Tag: Die Möwe

  • Theaterfestival Eurothalia in Temeswar: Klassiker und neue Trends trafen zusammen

    Theaterfestival Eurothalia in Temeswar: Klassiker und neue Trends trafen zusammen

    Beim diesjährigen Eurothalia-Festival wurden in Temeswar Inszenierungen wichtiger europäischer Regisseure wie Oskaras Koršunovas, Silviu Purcărete, Jan Lauwers oder Wim Vandekeybus präsentiert. Ferner konnte das Publikum Aufführungen sehen, die eine neue Theaterästhetik verwenden wie die vom Theater Anton Pann“ aus Râmnicu Vâlcea, Teatru-Spălătorie aus Chişinău oder vom Ungarischen Staatstheater Csiky Gergely“ aus Temeswar. Die Theaterwissenschaftlerin Andreea Andrei hat die Festivalstücke 2015 ausgesucht:



    Im Laufe der Jahre hat sich unser Festival stark verändert. In den vorigen Jahren hatten wir vorwiegend rumänische Aufführungen; bei dieser Auflage versuchten wir aber, mehrere Aufführungen wichtiger europäischer Regisseure nach Temeswar zu bringen. Sowohl bei den anderen Auflagen als auch dieses Jahr boten wir dem Publikum sehr unterschiedliche Veranstaltungen mit einer breitgefächerten Thematik in verschiedenen Genres — Theater, Gegenwartstanz, Tanztheater und auch Aufführungen, die zu keinem üblichen Genre passen. Eurothalia ist das einzige Festival in Temeswar, das sich ausschlie‎ßlich auf europäisches Theater konzentriert. Wir versuchen, eine Plattform für die aktuellen Trends des europäischen Theaters zu schaffen.“




    Das Europäische Theaterfestival Eurothalia“ wurde dieses Jahr mit einer Produktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar eröffnet: Elektra“ nach Euripides und Aischylos, in der Regie von László Bocsárdi. Die Inszenierung behält den Stil des Originaltextes in einer gegenwärtigen Interpretation, mit einer zierlichen Elektra, die unter ihrer angeblichen Zerbrechlichkeit von der enormen Kraft der Rache getrieben wird. Die Darstellerin Isa Berger:



    Elektra ist keine leichte Rolle. Vor der Aufführung brauche ich viel Ruhe, um zu mir selbst und zu den Fragen und Problemen Elektras zu finden. Ich versuche, diese Fragen und Probleme in meiner eigenen Seele aufzuwühlen und dem Publikum diese unruhige Seele zu zeigen. Die Seele eines Menschen ist gewaltig, wie der Regisseur László Bocsárdi sagte. Und wir versuchen, unsere Seele vor dem Publikum zu entblö‎ßen. Sollte ich Elektra in der Gegenwart erleben, so könnte ich ihre Rachesucht und ihre Besessenheit, ihre Mutter zu töten, nicht verstehen. Aber ich verstehe sehr wohl die gro‎ße Liebe zu ihrem Vater, weil auch ich eine Tochter bin, die ihren Vater sehr liebt, und ich glaube, ich würde für meinen Vater alles tun. Da kann ich mich irgendwie mit Elektra identifizieren.“




    Nach Elektra“ folgten zwei Aufführungen mit dem Stück Die Möwe“ von Anton Pawlowitsch Tschechow, eine Inszenierung von Oskaras Koršunovas vom OKT / Vilnius City Theatre, Litauen. Gleich in den ersten Minuten wurde das Publikum von der Natürlichkeit der Darsteller verzaubert. Der Schauspieler kann sich nicht hinter der Figur verstecken. Die Zuschauer müssen Schritt für Schritt alles sehen; der Schauspieler beginnt, das Leben der Figur selbst zu erleben.“ Wir zitierten soeben den Regisseur Oskaras Koršunovas. Mehr zu dieser Aufführung erfahren Sie von Nele Savicenko, die die Rolle der Arkadina spielt:



    Der Text von Tschechow ist 100 Jahre alt, das ist in der Tat ein altes Stück. Was ist davon aber auch in der Gegenwart lebendig geblieben? Die Beziehungen zwischen den Menschen, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die Beziehungen in unserem Beruf… In diesem Stück geht es um Theater — die Figuren beteiligen sich an einer Aufführung, die ihre Existenz von Grund aus verändert. Nach Kostjas Aufführung ist keiner wirklich glücklich… Also die Beziehungen zwischen Mutter und Sohn, zwischen Kostja und seinem künstlerischen Schaffen, die Ideen über den Künstler, über das menschliche Wesen — das alles bedeutet sehr viel in unserem heutigen Leben. Die Möwe? Die Möwe ist das Unerreichbare, der Traum, den man nie verwirklicht…“

  • Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Die Europäischen Theaterfestspiele Eurothalia haben dieses Jahr im westrumänischen Timişoara (Temeswar) bereits zum 4. Mal stattgefunden. Das von dem Deutschen Staatstheater organisierte Festival hielt auch dieses Jahr an dem vor fünf Jahren gesetzten Ziel fest. Der Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian Vărşăndan, sagte dazu:



    Wir haben uns vorgenommen, dieses Theater und die rumänische Theaterszene an die aktuellen Tendenzen des europäischen Theaters anzuschlie‎ßen. Vor fünf Jahren setzen wir uns zum Ziel, eine Plattform des europäischen Theaters in verschiedenen Kulturräumen zu bilden. 2009, als die Festspiele ins Leben gerufen wurden, war die Initiative im rumänischen Kulturraum einzigartig und das treibt uns dazu an, an unserem Ziel entschlossen festzuhalten. Wir versuchen sowohl innovative Projekte des europäischen Theaters als auch repräsentative Aufführungen der letzten Spielzeit in Rumänien auf die Temeswarer Bühne zu bringen und gleichzeitig die zwei Projekte miteinander zu verbinden. Diese rumänische Komponente der Temeswarer Festspiele versteht sich zudem als sogenannte Showcase-Komponente oder Vorzeigeprojekt unseres Theaters. Die Initiative ergriffen wir voriges Jahr und setzen sie auch dieses Jahr erfolgreich fort. Dadurch wollen wir der aktuellen Theaterszene Rumäniens mehr Sichtbarkeit verschaffen. Besonders relevant finde ich, was die eine oder die andere Aufführung hier vor dem Temeswarer Publikum zu sagen hat.“




    Eine äu‎ßerst provokative Aufführung, die beim Eurothalia Theaterfestival 2014 auf die Bühne gebracht wurde, war Crash Course Chit Chat“ des Theaterensembles Sanja Mitrović aus Amsterdam. Die Idee, die Regie und die Choreographie gehören der Künstlerin Sanja Mitrović, die in ihrem Theaterensemble fünf Darsteller vereinte, die fünf europäische Staaten vertreten: Deutschland, Frankreich, Gro‎ßbritannien, die Niederlande und Belgien. Die Aufführung beruht zuerst auf den persönlichen Geschichten der Darsteller (Kindheit, Familie, persönliches Leben) und auf Geschichten, Klischees und Vorurteile über die fünf Völker. Mit Hilfe der Strategien des Dokumentarfilms forscht die junge Regisseurin nach der Beziehung zwischen der persönlichen und der europäischen Identität. Die französische Darstellerin Servane Ducorps spricht über die Fragen, die das Theaterensemble in der Aufführung Crash Course Chit Chat“ zu beantworten versucht:



    Kann man sich als Europäer definieren? Können wir Europäer sein? Was bedeutet überhaupt, Europäer zu sein? Was haben wir gemeinsam? Was teilen wir nicht? Meiner Ansicht nach handelt es sich darum, sich selbst zu erforschen. Am Anfang der Aufführung sind wir neugierig, uns gegenseitig zu entdecken. Je tiefer wir uns aber kennenlernen, desto mehr zerstören wir einander. Die letzte Szene der Aufführung, die ausgeprägte religiöse Merkmale hat, kann als unser letzter Versuch gedeutet werden, zusammen zu sein. Der Versuch war aber gescheitert. Meiner Ansicht nach trägt der religionsbezogene Moment eine besondere Bedeutung, es war zudem sehr wichtig, das Thema anzusprechen: Was bedeutet überhaupt, zusammen zu sein?“




    Eine der rumänischen Aufführungen, die beim Europäischen Theaterfestival Eurothalia präsentiert wurde, war Victor sau copiii la putere“ (Victor oder die Kinder an der Macht“) von Roger Vitrac, inszeniert von Silviu Purcărete auf der Bühne des Ungarischen Staatstheaters Klausenburg. Dieses Jahr wurde die Produktion mit dem Preis des Rumänischen Theaterverbands UNITER für die beste Aufführung“ ausgezeichnet. Die Schauspielerin Csilla Albert, die bei der UNITER-Gala in der Kategorie beste Nebendarstellerin“ nominiert wurde, spricht in den folgenden Minuten über die Erfahrung im Bereich des experimentellen Theaters:



    Der Text war sehr schwierig. Ich glaube, dass er verfasst wurde, um eher gelesen als inszeniert zu werden, selbst wenn es sich um einen dramatischen Text handelt. Während der Proben bekam ich den Eindruck, dass er der Arie von Mozart ähnelt, die komponiert wurde und dennoch nicht zum Singen bestimmt war. Es war ein richtiger Kampf, diesen Text sozusagen zu bändigen. Es ist eine gro‎ße Herausforderung für jeden Schauspieler, nicht zu vergessen, warum er diesen Beruf gewählt hat, und das Niveau zu erreichen, auf dem er nicht nur gewisse Rollen spielt, sondern seine Gestalten fühlt. Ich habe versucht, mein inneres Kind rauszulassen, aber nicht indem ich zeigte, wie sich ein Kind benimmt, sondern indem ich vergessen habe, dass ich 35 Jahre alt bin. Zwei Stunden lang war ich sechs Jahre alt und das fühlte sich durch Mark und Bein sehr ehrlich an. Der Regisseur Silviu Purcărete kann seine Schauspieler dazu bringen, sich in einen bestimmten Satz, eine bestimmte Szene, in eine brennende Kerze zu verlieben. Man verliert sich selbst auf der Bühne, man tut alles, weil man wei‎ß, dass es sich lohnt. Es lohnt sich, Theater zu machen.“




    Das Deutsche Staatstheater Temeswar hat drei seiner eigenen Aufführungen auf die Bühne der europäischen Festspiele gebracht. Eine davon war Tschechows Theaterstück Die Möwe“, eine äu‎ßerst überwältigende Aufführung des Regisseurs Yuri Kordonsky, mit der Darstellerin Ioana Iacob in der Rolle von Irina Nikolajewna Arkadina:



    Ich fand die Zusammenarbeit mit Yuri Kordonsky au‎ßergewöhnlich! Jeder Schauspieler muss die Erfahrung einer derartigen Zusammenarbeit erleben. Es gelingt ihm, die Darsteller zu motivieren und sie in äu‎ßerst bewegende Situationen zu bringen. Das fand ich so bezaubernd bei der Zusammenarbeit mit diesem Regisseur. Die Aufführung ist äu‎ßerst emotionsbeladen und den Text finde ich sehr gut. Wie ist Irina? Oftmals kann man sie als Zicke beschreiben und oftmals wird sie auch so dargestellt. Ich wei‎ß nicht, ob es mir gelungen ist, ihrer menschlichen Seite Ausdruck zu verleihen. Bei den Proben gab ich mein Bestes, um zu beweisen, dass sie eigentlich ein guter Mensch ist. Sie ist eine Frau, die kein einfaches Leben führte und die ständig um etwas in ihrem persönlichen Leben, in ihrer Karriere oder in der Kunst kämpfen musste. Sie hat ihr ganzes Leben der Kunst gewidmet und oftmals verlor sie daher den Kopf. Ich glaube aber, dass sie, genau wie alle Gestalten Tschechows übrigens, eine gute Seele hat.“




    Die Theaterfestspiele Eurothalia wurden mit dem Ziel organisiert, das Theater als Kunst und Institution dem Publikum näher zu bringen. In den fünf Jahren, seitdem es zum ersten Mal stattfand, gelang es dem Festival, sein Ziel zu erreichen, sagte Theaterintendant Lucian Vărşăndan:



    Ich glaube, dass jedes Festival sich an die Gemeinschaft richtet, der es gewidmet wurde. Ein solches Festival hat seinen Weg zum Temeswarer Publikum gefunden. Es ist nicht schwer, diese Tatsache festzustellen — das Publikum erwartet jedes Jahr die Festspiele mit besonderer Begeisterung und bedauert auch, dass sie nicht früher ins Leben gerufen wurden. Voriges Jahr haben wir nach der Veranstaltung die Eindrücke der Zuschauer in einem Band zusammengefasst. Ein positives Feedback bekommt man auch, wenn man die vollen Säle merkt. Die Zuschauer zeigen jedes Jahr ein immer grö‎ßeres Interesse, sie kennen, wünschen sich und erwarten die europäischen Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar.“