Tag: Einäscherung

  • Rumänische Revolution von 1989: Der Blutzoll der Temeswarer

    Rumänische Revolution von 1989: Der Blutzoll der Temeswarer

    Die antikommunistische Revolution vom Dezember 1989 ist eines der tragischsten Ereignisse in der jüngeren Geschichte Rumäniens. Die Opfer, die den Sturz des Kommunismus ermöglichten, hinterlassen immer noch tiefe Spuren im Bewusstsein der rumänischen Gesellschaft. Am 16. Dezember 1989 begann in Timişoara/Temeswar ein friedlicher Protest gegen die Eingrenzung der Religionsfreiheit. Dieser wandelte sich schnell in einen Protest gegen die Verletzung der Grundrechte der Bürger um. Am 17. und 18. Dezember eröffneten die Armee, die Polizei und die Truppen der Geheimpolizei Securitate das Feuer auf die Demonstranten. Alexandra Enache, Leiterin des Instituts für Gerichtsmedizin in Timişoara, erinnert sich an die Tage, als sie an der Obduktion der Opfer teilgenommen hat. Zuerst wurden die Wunden unter die Luppe genommen:



    Aufgrund der Daten, die wir bei der äu‎ßerlichen Leichenschau beziehungsweise bei der Untersuchung der Einschusswunden und der Kugelaustrittswunden erfassen, können wir Aussagen über die Schussrichtung machen. In den meisten Fällen sind diese auf derselben Höhe zu finden, aber in allen Stellungen. Eintrittswunden gab es sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite des Körpers. Es wurde weniger von unten nach oben geschossen, es gab aber auch Fälle, in denen die Kugeln abgeprallt sind. Ein Bericht über die Schussrichtung befindet sich bei der Militär-Staatsanwaltschaft. Die meisten, die erschossen wurden, standen, weil sie insbesondere Kopfwunden hatten. Manche Opfer waren in Bewegung. Wir haben nur Schusswunden gefunden, keine andere Art von Wunden. Die Schützen waren weiter weg. Es gab keine Toten infolge von Stichwunden. Ich erinnere mich aber an einen Stra‎ßenunfall, bei dem eine Person starb. Aber dieser Unfall erfolgte im Kontext einer Schlägerei zwischen Demonstranten und bewaffneten Leuten. Die Verletzten, die eine Zeit lang überlebten, wurden von anderen Demonstranten ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Die Verletzten wurden nicht zurück gelassen. Ich habe damals auch vier getötete Kinder untersucht. Sie waren zwischen zweieinhalb und 16 Jahre alt. Alle wurden erschossen. Sämtliche Opfer waren rumänische Staatsbürger.“




    Alexandra Enache berichtete auch über die Verfahren zur Identifizierung der Leichen und über die Stimmung von damals:



    Von den ersten Opfern vom 17. Dezember, die wir am 18. Dezember untersucht haben, wurden sechs Leichen nicht identifiziert. In den ersten Tagen gab es viele nicht identifizierte Leichen. Aber aufgrund unserer Untersuchungen und unserer Notizen nach dem sogenannten Beschreibungsverfahren konnten die Familien im Dezember, aber auch im Januar 1990 und später die Opfer identifizieren. Unsere Notizen beschrieben Körpermerkmale oder die Kleidung. Viele dieser Opfer wurden nach Bukarest gebracht und eingeäschert. Mit Hilfe der Gerichtsmedizin-Berichte wurden sie dann identifiziert. Die Familien haben die Berichte gelesen und haben mit den Gerichtsmedizinern, die die Obduktionen durchgeführt haben, diskutiert und konnten so ihre Familienangehörige wiedererkennen. Die Ausweise und andere Objekte, die gefunden wurden, wurden von der juristischen Abteilung behalten. Diese haben die Opfer auch fotografiert. Soweit ich wei‎ß, gibt es die Dokumente nicht mehr, sie wurden zusammen mit den Fotos und anderen Dokumenten verbrannt. Unsere Berichte sind die einzigen Dokumente von damals, die noch existieren. Am 18. Dezember haben wir die Dokumente für alle Leichen, die an dem Tag untersucht wurden und sich im Leichenhaus befanden, fertig geschrieben. Man spürte den Druck damals. Wir konnten das Krankenhaus in Timişoara, wo sich das Leichenhaus befand, nur auf einen einzigen bestimmten Weg verlassen. Nachdem wir die Obduktionen beendet hatten und wieder ins Büro gehen wollten, haben uns Polizisten verboten, das Haupttor des Krankenhauses zu benutzen. Wir haben ein Seitentor benutzt.“




    Im Januar 1990 wurden die Dokumente, die in der Zeitspanne 16.-18. Dezember 1989 beim Institut für Gerichtsmedizin in Timişoara erstellt wurden, ins Archiv gebracht. Auch die Dokumente betreffend die Leichen, die aus dem Leichenhaus verschwunden waren. Die Toten wurden heimlich nach Bukarest gebracht und eingeäschert. Es war ein letzter Versuch des repressiven Apparats, das Massaker von Zivilisten zu vertuschen. Ein Viertel Jahrhundert später bleiben die Fragen über die genaue Abwicklung der Ereignisse in Timişoara immer noch ohne Antwort.

  • Aus der Geschichte der Feuerbestattung in Rumänien

    Aus der Geschichte der Feuerbestattung in Rumänien

    Unsere heutige Geschichtsrubrik bringt uns in das 19. Jahrhundert zurück, genauer gesagt in das letzte Viertel dieses Jahrhunderts, als die rumänische Gesellschaft streng konservativ war. Und die zu diesem Zeitpunkt zählte die Feuerbestattung der Toten zu den avantgardistischsten Ideen — üblich war damals die traditionelle Erdbestattung.



    Wie jede neue Idee, wurde auch die Einäscherung der Toten zunächst vor allem von Intellektuellen gefördert — der Durchschnittsbürger, aber auch die traditionalistischen Eliten konnten damit nichts anfangen. Mit der Zeit aber, mit der grö‎ßeren Bekanntheit und weil sie mit Blick auf die öffentliche Hygiene unterstützt wurde, begann die Feuerbestattung als praktischere Variante des Begräbnisses angesehen zu werden.



    Mit der Einführung des Einäscherungskonzeptes, wird die rumänische Sprache um neue Wörter wie cremaţiune (Kremation) und sogar cremaţionist bereichert. Nichifor Crainic, einer der Gegner der Kremation während der Zwischenkriegszeit, bringt das abwertende Wort cenuşar (umg. Äscherer) in Umlauf.



    Der Historiker Marius Rotar, Vorsitzender der Rumänischen Krematoriumsgesellschaft, begleitete uns auf dem Ausflug in die Geschichte der Kremation in Rumänien. Ihn fragten wir, wann die Idee überhaupt zum ersten Mal auf rumänischem Boden auftrat.



    Wir sprechen hier von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sicherlich handelte es sich dabei um ein westliches Konzept, das auch in Rumänien übernommen wurde. Diejenigen, die sich dafür stark gemacht haben, waren Angehörige einer Elite. Es waren vor allem Ärzte, die aus utilitaristischen Erwägungen die Idee der Kremation unterstützt haben. Es gibt auch einige berühmte Figuren darunter, der bekannteste von ihnen war Constantin I. Istrati. In seiner Doktorarbeit von 1876, mit dem Titel »Entsorgung der Leichen«, wird er zum offenen Befürworter der Einäscherung. Istrati sollte dann mehrmals zum Minister ernannt werden, er war auch Bürgermeister von Bukarest und Vorsitzender der Rumänischen Akademiegesellschaft. Als Krönung seiner Überzeugung von der Kremation wird er nach seinem Tod 1918 im Krematorium des Père-Lachaise-Friedhofs in Paris eingeäschert. Weitere bekannte Vertreter der Kremationsbewegung waren der Direktor des Nationaltheaters in Iaşi, Mihail Codreanu, sowie der ebenfalls aus Iaşi stammende Universitätsprofessor Constantin Tiron. Zwischen der Entwicklung in Siebenbürgen und der im damaligen Altreich Rumänien gibt es eine Reihe von Unterschieden. Im siebenbürgischen Raum wird auf solche Ideen reagiert und es gibt eine eher kritische Haltung zum Kremationskonzept. Interessanterweise war die Reaktion der Rumänisch-Orthodoxen Kirche vor dem Ersten Weltkrieg nicht allzu heftig. Erst 1900 werden im Theologischen Magazin und in der Zeitschrift der Rumänisch-Orthodoxen Kirche einige Artikel zur Einäscherung veröffentlicht. Bis 1914 hatte sich die Idee von der Kremation noch nicht in Rumänien eingebürgert, im Land selbst gab es noch kein Krematorium.“




    Der Bau des Bukarester Krematoriums Cenuşa (Asche) 1928 entsprach einer vermehrten Anzahl der Anhänger dieser Praxis. Allerdings waren sie nicht unbedingt Atheisten oder Gegner des Christentums, wie Marius Rotar erläutert:



    Es ist interessant, weil die Anhänger der Kremation in Rumänien sich nicht als Gegner des Christentums oder Atheisten oder Freidenkende ausgegeben haben, mit Ausnahme von Constantin Tiron in Iași. Nein, sie waren nur Idealisten und konnten sich nicht vorstellen, dass die Rumänisch-Orthodoxe Kirche so vehement reagieren wird. In der Zwischenkriegszeit blieb das Profil des Kremationsanhängers relativ konstant, zu den Angehörigen der Elite gesellten sich auch einige Menschen der niedrigeren sozialen Schichten.“




    Mit welchen Schwierigkeiten waren die rumänischen Kremationsanhänger konfrontiert, fragten wir Marius Rotar von der Rumänischen Kremationsgesellschaft.



    Finanzielle Schwierigkeiten vor allem. Der Bau des Cenușa-Krematoriums wäre ohne die direkte Unterstützung des Bürgermeisteramtes nie zustande gekommen. Es waren mindestens fünf Bürgermeister, die die Idee unterstützt haben, der bekannteste von ihnen war Ion Costinescu, der spätere Gesundheitsminister. Er war der Vorsitzende der Cenuşa-Gesellschaft. Das Interesse dahinter war utilitaristischer Natur: Man wollte die sogenannten unbeanspruchten Leichen verbrennen, insbesondere die von Landstreichern und Ausgegrenzten. In manchen Fällen wurden auch Kinder eingeäschert, wie dem Magazin »Flacăra Sacră« (Heilige Flamme) und dem Register des Cenuşa-Krematoriums zu entnehmen ist.“




    Marius Rotar kennt auch die Geschichte der Kremation nach dem Zweiten Weltkrieg:



    Die rumänische Kremationsbewegung trifft es nach 1945 hart, weil ihre Zeitschrift »Die Heilige Flamme« nicht mehr veröffentlicht wird. Der Beliebtheitsgrad der Einäscherung nimmt nicht allzu sehr zu, die Zahlen steigen langsam von 248 Einäscherungen im Jahr 1928 auf 552 im Jahr 1947. Es ist doch ein geringer Prozentsatz, sowohl in der Zwischenkriegszeit als auch nach dem Zweiten Weltkrieg, etwa unter 1% aller Toten werden eingeäschert. Die Machtübernahme durch die Kommunisten hat die Anzahl die Kremationen nicht in die Höhe getrieben, sondern im Gegenteil. Im Jahr 1953 wurden 260 Fälle registriert. Das Konzept vom Neuen Menschen und die ganze Geschichte rund um die Kremation, die von den Kommunisten direkt unterstützt worden wäre, können kaum durch die Statistik bestätigt werden. Erst 1970 beginnt die Anzahl der Einäscherungen langsam zu steigen — in den 1980er Jahren wird ein Höhepunkt erreicht. Aber das lässt sich auch durch das Bevölkerungswachstum im damaligen Bukarest erklären.“




    Auf der Liste der Rumänen, die nach dem Tod der Einäscherung vor der Erdbestattung den Vorzug gaben, stehen berühmte Namen: der Religionshistoriker Mircea Eliade und sein Schüler Ioan Petru Culianu, der Literaturkritiker Matei Călinescu, der Journalist Felix Aderca, der Historiker Adolf Armbruster, die Sängerin Doina Badea, die Schauspielerin Clody Bertola, der Politologe Silviu Brucan, der Sprachwissenschaftler Theodor Capidan und der Regisseur Sergiu Nicolaescu. Die Kremation ist in Rumänien nach wie vor umstritten, und ihr Anteil an der Gesamtheit der Bestattungen ist gering — alles hängt von den Vorstellungen eines jeden Individuums ab.



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