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  • Folgen der Pandemie: Burn-Out-Syndrom immer verbreiteter

    Folgen der Pandemie: Burn-Out-Syndrom immer verbreiteter

    Ein Jahr Pandemie liegt hinter uns — ein Jahr voller Lockdowns, Masken, Desinfizieren auf Schritt und Tritt. Und ein Jahr Telearbeit. Sie war als ideale Lösung für unseren Schutz vor einer Covid-19-Infektion gepriesen, und, wo nur möglich, wurde Büroarbeit in die eigenen vier Wände verlegt. Heute hat sich die Sichtweise signifikant verändert. Die psychische Erschöpfung oder das so genannte Burn-Out-Syndrom fordert bei einer wachsenden Zahl von Menschen einen zunehmend hohen Preis. Die besorgniserregende Inzidenz des Burn-Out-Syndroms hat in letzter Zeit Spezialisten dazu veranlasst, es mit der Heimarbeit in Verbindung zu bringen und internationale Forschungsstudien sind schon veröffentlicht worden. Auch in Rumänien wird an solchen Studien gearbeitet, erläutert der Psychologe und Pädagoge Dragoș Iliescu:




    Statistische Daten liefern vor allem Fokusgruppen, die an der Universität Bukarest und der Westuniversität in Timișoara (Temeswar) im Bereich der Arbeitsgesundheit, speziell zum Thema Stress am Arbeitsplatz, organisiert wurden. Die Zahlen sind buchstäblich explodiert, was auch zu erwarten war“, sagt der Psychologe. Das Burn-Out-Syndrom werde ihm zufolge nicht durch Überarbeitung verursacht, wie die Forscher bisher angenommen hatten, denn offenbar arbeiten wir in der Zeit der Pandemie nicht unbedingt mehr. Die Erschöpfung werde überdies nicht durch die Arbeit allein verursacht, sondern durch andere, eher nebensächliche Dinge. Was zum Burn-Out-Syndrom führt, ist nicht unbedingt die Existenz von Stress, sondern der anhaltende oder chronische Stress. Er verändert den Menschen, und wenn wir heute von chronischem Stress sprechen, dann geht es darum, was wir ständig tun. Wir werden manchmal von diesen Dingen überfordert. Emotionale oder kognitive Anforderungen verändern die Menschen, wenn sie lang genug anhalten, findet Dragoș Iliescu.




    Wissenschaftliche Studien zu beruflichem Stress haben ergeben, dass die Menschen zwar nicht per se mehr arbeiten, dafür aber das Gefühl haben, mehr zu arbeiten, wenn sie zu Hause sind. Die wahrgenommene Arbeitsbelastung ist sogar um 40% oder mehr gestiegen. Wir wissen nicht, ob das objektiv so ist, oder ob die Wahrnehmung, die wir dazu haben, rein subjektiv ist. Aber letztlich kommt es hier auf die Wahrnehmung an, denn die Menschen reagieren nach ihrer eigenen Wahrnehmung der Ereignisse, meint Dragoș Iliescu:



    Die Grenzen zwischen Privatleben und Arbeitsleben sind völlig verschwommen. Man hat das Gefühl, dass man tagein, tagaus arbeitet, ohne Pause. Man hält kurz inne, um einen Happen zu essen oder für die Kinder zu kochen, dann geht man wieder an die Arbeit. Nicht wenige Menschen machen das durch, man hat das Gefühl, dass man immer mehr arbeitet und das Gleichgewicht zwischen Familie und Beruf einfach nicht mehr stimmt. Und dazu kommt meist noch das Gefühl der Unsicherheit durch die Pandemie, weil man nicht wei‎ß, wie es weitergeht. Diese vielen Stressfaktoren wirken dauernd ein und man hat keine Zeit, sich davon zu erholen — daher werden sie extrem schädlich“, sagt Iliescu.




    Dass es keine Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben mehr gibt, ist auch für Fachleute offensichtlich geworden. Petru Păcuraru leitet seine eigene Personalberatungsfirma und erzählt aus dem Alltag seiner aus dem Home Office arbeitenden Kunden:



    Sie sagen mir: ‚Ich habe gar nicht bemerkt, dass der Tag vorbei ist. Ich habe nur gesehen, wie es hell war und dann wieder dunkel.‘ Oder: ‚Ich bin vier Stunden lang nicht von meinem Stuhl aufgestanden, ich hatte keine Mittagspause.‘ Oder: ‚Ich empfinde konstanten Druck, ich werde ihn auch am Wochenende nicht los. Ich habe Kopfschmerzen, bin schlaflos und habe zugenommen.‘ (…) Und so weiter. Das Burn-Out-Syndrom wird von einem ganzen Paket von unangenehmen Dingen begleitet und beraubt uns auch einer besseren Kommunikation und der Zeit, die wir mit den Liebsten verbringen können. Ich denke, es ist überraschend und kontraintuitiv. Wir dachten, dass Heimarbeit uns helfen wird, aber in Wirklichkeit nimmt sie uns vieles weg, wenn wir nicht aufpassen, die berufliche von der privaten Sphäre seines Lebens zu trennen“, erklärt der Personaler.




    Auch Kinder sind aufgrund des Online-Schulunterrichts und der vielen Stunden vor digitalen Bildschirmen von der Erschöpfung betroffen. Sie haben die üblichen Symptome dieses Zustands, und die Ursache für ihre Erschöpfung ist die gleiche wie bei ihren Eltern. Ein spezifisches Merkmal bei Kindern ist, dass Erschöpfung von Stressfaktoren wie Mangel an sozialen Kontakten mit Freunden herrührt. In einem solchen Fall müssen die Eltern fachgerechte Hilfe aufsuchen und ihren Kindern kommunikativ und verständnisvoll begegnen. Eigentlich sollten Systeme zur effizienten Bewältigung eines solchen psychischen Zustands für Jugendliche, aber auch für Erwachsene entwickelt werden. Die negativen Auswirkungen werden auch nach der Pandemie anhalten — die Fernarbeit wird uns auch nach der Pandemie erhalten bleiben, glaubt Personalunternehmer Petru Păcuraru:



    Im Gro‎ßen und Ganzen sind etwa 20 Prozent der Beschäftigten in ganz Rumänien in Telearbeit. Aber in den Gro‎ßstädten, wo es nicht mehr so viel Industrie gibt und die meisten Angestellten in Büros arbeiten, liegt der Anteil der Telearbeit sogar bei etwa 50 Prozent. Im Bankwesen, wo wir auch Kunden haben, leisten 80% der Mitarbeiter Telearbeit und in der IT-Branche liegt der Anteil bei 90%. Es ist also klar, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren ein hybrides Arbeitssystem haben werden, das aus Telearbeit und Arbeit im Büro besteht. Ich gehe also davon aus, dass es uns in den nächsten Jahren gelingen wird, das Burn-out-Syndrom, das mit der Telearbeit einhergeht, in den Griff zu bekommen.“



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  • Online Schooling: Digitalisierung schwieriger als erwartet

    Online Schooling: Digitalisierung schwieriger als erwartet

    Online-Unterricht ist keineswegs einfach, vor allem in den vielen ländlichen oder armen Regionen, in denen Schüler und Lehrer keinen Zugang zur digitalen Technologie haben und wo die Internetverbindung mangelhaft ist. Auch Fragen nach Was, wie und wie viel können wir unterrichten?“ und Wie prüfen und bewerten wir?“ werden in der jetzigen Situation immer häufiger gestellt. Unternehmer arbeiten bereits an digitalen Lösungen für diese Fragen. Im Vordergrund sollte dabei die Antwort auf die Frage Was passen wir denn überhaupt an?“ stehen, glaubt Dragoş Iliescu, Hochschulprofessor und Psychopädagoge:



    Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass keiner genau wei‎ß, was angepasst werden sollte. Wir können Inhalte definitiv nicht anpassen. Ich meine, dass wir Inhalte nicht löschen oder hinzufügen sollten. Und ich befürchte, einige Entscheidungsträger im Bildungsbereich werden wohl sagen: ‚Es ist ein schwieriges Jahr. Warum sollten wir die Curricula nicht etwas kürzen?‘ Das ist aber keine Option. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um die Lehrpläne zu überarbeiten. Es gibt fast nichts, was nicht im Fernunterricht vermittelt werden kann. Für praktisch jede Unterrichtsstunde in jedem Fach können wir uns eine neue, andere, innovative Unterrichtsmethode vorstellen. Und wenn man schon die Kenntnisse vermitteln kann, dann kann man sie auch auf die gleiche Art und Weise prüfen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass nicht alle Beteiligten — nicht nur die Lehrer — flexibel genug sind, um diesen Sprung zu wagen und die Inhalte an den Online-Unterricht anzupassen. Das andere Problem ist, dass es nicht genügend Ressourcen gibt. Einige dieser Anpassungen sind ziemlich schwer durchzuführen, unabhängig von der Online-Kompetenz der Lehrer.“




    Obwohl die Online-Bewertung auf den ersten Blick einfacher als der Online-Unterricht erscheint, ist es in der Praxis überhaupt nicht leicht, erklärt Dragoș Iliescu:



    Auch das ist keine leichte Aufgabe, denn der Wechsel in den digitalen Modus löst einige Probleme und schafft andere. So wird beispielsweise das Bewertungsproblem gelöst: Man erstellt einen Test, und theoretisch kann jedes Kind in jedem Teil des Landes daran teilnehmen. Aber er schafft zum Beispiel Sicherheitsprobleme. Inwieweit lässt sich ein Test verwenden, den jedes Kind auf einen Drucker kopieren und an seine Mitschüler weitergeben kann? Auch hier gibt es Technologien und Ansätze, die das Problem lösen, und die sind gar nicht so neu, wie einige vielleicht denken. Andere Länder haben schon vor langer Zeit Lösungen gefunden. Aber um dieses Problem zu lösen, brauchen wir mehr Ressourcen und mehr Investitionen. Das ist nicht nur die Aufgabe der Lehrer, das kann nur ein grö‎ßeres System leisten. Der Gedanke, dass dieses ein schwieriges Jahr ist und dass wir daher besser so viel wie möglich zusammenstreichen sowie auf die Semesterprüfungen verzichten sollten, ist verrückt. Solange es Semestertests gab und diese ein Teil der Bewertung der Schüler waren, ist es nicht in Ordnung, sie jetzt aufzugeben. Die Lösung besteht nicht darin, etwas, das wir brauchen, zu streichen, sondern Alternativen zu finden, um es auch unter diesen uns fremden und unglücklichen Umständen umzusetzen.“




    Mittels der Testplattform BRIO.RO zum Beispiel, an der Dragoș Iliescu gearbeitet hat, können die Schülerkenntnisse bewertet werden. Auf dieser Plattform sind die Tests so konzipiert, dass sie den Lernprozess und die Bewertung miteinander verknüpfen. Zusätzlich zu der Endbewertung erhalten die Schüler auch eine detaillierte Bewertung ihrer Fähigkeiten in dem entsprechenden Unterrichtsfach. Dragoş Iliescu:



    Auch während eines Tests lernt man. Möglicherweise geht dabei der Lernprozess sogar noch tiefer. Eine Prüfung ist an und für sich eine Lerntätigkeit. Sie strukturiert Informationen, fördert das Metakognitive, sie ist der beste Weg, Wissen zu festigen und mit anderen praktischen Aktivitäten zu verbinden. Darüber hinaus gibt sie ein Feedback über den Lernprozess: Sie zeigt auf, was man sich angeeignet hat und was nicht, und verdeutlicht, woran noch gearbeitet werden muss.“




    Paul Balogh, der seit mehreren Jahren in Gro‎ßbritannien lebt, hat verschiedene digitale Bildungsplattformen — wie Hypersay — und elektronische Lehrbücher entwickelt. Er arbeitet mit akademischen Institutionen im Vereinigten Königreich und Lehrern in Rumänien zusammen. Er bewertete seine Arbeit mit den rumänischen Lehrkräften folgenderma‎ßen:



    Das rumänische Bildungsministerium hat nicht gerade glücklich reagiert. Die Lehrer bekamen wenig bis gar keine Hilfe. Aber auf individueller Ebene leisteten viele Lehrer gro‎ßartige Arbeit und lösten ihre Probleme aus eigener Kraft. Sie lernten, wie sie die Online-Plattformen für Konferenzen und Unterricht nutzen können. Was diese Lehrer getan haben, ist meines Erachtens hervorragend, und ich verstehe nicht, warum dieses Thema nicht viel mehr in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Auf der anderen Seite arbeiteten in anderen Ländern die Ministerien kohärenter mit den Schulen zusammen. Sie entwarfen zu gegebener Zeit verschiedene Lösungen und wandten sie auch an. Die Unterstützung durch das Ministerium macht den Unterschied.“




    Die Lehrer erwiesen sich auf individuelle Ebene anpassungsfähiger als viele öffentliche Einrichtungen, schlussfolgert Paul Balogh:



    In Rumänien bestehen immer noch die individuellen Beziehungen zu den Lehrern. Es gibt Lehrer an privaten und öffentlichen Schulen, die unsere Plattform nutzen wollen, aber die finanzielle Unterstützung vonseiten der Schulen ist nahezu inexistent. Sehr oft müssen die Lehrer die Software aus der eigenen Tasche bezahlen, was nicht normal ist. Auf institutioneller Ebene haben wir weder mit dem Ministerium noch mit einer Schule oder Universität ein Zusammenarbeitsabkommen. Aber es gibt eine Reihe von begeisterten Lehrern, die unsere Plattform täglich nutzen, um besser online zu unterrichten.“




    Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen des klassischen Präsenzunterrichts können Lehrern und Schülern die Chance geben, freier und kreativer zu agieren.