Tag: Ciprian Voicila

  • Erwachsene Obdachlose: Buch eines Soziologen gibt ihnen ein Gesicht

    Erwachsene Obdachlose: Buch eines Soziologen gibt ihnen ein Gesicht

    In den Gro‎ßstädten gehören die Obdachlosen zum Stra‎ßenbild. Die sogenannten normalen“ oder sozial integrierten“ Bürger zeigen ihnen entweder Mitleid oder Verachtung. In der Regel werden die Obdachlosen als Gruppe betrachtet, aber in Wirklichkeit sind sie Individuen wie du und ich, Menschen mit einem persönlichen Schicksal. Und genau das wollte der Soziologe Ciprian Voicilă mit seinem Buch Die Stra‎ßenerwachsenen. 15 Obdachlosen-Biographien“ dem Publikum klarmachen. Das Buch enthält 15 Interviews mit Obdachlosen aus Bukarest und ist mehr als eine soziologische Untersuchung — es ist eine Einladung zu Empathie. Als studierter Soziologe formulierte aber der Autor auch einige theoretische Betrachtungen. Ciprian Voicilă:



    Meine Gesprächspartner haben eins gemeinsam: Die meisten von ihnen sind ‚chronische‘ Obdachlose, das hei‎ßt, dass sie etwa 45 oder 50 Jahre alt sind und den grö‎ßten Teil ihres Lebens obdachlos waren. Im Durchschnitt lebten sie zwischen 6 und 25 Jahre auf der Stra‎ße. Während dieser Zeit wurden sie alkoholsüchtig — das gehört leider oft dazu. Und noch etwas haben sie alle gemeinsam: Da sie zwischen 45 und 50 Jahre alt sind und im kommunistischen Rumänien gute Arbeitsstellen in verschiedenen Fabriken oder staatlichen Unternehmen hatten, erweisen sich die heutigen Obdachlosen, die ‚Stra‎ßenerwachsenen‘, als kollaterale Opfer der Entindustrialisierung in der postkommunistischen Zeit. Einige von ihnen waren qualifizierte Facharbeiter, Maschinenschlosser oder Zerspannungsmechaniker, aber das Staatsunternehmen, wo sie angestellt waren, musste geschlossen werden, die Behörden hatten kein Interesse daran, ihnen eine Umschulung anzubieten, sie wurden arbeitslos, mittellos, und schlie‎ßlich obdachlos.“




    Wie auch in anderen Bereichen sind die offiziellen Statistiken über Obdachlosigkeit in Rumänien alt und nicht vielsagend. Gemä‎ß einer Untersuchung, die 2010 von dem Mobildienst für Soziale Notfälle (Samusocial) Rumänien durchgeführt wurde, lebten zu jenem Zeitpunkt nur in Bukarest 5.000 Obdachlose. Samusocial erstellte auch eine Liste mit den Ursachen, die dazu geführt hatten, dass die Betroffenen auf der Stra‎ße landeten: Scheidung, Konflikte in der Familie, Entlassung, Arbeitslosigkeit, keine Mittel, um die Miete zu bezahlen, Alkoholismus, Gewinnspielsucht. Au‎ßerdem sind viele Stra‎ßenerwachsene“ ehemalige Heimkinder, die keinen Anschluss in der Gesellschaft finden konnten. Und viele andere wurden Opfer von Unfällen und konnten nicht mehr arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.



    Es gibt auch Fälle von sozialer Reintegration, aber viele Obdachlose bleiben einfach auf der Stra‎ße. Das sind die chronischen“ Fälle von Obdachlosen, die in einen Teufelskreis geraten. Ciprian Voicilă:



    Je länger ein Obdachloser auf der Stra‎ße lebt, desto niedriger werden seine Chancen auf eine soziale und professionelle Reintegration. Der Alltag eines Obdachlosen ist geprägt von zahlreichen Anfeindungen und Gefahren, Armut und dem täglichen Kampf ums Überleben. Andererseits fühlt sich ein Obdachloser sehr oft frei, er kann überallhin wandern, er muss keine Rechnungen bezahlen und er hat keinen Chef. Wenn ein Obdachloser eines Tages einen Job findet, fällt es ihm schwer, in einem geschlossenen Raum mehrere Stunden am Tag diszipliniert zu arbeiten — er denkt immer wieder an die Zeit, als er alles tun und lassen konnte, wie er es wollte. Es gibt sicherlich auch Erfolgsgeschichten bei Samusocial, wenn ehemalige Obdachlose sich wieder in die Gesellschaft integriert haben. Die Prozentzahl derer, die in einen Teufelskreis der wiederholten Obdachlosigkeit geraten, ist aber leider höher. Aus irgendeinem Grund, wegen versteckter Depressionen oder aus Nostalgie nach der absoluten Freiheit, als sie sich niemandem unterordnen mussten, geben viele von ihnen auf und kommen nicht mehr zur Arbeit.“




    Mit Hilfe der Organisation Samusocial konnten wir uns auch mit einigen Obdachlosen unterhalten. Călin Niculae Niculescu ist etwa 60 Jahre alt; seit mehr als 13 Jahren lebt er auf der Stra‎ße. Nach der Scheidung hat er seine Wohnung verloren — von da an ging alles bergab. So stellt er sich selbst vor:



    Von Beruf bin ich Metall-Ingenieur, und ich machte auch eine Weiterbildung im Bereich Marketing-Management. Immer wenn ich mich um eine Stelle bewarb, sagte man mir, ich wäre zu alt.“



    Călin Niculae Niculescu hat es irgendwie geschafft, jahrelang auf der Stra‎ße zu überleben. Etwas verbittert ihn aber sehr:



    Die meisten Leute hassen uns, weil sie uns für Drogensüchtige halten. Viele gehen uns aus dem Weg, aber doch nicht alle. Das ist schon etwas Positives… Es ist wirklich nicht dasselbe, wenn ein hektischer Junge, ein Schnüffelsüchtiger, aus einem Kanal herauskommt, und wenn ich, ein normaler Mann, Ihnen entgegenkomme… Ich halte mich noch für einen normalen Menschen.“




    Cristian ist 24 Jahre alt. Mit 17 Jahren kam er aus Tulcea (im Osten Rumäniens) nach Bukarest und lebte auf der Stra‎ße. Mit Hilfe von Samusocial schaffte er die Reintegration in die Gesellschaft:



    Ich kam nach Bukarest, weil ich gehört hatte, in der Hauptstadt gäbe es mehr Chancen auf eine gute Arbeit, auf eine positive Entwicklung. Am Anfang war es sehr schwer, ich war ganz allein und kannte niemanden in Bukarest. Eine Zeit lang lebte ich auf der Stra‎ße, ich versuchte in den Treppenhäusern der Wohnblocks zu schlafen, aber die Bewohner jagten mich davon, weil sie Angst hatten, ich würde das Treppenhaus schmutzig machen. Ich konnte nie eine ganze Nacht irgendwo schlafen — ich schlief eine Stunde da, zwei Stunden dort…“




    Dank der NGOs, die ihm geholfen haben, aber auch weil er den festen Wunsch hatte, ein geregeltes Leben zu führen, hat Cristian jetzt einen Arbeitsplatz und eine Wohnung:



    Viele Obdachlose sagten mir, es würde sich nicht lohnen, ein guter, ehrlicher Mensch zu sein, sie sagten, es sei besser, wenn wir von den Reichen stehlen würden. Aber ich antwortete ihnen, dass es auch reiche Leute gibt, die den Obdachlosen helfen wollen, aber wenn wir diese Menschen beklauen, werden sie uns logischerweise nicht mehr helfen. Die anderen Obdachlosen hielten mich für dumm, weil ich ehrlich sein wollte. Samusocial war das Beste, was mir passieren konnte. Ich hatte keinen Ausweis mehr, meine Obdachlosenkollegen hatten mir alle Papiere geklaut. Ein Freund erzählte mir von Samusocial und ermunterte mich, hinzugehen. Die Leute von Samusocial haben mir geholfen, neue Papiere zu bekommen, sie haben mir auch den Arbeitsplatz beschafft, wo ich jetzt angestellt bin — bei einer NGO, die sich mit Papier-Recycling beschäftigt. Mir gefällt diese Arbeit sehr gut.“




    Eine Samusocial-Erfolgsgeschichte — ein positiver Anfang, der hoffentlich zu einem neuen Leben wird.

  • Homeless adults and their stories

    Homeless adults and their stories

    Usually, these people are treated by the so-called ‘normal or ‘integrated citizens with either pity or contempt. Also, they are taken into consideration as a group, although, in reality, they are individuals, like any of us, each of them with their own life stories.



    Sociologist Ciprian Voicila focused on these very stories in his book titled “Street adults. 15 homeless biographies. The book includes interviews with 15 homeless people, and its not a mere sociological study, but an invitation to empathy. As a sociologist, Ciprian Voicila did draw some theoretical conclusions, though:



    Ciprian Voicila: “One common element that all those I have interviewed share is that they are ‘chronic cases, in the sense that they are all over 45, and have spent most of their lives in the street. On average, theyve lived as homeless people for 6 to 25 years. In the meantime, many of them have become alcohol addicts, which is quite understandable. Another common element is that most of them had good jobs during the communist regime, so they can be regarded as collateral damage of the deindustrialisation process. For instance, if they used to work as mechanics and their company was closed down, authorities had no interest in retraining them, so they have become homeless.



    Just like in relation to other issues, official statistics are old and inconclusive. According to a study conducted by Samusocial Romania – a mobility aids service for welfare cases – there were some 5000 homeless people in Romania in 2010. Samusocial also drew up a list of causes that lead to people getting in this situation: divorce or family conflicts, lay offs, the impossibility to pay rent, alcoholism, gambling, but also the fact that many of them grew up in childrens homes.



    Also, many of them have been victims of accidents after which they could no longer provide for themselves. Although some of them manage to integrate into society, many of them do not, so they get to live on the streets. These are the ‘chronic cases described by Ciprian Voicila in his book.



    Ciprian Voicila:The longer a person lives in the street, the slimmer his or her chances of being socially and professionally reintegrated. Just imagine what it is like, although you may experience dangerous situations, to live freely, without having to pay bills, without having bosses, and having the whole city of Bucharest available for you to take strolls all day long. And thus difficulties emerge when they manage to find a job, as they take as reference point the period of time when they were free, without having to work and to spend several hours in a closed space. But the Samusocial organisation also has many successful stories in store, actually life scenarios about former homeless people who have been recovered. In another move, Ive been told there is a high percentage of homeless people who cant escape the cycle and keep repeating it. For one reason or another, because of disguised depressions or nostalgia for their absolute freedom when they were not subordinated to anyone, many of them give up and no longer go to work.



    Thanks to the Samusocial association we have managed to talk to some homeless people. Mr. Niculescu Călin Niculae is about 60 years of age and has been living in the street for more than 13 years. He ended up in the street following a divorce, when he also lost his home.


    Niculescu Călin Niculae: “I am a metallurgical engineer by profession, and I have also attended post-university marketing-management courses. Each time I was looking for a job, my age was a hindrance.



    Mr Niculescu managed to survive in spite of leading a difficult life in the street, but he is still very sad about something else.



    Niculescu Călin Niculae: “People look down on us, with hatred and enmity, because more often than not they take us for people on drugs and avoid us, but not all of them. This is a positive side of the issue… It is one thing to see an agitated young man going out of a sewer home after taking drugs and a completely different thing to see a normal person like me. I still consider myself a normal man.



    Cristian, now 24 years old, arrived in Bucharest from Tulcea, when he was 17. He tells one of the successful stories of the Samusocial association.



    Cristian: “I have come here because I heard one stands more chances to get employed and evolve a little bit. It was very difficult at first, because I was alone and I didnt know anybody. I lived in the street for a while. It was really difficult, I tried to find shelter in the hallways of various blocks of flats, but the owners used to chase me away, for fear I should devastate the place. So, I only took naps.



    Thanks to NGOs and his wish to lead a decent life, Cristian now has a job and a home.



    Cristian: “There were many people telling me its no longer worth trying to be a good person, that it is better to steal from the rich ones. I told them I believed the opposite was true, that there were many rich people willing to give a helping hand, but if we steal from them, it is commonsensical to believe they will no longer be willing to help. They told me I was a fool for trying to be fair and honest. Samusocial has brought the best change in my life. I was left without ID papers, which had been stolen from me by homeless people. A friend of mine told me about Samusocial who also advised me to go to them. I went there and I received new IDs. Thanks to them I got a job. I still work there, for an NGO, which is recycling paper. I like very much what I do there.



    Its only a beginning, which will hopefully herald new times.