Tag: Donaufürstentümer

  • Tudor Vladimirescu: Walachischer Aufstand von 1821 eröffnete mehr Spielraum

    Tudor Vladimirescu: Walachischer Aufstand von 1821 eröffnete mehr Spielraum

    Wer heute in Griechenland unterwegs ist, wird schnell auf die vielen Plakate aufmerksam, die auf die 200. Jährung des Beginns des griechischen Unabhängigkeitskriegs hinweisen. Dieses Ereignis hat aber auch einen bemerkenswerten Rumänien-Bezug — im Januar 1821 begann in der Kleinen Walachei (Oltenien) die politische Bewegung von Tudor Vladimirescu. Der frühere Soldat in der Zarenarmee und spätere Kaufmann war von den Idealen des aufgeklärten Nationalismus beeinflusst und marschierte an der Spitze einer 5000 Mann starken Truppe auf Bukarest. Im Mai verlie‎ß er die Stadt, da er einen türkischen Einfall befürchtete. Am 21. Mai 1821 wurde Vladimirescu von den griechischen Nationalisten ermordet, aus deren Sicht er Verrat an der gemeinsamen Sache begangen hatte. Die damalige Bewegung Vladimirescus galt lange als Beginn der nationalen Emanzipierung der rumänischen Nation.



    Doch die politische Lage in der Region war deutlich komplizierter. Griechische Nationalisten in der Bewegung Philiki Etaireia — deutsch in etwa Freundschaftsbund“ — wollten die Unabhängigkeit Griechenlands und bekamen dabei starke Rückendeckung aus Russland. In den rumänischen Fürstentümern waren die vom Osmanischen Reich eingesetzten Herrscher aus dem griechischen Viertel Phanar in Konstantinopel der Sache der Etairia ebenfalls wohlwollend gesinnt. Seit 1716 prägten sie die Politik in den rumänischen Fürstentümern. Das 18. Jahrhundert galt als Jahrhundert der Herrscher aus Phanar — bei Zeitgenossen und Nachfahren war es negativ besetzt. Was damals als gemeinsame rumänisch-griechische Causa betrachtet wurde, spaltete sich 1821 in zwei getrennte Bewegungen.



    Wie die Bewegung von Tudor Vladimirescu heute zu bewerten ist, erläutert bei RRI der Historiker Alin Ciupală:



    Sehr wenig bis gar nicht wurde über einen Faktor diskutiert, den die kommunistische Geschichtsschreibung ganz unter den Teppich kehrte — die Rolle des Gro‎ßadels in den rumänischen Fürstentümern, der unter dem Einfluss des über die griechische Kultur importierten westlichen Gedankenguts der Aufklärung stand. Diese Ideen, die ein Gro‎ßteil der Bojaren übernahm, führten praktisch zu einem gro‎ßen Bruch, den wir gegen Ende des 18. Jahrhunderts bemerken. Zwischen dem nationalen griechischen Projekt und dem entstehenden Nationalprojekt der Rumänien entstand eine Spaltung — der griechische Nationalismus, hierzulande gefördert von den Phanarioten und den griechischen Adeligen, kollidiert mit dem Nationalismus der rumänischen Bojaren. Und das führt dazu, dass die rumänischen Adeligen nach Mitteln und Wegen suchten, um die Phanarioten zu beseitigen.“




    Jede Seite hatte ihre spezifischen Vorteile: Die Griechen besa‎ßen die politischen, administrativen und militärischen Instrumente in der Walachei, während der rumänische Gro‎ßadel die Wirtschaft dominierte. Alin Ciupală glaubt, dass die rumänischen Bojaren auf Tudor Vladimirescu als Lösung für ihre Probleme setzten — doch es sollte anders kommen, als von ihnen erwartet.



    In dieser Konjunktur erscheint also Tudor Vladimirescu — er ist ein Mann der Taten, mit militärischer Erfahrung als dekorierter Offizier im russisch-türkischen Krieg von 1806–1812. Die patriotischen Bojaren heuern ihn an, bestellen ihn nach Bukarest und geben ihm Geld, mit dem er in Oltenien eine Armee organisieren und bewaffnen und mit der er auf Bukarest marschieren sollte. Doch als Vladimirescu vor Ort feststellte, wie viel Vertrauen er bei seinen Kameraden in den Reihen der sogenannten Panduren-Truppen genoss und 5000 Mann überzeugte, ihm zu folgen, entschied er sich, sein eigenes Süppchen zu kochen — er verwarf das Projekt der Bojaren und machte immer deutlicher keinen Hehl aus seiner Absicht, das politische Machtvakuum nach dem Ableben des letzten phanariotischen Herrschers in der Walachei zu füllen.“




    In dem Moment, so der Geschichtsforscher weiter, flüchten die rumänischen Bojaren nach Kronstadt und Hermannstadt, den heutigen Städten Brașov und Sibiu. Die Bahn war also frei für Vladimirescu. Aber er war ständig um die Unterstützung der verbliebenen Adeligen bemüht, wie damalige Dokumente es zeigen — er war sich voll bewusst, dass sie die einzigen waren, die ihm die Legitimität für eine Machtposition verleihen konnten.



    Inzwischen setzte die griechische nationale Bewegung auf die Unterstützung Russlands. Doch das Zarenreich zögerte, und auch Vladimirescus Armee ging auf Distanz zu den griechischen Nationalisten — die osmanischen Truppen hatten unter diesen konfusen Umständen zunächst ein leichteres Spiel, so Historiker Alin Ciupală abschlie‎ßend:



    Zeitgleich kommt es zum griechischen Aufstand und in dem Moment, wo Russland das Osmanische Reich auf diplomatischem Weg versicherte, sich nicht zugunsten des Aufstands einzumischen, greift das türkische Militär ein. Interessant ist, dass es nirgendwo zum Kampf zwischen den osmanischen Truppen und Tudor Vladimirescus Heer kam, was deutlich zeigt, dass die Osmanen gezielt den griechischen Aufstand niederwerfen wollten.“




    Doch selbst wenn Tudor Vladimirescu auf tragische Weise umgebracht wurde, wirkte seine Bewegung nach: Das Osmanische Reich verzichtete, eigene Vertreter auf den Thron der rumänischen Fürstentümer zu schicken, und die rumänischen Führungseliten hatten die Möglichkeit, eine schlüssigere Strategie zu artikulieren.



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  • Donaufürstentümer im Vorfeld der 1848er Revolution: Kulturkampf um Modernisierung

    Das Konzept der Modernisierung erscheint zunächst diffus nach den 1770er Jahren in Schreiben des Adels an die kaiserlichen Kanzleien in Russland und Österreich, gewinnt dann aber immer mehr an Gestalt. Nach dem Aufstand von Tudor Vladimirescu im Jahr 1821 willigte zunächst der Sultan in Konstantinopel ein, keine Phanarioten mehr als Herrscher einzusetzen, sondern Angehörige des einheimischen Adels. Ein erster Sieg, andere sollten folgen.



    Zwei Generationen von Modernisierern sollten Rumänien nachwirkend prägen: Die 1820er hatte sich im osmanisch-orientalischen Zeitgeist sozialisiert, hatte sich jedoch von westlichen Besuchern beeinflussen lassen. 20 Jahre später folgte eine neue Generation von Reformern, die in Frankreich, Deutschland oder Italien studierte hatten und dort die westliche Moderne hautnah erleben durften. Die Senioren verspotteten diese jungen Adelsleute als Bonjouristen“, weil sie untereinander Französisch sprachen. Doch sie legten ein handfestes radikales Transformationsprogramm vor.



    Historiker wie Alin Ciupală von der Universität Bukarest befassen sich mit dem Spannungsfeld zwischen modernisierender und konservativer Gestaltung. Er glaubt, dass man nach Tudor Vladimirescus Aufstand von 1821 und der Beseitigung der Phanarioten vom Beginn der politischen Gesellschaft sprechen kann:



    Nach der Rückkehr zur Praxis einheimischer Herrscher in 1822 ist der Gro‎ßadel gespalten. Es gab eine Fraktion der Russlandtreuen, die die Politik des Zarenreiches am Balkan unterstützten, und eine weitere Fraktion, die dem Osmanischen Reich als Vormacht und dessen Interessen in der Region dienten. Aber nach 1840 erscheint eine neuen Generation von jungen Adeligen aller Ränge, die ein neues politisches Projekt entwickeln — es ist der Kern der Revolution von 1848, auf deren Basis die Vereinigung der Fürstentümer und die Modernisierung der Gesellschaft folgten.“




    Die Generationen stritten um Grundsätze wie Meinungsfreiheit und Abschaffung der Zensur — interessanterweise verliefen die Gräben nicht nur entlang der Generationen, sondern auch der Geschlechter. Die Adelsfrauen waren viel offener für Veränderungen als ihre Ehemänner, gibt der Historiker Alin Ciupală zu bedenken.



    Es sind in der 1848er Zeit eigentlich zwei Zäsuren zu bemerken. Mitten in der Ehe verlief eine Trennungslinie — die Männer blieben einem orientalischen kulturellen Leitbild treu, während die Frauen mutiger waren und entschiedener den Schritt in die Moderne wagten, also hin zu einem westlichen Modell. Die zweite Trennungslinie war die zwischen Kindern und Eltern.“




    Eine anscheinend weniger relevante, frivolere Front des Mentalitätskonflikts war die Mode im weiteren Sinne des Wortes. Kleidung, Schuhwerk, Schmuck, Musik, Literatur und Gesellschaftsspiele — an all diesen lie‎ßen sich die Unterschiede auslegen. Man sieht in Bildern von damals wie stark der Kontrast in den Familien war: Männer im orientalischen Kaftan, ihre Ehefrauen in Kleidern nach der neuesten Pariser Mode, bemerkt Alin Ciupală:



    Es gibt in Bukarest ein sehr schönes Monument, an dem wir oft ahnungslos vorbeigehen. Es ist das Standbild der Golescu-Familie in der Nähe des Nordbahnhofs. Der Pater Familias Dinicu Golescu ist abgebildet in orientalischen Gewändern, die die Phanarioten Anfang des 18. Jahrhunderts hier etabliert hatten. Seine Söhne hingegen, die der 1848er Generation angehörten, sind nach der damals westlichen Mode gekleidet — nach »deutscher« Mode, wie es damals hie‎ß. Das Monument zeigt klar diesen Bruch und ist ein Bild des Wandels in der Gesellschaft Mitte der 19. Jahrhunderts.“




    Den Grundstein für das moderne Rumänien legten vor 160 Jahren zwei Generationen, die zwar im Clinch über die Methode lagen, sich jedoch einig über das Ziel waren, führt der Historiker Alin Ciupală abschlie‎ßend aus.

  • Zur Geschichte der Donaukommission: zweitälteste internationale Organisation der Welt

    Zur Geschichte der Donaukommission: zweitälteste internationale Organisation der Welt

    Der Krimkrieg (auch Orientkrieg oder 9. Türkisch-Russischer Krieg) war ein von 1853 bis 1856 dauernder militärischer Konflikt zwischen Russland einerseits und dem Osmanischen Reich sowie dessen Verbündeten Frankreich, Gro‎ßbritannien und seit 1855 auch Sardinien-Piemont andererseits. Er begann als neunter Russisch-Türkischer Krieg, in den die westeuropäischen Mächte eingriffen, um eine Gebietserweiterung Russlands auf Kosten des geschwächten Osmanischen Reichs zu verhindern. Am 30. März 1856 schloss Russland mit seinen Kriegsgegnern — dem Osmanischen Reich, Gro‎ßbritannien, Frankreich und Sardinien sowie den nicht kriegführenden Staaten Preu‎ßen und Österreich — den Dritten Frieden von Paris. Darin wurde die Integrität und Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches erklärt. Die Donaumündungen und ein Teil Bessarabiens gingen an das Fürstentum Moldau. Die Schifffahrt auf der Donau wurde freigegeben, die Kommission der Donau-Uferstaaten gegründet und das Schwarze Meer zu einem neutralen Gebiet erklärt.



    Das Ende des Krimkrieges markierte die Anfänge des modernen rumänischen Staates, als die Entscheidungen der Siegermächte 1859 zur Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei und 1878 zur Unabhängigkeit Rumäniens führten. Die Donau wurde schlie‎ßlich zu einem freien europäischen Schifffahrtsweg, und man konnte auf dem Rhein und auf der Donau von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer fahren. Der Historiker Constantin Ardeleanu von der Universität Dunărea de Jos“ (Niederdonau“) in Galaţi unterstreicht die gro‎ße Bedeutung der Donau für die Entstehung, die Modernisierung und die Verwestlichung Rumäniens:



    Die Donau spielte eine zentrale Rolle nicht nur bei der wirtschaftlichen, sondern auch bei der politischen Modernisierung der Donaufürstentümer, wie sie Mitte des 19 Jh. genannt wurden. Die Donau ist einer der Pfeiler, auf denen das moderne Rumänien gegründet wurde. Die Donau ist ein äu‎ßerst interessanter Fluss, weil sie, wie der Rhein, Gegenstand einer internationalen Kommission war.“




    Das Erscheinen Rumäniens auf der europäischen Landkarte bedeutete aber auch das Entstehen eines internationalen Gremiums, das die Freiheit der Donau garantierte. Es war die Europäische Donaukommission, bestehend aus Österreich, Frankreich, Gro‎ßbritannien, Preu‎ßen, Sardinien, Russland und dem Osmanischen Reich, eine gesamteuropäische Institution, die kurz nach dem Ende des Krimkrieges entstand, um die freie Flussschifffahrt zu sichern. Über die Geschichte der Europäischen Donaukommission sagte der Historiker Constantin Ardeleanu:



    Es handelte sich um eine internationale Einrichtung, die nach dem Krimkrieg geschaffen wurde und die Aufgabe hatte, die Donaumündungen von den technischen und politischen Problemen zu befreien, die die Schifffahrt in der Region behinderten. Sie war die zweite internationale Organisation der Welt; die erste war eine ähnliche Kommission, die 1815 zur Regulierung des Rheins gegründet worden war. Die Europäische Donaukommission unterschied sich aber von der Rheinkommission — sie wurde von den 7 europäischen Mächten gegründet, die die Existenz der Vereinigten Rumänischen Fürstentümer garantierten. Aus einer kurzfristig angelegten Aktion wurde eine solide Institution, die von 1856 bis 1948 dauerte. Die Europäische Donaukommission war die erste Institution, die als ‚europäisch‘ bezeichnet wurde.“




    Es wird oft gesagt, Rumänien sei die Kornkammer Europas“ gewesen. Der Ursprung dieses Ausdrucks liegt genau in der internationalen Politik des 19. Jahrhunderts, als die Westmächte eine einfache Möglichkeit suchten, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, und die rumänischen Fürstentümer die nächste und sicherste Quelle für Agrarprodukte waren. Dazu der Historiker Constantin Ardeleanu:



    Die Donaufürstentümer waren ein äu‎ßerst wichtiger Markt für die Versorgung mit Getreide. Europa befand sich mitten in einer industriellen Revolution und die Donaufürstentümer waren einer der grö‎ßten Versorgungsmärkte. In der Tat hing das Entstehen des modernen Rumänien vom dem Wohlstand ab, den der Getreidehandel brachte. Gleichzeitig war Russland das grö‎ßte Hindernis, die russische Macht, die die Donaufürstentümer kontrollierte, setzte dem internationalen Handel alle möglichen Hindernisse in den Weg. So hatte der Krimkrieg auch eine wichtige wirtschaftliche Komponente. Am Ende des Krimkrieges wurde der internationale Grundsatz aufgestellt, dass die Flüsse frei schiffbar sein müssen. Dieses Prinzip galt für die Donau nach 1856, als Russland die Donau nicht mehr kontrollierte.“




    Der neue rumänische Staat hatte den Auftrag, der ihm zuteil gewordenen Ehre würdig zu sein. In dieser Hinsicht haben die europäischen Mächte über seinen internationalen Status entschieden. Constantin Ardeleanu:



    Aus der Sicht der Gro‎ßmächte bestand die Rolle Rumäniens darin, die Freiheit der Donaumündungen zu garantieren. Dies wurde später, mit dem Berliner Vertrag von 1878 sehr deutlich, als die Unabhängigkeit Rumäniens anerkannt und Rumänien Mitglied der Europäischen Donaukommission wurde. Rumänien sollte als Pufferzone zwischen Russland und dem Osmanischen Reich fungieren und die Unabhängigkeit der Flussschifffahrt auf der Donau garantieren.“




    Die Europäische Donaukommission war keine rein bürokratische Institution. Sie hat aufgrund ihrer Effizienz, ihrer erfolgreichen Projekte und ihrer Neutralität an Ansehen gewonnen. Mehr dazu von Constantin Ardeleanu:



    Die Europäische Donaukommission begann eine immer aktivere Rolle in der internationalen Politik zu spielen, und zwar bereits in den ersten Jahren nach ihrer Gründung, als die sieben europäischen Kommissare als ausgleichender Faktor in einem geopolitisch komplizierten Gebiet angesehen wurden. Während des Krieges für die Unabhängigkeit Rumäniens von 1877–1878 wurde die Donauhafenstadt Sulina gerade durch die Existenz dieser Kommission verteidigt. Die Russen versuchten, die Stadt zu bombardieren, aber sie achteten sehr genau darauf, wo sie ihre Schüsse abgaben, um die Neutralität der Donaukommission zu respektieren. Diese Kommission war eine äu‎ßerst effiziente bürokratische Einrichtung, die sich auf genaue Regeln konzentrierte. Am Ende des Ersten Weltkriegs galt die Europäische Donaukommission als Vorbild für die internationale Zusammenarbeit.“




    Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Europäische Donaukommission (EDK) auf der Basis der Versailler Verträge neu belebt. Daneben gründete sich im Jahr 1921 die Internationale Donaukommission (IDK), die ihren Sitz zuerst in Pre‎ßburg (Bratislava) nahm. Im Jahr 1927 wurde dieser nach Wien verlegt. Die Präsidentschaft der EDK wurde im Wechsel von Vertretern der Anrainerstaaten übernommen. Schlie‎ßlich lösten sich die beiden Kommissionen (EDK und IDK) im Jahr 1940 auf, dafür entstand der Flussrat mit Sitz in Pre‎ßburg/Bratislava. Die Kriegseinwirkungen führten in den 1940er Jahren zum völligen Erliegen der Schifffahrt auf der Donau, weswegen alle entsprechenden Organe ihre Arbeit einstellten.



    Am 18. August 1948, nachdem in Belgrad auf sowjetischen Vorschlag ein entsprechendes Übereinkommen über die Regelung der Schifffahrt von ursprünglich sieben Staaten unterzeichnet worden war, gründete sich die Donaukommission neu und siedelte sich in Galaţi (Galatz) in Rumänien an. Im Jahr 1954 zog die Kommissionsverwaltung nach Budapest. Deutschland und Österreich wurden bei der Gründungskonferenz nicht zugelassen, da sie für den Krieg verantwortlich gemacht wurden. Österreich ist seit 1960 Mitglied. Deutschland konnte auf Grund russischer Vorbehalte erst nach 1999 beitreten. Gro‎ße Bedeutung hatte die Donaukommission neben den laufenden Aufgaben im Zuge der Kriegswirren des Balkankonflikts, als die Donau nicht mehr passierbar war. Der Kommission wurde das Projekt Räumung der Donau bei Novi Sad übertragen.



    Ein Teil des Vermächtnisses der Europäischen Donaukommission, das wir täglich auf Radio Rumänien hören, sind die auf Rumänisch, Russisch und Französisch verlesenen Pegel der Donaugewässer. Der Rumänische Rundfunk bietet seit Jahrzehnten diesen Dienst an. Grund für das tägliche Verlesen der Eckdaten über den Donaupegel ist eine Empfehlung der Donaukommission aus dem Jahr 1979, in der es hie‎ß, dass diese für den Schiffsverkehr wichtigen Informationen im rumänischen Sektor des Donauverlaufs durch den Rumänischen Rundfunk zu erfolgen habe, und zwar in den Sprachen Rumänisch, Französisch und Russisch. Warum gerade diese drei Sprachen? Das ist einfach zu beantworten: Rumänisch ist die Landessprache, Russisch und Französisch sind zwei von den insgesamt drei Amtssprachen der Donaukommission. Deutsch ist zwar auch Amtssprache der besagten Organisation, in der Aussendung des Rumänischen Rundfunks wird sie aber nicht berücksichtigt.



    Seit 2008 werden die Wasserstände der Donau allerdings nicht mehr im ersten Programm ausgestrahlt, das sich Radio Rumänien Aktuell nennt, sondern im Programm für Landwirte, das sich Antena Satelor (Dorfantenne) nennt und auf Langwelle sendet. Die Donaupegel an den verschiedenen Messstationen werden täglich von 12:10–12:20 Uhr Ortszeit auf 153 kHz verlesen — das ist nach MEZ 11:10–11:20 Uhr, also eine Stunde früher.

  • Fürst Alexandru Ioan Cuza: Träger der Vereinigung mit Hang zum Autoritarismus

    Fürst Alexandru Ioan Cuza: Träger der Vereinigung mit Hang zum Autoritarismus

    Am 20. März 1820 wurde in der moldauischen Stadt Bârlad, im Osten des heutigen Rumänien, der spätere Oberst Alexandru Ioan Cuza geboren. Als erster Herrscher der vereinigten Fürstentümer Moldau und Walachei verkörperte Alexandru Ioan Cuza die zukünftige Staatsstruktur, die von den beiden rumänischen Fürstentümern gebildet wurde. Cuza war der richtige Mann zur richtigen Zeit, aber nach nur sieben Jahren wurde es klar, dass seine Regierungszeit in der Art und Weise, wie sie in den Dokumenten der europäischen Gro‎ßmächte festgelegt wurde, die der Vereinigung zugestimmt hatten, nur vorübergehend sein würde.



    Am 24. Januar 1859 schlossen sich die rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei zusammen, um den neuen Staat Rumänien zu bilden, und durch die Wahl von Alexandru Ioan Cuza zum Fürsten gleicherma‎ßen der Moldau und der Walachei wurde die Vereinigung verwirklicht. Unterstützt von der Mehrheit der politischen Akteure und der Eliten, die für die nationale Selbstbestimmung und Modernisierung gekämpft hatten, führte Cuza wichtige Reformen durch: die Säkularisation von Klostervermögen, die Steuerreform und die Agrarreform.



    Der Historiker Alin Ciupală, Professor an der Universität Bukarest, sagte, Alexandru Ioan Cuza sei der Mann gewesen, dessen Mut Rumänien in der Übergangszeit der Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei brauchte:



    Alexandru Ioan Cuza war in erster Linie ein sehr mutiger Mann. Er hatte den Mut, eine Rolle und eine Mission in einer sehr heiklen Zeit zu übernehmen, in einer Ära der Unsicherheit, aber auch in einer Ära der sehr gro‎ßen Hoffnungen. Cuza hatte den Mut, eine kohärente Modernisierung der rumänischen Gesellschaft, der Vereinigten Fürstentümer, zu fördern, er war derjenige, der ein modernes institutionelles System einführte, um die rumänische Gesellschaft auf den Weg nach Europa zu bringen.“




    Die beste Zeit der Herrschaft von Alexandru Ioan Cuza war von 1859 bis 1863; es war die Zeit der Reformdynamik und des Aufbaus eines neuen Staates nach westeuropäischem Vorbild. Ab 1863 änderte sich aber Cuzas Persönlichkeit, er begann sich dem Autoritarismus zuzuwenden. Mit der Unterstützung einer profitgierigen Höflingspartei gefährdete er die bis dahin erreichten Fortschritte. Dazu sagte der Historiker Alin Ciupală:



    Gleichzeitig müssen wir sagen, dass die Herrschaft von Alexandru Ioan Cuza auch eine dunkle, weniger positive Seite hat. Fürst Alexandru Ioan Cuza hat sich irgendwann entschlossen, die Modernisierung Rumäniens allein zu fördern. Nach dem Staatsstreich vom 2. Mai 1864 blieb Cuza praktisch isoliert, er entlie‎ß fast alle seine Mitarbeiter, vor allem die Vertreter der Revolution von 1848, die seine Wahl zum Herrscher der Rumänischen Fürstentümer ma‎ßgeblich mitbestimmt hatten. Diese ganze Ära muss in einem gewissen Gleichgewicht betrachtet werden, wir müssen die Verdienste des Herrschers anerkennen und gleichzeitig über seine Versäumnisse sprechen. Seine erzwungene Abdankung erfolgte im gegenseitigen Einvernehmen der gesamten politischen Klasse, denn Cuza verwandelte sich langsam von einem Anhänger der Modernisierung in einen autoritären Herrscher, der die Modernisierung blockierte. Alexandru Ioan Cuza machte einen gro‎ßen politischen Fehler: Er verstand nicht, dass Modernisierung ohne Liberalismus nicht möglich war.“




    Die Reaktion der rumänischen Elite auf Cuzas neue politische Haltung lie‎ß nicht lange auf sich warten. Am 11. Februar 1866, sieben Jahre nach seiner Wahl am 24. Januar 1859, drang eine konspirative Gruppe von Militärs in den Palast ein und zwang den Fürsten, abzudanken. In den folgenden Tagen wurde er über die Grenze au‎ßer Landes geführt. Nun war der Platz frei für den Nachfolger Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, der am 26. März 1866 offiziell zum neuen Fürsten erhoben wurde. Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, der zukünftige König Karl I. (rum. Carol I.), machte es möglich, dass Rumänien sich auf einer soliden Basis etablierte. Alin Ciupală ist der Ansicht, dass die Zeit von Cuza und die Zeit von Karl I. in Kontinuität nacheinander und nicht in Konkurrenz zueinander betrachtet werden sollten:



    Die Kontinuität ist wichtig, denn nach der erzwungenen Abdankung von Alexandru Ioan Cuza haben Fürst Karl und die ihm nahestehenden Politiker nichts unternommen, um die während der Cuza-Zeit getroffenen Ma‎ßnahmen aufzuheben. Alle Initiativen, alle Projekte, die Cuza begonnen hatte, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fortgesetzt. Darüber hinaus müssen wir sagen, dass Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, der später als König Carol I. in Rumänien herrschte, keine Anstrengungen unternommen hat, um das öffentliche Bild seines Vorgängers zu tilgen. Im Gegenteil, Carol I. baute sich sein eigenes öffentliches Image nach dem Bild Cuzas auf. Wenn wir die Geschichtsbücher lesen, werden wir viele Fakten und Ereignisse entdecken, die Cuza in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung bis hin zur Zeit des Ersten Weltkriegs bleiben lie‎ßen. Natürlich gab es auch ein politisches Interesse. König Karl I. wollte sich eine Kontinuität mit den gro‎ßen Woiwoden der Rumänen sichern und nahm in seinen dynastischen Diskurs auch Alexandru Ioan Cuza ein — das zeugt von ganz klaren politischen Interessen. Während der Herrschaft des Königs Carol I. und in der Zwischenkriegszeit wurde die Figur von Cuza nicht in den Schatten gestellt, Fürst Alexandru Ioan Cuza blieb in der Geschichte der Rumänen. Und wir sehen, wie die damaligen Historiker nach und nach die negativen Seiten der Herrschaft von Cuza vergessen und nur noch über seine Erfolge zu sprechen beginnen.“




    Vor 200 Jahren erschien Fürst Alexandru Ioan Cuza auf der Bühne der Geschichte als eine der vielversprechendsten Figuren in der Geschichte Rumäniens. Trotz seiner menschlichen Fehler und Misserfolge hat er seine Mission erfüllt, nämlich das neue Rumänien in eine moderne, europäische Richtung zu lenken.

  • Historische Fälschungen aus patriotischer Gesinnung: die Huru-Chronik

    Historische Fälschungen aus patriotischer Gesinnung: die Huru-Chronik

    Patriotische Fälschungen mobilisierten die latenten Energien, die sich paradoxerweise schlie‎ßlich positiv auf die nationale Emanzipation auswirkten. Mitte des 19. Jahrhunderts, nach dem Krimkrieg von 1853–1856, wurde das Schicksal der rumänischen Donaufürstentümer Moldau und Walachei entschieden. Die nationale Bewegung, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts entstanden war, forderte, dass sich die beiden Fürstentümer zu einem einzigen Staat zusammenschlie‎ßen und sich vom osmanischen Einfluss befreien.



    Dies konnte nur durch die Überzeugung der Gro‎ßmächte des Westens erreicht werden, und die rumänischen Eliten griffen zur Erreichung ihrer politischen Ziele zu allen Mitteln. Eines der Mittel war die Fälschung mittelalterlicher Dokumente, um zu zeigen, dass die Situation vor der Ankunft der Türken in Europa und der Eroberung der rumänischen Länder besser gewesen sei. Die bekannteste historische Fälschung mit patriotischem Hintergrund war die Huru-Chronik, die eine offizielle Chronik der Moldau aus dem 13. Jahrhunderts sein sollte und in der die lateinische Herkunft der Rumänen dargestellt worden wäre. Verfasser der Chronik sei ein gewisser Huru gewesen, der angebliche Chronist des Prinzen Dragoş, des Gründers der Moldau.



    Mircea Anghelescu ist Professor an der Philologischen Fakultät der Universität Bukarest und Autor des Buchs Mistificţiuni“, das sich mit Fälschungen, Apokryphen, Farcen und anderen Mystifikationen in der rumänischen Literatur beschäftigt. Eines der Kapitel konzentriert sich auf die Huru-Chronik, die er als typische Manifestation einer historischen Zeit betrachtet:



    Es gibt besondere Bedingungen, die das Umfeld schaffen, in dem patriotische Fälschungen entstehen. Der Kontext, in dem all dies geschieht, steht im Zusammenhang mit der Schaffung einer historischen Zeit. Die kritische Masse wird erreicht und die Idee wird geboren, und jemand setzt sie in die Tat um. Es wurde von Versuchen zur Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit gesprochen, von Konfrontationen, die Rumänen wähnten sich unter mehreren Feinden, es war sehr schwierig, auch nur eine gewisse Autonomie zu bewahren. Dies ist der historische Moment, der die Schaffung von Fälschungen und deren Verbreitung ermöglicht und unterstützt. Eine berühmte Fälschung vor den Fälschungen des 19. Jahrhunderts ist die eines maltesischen Mönchs. Im 18. Jahrhundert behauptete er, dass einige unwichtige arabische Manuskripte religiösen Inhalts Chroniken darstellen würden, in denen es Zeugnisse über einige Besitztümer auf Malta gibt. Napoleon intervenierte und der Mönch kam lebend davon. Sein Name war Giuseppe Vella. Doch die Fälschung hatte Konsequenzen — sie veränderte die Wirtschaftsordnung des Landes.“



    Patriotische Fälschungen mobilisieren Energien — das kritische Denken bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Es galt, die höhere Vernunft“ über akademische Debatten walten zu lassen, und rumänische Intellektuelle nutzten die Praktiken der damaligen Zeit. Mircea Anghelescu erläutert weiter:



    In den Jahren kurz vor der Revolution von 1848 forderte die Proklamation von Heliade Rădulescu die Rückkehr zu einem Zustand vor der osmanischen Präsenz — mit folgenden Worten: ‚Wir machen keine Revolution, wir wollen eine Restitution!‘ — d.h. eine Wiederherstellung des Geltungsbereichs alter Gesetze. Die Proklamation brachte wahrscheinlich ein Mitglied der Familie Sion auf die Idee, eine Chronik zu fingieren, obwohl nie erwiesen wurde, wer die wahren Urheber der Fälschungen bzw. der Huru-Chronik waren. Sion berief sich auf alte Zeiten als eine Art Bescheinigung des ehrwürdigen Alters der eigenen Familie, weil er seine Kinder in eine russische Adelsschule in Sankt Petersburg einschreiben lassen wollte. Die gefälschte Huru-Chronik wurde in der Zeit nach dem Krimkrieg veröffentlicht, als die Zukunft der rumänischen Fürstentümer von dem abhing, was der Pariser Friedenskongress beschlie‎ßen würde. Wie kam es zur Fälschung? Einer der Nutznie‎ßer, der allerdings naiv und nicht selbst an der Fälschung beteiligt war, war der Nachkomme einer Bojarenfamilie, Boldur-Lăţescu, der behauptete: ‚Mit ist ein Dokument unter die Finger gekommen.‘ Niemand fragte ihn, woher er es hatte. Hatte er es von jemandem bekommen? Hatte er es in einem Archiv gefunden? Heutzutage, da wir eine legalistische Sicht der Geschichte haben, wäre dies die erste Frage an jemanden, der behauptet, ein historisches Dokument zu besitzen.“




    Wie jede Fälschung wurde auch die Huru-Chronik später als solche entlarvt, nachdem die politischen Forderungen der Rumänen erfüllt waren. Mircea Anghelescu erzählt, wie das Dokument als Fälschung enttarnt wurde:



    Die Sprache war der erste Hinweis, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte, und die Zeitgenossen verwendeten dieses Argument in der Debatte, die ihren Höhepunkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte, als der Fall schlie‎ßlich gelöst wurde. Sie verglichen das älteste rumänische Schriftstück, das eine gewisse Konsistenz im Rumänischen hatte, Ende des 16. Jahrhunderts verfasst wurde und vollkommen verständlich war, mit dem Text der angeblichen Chronik von Huru. Der Text der Chronik ist absurd, die Satzgliedstellung ist dem Lateinischen nachempfunden, weil der Fälscher wohl annahm, dass eine ältere Sprachstufe des Rumänischen diese bewahrt habe. Es gibt auch Wörter, die von lateinischen Stammwörtern abgeleitet sind, als ob sie im Rumänischen erhalten geblieben seien, und hier inspirierte sich der Fälscher wahrscheinlich von Cantemir. Diese gekünstelte Sprache wäre sofort aufgefallen, wenn es in den Augen der Öffentlichkeit, auch in den Augen von Spezialisten, ein Gespür für historische Entwicklungen gegeben hätte. Das war am Anfang nicht der Fall, denn die kritische Perspektive kommt erst mit der Zeit, nach objektiver Forschung. Der erste Hinweis war also die Sprache. Der zweite Hinweis bezog sich auf das Wissen über ferne Zeiten. Diese Chronik beinhaltet eine ganze Reihe von Referenzen: Sie sei an einem bestimmten Tag geschrieben worden und ist vom Autor unterschrieben, als wäre sie ein notarielles Dokument. Niemand dachte im 14. und 15. Jahrhundert daran. Es wird auch erwähnt, wie die Rumänen politisch organisiert waren — in Scharen, als ob es sich um die biblischen Stämme Israels handelte. Alles wird in eine kirchliche Ordnung gegossen, die Anführer werden als eine Art Bischöfe dargestellt. Sogar ihre Kleidung wird beschrieben — wei‎ße und rote Togen mit bestimmten Knöpfen, je nach Rang. Doch Kenntnisse über die Kleidung der Frühzeit gab es damals noch nicht, Nachforschungen darüber wurden es erst später angestellt.“




    Historische Fälschungen mit patriotischem Hintergrund waren keine Hochstaplerei im eigentlichen Sinne, sondern ein fragwürdiger Weg, um politische Ziele zu erreichen. Und manche meinen, Machiavellismus zum Wohle der Allgemeinheit sei eine Kunst, kein moralisches Urteil.

  • Seuchen in den rumänischen Fürstentümern: Wie die Pest im 19. Jh. behandelt wurde

    Seuchen in den rumänischen Fürstentümern: Wie die Pest im 19. Jh. behandelt wurde

    Im 18. und 19. Jahrhundert wurde sie als Seuche der Levante“, walachische Seuche“ und klebrige Seuche“ bezeichnet und galt als eine der gefährlichsten Krankheiten angesichts der Anzahl der Todesfälle und eines fehlenden Heilmittels. In den rumänischen Fürstentümern gab es in dieser Zeit nur wenige Pest-Herde, dennoch brachten manchmal ausländische Händler und Reisende die Krankheit mit.



    Die Pest wurde durch die Flöhe der Ratten übertragen, wobei die Form mit Bläschen am meisten verbreitet war. Die Pest war durch starkes Fieber, Blasen, Erbrechen, Blutungen und Halluzinationen gekennzeichnet, die schlie‎ßlich zum Tod führten.



    In den rumänischen Fürstentümern war die Pest jedoch nicht ständig präsent, die Region war au‎ßerdem auch kein Infektionsherd. Die Krankheit wurde stets von Kaufleuten, Soldaten, Pilgern und anderen Orientreisenden eingeführt, die Flöhe in ihrer Kleidung und Handelswaren mittrugen, oder von den Karawanen- und Schiffsratten. Historiker Sorin Grigoruţă vom Historischen Institut A. D. Xenopol“ in Iaşi hat ein Buch über die Pest und deren Behandlung veröffentlicht. Auf die Wahrnehmung der Krankheit angesprochen, verweist der Autor auf den damaligen Zeitgeist.



    Die Jahrhunderte vor dem 19. Jahrhundert waren von der Auffassung geprägt, dass Pestseuchen die Folge von Störungen der natürlichen Bedingungen sind, die durch eine Reihe astronomischer Faktoren wie Planeten-Konjunktionen, Finsternissen, Kometen und Katastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen verursacht wurden. Die Pest wurde als Strafe Gottes für die Vielzahl der Sünden der Menschen angesehen. Die Bewohner der rumänischen Gebiete und die Behörden lie‎ßen diese Auffassungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend fallen und erkannten die Rolle menschlicher Faktoren bei der Ausbreitung der Pest an. Im Laufe der Jahre und nach der Konfrontation mit mehreren epidemischen Wellen wird eine Reihe empirischer Befunde zur Planung antiepidemischer Ma‎ßnahmen führen. Die einzigen Methoden waren die Flucht oder die Entfernung der Kranken aus den Ortschaften.“




    Die Pest war überwiegend eine städtische Krankheit. Die von den damaligen Behörden getroffenen Ma‎ßnahmen würden heute als repressiv bezeichnet werden, erklärt Sorin Grigoruţă.



    In dem Bewusstsein, dass Ballungsgebiete das Risiko einer Ausbreitung der Pest erhöhen, haben die Behörden strenge Ma‎ßnahmen ergriffen, um den Kontakt zwischen den Menschen einzuschränken. Darunter die Einstellung der Tätigkeit von Gerichten, die Schlie‎ßung von Schulen, Kirchen, Cafés, der nachlassende Handel und Einschränkungen des Stra‎ßenverkehrs, insbesondere während der Nacht. Im Jahr 1785 befahl der Fürst seinem gro‎ßen Schwertträger, die Cafés zu schlie‎ßen, aber der Kaffee konnte noch durchs Fenster verkauft werden. Die Verkehrsbeschränkungen auf den Stra‎ßen während der Nacht waren darauf zurückzuführen, dass Kranke und Tote au‎ßerhalb der Stadt transportiert wurden. Es war kein angenehmes Bild und man versuchte auch, die emotionale Wirkung auf den Rest der Bevölkerung zu verringern.“




    Die zweite Ma‎ßnahme gegen die Pest sei die Isolation gewesen — Historiker Sorin Grigoruță beschreibt dies in seinem Buch.



    Die Isolation der Häuser, in denen die Pest nachgewiesen worden war, war die zweite der von den Behörden ergriffenen Ma‎ßnahmen. Die erste Form der Isolation bestand darin, die Kranken im Haus zu halten, sie wurden effektiv in ihren Häusern eingesperrt. Ich möchte erwähnen, dass diese Methode nicht nur in den rumänischen Gebieten zur Anwendung kam, sondern in ganz Europa verbreitet war. Wenn jemand überlebte war das in Ordnung, wenn nicht, dann wurden alle Bewohner des Hauses krank und starben. Die zweite Form der Isolation bedeutete, dass sowohl die Kranken als auch die Gesunden aus den angesteckten Haushalten entfernt wurden und diese Häuser einem Desinfektionsprozess unterzogen wurden. Das konnte sich auf die Belüftung und Reinigung des Hauses beschränken, aber auch bis zu einer teilweisen oder vollständigen Zerstörung reichen, meistens durch Inbrandsetzung. Ştefan Episcupescu [ein rumänischer Arzt und Publizist, 1777–1850, — Anm. d. Red.], nach dessen Ansicht die Pest ein »Geist des Todes« war, erinnerte sich 1824 daran, was die Heilmittel gegen die Pest waren. Ich zitiere aus seinen Schriften: »Von allen Mitteln der Heilkunde sind Wasser, Essig und Feuer die wirkungsstärksten gegen die Pest. Das Wasser wäscht und reinigt den Haftstoff der Pest, der Dampf des Essigs schwächt die Schärfe dieser Haftung und beseitigt das Gift, und das Feuer zieht den Geist der Seuche aus der Ferne seiner Glut an, verbrennt sie und löscht sie vollständig aus.«“




    Die wirksamste Methode zur Bekämpfung der Pest im Westen war die Quarantäne. Die erste europäische Quarantäne wurde vom Hafen von Ragusa beschlossen, der 40 Tage lang alle aus dem Orient kommenden Schiffe au‎ßerhalb der Stadt anhielt. Die Idee wurde von anderen europäischen Häfen und Städten übernommen. An Land war der sogenannte österreichische Sanitärkorridor äu‎ßerst effizient — dieser war an der Struktur der Militärgrenze orientiert. Die russische Quarantäne war derweil nur vorübergehend, sie galt nur während der Epidemie und war weitgehend unwirksam. Quarantänen gab es im rumänischen Raum auch, jedoch mit bescheidenen Ergebnissen, wie der Historiker Sorin Grigoruţă wei‎ß:



    Ohne die Ursache der Ausbreitung der Seuche bewusst anzugehen, brachten allmählich alle Ma‎ßnahmen, die zur Isolation der Kranken oder der Verdächtigen führten, einige Ergebnisse. Als nächstes bestand der erste Schritt darin, diejenigen, die aus von Pest betroffenen Gebieten kamen, für einige Tage zu isolieren und zu untersuchen, egal ob diese Gebiete im Land oder au‎ßerhalb des Landes lagen. Zur gleichen Zeit wurde ein System sogenannter Streckenscheine oder Gesundheitskarten entwickelt, die bescheinigen sollten, dass der Reisende aus pestfreien Gebieten kam. So entstanden interne und externe Quarantänen.“




    Die Pest verschwand Mitte des 19. Jahrhunderts aus den rumänischen Fürstentümern mit der Gründung des Nationalstaates und der Entstehung streng überwachter Grenzen.

  • 160 Jahre seit der Vereinigung der rumänischen Donaufürstentümer

    160 Jahre seit der Vereinigung der rumänischen Donaufürstentümer

    Als Erklärung für die Ereignisse des Jahres 1859 können die Erkenntnisse über die Bedeutung der Donau dienen, des gro‎ßen paneuropäischen Flusses. Vor allem europäische Mächte wie Frankreich und Deutschland waren darauf aufmerksam geworden. Diese gro‎ße Fluss-Magistrale Europas, die von West nach Ost führt, erlangte in der geographischen und kulturellen Vorstellungswelt neue Dimensionen. Die Donau sollte ein Fluss der europäischen Zivilisation sein, in der Demokratie, Freiheit und die Selbstbestimmung der Nationen auf dem Festland dem orientalischen Despotismus entgegengesetzt werden sollte. Die Offensive des Westens zur Befreiung der Donau führte zur Vereinigung von 1859 und zur Gründung Rumäniens.



    Allerdings ist die Vereinigung der Moldau mit der Walachei, insbesondere die künftige Organisationsform des rumänischen Staates, auf eine lebhafte Kontroverse zurückzuführen. Historiker haben dargelegt, dass der Akt vom 24. Januar 1859 eine recht schwierige Angelegenheit war, das daraus entstandene Identitätsdilemma habe hartnäckig bis in die Zwischenkriegszeit hinein Bestand gehabt. Der Historiker Adrian Cioflâncă erklärt, wie in den späten 1850er Jahren zwei wichtige Gesellschaftsvorstellungen aufeinander trafen.



    Um das Jahr 1859 herum kam es zur Konvergenz zweier Themen: die Modernisierung und die Vereinigung, die bis zur Revolution von 1848 unabhängig voneinander kursiert hatten. Bis 1859 bedeutete die Vereinigung nicht notwendigerweise Modernisierung, und die Modernisierung beinhaltete nicht automatisch eine Vereinigung. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 wurden die revolutionären Energien zu einem politischen Projekt, dem der Vereinigung, neu gebündelt. Diesem Projekt wurde das Modernisierungsprojekt untergeordnet. Dieses nationale Projekt forderte eine Übereinstimmung der politischen und nationalen Einheit. Die Vereinigung wurde als Allheilmittel für alle Probleme der rumänischen Gesellschaft angesehen. Diese verzweifelte und übergro‎ße Investition erklärt die weitgehende Akzeptanz, die dieses Projekt zu dem Zeitpunkt genoss, aber auch die anschlie‎ßenden Enttäuschungen. Die Vereinigung hat die interne Situation nicht automatisch verbessert.“




    Einige Historiker sind der Ansicht, dass die zaristische Expansion nach Südosteuropa zusammen mit der Annexion Bessarabiens, also jenes Teils des mittelalterlichen Fürstentums Moldau, das sich den zwischen Flüssen Pruth und Dnjestr erstreckte, durch Russland im Jahr 1812 zu den entscheidenden Faktoren gehörten. Sie veranlassten die moldauischen Eliten, sich vermehrt und ernsthafter mit der Idee einer Vereinigung mit der Walachei auseinanderzusetzen. Der Historiker Andrei Cuşco von der Staatlichen Universität in Chişinău (Moldaurepublik) schlie‎ßt diese Möglichkeit nicht aus.



    Es gab vielfache Alternativen. Was passiert ist, stellte nur eine der möglichen Alternativen dar. Können wir unter Berücksichtigung dieser Alternativen darüber spekulieren, was passiert wäre, wenn die Russen die gesamte Moldau annektiert hätten? Man kann nicht ausschlie‎ßen, dass sich das gesamte rumänische nationale Projekt in der heute bekannten Formel nicht konkretisiert hätte. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Russen am Dnjestr Halt gemacht hätten, das war die Grenze, die sie bereits 1792 erreicht hatten. Diese Version der Ereignisse schuf eher ein Dilemma für die Eliten, weniger für die Bevölkerung. Ab 1812 tendierte der Rest der Moldau, als Gegengewicht zu Russland zur Vereinigung mit der Walachei. Irgendwie beschleunigte die Annexion von 1812 die Vereinigung der Walachei mit der Moldau, und aus dieser Sicht haben wir eine positive Auswirkung. Aus bessarabischer Sicht hat diese Version der Ereignisse jedoch neue und schwere Komplikationen geschaffen.“




    Wie hätte der zukünftige Staat funktionieren sollen? Eine zentralistische Konstruktion nach französischem Modell oder eher ein Länderbund oder ein Konföderationsmodell nach deutschem Vorbild? Diese Fragen beschäftigten die Befürworter der Vereinigung auf beiden Ufern des Milcov-Flusses, der die beiden Regionen trennt. Schlie‎ßlich habe sich der Zentralismus durchgesetzt, berichtet Adrian Cioflâncă.



    Nach 1859 wurde bei der Gründung des neuen staatlichen Gebildes eine politisch-administrative Entscheidung zugunsten einer radikal-zentralistischen Formel getroffen. Aus kultureller Sicht hat man die Vereinheitlichung der Identität angestrebt. Der Zentralismus war jedoch nicht die einzige Organisationsform des frühen 19. Jahrhunderts. Separatisten entschieden sich für eine Konföderation, d.h. für ein Staatsmodell, das regionale Identitäten und Interessen beachtet. Interessanterweise wurden konföderative Projekte in einer ersten Phase vor allem in revolutionären Umfeldern entwickelt und verbreitet, die sich später für die Vereinigung aussprachen. Der Föderalismus war ein Versuch, die osteuropäischen nationalen Identitäten aus der Kontrolle der Reiche zu befreien und sie als neue politische Formeln zu organisieren. Vor 1859 gab es einige wichtige Autoren sogenannter »Politogramme«, von denen die meisten Unionisten waren. Sie waren es, die Argumente für die Dezentralisierung der Verwaltung vorbrachten. Ich würde darunter Mihail Kogălniceanu, Nicolae Suţu, Ion Heliade Rădulescu, Constantin Heraclide und vor allem Vasile Boerescu erwähnen.“




    Die beiden Lager, Unionisten und Föderalisten, die auch als Separatisten“ bezeichnet werden, haben in ihrem Kampf starke Argumente für die jeweiligen Standpunkte verwendet. Während die Unionisten der Ansicht waren, dass die zentralisierende Form dem künftigen Staat Kohärenz und Kraft verleihen würde, glaubten die Föderalisten, dass die Kraft in der Dezentralisierung lag. Die Dezentralisierung sollte ein Gleichgewicht zwischen den beiden Regionen des neuen Staates, der Moldau und der Walachei herstellen, erklärt der Historiker Adrian Cioflâncă.



    Die beiden Fürstentümer hatten bereits einen Zentralisierungsprozess durchlaufen, der in den sogenannten organischen Reglements von 1831–32 einen Höhepunkt fand. Zur Zeit der Vereinigung war der Zentralismus die einzige Praxis mit einer gewissen Tradition. Das Thema Modernisierung hat dazu geführt, dass die neu gebildete Gemeinschaft vor dem Hintergrund einer mangelnden politischen Debatte über die innere Organisation des Staates entstand. Drittens gab es einen Druck und Bedrohungen von au‎ßerhalb. Die wichtigsten zentralisierenden Ma‎ßnahmen während der Regierungszeit von Alexandru Ioan Cuza überschneiden sich mit den Anstrengungen um die internationale Anerkennung der Vereinigung.“




    Am 5. und 24. Januar 1859 wurde in Iaşi und Bukarest Alexandru Ioan Cuza zum Herrscher über die Moldau und die Walachei gewählt. Es war der Anfang dessen, was 1918 fortgesetzt wurde: die Entstehung des modernen rumänischen Staates.

  • Donaufürstentümer Anfang des 19. Jh.: Modernisierung von Französischer Revolution inspiriert

    Donaufürstentümer Anfang des 19. Jh.: Modernisierung von Französischer Revolution inspiriert

    Die Moderne war eine neue Sichtweise auf die Welt, in der das Individuum Grundrechte und Freiheiten hatte, die von keiner Obrigkeit verletzt werden konnten. Der öffentliche Geist war von Säkularismus und Rechtsstaat geprägt, gegen den Despotismus des Staates oder die Institution der Kirche gerichtet. Der französische Einfluss gibt den Ton moderner Ideen an, während politisch-militärische Unruhen zur Entstehung einer neuen Ära beitragen.



    In den rumänischen Fürstentümern unter osmanischer Hoheit gab es einen akuten Reformbedarf. Das osmanische politisch-ökonomische Modell war gescheitert und wurde zu einem Hindernis für neue Tendenzen und Bestrebungen. Die Moderne hatte die Samen der nationalen Bewegung gesät, im rumänischsprachigen Raum trafen die griechischen und rumänischen nationalen Aufstandsbewegungen von 1821 aufeinander. Der Einfluss der Französischen Revolution war entscheidend für die Entstehung nationaler Bewegungen, wie die Historikerin Georgeta Filiti betont.



    Die Französische Revolution von 1789 hat den Weg für das, was in den nächsten zwei Jahrzehnten geschehen sollte und 1821 einen Höhepunkt erreichte, entscheidend geebnet. 1821 müssen wir in den rumänischen Gebieten zwischen zwei Vorgängen unterscheiden: einer nationalen Bewegung in Rumänien, die unter der Führung von Tudor Vladimirescu aufstrebt, und einem etwas wahnsinnigen Versuch der Griechen, angeführt von Alexaner Ypsilantis, einem Adjutanten des Zaren, die Unabhängigkeit Griechenlands zu erlangen. Ich wage es, von »Rumänien« zu sprechen, weil ein Grieche namens Phlippides 1816 zum ersten Mal den Begriff »Rumänien« verwendet, um sich auf diese Gebiete zu beziehen, in denen mehrheitlich Rumänen lebten. Ypsilantis kommt aus Russland in die Donaufürstentümer, zuerst in die Moldau und dann nach Bukarest, in der Hoffnung, einen Aufstand gegen die Osmanen in die Wege zu leiten. Der Hintergedanke dabei: Wenn er es schafft, das christliche Volk der Rumänen zum Aufbegehren zu bringen, während er von seinen griechischen Freiheitskämpfern umgeben war, würde Russland eingreifen und ihm helfen. Die Rechnung ist nicht aufgegangen, seine Aktion scheiterte, wie auch Tudor Vladimirescus Bewegung fehlgeschlagen ist.“




    Die Modernisierung des rumänischen Raums entsprach dem Zeitgeist und rückblickend kann behauptet werden, sie hätte nicht durch andere Faktoren behindert werden können, auch weil sie nicht Teil eines Plans war. In erster Linie ging es um eine Geisteshaltung, im Fall der rumänischen Fürstentümer das Einwirken des französischen Geistes. Georgeta Filiti erläutert:



    Diese Gemütszustände, die tiefgreifende Veränderungen, wahre Spaltungen in der Gesellschaft erzeugen, sind nicht wahrnehmbar und nicht leicht zu bestimmen. Die Leute informierten sich, die Leute hatten westliche Waren, die Leute redeten über Mode, über Speisen. Aber in der Sprache, die die Menschen verwendeten, finden Veränderungen statt, die französische Sprache setzt sich als Kultursprache und Verkehrssprache mit Fremden allmählich bei den Rumänen durch und tritt langsam an die Stelle der griechischen Sprache. Weder bei der griechischen noch bei der französischen Sprache ging es um einen erzwungene Einführung, es war die jeweilige Sprache der Zeit, es war die Kultursprache, die im rumänischen Raum sehr häufig gesprochen wurde. Aber auch die rumänische Sprache wird gefördert. Ideen werden als solche von diesen Mittlern gefördert, egal ob es sich dabei um wirtschaftliche Faktoren Händler, Steuereintreiber und andere handelt, oder um kulturelle Mittler. Man muss auch wissen, dass nicht alle Franzosen, die nach Rumänien kommen, Revolutionäre sind, es gibt auch viele Flüchtlinge. Die Französische Revolution war vielleicht eine der blutigsten, in Klammern gesagt sind alle blutig, aber die Französische Revolution war allen voran blutig. Sie hat viele Menschen in die Flucht getrieben, die Arbeit suchten. Viele Franzosen werden Sekretäre, Lehrer, kleine Beamte in verschiedenen Verwaltungen, »cinovnici« [aus dem Russischen: tschinownitschi — kleine Beamte], wie man sie nannte, aber sie sind vor allem als Privatlehrer bei Familien gefragt. Dieser französische Geist setzt sich durch. Aber andere Franzosen sind wiederum echte Revolutionäre, Menschen aller Art verlassen also Frankreich und finden eine Unterkunft in Bukarest.“




    Von Frankreich ins restliche Europa strahlen die Ideen der Moderne dank der Militärkampagnen von Kaiser Napoleon I. stärker aus, der die alte politische Ordnung durcheinander bringt. Bis nach England im Westen, durch den deutschsprachigen Raum in den Osten, nach Russland und ins Osmanische Reich ist Europa von der Aufruhr mitgenommen, die Frankreich wie im Rausch verbreitet. Die Historikerin Georgeta Filiti glaubt, dass die Generationen junger Studenten dem politischen Aufwind aus Frankreich mehr Kraft bei den grundlegenden Verwerfungen in Europa gegeben haben. Denn die jungen Generationen seien in der Regel der Keim der Veränderung, sagt sie.



    Man konnte sich vorstellen, und es ist in den Köpfen vieler so gewesen, dass hier in Bukarest ein Zentrum der Wallungen entsteht, das eine Revolution auslöst, aber das lie‎ß sich schwer bewerkstelligen. Napoleon hat da sicherlich angestachelt, aber ausschlaggebend war, dass viele rumänische Studenten im Ausland studierten. Und sie setzen alles daran, um beim Kaiser vorzusprechen, in dem sie einen Retter sahen. 1813 gehen zum Beispiel viele Rumänen und Griechischsprachige aus dem rumänischen Raum, darunter viele vom Südbalkan eingewanderte Aromunen, nach Halle zum Studieren. Es gibt eine Fülle von Ärzten, die in Halle, Göttingen, Wien studieren. Einer von ihnen ist Apostol Arsachi. Er bekommt die Chance, bei einem Besuch des Kaisers in Halle eine Ansprache vor ihm zu halten. Es ist eine sehr schöne, entflammte Rede, in der er sagt: »Majestät, retten Sie die Christen des Osmanischen Reiches!« Es werden Dutzende und Aberdutzende von Aufrufen an Napoleon gerichtet, der natürlich ein guter Christ war, aber auch ein herrschsüchtiger Kaiser, ein Diktator, der seine eigene Politik verfolgte.“




    Die rumänische Moderne nahm in den ersten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts Gestalt an. Aber bis zur Verwirklichung ihrer Ideale hatten die Rumänen noch lange zu kämpfen und abzuwarten.

  • Französische Revolution von 1789: Auswirkungen im Bukarest der Phanariotenzeit

    Französische Revolution von 1789: Auswirkungen im Bukarest der Phanariotenzeit

    Keines von den zuvor bewährten und gefestigten Elementen der europäischen Zivilisation blieb von den Auswirkungen des Jahres 1789 unberührt: von Mentalitäten und sozialen Strukturen über utopische Programme bis hin zur Mobilisierung für reelle politische Projekte. Auch im rumänischen Raum wirkte der Einfluss der französischen Revolution — darum geht es in der heutigen Rubrik Pro Memoria.



    Die rumänischen Fürstentümer befanden sich im orientalischen Einflussbereich des Osmanischen Reiches. Das 18. Jahrhundert wird in der rumänischen Geschichtsschreibung als Jahrhundert der Phanarioten“ benannt — unter der Bezeichnung Phanarioten versteht man im engeren Sinne, insbesondere in den Herrschaftsgebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs auf dem Balkan, einen kleinen Kreis wohlhabender und politisch einflussreicher byzantinischer bzw. osmanischer Adelsfamilien. Sie bildeten im Osmanischen Reich des 17./18. Jahrhunderts die Oberschicht in Phanar, einem Stadtteil Konstantinopels, des heutigen Istanbul. In den Hauptstädten der rumänischen Fürstentümer Iaşi und Bukarest besetzten die Phanarioten die höchsten Ämter.



    Die im Westen entstandenen Modernisierungskonzepte drangen gegen Ende der Aufklärung schüchtern auch in den Osten, wo sie an lokale Bestrebungen angepasst wurden. Der rumänischsprachige Raum war zu dem Zeitpunkt nicht an die Entwicklungen im Westen angeschlossen, weder durch soziale und wirtschaftliche Strukturen noch durch Politik und religiösen Einfluss. Und dennoch gab es mittels der Kultur einen Wiederhall der Ereignisse in Frankreich. Die Kultur habe in Bukarest das erreicht, was andere Formen der Erkenntnis nicht erreichen konnten, glaubt auch die Historikerin Georgeta Filiti.



    Der Einfluss der französischen Revolution ist in Bukarest zu spüren. Es ist ein günstiges Umfeld, es geht um die Ideen der Erneuerung, die langsam vordringen. Die Phanarioten-Fürsten waren gebildete Menschen, das muss gesagt werden. Wenn man Molière übersetzt, wenn Voltaire dir bekannt ist, wenn du eine Abhandlung gegen das Rauchen verfasst, wenn du über eine Bibliothek verfügst, mit Manuskripten, die vom französischen König begehrt sind, — dann ist klar, dass ein kulturell geprägtes Umfeld existiert. Und hier spielte ich auf den Fürsten Mavrocordat an, auf den all das zutrifft. Denn eine Revolution oder deren Grundsätze können sich nicht in einem geschlossenen Raum entfalten, wo die Menschen sie nicht empfangen können.“




    Doch die Französische Revolution in Bukarest hatte nicht im Geringsten Ähnlichkeiten mit dem Original in Frankreich. Es habe sich eher um einen Aufruhr der Eliten und einen Zusammenhang mit besonderen Persönlichkeiten gehandelt, erklärt Georgeta Filiti.



    Man muss andererseits wissen, dass alles auf Ebene der Eliten passiert, es ist kein allgemeines Phänomen, das alle sozialen Schichten berührt. Das Gerinnungsmittel war eine sehr interessante Persönlichkeit des Balkans, ein gewisser Rigas Velestinlis. Manche behaupten, er sei Aromune gewesen. Er stammt aus dem Ort Velestino bei Volos, den ich besucht habe und der viele Ähnlichkeiten mit einem rumänischen Dorf hat. Die Griechen beanspruchen Velestinlis zu Recht auch für sich. Allerdings hat sich sein gesamtes aktives Leben hier in der Walachei abgespielt, sein gesamtes Werk hat er im rumänischsprachigen Raum verfasst.“




    Die Expansion der französischen Modernität in Europa findet dank des revolutionären Elans statt. Das republikanische Frankreich ist am Brodeln, es streut seine humanistischen Ideen in alle Himmelsrichtungen. Im Osten, am Rande des Osmanischen Reiches, finden französische Diplomaten sogar eine Region vor, die bereit ist, die Ideale ihres Landes zu übernehmen. Die Historikerin Georgeta Filiti erläutert:



    Der französische Einfluss wird auf vielfache Art und Weise ausgeübt. Einerseits gibt es die Manifeste der französischen Revolutionäre, es wandern immer noch Persönlichkeiten aus der Region aus, die Diplomaten sind auch noch da. Unmittelbar nach den Kriegen, die in den Rumänischen Fürstentümern zwischen Russen, Türken und Österreichern gewütet hatten, werden das österreichische und russische Konsulat eröffnet. Die Franzosen versuchen ebenfalls, eine ähnliche diplomatische Vertretung hier aufzubauen. Und zufällig sind die französischen Diplomaten in Bukarest selbst Revolutionäre. Es beginnt eine sprudelnde Aktivität in diesem Sinne. Diese Menschen, etwa ein Claude-Émile Gaudin, ein Claude Carra Saint Cyr diskutieren mit der Schicht der Gro‎ßgrundbesitzer, mit den Händlern. Bereits 1798 kommen Händler aus Frankreich hierher, wie zum Beispiel Hortolan, der das erste moderne Kaufhaus in Bukarest eröffnet. Sicher greifen die Ideen der französischen Revolution unter dem Wahlspruch »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« auch hier — mit dem natürlichen Gedanken, die Ereignisse in Frankreich zu reproduzieren.“




    Auch wenn sie auf die gro‎ßzügigen Ideen und Programme der französischen Revolution ansprechbar waren, befanden sich die Rumänen des 18. Jahrhundert doch am Rande Europas. Ihre Ansprüche konnten nicht dieselben sein wie die der Franzosen. Immerhin seien die Ideen der Revolution an die lokalen Gegebenheiten angepasst worden, wie Georgeta Filiti zusammenfasst.



    Sicherlich folgten auf die Begeisterung infolge der gestürzten Monarchie in Frankreich Momente des Terrors und andere furchtbare Dinge. In der Walachei sprach man über die Idee der Auflehnung christlicher Völker gegen die osmanische Vorherrschaft. Um auf jene interessante Person zurückzukommen, auf Rigas: Er ist hier Sekretär der Kanzlei, Verwalter unterschiedlicher Geschäfte der Bojaren, der Fürsten, er schreibt, arbeitet, ist um die Erarbeitung einer Verfassung bemüht. Diese Verfassung soll für alle Völker auf dem Balkan gelten, ohne die Rolle eines jeden Volkes zu bestimmen. Im Mittelpunkt stand die Befreiung von dem osmanischen Joch. Rigas Schicksal war tragisch: Als Separatist und Revolutionär wurde er ziemlich schnell von den österreichischen an die osmanischen Behörden nach Belgrad übergeben. Am 24. Juni 1798 wurde Velestinlis auf der Burg Kalemegdan hingerichtet. Doch so wurde der Keim der Revolution hierher gebracht und ein Gemütszustand erzeugt. Es gab einige wenige Mitverschwörer, etwa die Freundesgesellschaft. Es war der Beginn einer Hetärie, eines Geheimbundes mit Sitz in Odessa, dem praktisch erst 1821 etwas gelingen sollte. Diese Geheimgesellschaften blieben geheim, aber auch sie erzeugten einen Gemütszustand aufgrund des Einflusses der französischen Revolution.“




    Die Französische Revolution in Bukarest war der Ausdruck der Erneuerung, die der Zeitgeist gegen Ende des 18. Jahrhunderts der rumänischen Gesellschaft vorschlug. Eine etwas besser artikulierte Antwort der Gesellschaft sollte allerdings erst nach etwa 50 Jahren, mit der Revolution von 1848 folgen.

  • Seuchen und ihre Geschichte: Pest-Epidemien in den rumänischen Fürstentümern

    Seuchen und ihre Geschichte: Pest-Epidemien in den rumänischen Fürstentümern

    Wie jedes bedeutende Ereignis würden die Epidemien einen gro‎ßen Einfluss auf die Zivilisation haben, meinen Historiker. Die Seuchen mit den grö‎ßten Auswirkungen waren die Pest-, Pocken-, und Cholera-Epidemien. Der schwarze Tod“ oder die schwarze Pest“, die in den rumänischen Fürstentümern unter dem Namen schwarze Wunde“ bekannt wurde, ist die Krankheit, die die meisten Menschen getötet hat. Zwischen 25 und 75 Millionen Menschen — es gibt unterschiedliche Einschätzungen — soll die Pest Mitte des 14. Jahrhunderts getötet haben. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts, im Jahr 1894, hat der schweizerisch-franzöische Alexandre Yersin den Pesterreger und anschlie‎ßend auch das Heilmittel gegen die schrecklichste Krankheit, die es je gab, entdeckt. Vor der Entdeckung von Yersin konnten nur diejenigen, die entweder immun gegen das Bakterium waren oder eine leichte Form der Krankheit entwickelten, überleben.



    Auch in den rumänischen Fürstentümern gab es Epidemien, die das Weltbild der Menschen geprägt haben. Octavian Buda, Professor für Medizin-Geschichte an der Medizin- und Pharmakologie-Universität Carol Davila“ in Bukarest, erwähnt die Zeitzeugnisse über die Pest im 15. Jahrhundert in den rumänischen Fürstentümern:



    Es gibt einige Beschreibungen von fremden Ärzten, die an unterschiedlichen Fürstenhöfen, am Fürstenhof von Stefan dem Gro‎ßen, am Hof von Matei Basarab und von Vasile Lupu, tätig waren. Das Problem ist, die klinischen Anzeichen zu identifizieren, weil der rumänische Begriff ›bubă‹ (= Wunde, Schramme, Beule, Krankheit) sehr vieldeutig ist. Im Volksmund verstand man darunter auch Krankheit schlechthin. Und deshalb ist es schwierig, zu erfahren, wann wir es tatsächlich mit einer Seuche zu tun hatten. Sehr konkrete Informationen über den Fall von Johann Hunyadi, der ja auch an der Pest gestorben sein soll, haben wir nicht. Es könnte etwas mit der südlichen Kriegsfront zu tun gehabt haben. Einer der letzten Ausbrüche der westeuropäischen Pest-Epidemie erfolgte durch den Adria-Hafen Dubrovnik oder Ragusa. Es gibt eine ziemlich neue Idee eines rumänischen Medizinhistorikers, Nicolae Vătămanu. Dieser spekuliert mit ziemlich guten Beweisen, dass während der Schlacht von Războieni, die mit einem Pyrrhussieg der Osmanen des Sultans Mehmet II. gegen Stefan den Gro‎ßen endete — Zehntausende starben im Kampf –, auch ein Pest-Ausbruch aus dem Ural-Gebiet und von der Krim her eine Rolle gespielt hätten. Es ist eine Theorie, die man näher untersuchen sollte.“




    Pest-Epidemien gab es periodisch auch in den nächsten Jahrhunderten. Erschreckend war die Epidemie in London von 1666, auch wenn ihr Ausma‎ß kleiner war. Im 18. Jahrhundert begann in den rumänischen Fürstentümern die phanariotische Epoche. Der erste phanariotische Fürst, Nicolae Mavrocordat, erlag der Pest im Jahr 1730. Die grö‎ßten Auswirkungen hatte aber die Caragea-Pest von 1813-1814, benannt nach dem damaligen Herrscher. Die phanariotische Epoche gilt metaphorisch als eine dunkle Periode in der rumänischen Geschichte, weil sie mit einer Pest-Epidemie begann und mit einer anderen endete. Octavian Buda sprach auch über die von den Behörden der Walachei getroffenen Ma‎ßnahmen im Kampf gegen die Epidemie:



    Man hat eine Art Quarantäne-Korridor auf dem Weg vom Donauufer bis nach Bukarest errichtet, es wurde ein Lazaret-Verwalter ernannt, Wachtmeister in den ärmeren Vierteln eingeführt und gerade eine Berufsgruppe nimmt zahlenmä‎ßig stark zu: jene der Leichenträger. Sie mussten die Toten tragen und die Gräber, in denen die Opfer begraben wurden, ordentlich herrichten. Die Leichenträger-Zunft wird sehr aktiv, diese Menschen wurden sehr gut bezahlt und sie mussten die Toten tragen und beerdigen. Die Totengräber wurden aus den Reihen der ehemaligen Pest-Kranken, die die Krankheit überlebt hatten, rekrutiert — das war eine interessante antiepidemische Idee. Man hat erkannt, dass diese Menschen eine Art Immunität gewonnen hatten. Der Historiker Ion Ghica schrieb sehr negativ über die Totengräber. Wenn sie an ein reiches Haus vorbei gingen, rissen sie den Pest-Toten die Kleider vom Leibe, um die Krankheit zu verbreiten, berichtet Ghica. Auch wenn sie die Todesstrafe riskierten, töteten sie die Pest-Kranken unterwegs oder beerdigten diese lebendig, um sie nicht mehr ins Krankenhaus bringen zu müssen, so der Schriftsteller und Historiker. Interessant ist die folgende Episode aus dem Bericht eines Leichenträgers: ‚Heute habe ich etwa 15 Tote aufgesammelt, die ich auf den Karren auf dem Dudeşti-Feld gelegt habe, aber ich bin nur mit 14 angekommen, weil einer wegrannte.‘“




    Die Verzweiflung der Menschen konnte weder vom Priester noch vom Volksheiler gelindert werden. Der einzige Trost war der Alkohol, die alte Ausflucht des Menschen in schweren Zeiten. Octavian Buda:



    In Ermangelung effizienter Behandlungen beruhigte der in gro‎ßen Mengen verbrauchte Alkohol. Da wurden aber auch Verbote eingeführt. Es gab auch Quacksalber, die den Pest-Kranken vorgaukelten, sie würden geheilt, wenn sie eine Schildkröte berührten. In Bukarest gab es ein Pest-Krankenhaus — Dudeşti — und darüber hinaus noch das Sankt-Visarion-Krankenhaus. Dort richtete man nach venezianischem Vorbild ein Lazarett ein, in dem die Pest-Kranken eingeschlossen wurden. Die Behandlungsweise ähnelte der in den Abteilungen für Infektionskrankheiten.“




    Der Frost im Winter 1813-1814 hat die Auswirkungen der Pest etwas gedämpft, aber nicht beseitigt. Laut den Berichten des österreichischen Konsuls in Bukarest, Fleischhackl von Hackenau, sind während der Caragea-Pest etwa 4.500 Menschen gestorben. Dieser Pest-Ausbruch trägt diesen Namen, weil die Krankheit von einer Person aus der Entourage des Fürsten nach Bukarest gebracht wurde. Caragea wollte den Thron schnellstens besteigen und hat die Quarantäne-Vorkehrungen nicht beachtet. Mit der Caragea-Pest endete die phanariotische Epoche und begann die Moderne.

  • Lascăr Catargiu – der reformtüchtige Konservative

    Lascăr Catargiu – der reformtüchtige Konservative

    Lascăr Catargiu ist auf europäischer Ebene wenig bekannt. Er war jedoch einer der wichtigsten Politiker Rumäniens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wurde 1823 in einer reichen moldauischen Bojaren-Familie geboren. Bis 1859 hat er unterschiedliche Ämter im Fürstentum Moldau bekleidet. Auch wenn er konservativ war, stimmte er der Vereinigung der Moldau mit der Walachei zu und nahm aktiv an der Wahl von Alexandru Ioan Cuza zum Fürsten in beiden rumänischen Fürstentümern teil. Später hat er zusammen mit den Liberalen Cuza beseitigt, als seine Herrschaft die Existenz des rumänischen Staates gefährdete. 1866 war er Mitglied der Regentschaft, die der Entmachtung Cuzas folgte. Er war zudem ein Befürworter der fremden Dynastie und der konstitutionellen Monarchie. Lascăr Catargiu setzte sich als Anführer der Konservativen durch. Er war eine der providentiellen Gestalten in der rumänischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1871 rettete er Rumänien in einem wichtigen Moment, wie der Historiker Sorin Cristescu berichtet.



    Seine Rolle war eine sehr wichtige, er hat auch die Herrschaft Karl I. gerettet. Ein dramatischer Moment war die Nacht am 10./22. März 1871, als dieser Mensch eine sehr schwierige Situation bewältigte. Man kann nicht wissen, ob Karl I. wirklich abdanken wollte, aber er griff ein, nachdem in Bukarest eine Demonstration der Liberalen gegen die deutsche Kolonie in Bukarest und gegen den Fürsten des Landes organisiert wurde. Er ging zu ihm und sagte, er werde für ihn eine starke Regierung, die das Land nötig habe, bilden, wenn er ihn zum Ministerpräsidenten ernenne.“




    Wie hat sich aber Catargiu als Anführer der Konservativen durchgesetzt? Die Konservative Partei hatte viele bekannte Mitglieder. Sorin Cristescu dazu:



    Er verfügte über gro‎ßes Prestige. Er war der erste Vorsitzende des Ministerrates, der von Karl am 11. Mai 1866 ernannt wurde. Er regierte bis zum 13.Juli 1866. Wie ist er zum Leiter der Konservativen geworden? Wenn wir uns die Konservativen anschauen, können wir merken, dass es eine Partei von Persönlichkeiten war. Es war eine Partei von sehr gebildeten Menschen, die bekanntesten in diesem Sinne waren Petre P. Carp und Titu Maiorescu. Lascăr Catargiu hatte keine rhetorischen oder intellektuellen Ansprüche. Geistig war er bescheiden, aber alle fühlten sich wohl mit ihm, während man in einem Gespräch mit Petre P. Carp gleich in Unterlegenheit geraten konnte. Carp zeigte in der Partei immer seine Überlegenheit. Deswegen wurde Lascăr Catargiu immer bevorzugt. Er verfügte über eine geistige Bescheidenheit, alle wollten ihn als Chef haben, weil er niemanden beleidigte.“




    Die Regierung unter der Leitung von Lascăr Catargiu leitete zwischen 1871 und 1875 den Prozess ein, der Rumänien in die Unabhängigkeit führte. Der Historiker Sorin Cristescu:



    Diese Regierung war die erste Regierung seit der Vereinigung der beiden Fürstentümer, die die Amtszeit von 4 Jahren zu Ende brachte. Das hatte man lange nicht mehr gesehen. Sie war sehr effizient, hat die sehr schwierige Finanzlage geregelt. Sie hat ohne Probleme die Wahlen gewonnen. Man hat den Herrschafts-Ferman des Sultans missachtet. Laut diesem konnte Rumänien keine Handelsabkommen mit anderen Staaten unterzeichnen. Er hat aber das Handelsabkommen mit Österreich im Jahr 1875 unterzeichnet und zeigte so, dass Rumänien eigentlich unabhängig war. Wäre im August 1875 die Revolte der Christen in Bosnien-Herzegowina nicht ausgebrochen, hätte er für weitere 4 Jahre regiert. Innerhalb von ein paar Monaten haben alle verstanden, dass es zum Krieg zwischen den Osmanen und den Russen kommen wird und dass Rumänien am Krieg teilnehmen muss. Man wusste, dass man auf die drei Landkreise im Süden Bessarabiens — Cahul, Ismail und Bolgrad — verzichten muss. Die Konservativen traten ab, sie wollten damit nichts zu tun haben.“




    Das geht nicht, ihre Majestät“ ist einer der bekanntesten Sätze aus der Epoche. Er stammt von Lascăr Catargiu und zeigt Stärke, Mut und Unbeugsamkeit, wenn ein bestimmtes Limit erreicht wurde, auch wenn es sich um die Königin handelte. Der Historiker Sorin Cristescu hat die Details:



    Zu der Zeit, als er das sagte, war er Innenminister in der Regierung eines anderen Konservativen, General Ioan Emanoil Florescu. Er hat das ganz offen gesagt. Was die Königin wollte, war nicht zulässig. Sie wollte, dass der Thronprinz Ferdinand die Hofdame Elena Văcărescu heiratet. Er hat am besten die Einstellung der Elite des Landes ausgedrückt. Die vorgeschlagene Heirat zwischen Ferdinand und Elena Văcărescu hat die rumänische Elite nicht gespalten. Sie wurde von niemandem unterstützt, nicht mal von den engsten Verwandten, sagte Elena Văcărescu enttäuscht.“




    1899 starb Lascăr Catargiu im Alter von 76 Jahren an einem Herzinfarkt, genau an dem Tag, als König Karl I. ihn zum 4. Mal zum Ministerpräsidenten ernannte.

  • Die Griechen in Rumänien

    Die Griechen in Rumänien

    Die Griechen sind das älteste Volk, das im rumänischen Raum ansässig wurde. Schon in der Antike haben die Griechen am Schwarzen Meer die Kolonien Histria, Tomis und Callatis gegründet. In der Dobrudscha, der Region zwischen der Donau und dem Schwarzen Meer, wurden in der Geschichte viele griechische Gemeinden gegründet. Einige Namensortschaften deuten auf diese hin. So gibt es im Norden der Dobrudscha die Ortschaft Greci, zu deutsch Griechen. Der höchste Berg der Dobrudscha Gebirge ist 467 Meter hoch und hei‎ßt ebenfalls Greci. Unweit der Dobrudscha Gebirge liegt die Burg Enisala. Diese gehörte byzantinischen Griechen und Genuesen am Ende des 13. Jahrhunderts an.



    In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, nachdem Konstantinopel 1453 von den Osmanen unter der Führung von Mehmet III. erobert wurde, beginnen die Griechen an den rumänischen Fürstentümern nördlich der Donau noch mehr interessiert zu sein. Die Historikerin Georgeta Penelea-Filiti dazu:



    Als das byzantinische Reich fiel, betrachteten die Griechen die Donaufürstentümer als mögliche Zufluchtsstätten. Kurz danach geschieht etwas: die erste urkundliche Erwähnung Bukarests. Vielleicht war das ein glücklicher Zufall: 1453 fällt das byzantinische Reich, 1459 wird dieses Städtchen erwähnt, das 200 Jahre später Hauptstadt werden sollte und heute eine der Metropolen Europas ist. Was ist 1453 geschehen? Eine Welt, gekennzeichnet durch eine unglaubliche Lebhaftigkeit, eine unglaubliche städtebauliche, politische, juristische und institutionelle Entwicklung, die den Griechen charakteristisch war, stürzt ein. Als sie von den Türken erobert wurden, hatten viele Griechen keine andere Wahl, als Byzanz zu verlassen. Die Türken kamen aus einer anderen Welt und gehörten einer anderen Kultur an und der Zusammensto‎ß war unvermeidlich. Die repräsentativste byzantinische Familie, die es in die Donaufürstentümer zog, war vielleicht die Cantacuzino-Familie. Sie waren sehr reiche und flei‎ßige Leute und zogen langsam-langsam aus Bulgarien in den rumänischen Raum. Diese Cantacuzino-Familie, die in der Geschichte Rumäniens eine sehr aktive Rolle gespielt hat, wird im 17. Jahrhundert, als das Land unter politischen Kämpfen zu leiden hatte, zu einem Befürworter des nationalen Geistes. Es kam zu einer Rumänisierung der Griechen.“



    Nach 1453 beginnt eine andere Geschichte der Griechen, ein Teil dieser wickelt sich im Norden der Donau ab. Die Niederlassung der Griechen in der Walachei, in Bukarest, muss als ein laufender, nichtlinearer Prozess betrachtet werden. Dieser verfolgte wirtschaftliche, politische und persönliche Gründe. Georgeta Penela-Filiti erläutert:



    Die Griechen kommen nach Bukarest nicht nur als Fürsten. Man bezeichnete sogar einen von ihnen als Fürsten-Fabrikant“, weil er sich alle seine Mitbewerber zum Thron der Walachei untergeordnet hatte. Diejenigen, die in die Walachei kommen, sind an den vielen Opportunitäten, insbesondere Profit-Opportunitäten, am Handel, am sü‎ßen Leben interessiert. Es kommen Leute aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Ohne eine Statistik erstellt zu haben, würde ich aufgrund der erforschten Dokumente sagen, dass die Griechen im Handel, im Finanzbereich und im Kulturbereich tätig waren. Hier stö‎ßt man auf ein Element, das die Geschichte Rumäniens in den nachfolgenden Jahrhunderten, nach 1453 charakterisieren wird. Die Rumänen waren freundlich, tolerant, aber passiv. Deshalb war ein dynamisches, aktives Element, das etwas zu Ende bringt, willkommen. Die Griechen wurden sowohl positiv, als auch negativ empfunden. Es kommen sowohl Finanzleute, Steuereinzieher, diese sind keine angenehme Personen. Aber es kommen auch Lehrer, Ärzte, Juristen. Diese tragen zur Entstehung unserer städtischen Gesellschaft bei, sie dynamisieren diese und bereichern ihre Kultur.“



    Der Höhepunkt der griechischen Anwesenheit in Bukarest ist das 18.Jahrhundert, die sogenannte Phanarioten-Periode. Griechische Fürsten besteigen den Thron. Manche dieser Familien haben das Kultur-Niveau der Provinz angehoben und wurden dann assimiliert. Georgeta Penelea-Filiti hat die Details.



    Wir dürfen die vielen Griechen, die hierher kommen, die reich werden, nicht vergessen. Sie hatten auch eine Ehe-Strategie. Aus Integrations-Gründen mussten sie Rumäninnen heiraten. Es gibt viele Griechen, die hier bleiben, so dass 1719 einer sagt: ‚Konstantinopel? Das ist eine Stadt, die mich nicht interessiert. Hier finde ich alles, was ich brauche‘. Ein anderer enthusiastischer Grieche erklärte im 18. Jahrhundert: ‚Wenn es ein Paradies gibt, dann muss es der Walachei ähnlich sein‘.“



    Zu den Persönlichkeiten mit griechischen Wurzeln zählen die Schriftsteller Ion Luca Caragiale und Panait Istrati, die Künstler Hariclea Darclée und Jean Moscopol, der Politiker I.G Duca, der Unternehmer Nicolae Malaxa und der Bankier Zanni Chrissoveloni. Das sind nur einige der griechischen Persönlichkeiten, die die Geschichte Bukarests geprägt haben.



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  • Tributzahlungen der Donaufürstentümer an das Osmanische Reich

    Tributzahlungen der Donaufürstentümer an das Osmanische Reich

    Der Balkan gehörte jahrhundertelang zur Einflusssphäre des Osmanischen Reiches. Die rumänischen Donaufürstentümer, die Moldau und die Walachei, waren keine Ausnahme. Sie standen unter der Oberhoheit der Türken und mussten folglich dem Sultan Tribut zahlen.



    Das Niveau des Tributs schwankte und stellte eine gro‎ße Belastung dar. Die schädlichste Folge war die Korruption. Schlimmer als die wirtschaftlichen Verpflichtungen waren die Entstehung, die Verbreitung und die Fortdauer einer Kultur der Schmiergeldzahlung, die die wirtschaftliche Entwicklung erdrosselte. Die rumänischen Reformer sahen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den wirtschaftlichen Verpflichtungen der Donaufürstentümer gegenüber den Türken den Hauptgrund der schlechten Verwaltung von öffentlichen Geldern. Das war ihrer Meinung nach der Grund für die desaströse Lage.



    Die Zahlung der wirtschaftlichen Verpflichtungen begann 1395 in der Walachei mit der Übergabe des sogenannten haraci (< türk. haraç) während der kurzen Herrschaft des Fürsten Vlad der Usurpator. Der Haraç wurde später von den Nachfolgern Mircea des Alten gezahlt. In der Moldau wurde der Haraç zum ersten Mal 1456, nach einem politischen Abkommen von 1455, während der Regierungszeit von Petru Aron bezahlt. Der Historiker Bogdan Murgescu von der Bukarester Fakultät für Geschichte erläutert die Struktur der wirtschaftlichen Verpflichtungen der rumänischen Fürstentümer gegenüber dem Osmanischen Reich in der Geschichte.



    Der Haraç war eine pauschale Summe, die vom Fürsten gezahlt wurde. Der Haraç stellte aber nicht die Gesamtheit aller wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber dem Osmanischen Reich dar. Zu diesen Verpflichtungen gehörten auch weitere Summen. In erster Reihe der Pîşkeş oder die Protokoll-Geschenke. Es wurde viele Male Geld übergeben, andere Male Pelze, Falken, Pferde oder andere Güter. Der Anteil des Haraç variierte. Am Anfang stellte der Haraç die wichtigste Zahlung, die Pîşkeş stellten gelegentliche Protokoll-Geschenke dar. Damit endet die Liste der Verpflichtungen.“



    Der Geschichte der osmanischen Macht folgten auch die wirtschaftlichen Verpflichtungen. Wenn die Sultane auf Expansionskurs gingen, wuchsen diese. Und umgekehrt, als das Osmanische Reich begann, zu zerfallen. Bogdan Murgescu erläutert:



    Solange sich die Abhängigkeit der Donaufürstentümer gegenüber dem Osmanischen Reich vertiefte, kamen zusätzliche Anträge. Manche zielten nicht unbedingt aufs Geld ab, sondern auf die Belieferung der osmanischen Armee, der osmanischen Burgen, sogar auf die Belieferung von Konstantinopel selbst. Es handelte sich um Lieferung von Produkten, Tieren, Holz für den Schiffsbau und für den Bausektor, manchmal sogar um die Entsendung von Maurergehilfen für Militärbauten. Es waren Tributzahlungen in Naturalien.“



    Für die Throne der beiden Fürstentümer fand eine regelrechte Ausschreibung statt. Es wurden enorme Summen gezahlt. Die Thronprätendenten sahen aber diese Zahlung als eine Investition. Bogdan Murgescu erklärt:



    Dazu kamen Gelder, die nicht mehr offiziell waren, die aber in enger Verbindung mit den Verhandlungen für den Thron standen. Die Prätendenten boten bestimmte Summen an, der amtierende Fürst bot seinerseits dem Sultan oder hohen osmanischen Würdenträgern Summen an, um nicht ersetzt zu werden. Es wurden Geld, Juwelen und andere wertvolle Objekte angeboten. Als die Mehrheit der Fürsten von Istanbul aus ernannt wurden, wuchsen diese Summen immer mehr. Sie wurden grö‎ßer als die ofiziellen Haraç und Pîşkeş. In den Jahren 1580-1594 lag der Anteil der Zahlungen für den Thron bei 60%, der Haraç bei unter 20% und der Pîşkeş bei etwa 20 % aller Verpflichtungen. Das Schmiergeld für den Thron summierte sich zu einem höheren Betrag als alle anderen Verpflichtungen zusammen. Das war ein extremer Fall. Der Vorrang der Thron-Zahlung blieb auch im 17. und insbesondere im 18. Jahrhundert bestehen.“



    Der Haraç ging in die offizielle Schatzkammer des osmanischen Staates hinein und der Pîşkeş floss in die persönliche Kasse des Sultans, der Sultanin, des Gro‎ßwesirs oder anderer Würdenträger. Die Zahlungen für den Thron wurden nicht verzeichnet. Wir wollten wissen, wie wichtig die Zahlungen der Donaufürstentümer für das Osmanische Reich waren. Der Historiker Bogdan Murgescu mit einer Antwort:



    Die rumänischen Fürstentümer stellten einen kleinen Prozentsatz in der Gesamtheit ihrer Vasallenstaaten dar. So auch die gezahlten Steuern. Die Walachei und die Moldau brachten dem Osmanischen Reich unter 10% der offiziellen Einkommen ein. Es bleibt aber das Problem der Schmiergeldzahlungen, die viel höher waren. Wenn wir das Steueraufkommen pro Kopf berechnen, sehen wir, dass die Last in den rumänischen Fürstentümern grö‎ßer war als die in den direkt von osmanischen Gouverneuren verwalteten Regionen. Für die Türken war es kein schlechtes Geschäft, die Autonomie der rumänischen Fürstentümer aufrecht zu erhalten. Die rumänischen Fürsten sammelten für die Türken viel mehr ein als die osmanischen Paschas.“



    Beginnend mit dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem Anfang des 19. Jahrhunderts sank der türkische Einfluss im rumänischen Raum und damit auch die Zahlungsverpflichtungen. Die letzte Steuer, der Haraç, verschwand 1877. Er wurde für die Ausrüstung der rumänischen Armee, die ein Jahr später den Unabhängigkeitskrieg gegen die Türken gewann, benutzt.



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  • Streunerhunde in Rumänien – ein Blick in die Vergangenheit

    Streunerhunde in Rumänien – ein Blick in die Vergangenheit

    Der Kanon der politischen Korrektheit will es, dass Streunerhunde heute auch als herrenlose“ oder sogar als gemeinschaftliche“ Hunde bezeichnet werden. Die Stra‎ßenhunde waren schon im vergangenem Jahrhundert ein ungelöstes Problem in den rumänischen Städten. Die Ursachen für dieses Erbe sind komplex, sie reichen von der Unfähigkeit der Behörden, klare und rigorose Gesetze zu erarbeiten und umzusetzen, bis zum verantwortungslosen Umgang mancher Menschen mit den Vierbeinern.



    Die Streunerhunde werden mit Schmutz, Krankheiten und unsicheren Stra‎ßen in Verbindung gebracht. Auch nachdem Menschen von Hunden auf der Stra‎ße totgebissen wurden, hat man dieses Problem in Rumänien nicht lösen können. Das Zögern der Behörden, die Verwirrung der öffentlichen Meinung und die kontrovers geführten Diskussionen über eine akzeptable Lösung haben bewirkt, dass die Tiere in kleinerer oder grö‎ßerer Anzahl stets auf der Stra‎ße geblieben sind.



    Die Historikerin Constanţa Vintilă-Ghiţulescu vom Geschichtsinstitut Nicolae Iorga“ in Bukarest erzählt über die Stra‎ßenhunde in den rumänischen Städten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts:



    Die Streuner waren schon immer ein Problem Rumäniens. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts stellt sich das Problem deren Beseitigung aus den Städten. Bis zu dem Zeitpunkt existierten diese auch, weil viele Häuser nicht umzäunt waren, die Grundstücke waren nicht abgregrenzt. Die Hunde, die sich dann in der Nähe der Häuser aufhielten und anhänglich wurden, gehörten im Grunde genommen allen. Sicherlich sahen Städte wie Bukarest und Iaşi damals anders als heute aus, ohne Einzäunungen und gut abgegrenzte Grundstücke, aber die Stra‎ßenhunde waren damals ein Problem in ganz Europa. Das erste Dokument, das ich finden konnte und sich mit dem Problem der Streuner in Rumänien befasst, stammt aus dem Jahr 1810. Die Russen, die damals, während des russisch-türkischen Kriegs von 1806-1812 die rumänischen Fürstentümer besetzt hatten, machen auf dieses Problem der Stra‎ßenhunde aufmerksam und rekrutieren ein Hundefänger-Team. Dieses hatte die Aufgabe, sie einzufangen und zu töten. Sie geraten aber in Konflikt mit den Hundebesitzern. Es erscheinen Schreiben, in denen die Besitzer aufgefordert werden, die Hunde an der Kette oder im Hof zu halten, anders würde man sie beseitigen. Nachdem die Russen 1812 abziehen, wird die Ma‎ßnahme aufgehoben. 1850 finden wir die Ma‎ßnahme wieder. Die Städte fingen an, sich zu strukturieren und das französische Modell der Hygienisierung und der Urbanisierung wird angewendet. In den Dörfern sind Streunerhunde hingegen überall zu finden, sie werden nicht an der Kette gehalten, sie sind in einem von Menschen bewohnten Raum anwesend.“



    In den Augen der Fremden werden die Stra‎ßenhunde berüchtigt. Constanţa Vintilă-Ghiţulescu hatte Einsicht in Dokumente, die belegen, dass nach Einbruch der Dunkelheit ganze Stra‎ßenhunde-Rudel die Stadt beherrschten:



    Die Konsuln Gro‎ßbritanniens und Frankreichs, die bis 1859 in Bukarest tätig waren, sprechen von der Unmöglichkeit, wegen dieser Hunde nachts auf den Stra‎ßen von Bukarest und von Iaşi zu spazieren. Es gibt einen Zeitzeugenbericht von 1850, der die Hunderudel in der Nähe des Dâmboviţa-Flusses schildert. Warum sie sich da aufhielten? Entlang des Dâmboviţa-Ufers gab es viele Schlachthöfe, Gerbereien und Fleischbearbeitungsläden. Diese kleinen Unternehmen warfen die Abfälle in den Fluss. Da gab es dann sehr viele Hunde, weil sie dadurch Nahrung fanden. Ein Spaziergang durch diese Gegend glich einem Selbstmord. 1852 fordert ein Schreiben der städtischen Verwaltungsräte, dass Ma‎ßnahmen gegen die Hunde ergriffen werden. Es erscheint auch die Idee, das erste Hundeheim zu bauen. Begründet wurde dies dadurch, dass die Tötung der Hunde grausam war. Der humanitäre Diskurs gewinnt Anhänger in der Öffentlichkeit. Es wurde sinngemä‎ß gesagt, wir seien Menschen und können keine Hunde in der Öffentlichkeit töten. Das unglaubliche Verhalten der Hundefänger wurde verurteilt.“



    Auch in der Vergangenheit gab es Fälle von Streunern, die Menschen getötet haben, Zeitzeugenberichte belegen es. Extrem gefährlich waren die tollwütigen Hunde. In Zeiten von Epidemien vervollständigten Berichte von halbverwilderten Hundemeuten das apokalyptische Bild der von einer Seuche befallenen Gesellschaft. Constanţa Vintilă-Ghiţulescu über Berichte aus Geschichtsquellen:



    In einer Zeitung aus der Epoche gibt es Berichte über tollwütige Hunde, die in Döfern, nicht Städten, Menschen angreiffen und zerfleischen. Dass dies ein tatsächliches Problem in jener Zeit war, ist auch aufgrund der vielen Rezepte gegen Tollwut ersichtlich, die damals abgedruckt wurden. Wir sprechen hier aber auch von Wölfen, nicht nur von Hunden. In den ländlichen Regionen, insbesondere im Gebirge, sind die Wölfe immer anwesend, vor allem nachts und im Winter. Besonders wild werden die Hunde während Epidemien. Dann wird die Nahrung knapper, weil sich die Menschen isolieren. Die Schau ist besonders grausam während einer Pestepidemie. Die Leichen werden nahe der Oberfläche begraben oder die Pestkranken werden noch lebendig begraben. Die Menschen haben solche Angst im Falle eines Sterbenden, dass sie nicht einmal mehr darauf warten, dass dieser stirbt. Wie gesagt, die Schau ist grausam: Hunde, die Leichen oder fast tote Menschen ausgraben.“



    Auch in den nachfolgenden Epochen wurde das Problem der Streuner nicht gelöst. Während des Kommunismus nahm die Zahl der Stra‎ßenhunde zu. In den rumänischen Städten, aber insbesondere in Bukarest, wurden ganze Stadtteile abgerissen. Menschen, die in Häusern mit Garten wohnten, wurden in Plattenbauten umgesiedelt und sahen sich oft gewzungen, ihre Hunde auf der Stra‎ße auszusetzen.



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  • Die Anfänge des modernen Beamtenstandes in den Donaufürstentümern

    Die Anfänge des modernen Beamtenstandes in den Donaufürstentümern

    In den rumänischen Donaufürstentümern wurden mit den sogenannten Organischen Reglements von 1831 und 1832 die Ideen der Romantik zum ersten Mal umgesetzt. Die mit modernen Grundgesetzen zu vergleichenden Reglements wurden in der Amtszeit des russischen Gouverneurs Pawel Kisseljow (Pavel Kiseleff) durchgesetzt. Die wichtigsten Anordnungen betrafen das politische Leben: die Gewaltenteilung, die Fürsten-Wahl, die Wahl der Parlamentskammern und die Zuständigkeiten jeder Behörde. Damals wurden aber auch die Grundsteine der Bürokratie, der öffentlichen Ämter und deren Besetzung gelegt.



    Die Historikerin Constanţa Vintilă-Ghiţulescu vom Geschichtsforschungsinstitut Nicolae Iorga“ in Bukarest ist der Auffassung, dass die Organischen Reglements und das Inkrafttreten derselben den Beginn der Demokratisierung des rumänischen Raumes darstellt. Die Reglements sahen die Besetzung eines Amtes nur aufgrund persönlicher Fähigkeiten vor. Die Idee eines Nationalstaates und die Teilnahme an öffentlichen Entscheidungen entfachte Begeisterung bei den Rumänen. Doch die angekündigten Kriterien wurden in der Praxis oftmals nicht eingehalten. Die Historikerin Constanţa Vintilă-Ghiţulescu erläutert, bis Mitte des 19. Jahrhunderts habe die Tradition der Amtsvererbung noch stark nachgewirkt:



    In der Anfangsperiode der Moderne hatten Adelsfamilien, die dem Fürsten nahestanden, nach wie vor das Monopol über die wichtigsten Ämter im Staat. Was die kleineren Ämter in den Kanzleien anbelangt, bildet sich eine Bürokratie heraus und die Idee, Staatsangestellter zu werden, wird fast zum Traum eines jeden Rumänen. Warum? Weil in dieser Epoche auch das Konzept der Verbeamtung auf Zeit und der Rente erscheint. Nach 8 Jahren Beamtenzeit konnte man eine Rente bekommen, die im Todesfall von der Witwe beansprucht werden konnte. Zudem trug man eine Uniform und man bekam Zuschüsse für Berufskleidung. Es entstand eine Beamten-Klasse, die der Schriftsteller Ion Ghica in seinen Werken beschrieb. Dieser beklagt in einem seiner Briefe, dass die Rumänen diesen Ämtern im Staatsapparat hinterher laufen würden. Es gebe keine Schuster, Schneider, Handwerker mehr, die die kleinen unentbehrlichen Arbeiten durchführen.“



    Allein mit Enthusiasmus über Freiheit und Emanzipation konnte man am Anfang die jahrhundertalten Mentalitäten nicht einfach auslöschen. Constanţa Vintilă-Ghiţulescu sieht darin die grö‎ßte Herausforderung für die Staatsreformer von damals:



    Am Anfang der Moderne spielten die Beziehungen eine gro‎ße Rolle. Wenn jemand der Gefolgschaft eines wichtigen Bojaren angehörte, zum Beispiel Grigore Brâncoveanus, und dieser Bojar ein wichtiges Amt übernahm, also etwa zum Minister ernannt wurde, dann wurden alle um ihn unter seiner Obhut angestellt, seine gesamte Klientel zog sozusagen mit ihm ins Amt. Beispielsweise wurden alle Bedienstetenvorsteher eines Bojarenhofs zu Kanzleischreibern, insofern sie des Lesens und Schreibens kundig waren. Oder sie wurden zu Polizeiwachtmeistern in den umliegenden Dörfern. Ohne »Stützen«, wie der Gelehrte und Adelige Iordache Golescu damals schrieb, konnte man nicht im Staatsapparat arbeiten. Die Auswahl der Beamten erfolgte recht klüngelhaft und es gab oft Fälle von Amtsmissbrauch. Und wir dürfen uns nicht vorstellen, dass es strenge Strafen dafür gab. Manche wurden gefeuert, wenn man sah, dass sie ihre Pflichten nicht erfüllten. Doch der Schutzherr sorgte nicht selten dafür, dass ihnen verziehen wurde, und sie bekamen ihre Stelle zurück.“



    Die allmähliche Demokratisierung des Zugangs zu öffentlichen Ämtern brachte auch soziale Änderungen mit sich. Constanţa Vintilă-Ghiţulescu:



    Am Anfang des 19. Jahrhunderts fühlten sich die Gro‎ßgrundbesitzer, die wichtige Ämter im Staat bekleideten, von diesem neuen Beamtenstand bedroht. Diese neuen Beamten schafften es, Teil der Entourage des Fürsten zu werden, was ihnen auch den sozialen Aufstieg in den Bojarenstand ermöglichte. Sie heirateten Bojaren-Töchter und kauften Ländereien. Dadurch glaubten sie, ein Anrecht auf wichtige Ämter im Staat zu haben. Die Bojaren aus traditionsreichen, alten Familien wie die Brâncoveanus, Golescus, Balş, Rosettis fühlten sich durch die sozialen Emporkömmlinge bedroht und bezeichneten sie als Parvenüs.“



    Der Werdegang der rumänischen Demokratie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutete eine komplizierte Verflechtung der westlichen Modernisierungsideen und der neuen Institutionen mit lokalen Mentalitäten und persönlichen Strebungen. Die Ergebnisse waren nicht immer die erwünschten, sie trugen aber wesentlich zum Zeitgeist der anfänglichen Moderne in den Donaufürstentümern bei.



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