Tag: DSTT

  • Theaterfestival Eurothalia 2017: Unkonventionelle Aufführungen gegen Grenzen des Konventionellen

    Theaterfestival Eurothalia 2017: Unkonventionelle Aufführungen gegen Grenzen des Konventionellen

    Das Theaterfestival in der westrumänischen Stadt gilt als eines der experimentierfreudigsten in Rumänien. Andreea Andrei, Theaterwissenschaftlerin, brachte unter dem Stichwort Grenzen Aufführungen und bedeutende Namen des europäischen Theaters zusammen. Im Folgenden erläutert sie das Konzept, das die Organisatoren 2017 gelten lie‎ßen:



    Das Festival »Eurothalia« schlägt ebenfalls Aufführungen vor, die keine klassischen Theateraufführungen sind. Es sind Veranstaltungen mit einer unterschiedlichen Ästhetik. Ich glaube, es ist sehr bedeutend, dass wir uns alle die Frage stellen, ob es Grenzen gebe, ob wir diese Grenzen überschreiten können, ob wir sie akzeptieren oder ausweiten können. Andererseits leben wir in einer Welt, in der immer mehrere Mauern, Schranken und Zäune um uns errichtet werden. Wir leben in einer konservativen Welt, in der wir die Unterschiede nicht akzeptieren. Es ist sehr bedeutend, dass wir durch die Aufführungen unsere geistigen Grenzen testen. Dieses Thema wurde in diesem Jahr in unterschiedlicher Art und Weise ausgedrückt. In der ganzen Woche haben wir über die physischen Grenzen gesprochen, über die Grenzen des Körpers, über die Grenzen der verbalen Kommunikation, über die Mauer zwischen Zuschauern und Schauspielern sowie über die Grenzen der Ethik und Moral im Theater.“




    Das Deutsche Staatstheater in Temeswar hat in diesem Jahr als Gastgeber des Festivals Eurothalia mehrere Must see“-Inszenierungen auf die Bühne geholt. Der belgische Künstler Wim Vandekeybus hat zusammen mit seiner Theatergruppe Ultima Vez am Ende des Festivals die Aufführung In Spite of Wishing and Wanting“ präsentiert. Die Aufführung wurde 1999 zum ersten Mal gespielt und stellt ein bedeutendes Moment in dem Werk von Vandekeybus dar. 2016 wurde es neuinszeniert, diesmal nur mit männlichen Darstellern. Die Show sorgte für Sensation in der ganzen Welt. Die bekannten Symbole der Träume, der Wünsche werden ihrer psychoanalytischen Klischees entblö‎ßt und in die poetische Tanzsprache der Gruppe Ultima Vez umgestaltet. Die Grenzen sind interessant und können negativ oder positiv betrachtet werden, meint Vandekeybus, den wir über die Grenzen seiner Show in der Beziehung zum Publikum gefragt haben:



    Wir haben versucht, die Idee auszudrücken, dass die Menschen Tiere sind, die gro‎ße Wünsche haben und alles erklären wollen. Dafür haben wir das Theater. Deshalb stehlen wir. Das Theater stiehlt vom Leben. Hier auf der Bühne bestehlen wir uns gegenseitig. Einer sagt etwas und der andere eignet sich das gleich an. Danach behauptet jeder, dass es sein Wunsch sei, dass es seine Worte seien. Nichts ist originell. Es ist ein bisschen showartig. Es ist ein Teil aus einer Geschichte von Julio Cortázar über einen Verkäufer, der die letzten Worte, die der Mensch vor dem Tod sagt, verkauft. Er verkauft sie, damit du wei‎ßt, was du am Ende des Lebens sagen musst. Er verkauft ganz persönliche Sachen. Ich glaube, dass wir heute alles kaufen können. Man kann Liebe kaufen, man kann sogar Leben kaufen.“




    Das Programm des europäischen Theaterfestivals Eurothalia hat ebenfalls die Sektion Eurothalia Xtension eingeschlossen, die zusammen mit dem Verband Temeswar — europäische Kulturhauptstadt 2021“ organisiert wurde. Chris Torch, künstlerischer Leiter, sagte uns:



    Wir haben am Anfang der Vorbereitungsaktionen für das Projekt Temeswar 2021 einen Teil unseres Programms, den wir »Xtension« nennen, identifiziert. Wir haben uns an Institutionen und Organisationen in Temeswar gewandt und sie gefragt, ob wir im Vorfeld etwas hinzufügen könnten, was der Stadt fehlt und dennoch bedeutend ist. Da lag es auf der Hand, mit Eurothalia zusammenzuarbeiten. Es geht um ein wunderbares Festival. Wir haben das dänische Ensemble Odin Teatret nach Temeswar gebracht, weil wir uns für seine Erfahrung hinsichtlich des Lernprozesses und der Arbeit in Holstebro mit dem Projekt Holstebro Fest Week interessieren. Die Künstler bringen für eine Woche die ganze Gemeinschaft zusammen, um gemeinsam zu schöpfen. Sie arbeiten zusammen mit der Polizei, mit den Soldaten, mit den Einwanderern. Odin Teatret koordiniert all diese künstlerischen Tätigkeiten.“




    Odin Teatret, die Theatergruppe, die in der zweiten Häfte des 20. Jh. unter der Leitung des Regisseurs Eugenio Barba das Theater revolutionierte, hat ihren Sitz in der dänischen Provinz Holstebro, wo sie das Festival gründetet hat, das ein Vorbild wurde für die gemeinschaftliche Einbeziehung der Künstler.



    Das Festival Eurothalia hat ein aufgeschlossenes Publikum, das sich überraschende und herausfordernde Aufführungen wünscht. Die Theaterwissenschaftlerin Andreea Andrei dazu:



    Wir erfreuten uns kräftigen Beifalls bei allen Aufführungen. Die Zuschauer hatten die Geduld und die Neugier, offen für aktuelle soziale Themen zu sein. Wir waren recht überrascht, dass das Publikum derartige Aufführungen liebt. Das widerspricht der Meinung zahlreicher Theater- oder Festivalmanager in Rumänien, die behaupten, unser Publikum sei sehr konservativ.“

  • Theaterjahr 2016 – Rückblick auf die wichtigsten Aufführungen und Festivals

    Theaterjahr 2016 – Rückblick auf die wichtigsten Aufführungen und Festivals

    Die internationalen Theaterfestspiele im mittelrumänischen Sibiu (Hermannstadt), Timişoara, Cluj (Klausenburg), Bukarest haben auch im vergangenen Jahr zahlreiche Theaterliebhaber aus allen Ecken der Welt nach Rumänien gebracht. Thematisiert wurden dabei aktuelle Probleme in der heutigen Gesellschaft: das mangelnde Vertrauen, das Erlebnis der Entfremdung, die Migration. Das Thema Vertrauen aufbauen“ stand im Mittelpunkt des 23. Internationalen Theaterfestivals in Sibiu. Ohne Vertrauen hätten die internationalen Festspiele in der siebenbürgischen Stadt ein solches Ausma‎ß allerdings nicht erreicht: 472 Veranstaltungen und renommierte Theatermacher Rumäniens und der Welt, die 2016 dabei waren — Victor Rebengiuc, Anamaria Marinca, Gigi Căciuleanu, Silviu Purcărete, Tim Robbins, Evgeny Mironov, Thomas Ostermeier. Alle Aufführungen, Konzerte, Filmvorführungen, Buchpräsentationen, Publikumsgespräche im Anschluss an die Theateraufführungen, die Partnerschaften, die während der zehn Festivaltage geschlossen wurden, stellten einen riesigen Schritt nach vorne für die Theatergemeinschaft und die rumänische Kultur dar. Die vom Hermannstädter Nationaltheater Radu Stanca“ organisierten Festspiele gelten europaweit als das drittgrö‎ßte Theaterfestival.



    Der rumänische Theaterverband UNITER hat im vergangenen Jahr das 26. Nationale Theaterfestival organisiert. Die Festivalintendantin Marina Constantinescu wählte für diesen Event 40 Aufführungen der Spielzeit 2015-2016 aus. Präsentiert wurden sowohl Aufführungen rumänischer Staatstheater als auch unabhängiger Theater. Seit 2005 widmet das Internationale Theaterfestival auch ausländischen Aufführungen eine Sektion. 2016 brachte das Event zwei weltweit renommierte Choreographen nach Bukarest: Angelin Preljocaj und Carolyn Carlson. Dem Tanz widmeten allerdings die Organisatoren ein spezielles Augenmerk im vergangenen Jahr. Im Mittelpunkt der 26. Nationalen Theaterfestspiele stand das Werk der rumänischen Choreographin Miriam Răducanu. Das Festival ging mit der Aufführung von Tschechows Kirschgarten“ in der Regie von Lew Dodin, einer Produktion des Theaters Malyj Drama aus Sankt Petersburg zu Ende.



    Das Thema Europa — wohin steuerst du?“ stand 2016 im Mittelpunkt des Europäischen Theaterfestivals Eurothalia“, organisiert vom deutschen Staatstheater Temeswar. Das Festival erforscht innovative Tendenzen der darstellenden Künste in Europa. Die ausgewählten Stücke setzten sich 2016 sowohl mit Themen von aktueller Relevanz auseinander wie der Migration, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und ihrer Folgen als auch mit Themen, die den modernen Menschen auf persönlicher Ebene beschäftigen.



    Das Internationale Theaterfestival Interferenzen“ wird vom Ungarischen Staatstheater in Klausenburg organisiert und findet jedes zweite Jahr statt. Die 22 ausgewählten Aufführungen haben im vergangenen Jahr aus verschiedenen Perspektiven Die Odyssee des Fremden“ thematisiert. Die Organisatoren bezeichnen die Festspiele, die 2016 bereits zum 5. Mal stattfanden, als ein Festival aller Klausenburger“, einem Treffpunkt verschiedener Gemeinschaften und Generationen.



    Zum Jahresende wurden zwei neue Theater eröffnet. Das Stadttheater Matei Vişniec“ im nordostrumänischen Suceava, das den Namen eines renommierten rumänischen Dramatikers trägt, brachte im Dezember seine erste Aufführung auf die Bühne: Der Tiger in meiner Stadt“ von Gianina Cărbunariu, in der Regie von Bobi Pricop. Das Privattheater Apollo 111 öffnete November 2016 seine Pforten mit der Aufführung Ali: Angst essen Seele auf“ nach Rainer Werner Fassbinders Drehbuch zum gleichnamigen Film, in der Regie des Filmemachers Radu Jude. Das Theater wurde vom Filmregisseur Călin Peter Netzer gegründet.

  • Theaterpremieren in Temeswar: gelebte Multikulturalität

    Theaterpremieren in Temeswar: gelebte Multikulturalität

    Es gibt keine Gegend in ganz Europa, in der die Ethnien so vielfältig sind wie im Banat“, schrieb im letzten Jahrhundert der englische Historiker und Politiker R. W. Seton Watson in seinem Werk Europe in the Melting Pot“. Temeswar, ein ausgesprochen multikultureller Raum, ist eine Stadt, die drei öffentliche Theater im demselben Gebäude beherbergt, die Schauspiele in drei unterschiedlichen Sprachen inszenieren: Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Es handelt sich um das rumänische Nationaltheater, das Deutsche Staatstheater und das Ungarische Staatstheater Gergely Csiky“ in Temeswar. Neben den rumänischen Regisseuren, die hier tätig sind, gehört zur Strategie der drei Theater die Einladung ausländischer Regisseure. Beweis dafür stehen die drei Premieren, die am Ende des Jahres aufgeführt werden und über die wir heute sprechen.



    Pál Frenák, einer der bekanntesten europäischen Choreografen und Tänzer teilt sein Künstlerleben zwischen Paris und Budapest. Die Temeswarer sind mit seinen Schöpfungen bereits vertraut, denn Frenák wurde an mehreren Auflagen des FEST — FDR (das Europäische Schauspielfestival Temeswar — Festival der Rumänischen Dramaturgie) eingeladen und war auch der erste ausländische Gastregisseur, der unter dem Motto sWitch“ eine Tanztheateraufführung am Temeswarer Nationaltheater inszenierte. Anfang Dezember schlugen Pál Frenák und das Temeswarer Nationaltheater dem Publikum die Theater- und Tanzaufführung Im Traum“ vor, einen umgekehrten Road-Movie, in dem sich Theater, Tanz und Kino verflechten. Ada Hausvater, die Leiterin des Nationaltheaters Temeswar:



    Es handelt sich um Geschichten unserer Zeit, die auf zeitgerechte Art erzählt werden. Es sind verschiedene Geschichten, die durch den Körper erzählt werden. Und auch viel Energie. Es sind wunderbare Bilder, die Schauspieler sind wunderbar, es sind einige fabelhafte Tänzer dabei. Alles wird durch den Tanz erlebt! Es ist eine schöne Geschichte, mit einem echten Cadillac in der Mitte der Bühne. Wir befinden uns im Auto, auf der Autobahn; abhängig von den persönlichen Anhaltspunkten haben wir die Gelegenheit, an berühmte Persönlichkeiten zu denken. Je mehr man wei‎ß, desto glücklicher ist man. Es ist ein besonders herausforderndes und intelligentes Schauspiel. Das ist für mich das Wichtigste, was Pál geschaffen hat. In diesem Schauspiel bleibt die Emotion der Hauptantrieb.“




    Der Multikulturalismus der Stadt am Bega-Fluss widerspiegelt sich auch in der Strategie des Nationaltheaters Temeswar. Ada Hausvater, die Leiterin der Anstalt:



    Es ist für uns sehr wichtig, mit Künstlern aus anderen Ländern zu arbeiten, gemeinsam unsere Erfahrungen und Ideale ins Nationaltheater zu bringen und jene Gemeinsamkeiten zu finden, die das Theater und das Schauspiel weiterbringen. Meiner Ansicht nach ist es unsere Pflicht, als Nationaltheater unsere Türen dem Neuen gegenüber zu öffnen. Damit uns das gelingt, müssen wir der Vielfalt Bedeutung verleihen. Es war wichtig für mich von Anfang an, dass das Theater sich nicht nur in einer Richtung öffnet und nicht zu urteilen: Das ist gut, das ist schlecht. Was uns wichtig als Mentalität erscheint, ist, die Kreativität zu fördern, die Fähigkeit des Einzelnen, originell und sensibel zu sein.“




    Zur Strategie des Deutschen Staatstheaters Temeswar gehört auch die Einladung einiger Regisseure aus dem Ausland. Lucian Vărşăndan, Leiter des Deutschen Staatstheaters in Temeswar (DSTT):



    Das Deutsche Staatstheater Temeswar hat als Ziel die Vorführung von deutschsprachigen Künstlern in Rumänien. Das erinnert mich an ein Gespräch mit einer Zuschauerin vor einigen Jahren, die mir gesagt hat, sie möchte im Deutschen Theater ab und zu sehen, wie man Theater im deutschsprachigen Raum macht. Die heutige Dramatik gehört zu den interessantesten und ist den grundlegenden Themen des zeitgenössischen Menschen gewidmet. In diesem Kontext ist es für uns wichtig, die Werke bedeutender Regisseure aus diesem Raum vorzustellen, von Regisseuren, die ihren Ruhm nicht nur im deutschsprachigen Raum erlangt haben, sondern auch über die Grenzen dieses Kulturraums hinaus bekannt sind. Ganz gewiss ist Volker Schmidt einer der Künstler, die all diese Voraussetzungen erfüllen. Seine Unterschrift, sei es als Regisseur oder als Dramaturg, findet sich auf Plakaten in vielen europäischen Ländern wieder, in zahlreichen Sprachen. Er ist also ein Regisseur und ein Schöpfer, der dem zeitgenössischen Theater stark verbunden ist.“




    Der Österreicher Volker Schmidt verzeichnet seine dritte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Staatstheater in Temeswar. Er hat an diesem Jahresende seinen eigenen Text inszeniert — Eigentlich schön“ hei‎ßt die Produktion. Ein Schauspiel über das persönliche Leben der Menschen im heutigen Europa, das manchmal bei Weitem nicht so schön und fröhlich ist, wie sie in den Social Media oft inszenieren. Volker Schmidt:



    ›Eigentlich/actually/de fapt‹ ist das das Wort unserer Generation, sagt man. Dieses sagt aus, dass alles in Ordnung sei, aber in Wirklichkeit fehlt etwas. Ich hatte die Idee, diesen Titel zu verwenden, um darüber ein Theaterstück zu schreiben. Dieses dreht sich um diese leere Mitte. Es handelt von der Generation im Alter von rund 30 Jahren oder der Generation ›Eigentlich‹, die in einer Welt aufgewachsen ist, die alles hatte, aber politisch nicht korrekt handelt. Sie wollen alles offen lassen, alle Möglichkeiten haben, die ganze Zeit die Wahl haben, aber sie wollen sich nicht selbst erklären, sich selbst definieren.“




    Wir schlie‎ßen mit dem Ungarischen Staatstheater Gergely Csiky“, natürlich in Temeswar. Hier hat auch am Ende dieses Jahres Zoltán Puskás, unabhängiger Regisseur und Schauspieler aus Zenta (Serbien), das berühmte Musical Hair“ inszeniert. Die Einladung ausländischer Regisseure gehört auch zur Strategie des Theaters Gergely Csiky“. Schauspieler Attila Balázs, Leiter der Anstalt:



    Wir sind in diesem Teil des Banats, wo wir sehr nahe an Ungarn, an Serbien leben… Man kann sogar sagen, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Auch wenn wir unterschiedliche Sprachen sprechen, verstehen wir uns sehr gut. Regisseur Zoltán Puskás hat bereits Musikaufführungen auf der Bühne des Ungarischen Theaters in Temeswar inszeniert. Ich denke, dass wir uns jetzt Mut gemacht haben und mit dem Musical »Hair« einen gro‎ßen Schritt nach vorne gemacht haben. In dieser Spielzeit haben wir auch eine Zusammenarbeit mit einem weiteren Regisseur aus Serbien, der in Montenegro geboren wurde. Der Balkan ist sehr interessant und lebendig. Da wir uns in unmittelbarer Nähe befinden, wissen wir, was da passiert, denn es gibt das Euroregionale Theaterfestival TESZT. Natürlich möchten wir auch weitere Regisseure einladen. Z.B. ziehen wir auch einen amerikanischen Regisseur in Erwägung. Aber nicht das ist wichtig. Die Linie, die das Ungarische Theater in Temeswar befolgt, ist wichtig. Es ist eine zeitgenössische Linie, mit lebendigen Schauspielen, mit einem energischen Ensemble, das gute Ergebnisse erzielen möchte.“

  • Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Europäische Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar

    Die Europäischen Theaterfestspiele Eurothalia haben dieses Jahr im westrumänischen Timişoara (Temeswar) bereits zum 4. Mal stattgefunden. Das von dem Deutschen Staatstheater organisierte Festival hielt auch dieses Jahr an dem vor fünf Jahren gesetzten Ziel fest. Der Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian Vărşăndan, sagte dazu:



    Wir haben uns vorgenommen, dieses Theater und die rumänische Theaterszene an die aktuellen Tendenzen des europäischen Theaters anzuschlie‎ßen. Vor fünf Jahren setzen wir uns zum Ziel, eine Plattform des europäischen Theaters in verschiedenen Kulturräumen zu bilden. 2009, als die Festspiele ins Leben gerufen wurden, war die Initiative im rumänischen Kulturraum einzigartig und das treibt uns dazu an, an unserem Ziel entschlossen festzuhalten. Wir versuchen sowohl innovative Projekte des europäischen Theaters als auch repräsentative Aufführungen der letzten Spielzeit in Rumänien auf die Temeswarer Bühne zu bringen und gleichzeitig die zwei Projekte miteinander zu verbinden. Diese rumänische Komponente der Temeswarer Festspiele versteht sich zudem als sogenannte Showcase-Komponente oder Vorzeigeprojekt unseres Theaters. Die Initiative ergriffen wir voriges Jahr und setzen sie auch dieses Jahr erfolgreich fort. Dadurch wollen wir der aktuellen Theaterszene Rumäniens mehr Sichtbarkeit verschaffen. Besonders relevant finde ich, was die eine oder die andere Aufführung hier vor dem Temeswarer Publikum zu sagen hat.“




    Eine äu‎ßerst provokative Aufführung, die beim Eurothalia Theaterfestival 2014 auf die Bühne gebracht wurde, war Crash Course Chit Chat“ des Theaterensembles Sanja Mitrović aus Amsterdam. Die Idee, die Regie und die Choreographie gehören der Künstlerin Sanja Mitrović, die in ihrem Theaterensemble fünf Darsteller vereinte, die fünf europäische Staaten vertreten: Deutschland, Frankreich, Gro‎ßbritannien, die Niederlande und Belgien. Die Aufführung beruht zuerst auf den persönlichen Geschichten der Darsteller (Kindheit, Familie, persönliches Leben) und auf Geschichten, Klischees und Vorurteile über die fünf Völker. Mit Hilfe der Strategien des Dokumentarfilms forscht die junge Regisseurin nach der Beziehung zwischen der persönlichen und der europäischen Identität. Die französische Darstellerin Servane Ducorps spricht über die Fragen, die das Theaterensemble in der Aufführung Crash Course Chit Chat“ zu beantworten versucht:



    Kann man sich als Europäer definieren? Können wir Europäer sein? Was bedeutet überhaupt, Europäer zu sein? Was haben wir gemeinsam? Was teilen wir nicht? Meiner Ansicht nach handelt es sich darum, sich selbst zu erforschen. Am Anfang der Aufführung sind wir neugierig, uns gegenseitig zu entdecken. Je tiefer wir uns aber kennenlernen, desto mehr zerstören wir einander. Die letzte Szene der Aufführung, die ausgeprägte religiöse Merkmale hat, kann als unser letzter Versuch gedeutet werden, zusammen zu sein. Der Versuch war aber gescheitert. Meiner Ansicht nach trägt der religionsbezogene Moment eine besondere Bedeutung, es war zudem sehr wichtig, das Thema anzusprechen: Was bedeutet überhaupt, zusammen zu sein?“




    Eine der rumänischen Aufführungen, die beim Europäischen Theaterfestival Eurothalia präsentiert wurde, war Victor sau copiii la putere“ (Victor oder die Kinder an der Macht“) von Roger Vitrac, inszeniert von Silviu Purcărete auf der Bühne des Ungarischen Staatstheaters Klausenburg. Dieses Jahr wurde die Produktion mit dem Preis des Rumänischen Theaterverbands UNITER für die beste Aufführung“ ausgezeichnet. Die Schauspielerin Csilla Albert, die bei der UNITER-Gala in der Kategorie beste Nebendarstellerin“ nominiert wurde, spricht in den folgenden Minuten über die Erfahrung im Bereich des experimentellen Theaters:



    Der Text war sehr schwierig. Ich glaube, dass er verfasst wurde, um eher gelesen als inszeniert zu werden, selbst wenn es sich um einen dramatischen Text handelt. Während der Proben bekam ich den Eindruck, dass er der Arie von Mozart ähnelt, die komponiert wurde und dennoch nicht zum Singen bestimmt war. Es war ein richtiger Kampf, diesen Text sozusagen zu bändigen. Es ist eine gro‎ße Herausforderung für jeden Schauspieler, nicht zu vergessen, warum er diesen Beruf gewählt hat, und das Niveau zu erreichen, auf dem er nicht nur gewisse Rollen spielt, sondern seine Gestalten fühlt. Ich habe versucht, mein inneres Kind rauszulassen, aber nicht indem ich zeigte, wie sich ein Kind benimmt, sondern indem ich vergessen habe, dass ich 35 Jahre alt bin. Zwei Stunden lang war ich sechs Jahre alt und das fühlte sich durch Mark und Bein sehr ehrlich an. Der Regisseur Silviu Purcărete kann seine Schauspieler dazu bringen, sich in einen bestimmten Satz, eine bestimmte Szene, in eine brennende Kerze zu verlieben. Man verliert sich selbst auf der Bühne, man tut alles, weil man wei‎ß, dass es sich lohnt. Es lohnt sich, Theater zu machen.“




    Das Deutsche Staatstheater Temeswar hat drei seiner eigenen Aufführungen auf die Bühne der europäischen Festspiele gebracht. Eine davon war Tschechows Theaterstück Die Möwe“, eine äu‎ßerst überwältigende Aufführung des Regisseurs Yuri Kordonsky, mit der Darstellerin Ioana Iacob in der Rolle von Irina Nikolajewna Arkadina:



    Ich fand die Zusammenarbeit mit Yuri Kordonsky au‎ßergewöhnlich! Jeder Schauspieler muss die Erfahrung einer derartigen Zusammenarbeit erleben. Es gelingt ihm, die Darsteller zu motivieren und sie in äu‎ßerst bewegende Situationen zu bringen. Das fand ich so bezaubernd bei der Zusammenarbeit mit diesem Regisseur. Die Aufführung ist äu‎ßerst emotionsbeladen und den Text finde ich sehr gut. Wie ist Irina? Oftmals kann man sie als Zicke beschreiben und oftmals wird sie auch so dargestellt. Ich wei‎ß nicht, ob es mir gelungen ist, ihrer menschlichen Seite Ausdruck zu verleihen. Bei den Proben gab ich mein Bestes, um zu beweisen, dass sie eigentlich ein guter Mensch ist. Sie ist eine Frau, die kein einfaches Leben führte und die ständig um etwas in ihrem persönlichen Leben, in ihrer Karriere oder in der Kunst kämpfen musste. Sie hat ihr ganzes Leben der Kunst gewidmet und oftmals verlor sie daher den Kopf. Ich glaube aber, dass sie, genau wie alle Gestalten Tschechows übrigens, eine gute Seele hat.“




    Die Theaterfestspiele Eurothalia wurden mit dem Ziel organisiert, das Theater als Kunst und Institution dem Publikum näher zu bringen. In den fünf Jahren, seitdem es zum ersten Mal stattfand, gelang es dem Festival, sein Ziel zu erreichen, sagte Theaterintendant Lucian Vărşăndan:



    Ich glaube, dass jedes Festival sich an die Gemeinschaft richtet, der es gewidmet wurde. Ein solches Festival hat seinen Weg zum Temeswarer Publikum gefunden. Es ist nicht schwer, diese Tatsache festzustellen — das Publikum erwartet jedes Jahr die Festspiele mit besonderer Begeisterung und bedauert auch, dass sie nicht früher ins Leben gerufen wurden. Voriges Jahr haben wir nach der Veranstaltung die Eindrücke der Zuschauer in einem Band zusammengefasst. Ein positives Feedback bekommt man auch, wenn man die vollen Säle merkt. Die Zuschauer zeigen jedes Jahr ein immer grö‎ßeres Interesse, sie kennen, wünschen sich und erwarten die europäischen Theaterfestspiele Eurothalia in Temeswar.“

  • Das euroregionale Theaterfestival TESZT in Temeswar

    Das euroregionale Theaterfestival TESZT in Temeswar

    Das ungarischsprachige Staatstheater Csiky Gergely“ in Temeswar hat in der letzten Maiwoche das siebente Euroregionale Theaterfestival TESZT organisiert. Die erste Auflage fand 2007 statt. Das Festival nimmt sich vor, die Multikulturalität der Euroregion DKMT (Donau-Kreisch-Mieresch-Thei‎ß) hervorzuheben und die Verbindungen zwischen den Theatern zu verstärken. Deshalb kann man behaupten, dass es um ein einzigartiges Festival in Rumänien geht. Es beteiligen sich Schauspieler aus Rumänien, Ungarn und Serbien.



    Das Festival bringt jedes Jahr ein anderes Thema. Attila Balázs, Direktor des Ungarischen Staatstheaters in Temeswar, dazu:




    Wir haben versucht, Theaterstücke zum Thema ‚Vergangenheit und die Verarbeitung der Vergangenheit in der Gegenwart‘ zusammenzubringen. Eigentlich wählen wir nicht die Themen. Sie stellen sich alleine vor. Wir müssen nur bestimmen, welche die bedeutendsten Themen in der Region sind. Im vergangenen Jahr war alles frischer, aktueller. In diesem Jahr beziehen wir uns mehr auf die Vergangenheit und ich könnte fast alle Stücke, die diese Richtung einhalten und die aufgeführt wurden, aufzählen.“




    Das Festival wurde mit dem Stück Incendii“ (Brände“) in der Regie von Radu Alexandru Nica eröffnet. Die Geschichte geht von dem Krieg in Libanon aus und analysiert seine Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Zwei Zwillingsbrüder versuchen die Vergangenheit ihrer Mutter zu entziffern. Der Autor des Stückes ist Wajdi Mouawad, ein Kanadier mit libanesischen Wurzeln. Sein Text wurde für den Film mit dem gleichen Titel umgeschrieben. Der Film wurde 2012 für den Oscar nominiert. Der Regisseur Radu Nica dazu:




    Der Text ist gefühlsvoll. In der letzten Zeit bringt man wenig Gefühl auf, wir sind kalt, wir zeigen immer, dass wir denken, wir haben Angst, zu fühlen. Ich kämpfte auch gegen mich. Mir gefallen die Texte, die keine Emotion hervorrufen. Ich bin kein Liebhaber der exzessiven Emotion im Theater. Wir brauchen aber auch eine Ausnahme. Es waren mehrere Herausforderungen. Die eigentliche Geschichte war eine Herausforderung, sie ist kompliziert, ein komisches Verflechten zwischen einem Krimi und einer antiken Tragödie. Es war schwer, die Eigenschaften eines Krimis und einer Tragödie gleichzeitig zu behalten. Aus einer kalten, schwer zugänglichen antiken Tragödie sollte eine zeitgenössische Geschichte entstehen. Mehr als die Hälfte des Stückes spielt sich im Nahen Osten ab, der uns als Mentalität gar nicht nahe ist.“




    Ein anderes Theaterstück, das bei dem siebenten Theaterfestival TESZT gespielt wurde, war Es war einmal in Temeswar“, Autor und Regisseur Peter Kerek. Das Stück wurde von den Schauspielern des Nationaltheaters Temeswar aufgeführt. Es war einmal in Temeswar“ ist die Geschichte einer Familie, die ihre kommunistische Vergangenheit kaschieren will. Die Schauspielerin Andrea Tokai sagte uns folgendes:




    Aus diesem Stück habe ich verstanden, dass wir Menschen sind. Die Geschichte ist sehr einfach. Es geht um eine Familie mit vielen Kindern. Die Mutter verliert in einem Unfall ihr Leben und die Kinder kommen zurück nach Hause. Was geschieht nun, was entdecken sie? Was ist vor 20 Jahren passiert? Ich spiele eine ältere Gestalt, bin Mitglied der Familie, gehöre aber nicht dazu, weil ich von au‎ßen komme. Es ist ein Dienstmädchen, ist es aber auch nicht, sie ist eine Art Mutter, aber doch keine Mutter. Ich habe folgendes verstanden: Wir sind nicht gut, aber auch nicht schlecht, wir sind Menschen und versuchen weiter zu gehen. Es geht nicht ums Überleben. Streit, Hass werden gelöst, weil es im Leben so ist.“




    Ein weiteres Stück, das gespielt wurde, ist Rot“, eine Koproduktion des Volkstheaters in Subotica, Serbien, und des Jozsef-Katona-Theaters in Budapest, in der Regie von Gábor Máté. Das Theaterstück hat als Ausgangspunkt den zweiten Weltkrieg in Jugoslawien, an der Grenze zu Ungarn. Die ungarische Armee dringt Anfang 1942 in Jugoslawien ein und macht zahlreiche Opfer. 1944 beginnen die Anhänger der kommunistischen Jugoslawen ihre Rachekampagne gegen die Einwohner ungarischer Ethnie. Es gab keine Prozesse, sondern nur Folterung und Massenmord. Der Text wurde von B.R. Brestyanszki, literarischer Sekretär des Volkstheaters in Subotica geschrieben:




    Diese Geschichteepoche war tabu. Laut Historikern sind zehntausende Menschen Opfer dieser Ereignisse geworden. Man durfte nicht darüber reden. Die Menschen hatten auch Angst, zu sprechen. Um weiter gehen zu können, ist es bedeutend, unsere Vergangenheit wahrzunehmen.“




    Eine weitere Aufführung war Ţinuturile joase“ (Niederungen“) nach Texten von Herta Müller, die von dem Regisseur Niky Wolcz adaptiert wurden. Das Stück wurde vom Deutschen Staatstheater in Temeswar gespielt. Ida Jarcsek-Gaza spielt die Rolle der Gro‎ßmutter:



    Der Regisseur hat mir erklärt, er interessiere sich nicht für die harte und rauhe Seite der Texte von Herta Müller. Er interessiere sich für die lyrischen Sachen, für die schönen Sachen, für das, was fein ist. Ich bin Niky Wolcz sehr dankbar, dass er die Geduld hatte, unter einer harten und rauhen Schale den weichen Kern zu entdecken. Das war für mich als Schauspielerin sehr wichtig. Das ist die Schönheit dieses Stückes. Es stellt so Vieles dar, dass es keinen Schauspieler gibt, der sich im Stück nicht wiederfinden kann.“



    Audiobeitrag hören: