Nach mehr als 20 Jahren Ehe ist mein Mann gestorben. Ich bin heute allein, ich habe keine Kinder, ich habe niemanden. Alles was ich tue, ist jeden Tag weinen. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann, mit dem ich arbeiten kann, ich bin ganz einsam. Wenn ich mich an den Tisch setze, ziehe ich oft einen anderen Stuhl heran, damit ich den Eindruck habe, jemand kommt noch. Wenn dann niemand kommt, weine ich wieder und höre auf, zu essen. Ich stehe auf und mache mich an die Hausarbeit. Das hier ist das Ende der Welt. Nirgendwo ist es schwieriger als in diesem Wald. Für uns ist es eine Qual.“
Es liegt viel Trauer und Resignation in der Stimme dieser Frau, die ihr ganzes Leben lang irgendwo in den Bergen Rumäniens gelebt hat. Es gibt viele wie sie, und leider kennt niemand ihre Geschichte — ihre Mitmenschen nicht und vor allem die staatlichen Stellen. Das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen hat dazu eine Reportage-Reihe mit dem Titel Isoliert in Rumänien“ gedreht. Niemand könnte diese Menschen und die von ihnen verkörperte Kollektivfigur besser beschreiben als die Journalistin Dite Dinesz, die 2006 die Berge durchkämmte, um die Gesprächspartner für ihre Berichte zu finden.
Es geht um diese Kollektivfigur, von der ich hoffte, sie irgendwann einmal nicht mehr anzutreffen, aber leider finde ich sie immer wieder vor, und es gibt immer noch Menschen, die niemanden zum Reden haben, die keinen Besuch kriegen, für die der Abend beginnt, wenn die Sonne untergeht. Männer und Frauen, von denen die meisten ältere Menschen sind. Wer Kinder hat, kann noch weggehen, auch wenn es in Rumänien noch zwei oder drei Schulen in den Bergen gibt, aber ich denke, dass diese Schulen in einigen Jahren ihre Türen schließen werden, weil es keine jungen Leute mehr gibt. Diese Kultur an sich sollte eigentlich idealerweise nicht verschwinden, aber leider wird sie verschwinden. Denn: Wer in einem kleinen Holzhaus lebt, jeden Tag genießt, nichts verlangt und weiß, dass er mit dem, was er hat, auskommen muss, beweist echte Charakterstärke. Wenn wir also jemals ein Museum über Rumänien bauen wollten, müssten wir mit den abgelegenen Dörfern beginnen.“
Dite Dinesz sagt, dass ihre Reportage-Reihe über eine andere Welt berichtet. Aber sie sind gleichermaßen Ausdruck eines prekären Zustands des Menschen in einer modernen Welt, die manchmal zu oberflächlich ist oder solche Menschen bewusst ignoriert.
Bauern führen ein sehr hartes Leben. Es heißt nicht umsonst ‚Dummer Bauer‘. Denn wir leben von dem, was wir verkaufen. Wenn wir nichts verkaufen können, verhungern wir. Gestern war ich auf dem Markt, um etwas zu verkaufen. Ich habe nichts verkauft. Ich konnte kaum ein Brot kaufen. Es gibt Essen, aber niemand bietet es umsonst an. Es heißt immer: ‚Geh arbeiten. Wer nicht arbeitet, verreckt.‘“
Rumäniens isolierte Menschen, wie der alte Mann, von dem wir gerade gehört haben, sind keine Touristen. Sie sind Bewohner isolierter Dörfer, sie haben keine gepflasterten Straßen, keine Geschäfte, keine Krankenhäuser. Nur der Priester besucht sie von Zeit zu Zeit, um ihnen den Segen zu geben. An einem solchen Ort zu leben, nicht für einen oder zwei Tage, sondern ein Leben lang? Schwer vorstellbar aus unserem komfortablen und privilegierte Position heraus, sagt die Reporterin Dite Dinesz:
Die armen älteren Leute halten oft noch Tiere, aber sie können auf dem Land um ihr Haus herum nicht mehr arbeiten und erhalten daher keine Subventionen. Die jungen Leute sind weggezogen. Diese Menschen zahlen keine Trinkwasserrechnung, der Preis für die Stromversorgung ist sehr niedrig, weil die meisten von ihnen nicht einmal einen Fernseher haben. Ihre Renten sind aber auch sehr gering.“
Vor einigen Tagen stieß Dite Dinesz auf eine alte Frau, die umgerechnet 3 Euro Rente hat, aber sie weiß auch von anderen, die gerade die Hälfte beziehen. Die Beträge sind manchmal so klein, dass der Postbote auch mal versäumt, das Geld vorbeizubringen — der Aufwand lohne sich kaum. Die Journalistin und ihr Team stellt diese in Abgeschiedenheit lebenden Menschen einem Millionenpublikum vor. Die Lektion der Demut dieser Menschen ist überwältigend, sie beschweren sich über nichts und geben niemandem die Schuld für ihre Lage. Sie akzeptieren ihr Leben als solches, mit allen Ängsten und Entbehrungen. Ihre größte Angst ist, dass diese Lebensart, fernab der Zivilisation und inmitten der Natur, ein für alle Mal verschwindet, wenn sie sterben. Diese Menschen behaupten, dass das, was sie haben, genug sei, aber ihnen fehlen die Freuden und Hoffnungen.
Ein wenig Hoffnung bringt diesen Menschen Dita Dinesz, die ihren Berichterstatterhut ablegt und den Leuten hilft, so gut wie sie kann:
Ich versuche, viele Probleme telefonisch abzuklären. Heute Morgen habe ich zum Beispiel Brennholz für jemand in Mehedinţi besorgt und einen Ofen für eine Familie in Alba… Und es gibt wunderbare Menschen, die diese Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Gerade habe ich mit einer Sozialarbeiterin in Mehedinţi gesprochen, die mir erzählte, wie sie aus freien Stücken wöchentlich zu einem alten Mann geht und ihm Essen bringt.“
Die Zuschauer der Reihe haben inzwischen eine Gruppe von mehr als 100.000 Beteiligten auf Facebook gebildet. Dite Dinesz, die von ihrer Freundin Oana Romocea unterstützt wird, ist ebenfalls ehrenamtlich tätig. Mit den Geldern, die auf Initiative des gemeinnützigen Vereins Diaspora Locală“ für die Isolierten gesammelt wurden, bereitet Dite Dinesz Ess- und Medikamentenpakete für die Menschen in den Bergen vor. Jeden Monat erhalten ältere Menschen, die keine Rente haben, obwohl sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, solche Pakete, und Familien mit Kindern Hilfe und Freiwillige bauen für sie Photovoltaikanlagen. Viele hilfsbereite Mitbürger brauchen diese Menschen hoch oben auf den Bergen, glaubt Dite Dinesz: Sie geben ihnen Gelegenheit, etwas Gutes zu tun, aus ihrer grauen Routine herauszukommen“, sagt die Journalistin.