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  • Bessarabien im Zarenreich des 19. Jh.: Spielball der Großmächte

    Bessarabien im Zarenreich des 19. Jh.: Spielball der Großmächte

    812 wurde Bessarabien — der östliche Teil der moldauischen Fürstentums — zum ersten Mal von Russland annektiert. Das Ereignis prägte und prägt auch noch heute die Beziehungen zwischen Rumänien und Russland. 1812 rückte Russland näher an die Donau heran. Es war die Zeit der napoleonischen Kriege, die ganz Europa erschütterten. Russland kämpfte gegen Frankreich und das Osmanische Reich, um die Meeresengen zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer zu erobern. Zwischen dem Osmanischen Reich und Russland lagen die rumänischen Fürstentümer.



    Infolge des russisch-türkischen Krieges von 1806-1812, der mit dem Friedensvertrag von Bukarest endete, wurde die östliche Hälfte des Fürstentums Moldau, das sogenannte Bessarabien, von Russland besetzt. Die jetzige Moldaurepublik entstand also im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Frankreich, Russland und dem Osmanischen Reich. Der Historiker Andrei Cuşco von der Universität in Kischinew dazu:



    Die Annektierung Bessarabiens vom Russischen Reich in 1812 wird manchmal als uninteressant betrachtet. Es wird als militärisch-diplomatische Abmachung angesehen. Natürlich ging es auch darum, aber im Jahr 1812, als Russland näher an die untere Donau rückte, gab es einen harten Wettkampf zwischen dem Reich Napoleons und dem Russischen Reich. Schon von Anfang war das Problem Bessarabien, das keinen direkten Zusammenhang zu den napoleonischen Kriegen hatte, eine Folge der Rivalität zwischen den Weltreichen. Die russische Armee zog sich nach Bessarabien zurück. Die rumänischen Fürstentümer wurden nicht in ihrer Gänze annektiert. Aus russischer Sicht erweitert das Zarenreich seine Macht nicht, sondern zieht sich zurück.“




    Bessarabien wird als künstliches politisches Gebiet aus der Taufe gehoben. Und das merkt man auch aus den unklaren Reaktionen und dem Verhalten der russischen Beamten, die in die Region kommen und am Anfang nicht so recht wissen, was sie dort anfangen sollen. Der Historiker Andrei Cuşco meint, die russische Verwaltung habe drei Pläne für dieses Territorium erstellt:



    Es gibt drei Denkansätze für diese Region, die einander ablöten. Der erste Ansatz kam gleich nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags: Bessarabien musste ein Schaufenster, ein Modell für die balkanischen Völker werden. Bessarabien war dem griechischen Projekt, so wie dieses am Anfang des 19. Jahrhunderts wahrgenommen wurde, unterstellt. Wichtiger war den Russen eigentlich, was südlich der Donau passierte. Damit galt Bessarabien zunächst als ein Gebiet nördlich der Donau, das den Osmanen abgerungen worden war.“




    Die Erfindung Bessarabiens war ein komplexerer Prozess. Dabei spielten die Ideen der Epoche betreffend den Staat, den Verwaltungsaufbau, das Experimentieren mit modernen Errungenschaften und die Rolle, die Russland dabei einnehmen sollte, eine gro‎ße Rolle. Der Historiker Andrei Cuşco berichtet weiter:



    Viel interessanter sind die anderen beiden Visionen. Eine Vision im Kopf der russischen Bürokraten verknüpft Bessarabien mit den westlichen Randgebieten des Reiches: Polen, Finnland, die baltischen Staaten. Diese verfügten über eine historische Tradition und erfreuten sich eines privilegierten Status in der Zeit der administrativen Experimente in den Randgebieten während der Herrschaft von Alexander I. 1818 wird das Autonomie-Experiment in Bessarabien eingeleitet, worauf weniger als ein Jahrzehnt später verzichtet wurde, weil die russischen Bürokraten immer auf lokale Vermittler, auf den örtlichen Adel angewiesen waren. Sie finden hier aber keinen Adel wie in Finnland oder Polen. Da kommt, was ich als Dualität des moldauischen Raumes nenne, zum Vorschein, weil wir nicht von einer kulturell stark geprägten Region sprechen können. Bessarabien befindet sich in den ersten Jahrzehnten nach der Annexion in einem Prozess der Umgestaltung, zumindest bis 1834, als es schwierig wird, die Grenze über den Pruth zu passieren. Die echte Grenze war der Dnjestr geblieben.“




    Es gab noch einen dritten russischen Plan für die Integration Bessarabiens in das Zarenreich, der letzten Endes im 19. Jahrhundert angewandt und später, zu sowjetischen Zeiten, weitergeführt wurde. Der Historiker Andrei Cuşco gibt wieder Auskunft:



    Der dritte administrative Plan zur Integration Bessarabiens ins Russische Reich wird sich durchsetzen. Dabei handelt es sich um die Zusammenlegung Bessarabiens mit der im Osten angrenzenden Region Neu-Russland. Das geschieht gleich nach 1828, nach dem Ende der Autonomie. Bessarabien wird immer mehr als ein Kolonisationsraum betrachtet, den es mit fremden Kolonisten aus dem Süden zu besiedeln gilt. Aus russischer Sicht war das Autonomie-Experiment von 1818 unvorstellbar und nicht mehr nutzbringend geworden. Die Impulse und Modelle der russischen Bürokraten waren aber nicht so vernünftig, wie sie die Historiker von darstellen. Bis in den 1830er Jahren war Bessarabien auf den russischen Karten nicht als vom Rest des rumänischen Raumes getrennte Region eingezeichnet.“




    Bessarabien wurde zu einem russischen Gouvernement am Rande des Zarenreiches. Die Mehrheit der Bevölkerung ist auch heute noch rumänischstämmig, die Geschichte der Region ist aber von ihrem Status als Spielball der Gro‎ßmächte abzuleiten.

  • Bessarabien: Spielball der Mächte im russisch-türkischen Frieden von 1812

    Bessarabien: Spielball der Mächte im russisch-türkischen Frieden von 1812

    Die alte russisch-türkische Rivalität verkomplizierte die Verhältnisse in diesem Teil Europas. Durch den Vertrag von Tilsit von 1807 willigte Napoleon I. ein, dass Russland die rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei besetzt, falls das Zarenreich über die Osmanen siegt. Nach sechs Jahren Krieg unterschrieben die Mächte einen Friedensvertrag in Bukarest, am 28. Mai 1812. In der bekannten Karawanseray des Armeniers Manuc wurde die Annektierung Bessarabiens besiegelt, also des Streifens zwischen Pruth und Dnjestr. Unter welchen internationalen Voraussetzungen verhandelt wurde, erzählt Andrei Cuşco von der Universität Chişinău:



    Es kommt also offensichtlich zur Teilung des Fürstentums der Moldau. Die Annektierung findet zu einem für das Russische Reich sehr kritischen Zeitpunkt statt, im Kontext der Vorbereitung der Invasion Napoleons. Der seit 1806 dauernde russisch-türkische Krieg musste schnellstmöglichst beendet werden. Das ist die Priorität, die den damaligen Ablauf der Ereignisse erklärt. Die Pläne des russischen Reiches waren ja ambitionierter, es ging um die Besetzung beider rumänischer Fürstentümer. Darum ging es auch bei den Verhandlungen zwischen Zar Alexander I. und Napoleon vor 1812. Später einigte man sich nur auf die Moldau. Gegen Frühling 1812 waren die Russen bereit, einzulenken. Die Ereignisse überstürzten sich, sie gaben sich mit der Moldau allein zufrieden, allerdings bis zur Grenze auf dem Sereth-Fluss.“




    Das Zarenreich gab also schrittweise nach und musste sich letztendlich dem Druck des Moments beugen und sich nur mit dem Ostteil der Moldau zufriedengeben, sagt Andrei Cuşco.



    Warum wurde der Pruth zur Grenze? Weil Zar Alexander I. es so seinen Unterhändlern vorgegeben hatte. Der zukünftige Marschall und Napoleon-Besieger Michail Kutusow und der später in Bukarest eingetroffene Admiral Tschitschagow sagten klar, dass der Pruth die maximalste Konzession der russischen Seite sei. Am 28. Mai 1812 entstand also aufgrund des Friedens von Bukarest eine neue Region, die damals noch nicht Bessarabien hie‎ß. Im ersten Jahr der Besatzung hie‎ß sie einfach »Moldau jenseits vom Dnjestr«. Das hatte weder geographisch noch historisch und auch nicht territorial irgendwelche Tradition. »Bessarabien« war ursprünglich nur der Namen des südlichen Teils, des Budschaks, der bis zum russisch-türkischen Krieg von den Tataren besetzt war.“




    Manche Historiker sind aufgrund der Dokumente zur Auffassung gelangt, dass der Verlust des Ostteils der Moldau auf das stümperhafte Vorgehen der osmanischen Unterhändler zurückzuführen sei. Hätten sie die Unterschreibung des Friedens weiter verzögert, hätten die Russen nicht einmal dieses Gebiet annektiert.



    Es wird auch gesagt, dass man vielleicht die Teilung der Moldau hätte vermeiden können, wenn nur der Sultan einige Monate bis zur Invasion Napoleons gewartet hätte. Das kann man so direkt nicht beantworten, aber es gab mehrere Möglichkeiten, die man berücksichtigen kann — was sich tatsächlich zugetragen hat, ist nur eine davon“, meint Andrei Cuşco — so könne man ihm zufolge auch spekulieren, was passiert wäre, wenn die Russen die gesamte Moldau annektiert hätten. Es sei nicht auszuschlie‎ßen, dass das gesamte rumänische Nationalgefüge nicht in der Form entstanden wäre, in dem wir es heute kennen, sagt der Historiker. Russland war damals in voller Expansion und nicht zu halten. Andrei Cuşco sieht deshalb auch einen Lichtblick im Dunkeln der Annektierung:



    Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Russen am Dnjestr Halt gemacht hätten, diese Grenze hatten sie bereits 1792 erreicht. Diese Version der Ereignisse hat für die moldauische Eliten ein Dilemma angeregt, für die Bevölkerung weniger. Der westliche Teil der Moldau hat gerade deshalb eine Vereinigung mit der Walachei angestrebt, um einen Gegenpol zu Russland zu schaffen. Die Annektierung von 1812 hat das Projekt der Vereinigung der rumänischen Fürstentümer gewisserma‎ßen beschleunigt — dahingehend haben wir eine positive Konsequenz.“




    Aus Sicht der Menschen in Bessarabien führten die Ereignisse natürlich zu neuen Komplikationen, meint Andrei Cuşco. Die östlichen Gebiete koppelten sich ab. Trotz enger Verbindungen zu den gleichsprachigen Menschen östlich des Pruth war 1848 Bessarabien vollständig in Russland integriert.