefühl empfinden. Rumänien liegt mit 71% irgendwo dazwischen. Der Hauptgrund für die meisten ist, dass sie keine stabilen und anständig bezahlten Jobs finden, sagt Diana Filip, Chefin des Büros von EuropeDirect, der EU-Informationsstelle in Bukarest. Abgesehen von den Nachwirkungen der Krise gibt es dieses Problem, dass frischen Absolventen schon Berufserfahrung abverlangt wird — das passiert überall in der Union, nicht nur in Rumänien. Der Unterschied wäre aber, dass in den anderen Ländern auch praktische Lehrgänge — zum Beispiel Azubi-Verhältnisse und Berufsschulen einen hohen Stellenwert haben, nicht nur akademisch-theoretische Studien. Wir stellen deshalb fest, dass Volontariate und Internships immer wichtiger werden. In einem Gesetz wird das so geregelt, dass ein Praktikum als Arbeitszeit gilt, meint Diana Filip.



    Doch selbst vor dem Hintergrund der Unzufriedenheit mit dem rumänischen Arbeitsmarkt will eine gute Hälfte der jungen Leute nicht in einem anderen Land studieren. Laut Eurobarometer waren 85% nie zu Studien- oder Arbeitszwecken im Ausland. Wei sie aber aktiv in sozialen Netzwerken sind, würden sie gerne an öffentlichen Diskussionen mitwirken. Mihai Dragoş, Präsident des Verein Rat der Jugend, findet die beiden Aspekte eng miteinander verbunden. Zivilgesellschaftliches Engagement und der Wunsch, in Rumänien zu bleiben haben stark mit dem Versuch zu tun, die Situation im eigenen Land zu verbessern, sagt er. Das Interesse für demokratische Prozesse und für die Willensbildung ist echt, das zeigt das Eurobarometer. Eine signifikante Anzahl von jungen Leuten ist der Meinung, dass die sozialen Netzwerke im Internet einen Gewinn für die Demokratie darstellen, weil sie die Teilnahme an Kampagnen und den direkten Zugang zu Informationen fördern, die von den herkömmlichen Medien oft ignoriert werden, so Mihai Dragoş.



    Diese Aufbruchsstimmung im Land hat aber auch damit zu tun, dass Jugendliche weniger ans Auswandern denken. Man bemerkt, sagt Mihai Dragoş, eine Zunahme der Hetze und des Extremismus in einigen EU-Ländern und auch das hält junge Leute davon ab, in andere Länder zu gehen, um dort eine Zukunft zu suchen. Dazu kommt, dass manche Länder heute grö‎ßere Probleme mit der Arbeitslosigkeit haben als Rumänien, und das kann Auswanderungsträumen auch einen Dämpfer aufsetzen. Gute Chancen würde es auch in Rumänien mehr geben, wenn in Brüssel oder Stra‎ßburg ausgedachte Instrumente hier umgesetzt würden, glaubt Mihai Dragoş. Es gibt da seit 2014 ein EU-Programm mit dem Namen Garantie für die Jugend”, in dem Rumänien über 560 Millionen Euro ausgeben darf, um die jungen Leute auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Davon sollen besonders so genannte NEETs profitieren, also Menschen, die weder arbeiten, noch in irgendeiner Weise lernen oder studieren. Aber Rumänien hat mit der Umsetzung nicht begonnen und keinen einzigen Cent ausgegeben.”



    Und auch sonst ist die Situation problematisch, fährt der Experte vom Rat der Jugend weiter: Das rumänische Jungendgesetz sieht zwar Initiativen und Mittel für die Jugend vor, aber die meisten Kommunalverwaltungen rühren das Geld aber gar nicht an — und dort wo das passiert, gibt es keine ständige Überprüfung der Ausgaben. Dieses Geld ist dazu da, um den Kontakt zwischen Arbeitgebern und jungen Bewerbern zu vermitteln und um Aus- und Fortbildung sowie Beratung zu finanzieren. Dabei meldet Rumänien über 21% Jugendarbeitslosigkeit.



    Auch wenn sie nicht viel von dem EU-Angebot haben, ist das Interesse an Europa ungebrochen hoch. Fast 90 Prozent der Befragten gaben im Eurobarometer an, dass es wichtig sei, über die europäischen Institutionen Bescheid zu wissen. Und seitdem sie wissen, dass sie ihnen auch konkrete Chancen bieten können, sind junge Leute aus Rumänien immer besser über die Behörden der EU informiert, berichtet Diana Filip von EuropeDirect: Schon im Gymnasium wollen die Jugendlichen immer mehr wissen über das Institutionsgefüge der EU — nicht nur, weil sie eventuell an einem Job in Brüssel interessiert sind, sondern auch weil sie die Auswirkungen europäischer Politik auf die nationale Ebene, insbesondere am Arbeitsmarkt verstehen wollen”, sagt Diana Filip.