Tag: Deutsches Staatstheater

  • „Klein-Wien“: Temeswar, die reizvolle Stadt in Westrumänien

    „Klein-Wien“: Temeswar, die reizvolle Stadt in Westrumänien

    Die Stadt liegt im Westen Rumäniens, knappe 700 Km von 13 europäischen Hauptstädten entfernt. Temeswar war im Laufe der Zeit stets an den Kulturwerten des alten Kontinents gebunden. Temeswar ist die Stadt historischer Premieren — 1718 zum Beispiel wurde hier die älteste Brauerei in Rumänien urkundlich erwähnt. Darüber hinaus war Temeswar die erste Stadt der habsburgischen Monarchie, dessen Stra‎ßen durch Stra‎ßenlampen beleuchtet wurden. Au‎ßerdem wurde Temeswar am 12. Oktober 1884 eine der ersten elektrisch beleuchteten Städte Europas. Ebenfalls in Temeswar fuhr ab 1889 die erste elektrische Stra‎ßenbahn in Rumänien.



    Das heutige Stadtzentrum am Piaţa Victoriei (dt. Siegesplatz oder Opernplatz), der bekanntesten Flaniermeile der Stadt, besteht aus einem breiten Boulevard mit Geschäften und Stra‎ßencafés in zahlreichen gro‎ßbürgerlichen, am Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Wohnpalais. Der Platz liegt zwischen der rumänisch-orthodoxen Kathedrale der Heiligen drei Hierarchen und dem Nationaltheater und Opernhaus. Ebenso sehenswert ist der alte Festungskern der Stadt (Cetate) rund um den Piaţa Unirii (auch Domplatz“) mit ihren repräsentativen, zumeist aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammenden Kirchen und Palais. Die Innenstadt wird wegen der langen Zugehörigkeit der Stadt zu Österreich-Ungarn und der damit verbundenen Prägung durch Bauten aus der Kaiserzeit auch als Klein-Wien“ bezeichnet, da sie an das alte Wien erinnert.



    Im Jahr 2021 soll Temeswar Kulturhauptstadt Europas sein. Zu den Vorbereitungen, die die Lokalbehörden zu diesem Zweck treffen, gehört die Sanierung des Altstadtkerns und die Einrichtung von thematischen Touristenrouten. Eine etwas jüngere Attraktion in Temeswar, die vor allem Familien mit Kindern anspricht, ist das Wasserkraftwerk, das einst einen gro‎ßen Teil der Stadt mit Strom versorgte. Mehr über das Projekt erzählte uns Violeta Mihalache, Vorsitzende des Vereins Urban Survey und PR-Verantwortliche im Rahmen des Projektes Aquapic:



    Das Wasserkraftwerk liegt derzeit in einem bewohnten Stadtviertel, in ein 100 Jahre altes Gebäude. Das Gebäude wurde im Art-Nouveau-Stil errichtet. Die Baupläne entwarf der erste leitende Architekt der Stadt, László Székely, der die städtische Entwicklung von Temeswar entscheidend prägte. In unmittelbarer Nähe liegt ein wundervoller Park, der sich auf fast 3 Hektar erstreckt. Im Rahmen des Projektes nahmen wir uns vor, knapp 2 Hektar des Parks umzugestalten. Demnach montierten wir verschiedene Spielanlagen, die den Kindern die Möglichkeit bieten, mehr über das Wasser und die Abläufe, die es in der Natur durchläuft, zu erfahren. Wir haben alle Anlagen bewahrt, die früher im Wasserkraftwerk waren — Maschinen, Wannen, Ausrüstungen — praktisch alles, was es drinnen gab, als 1916 der Betrieb startete. Wir versuchten das frühere Wasserkraftwerk in einen freundlichen Ort umzugestalten, wo man etwas dazu lernen kann. Erwachsene wie Kinder können anhand des nachgestellten Wasserkraftwerks die technologischen Abläufe zur Herstellung von Industriewasser nachvollziehen.“




    Seit 1953 ist Temeswar die einzige europäische Stadt, die drei Staatstheater in drei verschiedenen Sprachen beherbergt. Das Nationaltheater ist gleichzeitig der Sitz des Deutschen Staatstheaters (DSTT), des Ungarischen Staatstheaters Csiky Gergely“ sowie des Nationaltheaters Mihai Eminescu“. Eintrittskarten zu den Aufführungen können sowohl im Internet wie auch am Verkaufsschalter vor Ort gekauft werden.

  • Theaterfestival Eurothalia 2017: Unkonventionelle Aufführungen gegen Grenzen des Konventionellen

    Theaterfestival Eurothalia 2017: Unkonventionelle Aufführungen gegen Grenzen des Konventionellen

    Das Theaterfestival in der westrumänischen Stadt gilt als eines der experimentierfreudigsten in Rumänien. Andreea Andrei, Theaterwissenschaftlerin, brachte unter dem Stichwort Grenzen Aufführungen und bedeutende Namen des europäischen Theaters zusammen. Im Folgenden erläutert sie das Konzept, das die Organisatoren 2017 gelten lie‎ßen:



    Das Festival »Eurothalia« schlägt ebenfalls Aufführungen vor, die keine klassischen Theateraufführungen sind. Es sind Veranstaltungen mit einer unterschiedlichen Ästhetik. Ich glaube, es ist sehr bedeutend, dass wir uns alle die Frage stellen, ob es Grenzen gebe, ob wir diese Grenzen überschreiten können, ob wir sie akzeptieren oder ausweiten können. Andererseits leben wir in einer Welt, in der immer mehrere Mauern, Schranken und Zäune um uns errichtet werden. Wir leben in einer konservativen Welt, in der wir die Unterschiede nicht akzeptieren. Es ist sehr bedeutend, dass wir durch die Aufführungen unsere geistigen Grenzen testen. Dieses Thema wurde in diesem Jahr in unterschiedlicher Art und Weise ausgedrückt. In der ganzen Woche haben wir über die physischen Grenzen gesprochen, über die Grenzen des Körpers, über die Grenzen der verbalen Kommunikation, über die Mauer zwischen Zuschauern und Schauspielern sowie über die Grenzen der Ethik und Moral im Theater.“




    Das Deutsche Staatstheater in Temeswar hat in diesem Jahr als Gastgeber des Festivals Eurothalia mehrere Must see“-Inszenierungen auf die Bühne geholt. Der belgische Künstler Wim Vandekeybus hat zusammen mit seiner Theatergruppe Ultima Vez am Ende des Festivals die Aufführung In Spite of Wishing and Wanting“ präsentiert. Die Aufführung wurde 1999 zum ersten Mal gespielt und stellt ein bedeutendes Moment in dem Werk von Vandekeybus dar. 2016 wurde es neuinszeniert, diesmal nur mit männlichen Darstellern. Die Show sorgte für Sensation in der ganzen Welt. Die bekannten Symbole der Träume, der Wünsche werden ihrer psychoanalytischen Klischees entblö‎ßt und in die poetische Tanzsprache der Gruppe Ultima Vez umgestaltet. Die Grenzen sind interessant und können negativ oder positiv betrachtet werden, meint Vandekeybus, den wir über die Grenzen seiner Show in der Beziehung zum Publikum gefragt haben:



    Wir haben versucht, die Idee auszudrücken, dass die Menschen Tiere sind, die gro‎ße Wünsche haben und alles erklären wollen. Dafür haben wir das Theater. Deshalb stehlen wir. Das Theater stiehlt vom Leben. Hier auf der Bühne bestehlen wir uns gegenseitig. Einer sagt etwas und der andere eignet sich das gleich an. Danach behauptet jeder, dass es sein Wunsch sei, dass es seine Worte seien. Nichts ist originell. Es ist ein bisschen showartig. Es ist ein Teil aus einer Geschichte von Julio Cortázar über einen Verkäufer, der die letzten Worte, die der Mensch vor dem Tod sagt, verkauft. Er verkauft sie, damit du wei‎ßt, was du am Ende des Lebens sagen musst. Er verkauft ganz persönliche Sachen. Ich glaube, dass wir heute alles kaufen können. Man kann Liebe kaufen, man kann sogar Leben kaufen.“




    Das Programm des europäischen Theaterfestivals Eurothalia hat ebenfalls die Sektion Eurothalia Xtension eingeschlossen, die zusammen mit dem Verband Temeswar — europäische Kulturhauptstadt 2021“ organisiert wurde. Chris Torch, künstlerischer Leiter, sagte uns:



    Wir haben am Anfang der Vorbereitungsaktionen für das Projekt Temeswar 2021 einen Teil unseres Programms, den wir »Xtension« nennen, identifiziert. Wir haben uns an Institutionen und Organisationen in Temeswar gewandt und sie gefragt, ob wir im Vorfeld etwas hinzufügen könnten, was der Stadt fehlt und dennoch bedeutend ist. Da lag es auf der Hand, mit Eurothalia zusammenzuarbeiten. Es geht um ein wunderbares Festival. Wir haben das dänische Ensemble Odin Teatret nach Temeswar gebracht, weil wir uns für seine Erfahrung hinsichtlich des Lernprozesses und der Arbeit in Holstebro mit dem Projekt Holstebro Fest Week interessieren. Die Künstler bringen für eine Woche die ganze Gemeinschaft zusammen, um gemeinsam zu schöpfen. Sie arbeiten zusammen mit der Polizei, mit den Soldaten, mit den Einwanderern. Odin Teatret koordiniert all diese künstlerischen Tätigkeiten.“




    Odin Teatret, die Theatergruppe, die in der zweiten Häfte des 20. Jh. unter der Leitung des Regisseurs Eugenio Barba das Theater revolutionierte, hat ihren Sitz in der dänischen Provinz Holstebro, wo sie das Festival gründetet hat, das ein Vorbild wurde für die gemeinschaftliche Einbeziehung der Künstler.



    Das Festival Eurothalia hat ein aufgeschlossenes Publikum, das sich überraschende und herausfordernde Aufführungen wünscht. Die Theaterwissenschaftlerin Andreea Andrei dazu:



    Wir erfreuten uns kräftigen Beifalls bei allen Aufführungen. Die Zuschauer hatten die Geduld und die Neugier, offen für aktuelle soziale Themen zu sein. Wir waren recht überrascht, dass das Publikum derartige Aufführungen liebt. Das widerspricht der Meinung zahlreicher Theater- oder Festivalmanager in Rumänien, die behaupten, unser Publikum sei sehr konservativ.“

  • Theaterpremieren in Temeswar: gelebte Multikulturalität

    Theaterpremieren in Temeswar: gelebte Multikulturalität

    Es gibt keine Gegend in ganz Europa, in der die Ethnien so vielfältig sind wie im Banat“, schrieb im letzten Jahrhundert der englische Historiker und Politiker R. W. Seton Watson in seinem Werk Europe in the Melting Pot“. Temeswar, ein ausgesprochen multikultureller Raum, ist eine Stadt, die drei öffentliche Theater im demselben Gebäude beherbergt, die Schauspiele in drei unterschiedlichen Sprachen inszenieren: Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Es handelt sich um das rumänische Nationaltheater, das Deutsche Staatstheater und das Ungarische Staatstheater Gergely Csiky“ in Temeswar. Neben den rumänischen Regisseuren, die hier tätig sind, gehört zur Strategie der drei Theater die Einladung ausländischer Regisseure. Beweis dafür stehen die drei Premieren, die am Ende des Jahres aufgeführt werden und über die wir heute sprechen.



    Pál Frenák, einer der bekanntesten europäischen Choreografen und Tänzer teilt sein Künstlerleben zwischen Paris und Budapest. Die Temeswarer sind mit seinen Schöpfungen bereits vertraut, denn Frenák wurde an mehreren Auflagen des FEST — FDR (das Europäische Schauspielfestival Temeswar — Festival der Rumänischen Dramaturgie) eingeladen und war auch der erste ausländische Gastregisseur, der unter dem Motto sWitch“ eine Tanztheateraufführung am Temeswarer Nationaltheater inszenierte. Anfang Dezember schlugen Pál Frenák und das Temeswarer Nationaltheater dem Publikum die Theater- und Tanzaufführung Im Traum“ vor, einen umgekehrten Road-Movie, in dem sich Theater, Tanz und Kino verflechten. Ada Hausvater, die Leiterin des Nationaltheaters Temeswar:



    Es handelt sich um Geschichten unserer Zeit, die auf zeitgerechte Art erzählt werden. Es sind verschiedene Geschichten, die durch den Körper erzählt werden. Und auch viel Energie. Es sind wunderbare Bilder, die Schauspieler sind wunderbar, es sind einige fabelhafte Tänzer dabei. Alles wird durch den Tanz erlebt! Es ist eine schöne Geschichte, mit einem echten Cadillac in der Mitte der Bühne. Wir befinden uns im Auto, auf der Autobahn; abhängig von den persönlichen Anhaltspunkten haben wir die Gelegenheit, an berühmte Persönlichkeiten zu denken. Je mehr man wei‎ß, desto glücklicher ist man. Es ist ein besonders herausforderndes und intelligentes Schauspiel. Das ist für mich das Wichtigste, was Pál geschaffen hat. In diesem Schauspiel bleibt die Emotion der Hauptantrieb.“




    Der Multikulturalismus der Stadt am Bega-Fluss widerspiegelt sich auch in der Strategie des Nationaltheaters Temeswar. Ada Hausvater, die Leiterin der Anstalt:



    Es ist für uns sehr wichtig, mit Künstlern aus anderen Ländern zu arbeiten, gemeinsam unsere Erfahrungen und Ideale ins Nationaltheater zu bringen und jene Gemeinsamkeiten zu finden, die das Theater und das Schauspiel weiterbringen. Meiner Ansicht nach ist es unsere Pflicht, als Nationaltheater unsere Türen dem Neuen gegenüber zu öffnen. Damit uns das gelingt, müssen wir der Vielfalt Bedeutung verleihen. Es war wichtig für mich von Anfang an, dass das Theater sich nicht nur in einer Richtung öffnet und nicht zu urteilen: Das ist gut, das ist schlecht. Was uns wichtig als Mentalität erscheint, ist, die Kreativität zu fördern, die Fähigkeit des Einzelnen, originell und sensibel zu sein.“




    Zur Strategie des Deutschen Staatstheaters Temeswar gehört auch die Einladung einiger Regisseure aus dem Ausland. Lucian Vărşăndan, Leiter des Deutschen Staatstheaters in Temeswar (DSTT):



    Das Deutsche Staatstheater Temeswar hat als Ziel die Vorführung von deutschsprachigen Künstlern in Rumänien. Das erinnert mich an ein Gespräch mit einer Zuschauerin vor einigen Jahren, die mir gesagt hat, sie möchte im Deutschen Theater ab und zu sehen, wie man Theater im deutschsprachigen Raum macht. Die heutige Dramatik gehört zu den interessantesten und ist den grundlegenden Themen des zeitgenössischen Menschen gewidmet. In diesem Kontext ist es für uns wichtig, die Werke bedeutender Regisseure aus diesem Raum vorzustellen, von Regisseuren, die ihren Ruhm nicht nur im deutschsprachigen Raum erlangt haben, sondern auch über die Grenzen dieses Kulturraums hinaus bekannt sind. Ganz gewiss ist Volker Schmidt einer der Künstler, die all diese Voraussetzungen erfüllen. Seine Unterschrift, sei es als Regisseur oder als Dramaturg, findet sich auf Plakaten in vielen europäischen Ländern wieder, in zahlreichen Sprachen. Er ist also ein Regisseur und ein Schöpfer, der dem zeitgenössischen Theater stark verbunden ist.“




    Der Österreicher Volker Schmidt verzeichnet seine dritte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Staatstheater in Temeswar. Er hat an diesem Jahresende seinen eigenen Text inszeniert — Eigentlich schön“ hei‎ßt die Produktion. Ein Schauspiel über das persönliche Leben der Menschen im heutigen Europa, das manchmal bei Weitem nicht so schön und fröhlich ist, wie sie in den Social Media oft inszenieren. Volker Schmidt:



    ›Eigentlich/actually/de fapt‹ ist das das Wort unserer Generation, sagt man. Dieses sagt aus, dass alles in Ordnung sei, aber in Wirklichkeit fehlt etwas. Ich hatte die Idee, diesen Titel zu verwenden, um darüber ein Theaterstück zu schreiben. Dieses dreht sich um diese leere Mitte. Es handelt von der Generation im Alter von rund 30 Jahren oder der Generation ›Eigentlich‹, die in einer Welt aufgewachsen ist, die alles hatte, aber politisch nicht korrekt handelt. Sie wollen alles offen lassen, alle Möglichkeiten haben, die ganze Zeit die Wahl haben, aber sie wollen sich nicht selbst erklären, sich selbst definieren.“




    Wir schlie‎ßen mit dem Ungarischen Staatstheater Gergely Csiky“, natürlich in Temeswar. Hier hat auch am Ende dieses Jahres Zoltán Puskás, unabhängiger Regisseur und Schauspieler aus Zenta (Serbien), das berühmte Musical Hair“ inszeniert. Die Einladung ausländischer Regisseure gehört auch zur Strategie des Theaters Gergely Csiky“. Schauspieler Attila Balázs, Leiter der Anstalt:



    Wir sind in diesem Teil des Banats, wo wir sehr nahe an Ungarn, an Serbien leben… Man kann sogar sagen, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Auch wenn wir unterschiedliche Sprachen sprechen, verstehen wir uns sehr gut. Regisseur Zoltán Puskás hat bereits Musikaufführungen auf der Bühne des Ungarischen Theaters in Temeswar inszeniert. Ich denke, dass wir uns jetzt Mut gemacht haben und mit dem Musical »Hair« einen gro‎ßen Schritt nach vorne gemacht haben. In dieser Spielzeit haben wir auch eine Zusammenarbeit mit einem weiteren Regisseur aus Serbien, der in Montenegro geboren wurde. Der Balkan ist sehr interessant und lebendig. Da wir uns in unmittelbarer Nähe befinden, wissen wir, was da passiert, denn es gibt das Euroregionale Theaterfestival TESZT. Natürlich möchten wir auch weitere Regisseure einladen. Z.B. ziehen wir auch einen amerikanischen Regisseur in Erwägung. Aber nicht das ist wichtig. Die Linie, die das Ungarische Theater in Temeswar befolgt, ist wichtig. Es ist eine zeitgenössische Linie, mit lebendigen Schauspielen, mit einem energischen Ensemble, das gute Ergebnisse erzielen möchte.“

  • Theaterfestival Eurothalia in Temeswar: Klassiker und neue Trends trafen zusammen

    Theaterfestival Eurothalia in Temeswar: Klassiker und neue Trends trafen zusammen

    Beim diesjährigen Eurothalia-Festival wurden in Temeswar Inszenierungen wichtiger europäischer Regisseure wie Oskaras Koršunovas, Silviu Purcărete, Jan Lauwers oder Wim Vandekeybus präsentiert. Ferner konnte das Publikum Aufführungen sehen, die eine neue Theaterästhetik verwenden wie die vom Theater Anton Pann“ aus Râmnicu Vâlcea, Teatru-Spălătorie aus Chişinău oder vom Ungarischen Staatstheater Csiky Gergely“ aus Temeswar. Die Theaterwissenschaftlerin Andreea Andrei hat die Festivalstücke 2015 ausgesucht:



    Im Laufe der Jahre hat sich unser Festival stark verändert. In den vorigen Jahren hatten wir vorwiegend rumänische Aufführungen; bei dieser Auflage versuchten wir aber, mehrere Aufführungen wichtiger europäischer Regisseure nach Temeswar zu bringen. Sowohl bei den anderen Auflagen als auch dieses Jahr boten wir dem Publikum sehr unterschiedliche Veranstaltungen mit einer breitgefächerten Thematik in verschiedenen Genres — Theater, Gegenwartstanz, Tanztheater und auch Aufführungen, die zu keinem üblichen Genre passen. Eurothalia ist das einzige Festival in Temeswar, das sich ausschlie‎ßlich auf europäisches Theater konzentriert. Wir versuchen, eine Plattform für die aktuellen Trends des europäischen Theaters zu schaffen.“




    Das Europäische Theaterfestival Eurothalia“ wurde dieses Jahr mit einer Produktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar eröffnet: Elektra“ nach Euripides und Aischylos, in der Regie von László Bocsárdi. Die Inszenierung behält den Stil des Originaltextes in einer gegenwärtigen Interpretation, mit einer zierlichen Elektra, die unter ihrer angeblichen Zerbrechlichkeit von der enormen Kraft der Rache getrieben wird. Die Darstellerin Isa Berger:



    Elektra ist keine leichte Rolle. Vor der Aufführung brauche ich viel Ruhe, um zu mir selbst und zu den Fragen und Problemen Elektras zu finden. Ich versuche, diese Fragen und Probleme in meiner eigenen Seele aufzuwühlen und dem Publikum diese unruhige Seele zu zeigen. Die Seele eines Menschen ist gewaltig, wie der Regisseur László Bocsárdi sagte. Und wir versuchen, unsere Seele vor dem Publikum zu entblö‎ßen. Sollte ich Elektra in der Gegenwart erleben, so könnte ich ihre Rachesucht und ihre Besessenheit, ihre Mutter zu töten, nicht verstehen. Aber ich verstehe sehr wohl die gro‎ße Liebe zu ihrem Vater, weil auch ich eine Tochter bin, die ihren Vater sehr liebt, und ich glaube, ich würde für meinen Vater alles tun. Da kann ich mich irgendwie mit Elektra identifizieren.“




    Nach Elektra“ folgten zwei Aufführungen mit dem Stück Die Möwe“ von Anton Pawlowitsch Tschechow, eine Inszenierung von Oskaras Koršunovas vom OKT / Vilnius City Theatre, Litauen. Gleich in den ersten Minuten wurde das Publikum von der Natürlichkeit der Darsteller verzaubert. Der Schauspieler kann sich nicht hinter der Figur verstecken. Die Zuschauer müssen Schritt für Schritt alles sehen; der Schauspieler beginnt, das Leben der Figur selbst zu erleben.“ Wir zitierten soeben den Regisseur Oskaras Koršunovas. Mehr zu dieser Aufführung erfahren Sie von Nele Savicenko, die die Rolle der Arkadina spielt:



    Der Text von Tschechow ist 100 Jahre alt, das ist in der Tat ein altes Stück. Was ist davon aber auch in der Gegenwart lebendig geblieben? Die Beziehungen zwischen den Menschen, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die Beziehungen in unserem Beruf… In diesem Stück geht es um Theater — die Figuren beteiligen sich an einer Aufführung, die ihre Existenz von Grund aus verändert. Nach Kostjas Aufführung ist keiner wirklich glücklich… Also die Beziehungen zwischen Mutter und Sohn, zwischen Kostja und seinem künstlerischen Schaffen, die Ideen über den Künstler, über das menschliche Wesen — das alles bedeutet sehr viel in unserem heutigen Leben. Die Möwe? Die Möwe ist das Unerreichbare, der Traum, den man nie verwirklicht…“

  • Timişoara/Temeswar – Klein-Wien oder „Minieuropa“

    Timişoara/Temeswar – Klein-Wien oder „Minieuropa“

    Temeswar zählt zu den ersten Städten, die 1869 Pferdestra‎ßenbahn eröffnet hat. 1884 war sie die erste rumänische Stadt mit elektrischer Stra‎ßenbeleuchtung. Hier hatte die rumänische Revolution von Dezember 1989 ihren Ursprung. Dan Diaconu, Vize-Bürgermeister, bewirbt seine Stadt mit überschwenglichen Worten:



    In dieser Jahresperiode ist Temeswar eine spektakuläre Stadt. Wie Sie merken können, ist Temeswar eine Blumenstadt. Die Besucher erfreuen sich einer Symphonie von Farben und Düften. Die Stadt hat ein bedeutendes historisches Erbe sowie ein Architekturerbe, das zahlreiche Touristen anlockt und das besichtigt werden sollte. Temeswar rühmt sich mit 14.000 historischen Bauten.“




    Der Platz der Vereinigung ist der älteste Platz in Temeswar. Die um ihn liegenden Gebäuden sind im Barockstil gebaut. In der Nähe erheben sich der Dom oder der Römisch-Katholische Bischofssitz, die Serbisch-Orthodoxe Kathedrale, der serbische Bischofssitz, die Statue der Heiligen Dreifaltigkeit (die Pestsäule), der Barockpalast, der Springbrunnen und andere Gebäude aus dem 18.-19. Jh. In der Nähe des Barockpalastes liegt ein Stein, worauf der Plan der ehemaligen Burg aus dem 19. Jh. zu sehen ist.



    Temeswar hat ein reiches kulturelles Leben. Hier funktionieren das Nationaltheater Mihai Eminescu“, die Rumänische Oper, das Deutsche Staatstheater, das Ungarische Staatstheater, die Philharmoniker, das Kulturhaus. Das Nationaltheater, das Deutsche Theater, das Ungarische Theater und die Oper funktionieren symbolischerweise in demselbem Gebäude. Der Bau begann 1871 nach den Plänen der berühmten Wiener Architekten Helmer und Fellner und wurde 1875 fertiggestellt. Zwei Brände haben das Gebäude zerstört. Der Wiederaufbau bewahrte den originalen Stil (Renaissance) nur für die Seitenfassaden. Die Hauptfassade und der Saal sind im neubyzantinischen Stil, der für die rumänische Architektur Anfang des 20. Jh. charakteristisch ist.



    Auf dem Kanal des Stadtflusses Bega werden ab diesem Sommer öffentliche Verkehrsboote fahren. Bis dahin können die Besucher auf der 18 km langen Piste entlang des Kanals Rad fahren.

  • „Hotel PM“ – eine Tanztheateraufführung in Temeswar

    „Hotel PM“ – eine Tanztheateraufführung in Temeswar

    Andrea Gavriliu hat für ihre Masterarbeit in Choreographie die Show Zic Zac“ auf die Bühne gebracht. Danach folgte das Tanztheaterstück Hotel PM“. Die Uraufführung fand vor wenigen Tagen im Deutschen Staatstheater Temeswar statt.



    Die Schauspieler Olga Török, Konstantin Keidel, Isolde Cobeţ, Daniela Török, Radu Vulpe und Horia Săvescu erforschen mit ihren eigenen Körpern ein Hotelzimmer. Andrea Gavriliu erklärte, die Idee sei ihr seit langer Zeit durch den Kopf gegangen:



    Mein Lebensstil hat mich sehr beeinflusst. Ich bin fast immer auf Reisen und verbringe deshalb viel Zeit in Hotelzimmern, wo verschiedene lustige und komische Sachen passieren. Ich fühle, dass diese Zimmer eine kräftige Energie haben. Täglich ziehen hier unterschiedliche Menschen ein und aus. Ich habe das Gefühl, dass die dünnen Wände all diese Energien aufbewahren. In einem Hotelzimmer wirst du dich immer anderswie fühlen als an einem anderen Ort, wo du übernachten kannst. Natürlich ging ich von meinen persönlichen Erfahrungen aus. Diese sind aber nicht immer so spektakulär, dass ich sie einfach auf die Bühne bringen kann. Sie sind uninteressant. Man kann nicht hundert Personen überzeugen, sich so etwas anzuschauen. Ich habe versucht, meine Erfahrungen in dynamischen Situationen umzuwandeln. Für mich ist die Körpersprache bedeutend. Ich muss Gedanken, Bewegungen ‚übersetzen‘, die vom Publikum verstanden werden müssen. Es soll aber keine Pantomime werden.“




    Andrea Gavriliu meint, Hotel PM“ sei sowohl visuell als auch akustisch eine kräftige Aufführung. In dem Moment, in dem die Schauspieler zusammen mit der Musik und mit den Lichtern atmen, glaube ich, dass es eine elektrisierende und energievolle Erfahrung sein kann. Gleichzeitig aber ist sie sensibel und humorvoll“, sagt Andrea Gavriliu:



    Der Humor muss immer präsent sein. Ich arbeite sehr viel damit. Mir gefallen auch die poetischen Momente, unter der Bedingung, dass sie in der nächsten Sekunde durch eine andere Situation brutal au‎ßer Kraft gesetzt werden. Zu viel Poesie gefällt mir nicht. Ich will nicht pathetisch werden. In dieser Art von Humor gibt es eine bestimmte Zartheit. Ich muss aber sehr aufmerksam sein. Zu viel kann aggressiv und grob werden, zu wenig ist nicht mehr lustig. Ich meine, der Humor ist eine Sache der Mathematik. Es geht um Ma‎ß, Zeit, Rhythmus. Dafür braucht man Schauspieler mit einem gut entwickelten Gefühl für Rhythmus, die fühlen müssen, wann der Knalleffekt, die Pointe folgen muss.“




    Am Tanztheaterstückes Hotel PM“ wirken ferner Mihai Dobre, der Leadsänger der Band Şuie Paparude, Alex Pop, die Bühnenbildnerin Andreea Săndulescu und Daniel Păun, der für die Video-Projektionen verantwortlich ist. Zum Schluss erläutert Andrea Gavriliu, warum das Kürzel PM“ für post meridiem im Titel steckt:



    Warum PM? Weil das Stück sich auf alles, was nächtlich ist, auf jenen Zeitmoment bezieht, an dem wir uns anderswie fühlen. Es geht um ein Amalgam von Emotionen und Gefühlen, um Sinnlichkeit, Angst, Einsamkeit, um das Bedürfnis, die Einsamkeit mit jemandem zu teilen oder alleine zu sein. Man ‚spürt‘ Stimmen, die aus den Wänden ertönen, man hört das Zimmermädchen auf dem Flur und hofft, sie werde nicht in dein Zimmer hereinkommen, weil man alleine sein will. Gewöhnliche Sachen, die üblicherweise in einem Hotel passieren.“