Tag: Deutsches Staatstheater Temeswar

  • Nachwuchstalent gewinnt Gopo-Preis: Steckbrief Nico Becker

    Nachwuchstalent gewinnt Gopo-Preis: Steckbrief Nico Becker

    Niko Becker begann seine Karriere auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters in Timișoara und spielte im Alter von 15 Jahren die Hauptrolle in dem Film „Ein Schritt hinter den Seraphim“ unter der Regie von Daniel Sandu. Im Jahr 2021 vertraute ihm der Regisseur Eugen Jebeleanu die Rolle des Treplev in Tschechows „Die Möwe an, die später Teil des Repertoires des Nationaltheaters I.L. Caragiale in Bukarest wurde. Niko Becker hat auch mit der Regisseurin Carmen Lidia Vidu in „Das fragile Gefühl der Hoffnung“ zusammengearbeitet. Dort spielte er die Rolle eines jungen Mannes, der an Schizophrenie leidet und sowohl mit der Krankheit als auch mit dem Stigma zu kämpfen hat.

    Seit 2023 ist der junge Schauspieler das neueste Mitglied des wertvollen Teams des Odeon-Theaters in Bukarest. Dort gab er sein Debüt bei der Premiere des Stücks „Ein offenes Haus“ unter der Regie von Teodora Petre. „Gen Norden“ ist der erste Spielfilm des Regisseurs Mihai Mincan, der auf einer wahren Geschichte beruht und eine europäische Koproduktion zwischen fünf Ländern ist. Dieser erzählt die Geschichte von Joel, einem religiösen philippinischen Seemann, der auf einem Transatlantikschiff arbeitet. Dort entdeckt er Dumitru, einen blinden Passagier, der sich zwischen den Containern versteckt. In den Worten des Regisseurs Mihai Mincan ist „Gen Norden“ „ein Film über Angst, ein Film über das Vertrauen in den anderen, ein Film über die Fähigkeit oder Unfähigkeit, sein Leben in die Hände eines Fremden zu legen, aber auch über unsere Beziehung zu Gott“.

    Wir sprachen mit Niko Becker über seine Leidenschaft für das Schauspiel, beginnend mit seiner Rolle in dem Psychothriller „Gen Norden“, der den Kritikerpreis der Biennale di Venezia – Bisato D’Oro für den besten Film erhielt und auf wichtigen internationalen Filmfestivals ausgewählt wurde.

    Ich habe mich sehr gut mit dem Team verstanden, und damit meine ich nicht nur die Schauspieler. Da dies auch mein Debüt in einer Hauptrolle war, überkam mich eine gewisse Unbehaglichkeit, ich war sehr verunsichert. Gleichzeitig hatte ich viel um die Ohren. Und die Erfahrungen, die ich am Theater gemacht habe, haben natürlich geholfen, aber Film und Theater sind unterschiedliche Künste und die Dinge überschneiden sich nicht perfekt. Es gibt diesen konkreten Unterschied, vor allem in der Art und Weise, wie er sich am Ende materialisiert, denn das Gefilmte bleibt als Filmmaterial. Das setzt dich als Schauspieler unter Druck. Und es ist ein bisschen stressig, wenn man daran denkt, dass die Art und Weise, wie man spielt, bestehen bleibt, während man im Theater, selbst wenn ein Abend schlechter ist, die Möglichkeit hat, die Rolle neu zu gestalten.

    Aber wie ich schon sagte, im Theater gibt es immer Risiken, denn wir können schlechte Momente haben. Ich bin selten zufrieden nach einer Aufführung, oft habe ich den Eindruck, dass es besser hätte sein können, dass ich nuancierter hätte spielen können. Und ich denke, es ist normal, immer mehr zu wollen. Wenn wir mit dem zufrieden sind, was wir haben, geraten wir in eine gewisse Selbstzufriedenheit, wir stagnieren am Ende. Um auf den Film zurückzukommen: Wenn ich weiß, dass die Szene, die ich spiele – nach ein paar Takes – eingeprägt ist, gelingt es mir, meine Intuition und meine anderen Qualitäten viel mehr zu nutzen. Ich merke, dass ich unter dem Druck des Augenblicks im Film mehr von mir geben kann.

    Wir sprachen Nico Becker auch auf die Rolle des Dumitru an, in dem Film „Gen Norden“. Er erzählte uns, wie er mit Hilfe des Regisseurs Mihai Mincan die Rolle des des jungen Mannes gestaltete, der sich auf dem Schiff versteckt, auf dem der Filipino Joel arbeitet.

    Als ich mich auf die Rolle vorbereitete, konzentrierte ich mich auf die einzelnen Elemente, die den Zustand der Figur ausmachen. Ich habe darüber nachgedacht, wie  Dumitru all die Empfindungen spürt, wie es ist, hungrig zu sein, Durst zu haben, die Kälte zu spüren, Angst zu haben, wenn man ein lautes Geräusch hört. All diese äußeren Reize habe ich versucht, durch den Körper und mit Hilfe der Techniken des Schauspielers Michail Tschechow auszudrücken, die mir sehr nützlich waren.

    Genauso habe ich viel an dem psychologischen Hintergrund der Figur gearbeitet. Natürlich hat mir das Drehbuch sehr geholfen, alles beginnt mit dem Drehbuch. Für mich ist es wichtig, den Text so gut wie möglich zu verstehen, zu begreifen, worum es geht, was die Umstände, die Situationen, die Ziele der Figuren sind und der Konflikt, der zwischen ihnen und den anderen entsteht, aber auch der Konflikt mit sich selbst. Ich glaube, so bekommt man den besten Einblick in die Figur, die man spielt, indem man den Konflikt in der ganzen Geschichte und den Szenen, aus denen sie besteht, findet. Wenn ich das erkannt habe, vervollständige ich die Figur mit meiner Vorstellungskraft und Erfahrung.

    Eine der jüngsten Rollen von Nico Becker ist die des Journalisten Krzysztof Zieliński in dem Stück von Iwan Wyrypajew „Unruhe“ unter der Regie von Bobi Pricop. In dieser Aufführung hat Nico Becker die außergewöhnliche Dorina Lazăr als Partnerin. Der Regisseur beschreibt „Unruhe“ wie folgt: Das ist in erster Linie „eine Aufführung über die Beziehung zwischen Kunst und Leben, zwischen der Schöpfung und dem Schöpfer, zwischen der Liebe, Gott und all den Dingen, denen wir versuchen, einen Sinn zu geben (gerade durch den Glauben, die Kunst oder die Liebe). Wie das Leben, so ist auch das Theater eine Unruhe und provoziert sie; jeder von uns ist ein Knäuel von Ängsten, das die Kunst in all ihren Formen zu entwirren versucht und vielleicht sogar dabei hilft“, sagt Bobi Pricop.

  • Theaterwelt: Nachwuchsschauspieler in staatlichen Theatern kaum gefördert

    Theaterwelt: Nachwuchsschauspieler in staatlichen Theatern kaum gefördert

    In der Theaterwelt scheint im Oktober dieses Jahres mehr als in anderen Jahren los zu sein. Im Rahmen mehrerer Festivals kann man Inszenierungen der staatlichen Theater und unabhängige Aufführungen sehen, auf die Bühne steigen berühmte Darsteller, sogenannte Publikumslieblinge, und Schauspieler, die sich am Anfang ihrer Karriere befinden. Dieser Tage findet man bei den Aufführungen im Rahmen des Nationalen Theaterfestivals sehr viele junge Darsteller oder Studenten der Theaterakademie, die als Zuschauer gekommen sind. Man muss sich natürlich fragen, welchen Weg sie gehen werden, wie die Lebensumstände und Berufschancen des rumänischen Darstellers ausschauen. Die rumänische Theaterwelt scheint dort zu sein, wo die westliche Theaterwelt vor 40-50 Jahren war. Das meint zumindest die Theaterkritikerin Cristina Modreanu:



    Wir befinden uns auf einem Weg, hoffentlich auf dem guten Weg. Aber derzeit ist das System starr, zumindest in der Theaterwelt. Seit ein paar Generationen können die jungen Absolventen — das sind jährlich mindestens 150 pro Jahr im ganzen Land — keine Anstellung in den Theatern finden, weil die Stellenanzahl starr festgelegt ist. Das bedeutet, dass theoretisch sehr viele Freiberufler produziert werden, und dies in einem System, in dem die Freiberufler weder gesetzlich noch logistisch gefördert werden. Es ist schwer, sich allein durchzusetzen, weil es nicht genügend Ressourcen für diese parallele Welt, die mittlerweile entstanden ist, gibt. Ich glaube, das ist das Hauptproblem: Es gibt keine Koordinierung zwischen dem Bildungssystem, das Künstler im Theaterbereich produziert, und den Institutionen im Kulturbetrieb, die diese Arbeitskraft aufnehmen müssten. Sie müssten zusammen arbeiten, damit keiner seine Energie vergeudet. Man müsste neue Strukturen schaffen, die diesen jungen Leuten eine Chance anbieten könnten. Manche haben sich für einen Beruf, den sie nie ausüben werden, vorbereitet.“




    Sehr viele Theater-Absolventen, manche aus eigenen Stücken, die meisten aber, weil sie es nötig haben, wählen den Weg des unabhängigen Theaters. So auch Raluca Aprodu, eine Schauspielerin, die seit ein paar Jahren die Freiheit als unabhängige Künstlerin mit allen Vor- und Nachteilen genie‎ßt. Sie spielt in Aufführungen der unabhängigen Theater, aber auch in staatlichen Theatern und wurde beim Publikum auch dank ihrer Filmrollen bekannt. Wir haben sie gefragt, ob sie sich jemals gewünscht hat, in einer öffentlichen Institution zu arbeiten.



    Da schwanke ich, das muss ich zugeben. Einerseits habe ich Angst vor einem festen Arbeitsplatz. Angst wahrscheinlich wegen Klischees, die ich immer wieder gehört habe oder die ich mir einbilde. Zugleich möchte ich auch in Filmen spielen, die Freiheit haben, weg zu gehen und auch im Rahmen von unabhängigen Theater-Projekten zu spielen. Ich wei‎ß ganz genau, dass manche Theater damit nicht einverstanden sind und dass die Darsteller Probleme haben, freie Tage zu bekommen. Zugleich wei‎ß ich, dass man als Angestellter in einem Staatstheater gro‎ße Chancen hat, mit wichtigen Regisseuren zu arbeiten und diese kennenzulernen. Es gibt auch Vorsprechen für freie Mitarbeiter, aber im begrenzten Ma‎ße und nur für kleinere Rollen. Ich kenne Leute, die im Theater arbeiten und in drei Jahren mit allen gro‎ßen Regisseuren hierzulande gearbeitet haben. Im Moment bin ich mit meiner Position zufrieden, aber wenn ich mich mit der Entscheidung über einen festen Posten konfrontieren werde, hoffe ich, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich schwanke. Wo, das spielt auch eine wichtige Rolle. Ich würde keinen Job annehmen, ohne das Team zu kennen. Ich würde Angst haben. Aber der Angst stellt man sich!“




    Auch wenn die Ressourcen im Falle der unabhängigen Projekte bescheidener sind, seien die jungen Künstler hier viel dynamischer und zukunftsorientierter, meint die Theaterkritikerin Cristina Modreanu. Sie kämpfen aber mit einer Reihe von Angelegenheiten, über die sie in der Ausbildung kaum etwas erfahren haben: Finanzierungsanträge, Projekt-Koordination, Spesenabrechnung.



    Auch Lucian Vărşăndan, der Leiter des Deutschen Staatstheaters in Temeswar, eines der leistungsfähigsten und innovativsten Theater in Rumänien, meint, dass die Darsteller, die im Bereich des unabhängigen Theaters arbeiten, für den Wettbewerb besser vorbereitet sind. Deswegen unterstützt er die befristeten Arbeitsverträge in einem System, in dem der Arbeitsplatz-Wechsel eine Seltenheit ist.



    Ich glaube, dass gerade die befristeten Arbeitsverträge ein Gleichgewicht herstellt zwischen der Strenge des auf Wettbewerb basierenden Systems einerseits und der Möglichkeit, ein ganzes Ensemble gro‎ß zu ziehen, andererseits. Ich sage nicht, dass ein Darsteller jeden Abend in einem anderen Theater spielen sollte. Vielmals ist dieses System der freien Mitarbeit chaotisch und führt nicht unbedingt zur Entwicklung einer Darsteller-Persönlichkeit. Ich glaube aber, dass alle von einem wettbewerbsfähigen System in den öffentlichen Theatern zu profitieren hätten, damit meine ich auch die befristeten Arbeitsverträge. Das entspricht auch der Repertoire-Strategie, denn das Repertoire kann sich von einer Spielzeit zur anderen und von einem Manager-Mandat zum anderen ändern.“




    Ein weiteres Problem der staatlichen Theater sei Lucian Vărşăndan zufolge die Entlohnung der Schauspieler, die sich nicht an der erbrachten darstellerischen Leistung orientiere. Die Schauspieler erhalten ihre Gehälter und Zulagen nach Kriterien wie Dienstalter, Stellung in der Hierarchie, automatische Beförderung in bestimmten Zeitabständen — all dies ungeachtet der interpretierten Rollen, der Qualität und der Anzahl der Auftritte während einer Spielzeit. Die Gehaltspolitik im rumänischen Theaterwesen sei folglich seit Jahrzehnten erstarrt, ohne Aussichten auf eine positive Entwicklung“, so der Leiter des Deutschen Staatstheaters in Temeswar.

  • Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Die Europäischen Theaterfestspiele Eurothalia haben dieses Jahr im westrumänischen Timişoara (Temeswar) bereits zum 4. Mal stattgefunden. Das von dem Deutschen Staatstheater organisierte Festival hielt auch dieses Jahr an dem vor fünf Jahren gesetzten Ziel fest. Der Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian Vărşăndan, sagte dazu:



    Wir haben uns vorgenommen, dieses Theater und die rumänische Theaterszene an die aktuellen Tendenzen des europäischen Theaters anzuschlie‎ßen. Vor fünf Jahren setzen wir uns zum Ziel, eine Plattform des europäischen Theaters in verschiedenen Kulturräumen zu bilden. 2009, als die Festspiele ins Leben gerufen wurden, war die Initiative im rumänischen Kulturraum einzigartig und das treibt uns dazu an, an unserem Ziel entschlossen festzuhalten. Wir versuchen sowohl innovative Projekte des europäischen Theaters als auch repräsentative Aufführungen der letzten Spielzeit in Rumänien auf die Temeswarer Bühne zu bringen und gleichzeitig die zwei Projekte miteinander zu verbinden. Diese rumänische Komponente der Temeswarer Festspiele versteht sich zudem als sogenannte Showcase-Komponente oder Vorzeigeprojekt unseres Theaters. Die Initiative ergriffen wir voriges Jahr und setzen sie auch dieses Jahr erfolgreich fort. Dadurch wollen wir der aktuellen Theaterszene Rumäniens mehr Sichtbarkeit verschaffen. Besonders relevant finde ich, was die eine oder die andere Aufführung hier vor dem Temeswarer Publikum zu sagen hat.“




    Eine äu‎ßerst provokative Aufführung, die beim Eurothalia Theaterfestival 2014 auf die Bühne gebracht wurde, war Crash Course Chit Chat“ des Theaterensembles Sanja Mitrović aus Amsterdam. Die Idee, die Regie und die Choreographie gehören der Künstlerin Sanja Mitrović, die in ihrem Theaterensemble fünf Darsteller vereinte, die fünf europäische Staaten vertreten: Deutschland, Frankreich, Gro‎ßbritannien, die Niederlande und Belgien. Die Aufführung beruht zuerst auf den persönlichen Geschichten der Darsteller (Kindheit, Familie, persönliches Leben) und auf Geschichten, Klischees und Vorurteile über die fünf Völker. Mit Hilfe der Strategien des Dokumentarfilms forscht die junge Regisseurin nach der Beziehung zwischen der persönlichen und der europäischen Identität. Die französische Darstellerin Servane Ducorps spricht über die Fragen, die das Theaterensemble in der Aufführung Crash Course Chit Chat“ zu beantworten versucht:



    Kann man sich als Europäer definieren? Können wir Europäer sein? Was bedeutet überhaupt, Europäer zu sein? Was haben wir gemeinsam? Was teilen wir nicht? Meiner Ansicht nach handelt es sich darum, sich selbst zu erforschen. Am Anfang der Aufführung sind wir neugierig, uns gegenseitig zu entdecken. Je tiefer wir uns aber kennenlernen, desto mehr zerstören wir einander. Die letzte Szene der Aufführung, die ausgeprägte religiöse Merkmale hat, kann als unser letzter Versuch gedeutet werden, zusammen zu sein. Der Versuch war aber gescheitert. Meiner Ansicht nach trägt der religionsbezogene Moment eine besondere Bedeutung, es war zudem sehr wichtig, das Thema anzusprechen: Was bedeutet überhaupt, zusammen zu sein?“




    Eine der rumänischen Aufführungen, die beim Europäischen Theaterfestival Eurothalia präsentiert wurde, war Victor sau copiii la putere“ (Victor oder die Kinder an der Macht“) von Roger Vitrac, inszeniert von Silviu Purcărete auf der Bühne des Ungarischen Staatstheaters Klausenburg. Dieses Jahr wurde die Produktion mit dem Preis des Rumänischen Theaterverbands UNITER für die beste Aufführung“ ausgezeichnet. Die Schauspielerin Csilla Albert, die bei der UNITER-Gala in der Kategorie beste Nebendarstellerin“ nominiert wurde, spricht in den folgenden Minuten über die Erfahrung im Bereich des experimentellen Theaters:



    Der Text war sehr schwierig. Ich glaube, dass er verfasst wurde, um eher gelesen als inszeniert zu werden, selbst wenn es sich um einen dramatischen Text handelt. Während der Proben bekam ich den Eindruck, dass er der Arie von Mozart ähnelt, die komponiert wurde und dennoch nicht zum Singen bestimmt war. Es war ein richtiger Kampf, diesen Text sozusagen zu bändigen. Es ist eine gro‎ße Herausforderung für jeden Schauspieler, nicht zu vergessen, warum er diesen Beruf gewählt hat, und das Niveau zu erreichen, auf dem er nicht nur gewisse Rollen spielt, sondern seine Gestalten fühlt. Ich habe versucht, mein inneres Kind rauszulassen, aber nicht indem ich zeigte, wie sich ein Kind benimmt, sondern indem ich vergessen habe, dass ich 35 Jahre alt bin. Zwei Stunden lang war ich sechs Jahre alt und das fühlte sich durch Mark und Bein sehr ehrlich an. Der Regisseur Silviu Purcărete kann seine Schauspieler dazu bringen, sich in einen bestimmten Satz, eine bestimmte Szene, in eine brennende Kerze zu verlieben. Man verliert sich selbst auf der Bühne, man tut alles, weil man wei‎ß, dass es sich lohnt. Es lohnt sich, Theater zu machen.“




    Das Deutsche Staatstheater Temeswar hat drei seiner eigenen Aufführungen auf die Bühne der europäischen Festspiele gebracht. Eine davon war Tschechows Theaterstück Die Möwe“, eine äu‎ßerst überwältigende Aufführung des Regisseurs Yuri Kordonsky, mit der Darstellerin Ioana Iacob in der Rolle von Irina Nikolajewna Arkadina:



    Ich fand die Zusammenarbeit mit Yuri Kordonsky au‎ßergewöhnlich! Jeder Schauspieler muss die Erfahrung einer derartigen Zusammenarbeit erleben. Es gelingt ihm, die Darsteller zu motivieren und sie in äu‎ßerst bewegende Situationen zu bringen. Das fand ich so bezaubernd bei der Zusammenarbeit mit diesem Regisseur. Die Aufführung ist äu‎ßerst emotionsbeladen und den Text finde ich sehr gut. Wie ist Irina? Oftmals kann man sie als Zicke beschreiben und oftmals wird sie auch so dargestellt. Ich wei‎ß nicht, ob es mir gelungen ist, ihrer menschlichen Seite Ausdruck zu verleihen. Bei den Proben gab ich mein Bestes, um zu beweisen, dass sie eigentlich ein guter Mensch ist. Sie ist eine Frau, die kein einfaches Leben führte und die ständig um etwas in ihrem persönlichen Leben, in ihrer Karriere oder in der Kunst kämpfen musste. Sie hat ihr ganzes Leben der Kunst gewidmet und oftmals verlor sie daher den Kopf. Ich glaube aber, dass sie, genau wie alle Gestalten Tschechows übrigens, eine gute Seele hat.“




    Die Theaterfestspiele Eurothalia wurden mit dem Ziel organisiert, das Theater als Kunst und Institution dem Publikum näher zu bringen. In den fünf Jahren, seitdem es zum ersten Mal stattfand, gelang es dem Festival, sein Ziel zu erreichen, sagte Theaterintendant Lucian Vărşăndan:



    Ich glaube, dass jedes Festival sich an die Gemeinschaft richtet, der es gewidmet wurde. Ein solches Festival hat seinen Weg zum Temeswarer Publikum gefunden. Es ist nicht schwer, diese Tatsache festzustellen — das Publikum erwartet jedes Jahr die Festspiele mit besonderer Begeisterung und bedauert auch, dass sie nicht früher ins Leben gerufen wurden. Voriges Jahr haben wir nach der Veranstaltung die Eindrücke der Zuschauer in einem Band zusammengefasst. Ein positives Feedback bekommt man auch, wenn man die vollen Säle merkt. Die Zuschauer zeigen jedes Jahr ein immer grö‎ßeres Interesse, sie kennen, wünschen sich und erwarten die europäischen Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar.“

  • Das euroregionale Theaterfestival TESZT in Temeswar

    Das euroregionale Theaterfestival TESZT in Temeswar

    Das ungarischsprachige Staatstheater Csiky Gergely“ in Temeswar hat in der letzten Maiwoche das siebente Euroregionale Theaterfestival TESZT organisiert. Die erste Auflage fand 2007 statt. Das Festival nimmt sich vor, die Multikulturalität der Euroregion DKMT (Donau-Kreisch-Mieresch-Thei‎ß) hervorzuheben und die Verbindungen zwischen den Theatern zu verstärken. Deshalb kann man behaupten, dass es um ein einzigartiges Festival in Rumänien geht. Es beteiligen sich Schauspieler aus Rumänien, Ungarn und Serbien.



    Das Festival bringt jedes Jahr ein anderes Thema. Attila Balázs, Direktor des Ungarischen Staatstheaters in Temeswar, dazu:




    Wir haben versucht, Theaterstücke zum Thema ‚Vergangenheit und die Verarbeitung der Vergangenheit in der Gegenwart‘ zusammenzubringen. Eigentlich wählen wir nicht die Themen. Sie stellen sich alleine vor. Wir müssen nur bestimmen, welche die bedeutendsten Themen in der Region sind. Im vergangenen Jahr war alles frischer, aktueller. In diesem Jahr beziehen wir uns mehr auf die Vergangenheit und ich könnte fast alle Stücke, die diese Richtung einhalten und die aufgeführt wurden, aufzählen.“




    Das Festival wurde mit dem Stück Incendii“ (Brände“) in der Regie von Radu Alexandru Nica eröffnet. Die Geschichte geht von dem Krieg in Libanon aus und analysiert seine Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Zwei Zwillingsbrüder versuchen die Vergangenheit ihrer Mutter zu entziffern. Der Autor des Stückes ist Wajdi Mouawad, ein Kanadier mit libanesischen Wurzeln. Sein Text wurde für den Film mit dem gleichen Titel umgeschrieben. Der Film wurde 2012 für den Oscar nominiert. Der Regisseur Radu Nica dazu:




    Der Text ist gefühlsvoll. In der letzten Zeit bringt man wenig Gefühl auf, wir sind kalt, wir zeigen immer, dass wir denken, wir haben Angst, zu fühlen. Ich kämpfte auch gegen mich. Mir gefallen die Texte, die keine Emotion hervorrufen. Ich bin kein Liebhaber der exzessiven Emotion im Theater. Wir brauchen aber auch eine Ausnahme. Es waren mehrere Herausforderungen. Die eigentliche Geschichte war eine Herausforderung, sie ist kompliziert, ein komisches Verflechten zwischen einem Krimi und einer antiken Tragödie. Es war schwer, die Eigenschaften eines Krimis und einer Tragödie gleichzeitig zu behalten. Aus einer kalten, schwer zugänglichen antiken Tragödie sollte eine zeitgenössische Geschichte entstehen. Mehr als die Hälfte des Stückes spielt sich im Nahen Osten ab, der uns als Mentalität gar nicht nahe ist.“




    Ein anderes Theaterstück, das bei dem siebenten Theaterfestival TESZT gespielt wurde, war Es war einmal in Temeswar“, Autor und Regisseur Peter Kerek. Das Stück wurde von den Schauspielern des Nationaltheaters Temeswar aufgeführt. Es war einmal in Temeswar“ ist die Geschichte einer Familie, die ihre kommunistische Vergangenheit kaschieren will. Die Schauspielerin Andrea Tokai sagte uns folgendes:




    Aus diesem Stück habe ich verstanden, dass wir Menschen sind. Die Geschichte ist sehr einfach. Es geht um eine Familie mit vielen Kindern. Die Mutter verliert in einem Unfall ihr Leben und die Kinder kommen zurück nach Hause. Was geschieht nun, was entdecken sie? Was ist vor 20 Jahren passiert? Ich spiele eine ältere Gestalt, bin Mitglied der Familie, gehöre aber nicht dazu, weil ich von au‎ßen komme. Es ist ein Dienstmädchen, ist es aber auch nicht, sie ist eine Art Mutter, aber doch keine Mutter. Ich habe folgendes verstanden: Wir sind nicht gut, aber auch nicht schlecht, wir sind Menschen und versuchen weiter zu gehen. Es geht nicht ums Überleben. Streit, Hass werden gelöst, weil es im Leben so ist.“




    Ein weiteres Stück, das gespielt wurde, ist Rot“, eine Koproduktion des Volkstheaters in Subotica, Serbien, und des Jozsef-Katona-Theaters in Budapest, in der Regie von Gábor Máté. Das Theaterstück hat als Ausgangspunkt den zweiten Weltkrieg in Jugoslawien, an der Grenze zu Ungarn. Die ungarische Armee dringt Anfang 1942 in Jugoslawien ein und macht zahlreiche Opfer. 1944 beginnen die Anhänger der kommunistischen Jugoslawen ihre Rachekampagne gegen die Einwohner ungarischer Ethnie. Es gab keine Prozesse, sondern nur Folterung und Massenmord. Der Text wurde von B.R. Brestyanszki, literarischer Sekretär des Volkstheaters in Subotica geschrieben:




    Diese Geschichteepoche war tabu. Laut Historikern sind zehntausende Menschen Opfer dieser Ereignisse geworden. Man durfte nicht darüber reden. Die Menschen hatten auch Angst, zu sprechen. Um weiter gehen zu können, ist es bedeutend, unsere Vergangenheit wahrzunehmen.“




    Eine weitere Aufführung war Ţinuturile joase“ (Niederungen“) nach Texten von Herta Müller, die von dem Regisseur Niky Wolcz adaptiert wurden. Das Stück wurde vom Deutschen Staatstheater in Temeswar gespielt. Ida Jarcsek-Gaza spielt die Rolle der Gro‎ßmutter:



    Der Regisseur hat mir erklärt, er interessiere sich nicht für die harte und rauhe Seite der Texte von Herta Müller. Er interessiere sich für die lyrischen Sachen, für die schönen Sachen, für das, was fein ist. Ich bin Niky Wolcz sehr dankbar, dass er die Geduld hatte, unter einer harten und rauhen Schale den weichen Kern zu entdecken. Das war für mich als Schauspielerin sehr wichtig. Das ist die Schönheit dieses Stückes. Es stellt so Vieles dar, dass es keinen Schauspieler gibt, der sich im Stück nicht wiederfinden kann.“



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