Tag: Erwachsene

  • Jugendtheater in Piatra Neamţ: Publikum aller Altersgruppen willkommen

    Jugendtheater in Piatra Neamţ: Publikum aller Altersgruppen willkommen

    Das Jugendtheater im ostrumänischen Piatra Neamţ, wo viele Nachwuchsschauspieler Erfahrung sammeln konnten, feiert 2017 50 Jahre, seitdem es sich dem Ziel widmet, junge Darsteller am Anfang ihrer Karriere zu fördern und zu unterstützen. Eine bedeutende Rolle spielte dabei das Theaterfestival Ich plädiere für die Jugend“. Die 29. Festspiele, die dieses Jahr unter der Leitung der neuen Theaterintendantin Gianina Cărbunariu organisiert wurden, standen im Zeichen einer Annäherung der Jugendlichen an das Phänomen Theater.



    Zum Auftakt des Festivals fand eine feierliche Veranstaltung statt: die Vernissage der Fotoausstellung Schauspieler und Zuschauer des Jugendtheaters“, die als Ergebnis des gleichnamigen Projektes gilt. Die 46 Bilder, die dabei ausgestellt wurden, entstanden bei den Treffen zwischen Schauspielern des Jugendtheaters und Einwohnern der Stadt Piatra Neamţ. Jedes Foto wird von einem Auszug aus den von den Einwohnern der ostrumänischen Stadt erzählten Geschichten begleitet. Wir haben die Theaterintendantin um Einzelheiten gebeten:



    Im Rahmen des Projektes »Schauspieler und Zuschauer des Jugendtheaters« haben wir 46 Interviews mit Zuschauern verschiedener Generationen und mit unterschiedlichem Hintergrund geführt. Dabei waren nicht nur Zuschauer, sondern auch potentielle Zuschauer. Wir haben auch mit Menschen gesprochen, die nie im Theater waren. Das fanden wir besonders interessant und wichtig, neue Zuschauer ins Theater zu locken. Es geht nicht darum, dass es kein Potenzial für neue Zuschauer gibt, sondern dass sie aufgrund mangelnder Zeit oder Sichtbarkeit unserer Projekte unsere Theaterstücke nicht besuchen. Die Interviews spielten eine gro‎ße Rolle in diesem feierlichen Moment. Wir haben auch eine Fotoausstellung organisiert und alles Mögliche getan, damit dieses Projekt auch au‎ßerhalb unseres Theaters an Sichtbarkeit gewinnt.“




    Die Bilder, die im Theaterfoyer ausgestellt werden, stammen von der Fotografin Mihaela Jipa, die zusammen mit den Darstellern die Gedanken der Einwohner über ihre Stadt und ihre Beziehung zum Theater zusammenstellt. Mihaela Jipa:



    Man sagt, dass das Theater Menschen bilden kann. Im Theater kann man sich wiederfinden, im Theater kann jeder er selbst sein. Das Theater ist wie eine Kirche — bevor man sie betritt, muss man innerlich und äu‎ßerlich dafür vorbereitet sein. Eine Dame hat uns einmal erzählt, ihr Lieblingsdarsteller sei Bogdan Talaşman. Er hat ihr ein Autogramm gegeben, wo auch ein Satz stand, der zum Lebensmotto unserer Zuschauerin wurde. Alle Menschen, mit denen wir in Kontakt getreten sind, haben uns etwas Au‎ßergewöhnliches erzählt. Das war eine wahre Lektion für uns alle. Die Annäherung der Einwohner unserer Stadt ans Theater hat für alle einen Wahrnehmungswandel mit sich gebracht. Es handelt sich um die Wahrnehmung des Publikums, der Darsteller und der Rolle des Theaters.“




    Die Geschichten über das Jugendtheater Piatra Neamţ wurden zum feierlichen Moment präsentiert und sind auch im Festivalheft wiederzufinden. Die Geschichten werden von den Stadteinwohnern und von gro‎ßen Darstellern erzählt, die auf die Bühne des Jugendtheaters getreten sind. Mitgemacht haben sowohl ältere Einwohner der Stadt, die die Geschichte des Theaters miterlebt haben, als auch die der jüngeren Generation, in deren Leben das Theater einen Platz gefunden hat. Gianina Cărbunariu:



    Im Monat Juli hatten wir das Projekt »Archiv der Schauspieler« gestartet. Wir hatten die Zuschauer dazu ermutigt, uns in Briefen ihre persönliche Erfahrung mit dem Jugendtheater zu erzählen. Diese Briefe bildeten dann die Grundlage unserer feierlichen Veranstaltungen. Der feierliche Moment bildete der Antrieb des ganzen Projektes, und in Zukunft möchten wir mit neuen Ideen und Anregungen auch an unserem emotionalen Archiv arbeiten und dort mehr Stoff sammeln.“




    Auf dem Programm des diesjährigen Theaterfestivals Piatra Neamţ stand eine neue, den Gymnasialschülern gewidmete Sektion. Auf dem Spiel steht nicht der Preis an sich, sondern auch das Ziel, Jugendliche ins Theater zu locken. Wenn es uns gelingt, ihren Appetit für diese Form von Kultur anzuregen, werden sie ins Theater kommen, sich an Publikumsgesprächen beteiligen, sich später darüber unterhalten und zusammen lernen, wie man sich ein Theaterstück ansieht“, sagte Gianina Cărbunariu. Zu den sieben Jugendlichen, die aufgrund eines Bewerbungsschreibens für dieses Projekt ausgewählt wurden, zählte auch der Zehntklässler Francisc Gabriel Lolea. Er erzählte, was ihn dazu anregte, sich am Projekt zu beteiligen und was er vom Theater erwartet:



    Ich haben mich zuerst am Wettbewerb »Tee, Gedichte, Theater« beteiligt und ein Treffen mit dem Darsteller des Jugendtheaters »Victor Giurescu« gewonnen. Wir haben uns zu unterschiedlichen Themen unterhalten, so zum Beispiel zum Thema Hoffnung in die Jugend setzen und über den Scheuspielerberuf. Dieses Treffen hat mich höchst motiviert und ich habe mich selbst gefragt, warum nicht den Worten und der Liebe freien Lauf lassen. Ich habe also einen Motivationsbrief verfasst und war völlig überrascht, als mein Name unter den 200 Teilnehmern zu sehen war. Die Aufführungen finde ich besonders interessant und die Themen sollen uns alle zum Nachdenken anregen. Wie der Name schon besagt, soll das Jugendtheater Jugendliche ins Theater locken.“




    Die Theaterintendantin Gianina Cărbunariu ist fest davon überzeugt, dass das Theater nicht für die intellektuelle Elite sei, sondern für alle:



    Ich wünsche mir, dass die Einwohner der Stadt Piatra Neamţ ins Theater gehen. Ich möchte auch, dass das Jugendtheater zum Theater der ganzen Gemeinde wird, dass die Stadteinwohner fühlen, dass ihnen dieses Theater gehört. Ich möchte, dass sie uns kritisieren, ich möchte, dass sie mit den Darstellern in Dialog treten.“

  • Erwachsene Obdachlose: Buch eines Soziologen gibt ihnen ein Gesicht

    Erwachsene Obdachlose: Buch eines Soziologen gibt ihnen ein Gesicht

    In den Gro‎ßstädten gehören die Obdachlosen zum Stra‎ßenbild. Die sogenannten normalen“ oder sozial integrierten“ Bürger zeigen ihnen entweder Mitleid oder Verachtung. In der Regel werden die Obdachlosen als Gruppe betrachtet, aber in Wirklichkeit sind sie Individuen wie du und ich, Menschen mit einem persönlichen Schicksal. Und genau das wollte der Soziologe Ciprian Voicilă mit seinem Buch Die Stra‎ßenerwachsenen. 15 Obdachlosen-Biographien“ dem Publikum klarmachen. Das Buch enthält 15 Interviews mit Obdachlosen aus Bukarest und ist mehr als eine soziologische Untersuchung — es ist eine Einladung zu Empathie. Als studierter Soziologe formulierte aber der Autor auch einige theoretische Betrachtungen. Ciprian Voicilă:



    Meine Gesprächspartner haben eins gemeinsam: Die meisten von ihnen sind ‚chronische‘ Obdachlose, das hei‎ßt, dass sie etwa 45 oder 50 Jahre alt sind und den grö‎ßten Teil ihres Lebens obdachlos waren. Im Durchschnitt lebten sie zwischen 6 und 25 Jahre auf der Stra‎ße. Während dieser Zeit wurden sie alkoholsüchtig — das gehört leider oft dazu. Und noch etwas haben sie alle gemeinsam: Da sie zwischen 45 und 50 Jahre alt sind und im kommunistischen Rumänien gute Arbeitsstellen in verschiedenen Fabriken oder staatlichen Unternehmen hatten, erweisen sich die heutigen Obdachlosen, die ‚Stra‎ßenerwachsenen‘, als kollaterale Opfer der Entindustrialisierung in der postkommunistischen Zeit. Einige von ihnen waren qualifizierte Facharbeiter, Maschinenschlosser oder Zerspannungsmechaniker, aber das Staatsunternehmen, wo sie angestellt waren, musste geschlossen werden, die Behörden hatten kein Interesse daran, ihnen eine Umschulung anzubieten, sie wurden arbeitslos, mittellos, und schlie‎ßlich obdachlos.“




    Wie auch in anderen Bereichen sind die offiziellen Statistiken über Obdachlosigkeit in Rumänien alt und nicht vielsagend. Gemä‎ß einer Untersuchung, die 2010 von dem Mobildienst für Soziale Notfälle (Samusocial) Rumänien durchgeführt wurde, lebten zu jenem Zeitpunkt nur in Bukarest 5.000 Obdachlose. Samusocial erstellte auch eine Liste mit den Ursachen, die dazu geführt hatten, dass die Betroffenen auf der Stra‎ße landeten: Scheidung, Konflikte in der Familie, Entlassung, Arbeitslosigkeit, keine Mittel, um die Miete zu bezahlen, Alkoholismus, Gewinnspielsucht. Au‎ßerdem sind viele Stra‎ßenerwachsene“ ehemalige Heimkinder, die keinen Anschluss in der Gesellschaft finden konnten. Und viele andere wurden Opfer von Unfällen und konnten nicht mehr arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.



    Es gibt auch Fälle von sozialer Reintegration, aber viele Obdachlose bleiben einfach auf der Stra‎ße. Das sind die chronischen“ Fälle von Obdachlosen, die in einen Teufelskreis geraten. Ciprian Voicilă:



    Je länger ein Obdachloser auf der Stra‎ße lebt, desto niedriger werden seine Chancen auf eine soziale und professionelle Reintegration. Der Alltag eines Obdachlosen ist geprägt von zahlreichen Anfeindungen und Gefahren, Armut und dem täglichen Kampf ums Überleben. Andererseits fühlt sich ein Obdachloser sehr oft frei, er kann überallhin wandern, er muss keine Rechnungen bezahlen und er hat keinen Chef. Wenn ein Obdachloser eines Tages einen Job findet, fällt es ihm schwer, in einem geschlossenen Raum mehrere Stunden am Tag diszipliniert zu arbeiten — er denkt immer wieder an die Zeit, als er alles tun und lassen konnte, wie er es wollte. Es gibt sicherlich auch Erfolgsgeschichten bei Samusocial, wenn ehemalige Obdachlose sich wieder in die Gesellschaft integriert haben. Die Prozentzahl derer, die in einen Teufelskreis der wiederholten Obdachlosigkeit geraten, ist aber leider höher. Aus irgendeinem Grund, wegen versteckter Depressionen oder aus Nostalgie nach der absoluten Freiheit, als sie sich niemandem unterordnen mussten, geben viele von ihnen auf und kommen nicht mehr zur Arbeit.“




    Mit Hilfe der Organisation Samusocial konnten wir uns auch mit einigen Obdachlosen unterhalten. Călin Niculae Niculescu ist etwa 60 Jahre alt; seit mehr als 13 Jahren lebt er auf der Stra‎ße. Nach der Scheidung hat er seine Wohnung verloren — von da an ging alles bergab. So stellt er sich selbst vor:



    Von Beruf bin ich Metall-Ingenieur, und ich machte auch eine Weiterbildung im Bereich Marketing-Management. Immer wenn ich mich um eine Stelle bewarb, sagte man mir, ich wäre zu alt.“



    Călin Niculae Niculescu hat es irgendwie geschafft, jahrelang auf der Stra‎ße zu überleben. Etwas verbittert ihn aber sehr:



    Die meisten Leute hassen uns, weil sie uns für Drogensüchtige halten. Viele gehen uns aus dem Weg, aber doch nicht alle. Das ist schon etwas Positives… Es ist wirklich nicht dasselbe, wenn ein hektischer Junge, ein Schnüffelsüchtiger, aus einem Kanal herauskommt, und wenn ich, ein normaler Mann, Ihnen entgegenkomme… Ich halte mich noch für einen normalen Menschen.“




    Cristian ist 24 Jahre alt. Mit 17 Jahren kam er aus Tulcea (im Osten Rumäniens) nach Bukarest und lebte auf der Stra‎ße. Mit Hilfe von Samusocial schaffte er die Reintegration in die Gesellschaft:



    Ich kam nach Bukarest, weil ich gehört hatte, in der Hauptstadt gäbe es mehr Chancen auf eine gute Arbeit, auf eine positive Entwicklung. Am Anfang war es sehr schwer, ich war ganz allein und kannte niemanden in Bukarest. Eine Zeit lang lebte ich auf der Stra‎ße, ich versuchte in den Treppenhäusern der Wohnblocks zu schlafen, aber die Bewohner jagten mich davon, weil sie Angst hatten, ich würde das Treppenhaus schmutzig machen. Ich konnte nie eine ganze Nacht irgendwo schlafen — ich schlief eine Stunde da, zwei Stunden dort…“




    Dank der NGOs, die ihm geholfen haben, aber auch weil er den festen Wunsch hatte, ein geregeltes Leben zu führen, hat Cristian jetzt einen Arbeitsplatz und eine Wohnung:



    Viele Obdachlose sagten mir, es würde sich nicht lohnen, ein guter, ehrlicher Mensch zu sein, sie sagten, es sei besser, wenn wir von den Reichen stehlen würden. Aber ich antwortete ihnen, dass es auch reiche Leute gibt, die den Obdachlosen helfen wollen, aber wenn wir diese Menschen beklauen, werden sie uns logischerweise nicht mehr helfen. Die anderen Obdachlosen hielten mich für dumm, weil ich ehrlich sein wollte. Samusocial war das Beste, was mir passieren konnte. Ich hatte keinen Ausweis mehr, meine Obdachlosenkollegen hatten mir alle Papiere geklaut. Ein Freund erzählte mir von Samusocial und ermunterte mich, hinzugehen. Die Leute von Samusocial haben mir geholfen, neue Papiere zu bekommen, sie haben mir auch den Arbeitsplatz beschafft, wo ich jetzt angestellt bin — bei einer NGO, die sich mit Papier-Recycling beschäftigt. Mir gefällt diese Arbeit sehr gut.“




    Eine Samusocial-Erfolgsgeschichte — ein positiver Anfang, der hoffentlich zu einem neuen Leben wird.

  • Funktionale Analphabeten: Ist rumänische Schule unfähig, praktische Kompetenzen zu vermitteln?

    Funktionale Analphabeten: Ist rumänische Schule unfähig, praktische Kompetenzen zu vermitteln?

    In den letzten Jahren lag der durchschnittliche Stand des funktionalen Analphabetismus in den EU-Staaten bei 20%. In Rumänien überschreitet dieser den europäischen Durchschnitt stark und erreicht sogar 42% im Falle der 15-jährigen Schüler, hei‎ßt es von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Zu diesem Ergebnis ist man 2015 nach minutiösen Berechnungen gekommen, die die Ergebnisse der rumänischen Schüler bei verschiedenen Tests berücksichtigten: PISA, TIMSS, PIRLS etc. Ausschlie‎ßlich anhand der PISA-Prüfungen (wodurch sowohl sprachliche als auch wissenschaftliche Kenntnisse bewertet werden), die letztes Jahr stattgefunden haben, liege der Stand des funktionalen Analphabetismus der rumänischen Schüler bei 38%. Wie wertet man diese Zahlen jedoch aus? Wodurch kennzeichnen sich die Schüler, die als funktionale Analphabeten eingestuft werden? Das erklärt uns Cristian Hatu, Gründungsmitglied des Zentrums für Bildungsevaluierung und –analysen.



    Sie sind nicht fähig, einigerma‎ßen strukturiert zu denken, eine recht elementare Analyse durchzuführen. In Mathematik z.B. können sie addieren, multiplizieren, aber wenn sie mit einer konkreten Situation konfrontiert werden, wissen sie nicht wirklich, welche elementaren Operationen sie anwenden müssen. Wenn sie Teppichboden für einen bestimmten Raum kaufen müssten, wüssten sie nicht, wie sie die Fläche berechnen sollen, und sie können keine einfache Grafik interpretieren.“




    Die Schüler erkennen ihrerseits, wenn auch nur empirisch, diese Situation und finden Erklärungen dafür. Vlad Ştefan ist der Vorsitzende des Nationalen Schülerrates und Schüler des Nationalen Gymnasiums Andrei Şaguna“ in Kronstadt.



    Leider ist das rumänische Bildungswesen in der Vergangenheit verankert geblieben. Man hat es nicht geschafft, das rumänische Schulwesen wie andere europäische Bildungssysteme, die auf Analyse-, Studien- und Beobachtungsfähigkeiten der einzelnen Schüler setzen, zu reformieren. Leider fördert die rumänische Schule nur den Grundsatz, Informationen zu lernen und diese zu wiedergeben, ohne dass der Schüler diese tiefgründig versteht, ohne dass er daraus das entnehmen kann, was er braucht. Viele Aspekte des rumänischen Lehrplans sind einfach nicht nützlich und überladen ihn noch zusätzlich.“




    Es ist also eine Frage der Lehrmethode und der Lehrpläne. Der funktionale Analphabetismus ist demokratisch“ in der Gesellschaft verbreitet, egal ob wir über Städte oder Dörfer sprechen, meint Cristian Hatu.



    Den funktionalen Analphabetismus finden wir nicht nur in benachteiligten Regionen. Es gibt einen schwachen Zusammenhang zwischen dem sozial-wirtschaftlichen Stand und der Leistung des Schülers, was z.B. Mathematikwissen anbelangt. Dieser Zusammenhang liegt irgendwo bei 17%-19%.“




    Damit sich die Lage ändert, benötigt man ein neues Bildungsmuster, das sich auf Lernen und Verstehen stützt. Was das hei‎ßt, erfahren wir von Cristian Hatu.



    Man müsste sich als Lehrer bemühen, die Lehrwerkzeuge anzuwenden, sodass der Schüler das besprochene Thema besser versteht, egal ob in Physik, Mathematik oder in der Literatur. Man muss den Schülern zeigen, welcher Zusammenhang zwischen dem besagten Thema und dem Alltag besteht. Natürlich gibt es unter uns Lehrer, die das tun. Sie haben erkannt, dass es darum geht, und da bemühen sie sich alleine in diese Richtung. Einige haben Kurse abgeschlossen, aber die Mehrheit kann diese Art von Werkzeugen nicht von alleine ausarbeiten. Für die Lehrer müssen Kurse veranstaltet werden, um ihnen diese Lehrweise beizubringen. Alleine kann man solche Fähigkeiten nur sehr selten erzielen. Alles hängt von den Entscheidungsträgern ab.“




    Eine Änderung wollen insbesondere jene, die direkt betroffen sind, denn der funktionale Analphabetismus, den man zuerst in der Schule erkennt, wird auf dem Arbeitsmarkt noch deutlicher. Vlad Ştefan, Vorsitzender des Nationalen Schülerrates.



    Man stellt es fest, wenn es um nationale oder Abiturprüfungen oder um internationale Prüfungen geht, die sich mehr auf Allgemeinwissen oder auf die Kritik- und Bewertungsfähigkeit des Schülers stützen. Die rumänischen Schüler, die in einem veralteten Bildungssystem lernen, sind den Anforderungen der rumänischen oder des europäischen Arbeitsmarktes nicht gewachsen.“




    Die Umwandlungen des Arbeitsmarktes in den letzten Jahrzehnen setzen einen gewissen Anpassungsgrad voraus, den die rumänische Schule vorerst nicht fördert. Am Mikrophon ist wieder Cristian Hatu, Gründungsmitglied des Zentrums für Bildungsevaluierung und –analysen.



    Die Menschen wechseln ihren Beruf ungefähr drei- bis viermal im Laufe ihres aktiven Lebens, laut einer Studie der Weltbank, die ich vor einigen Jahren gelesen habe. Es entsteht die Frage: Was macht die Schule und wie wird ein Schüler ausgebildet, damit er sich in seinem Erwachsenenleben an einen neuen Beruf anpassen kann? Auch wenn es ein Mensch schafft, seinen Beruf beizubehalten, muss er sich trotzdem an die sich ändernden technischen Gegebenheiten anpassen. Es gibt immer mehr Situationen, in denen der Angestellte verschiedene Situationen rationell ansetzen muss, mit denen er in der Vergangenheit nicht konfrontiert wurde. Die Schule muss vor allem seine kritische Denkweise und seine Problemlösungsfähigkeit, seine Kreativität ausbilden.“




    Die Arbeitskraft muss sich also in einer dynamischen Wirtschaft laufend anpassen. Dafür benötigt diese gewisse Kompetenzen, die ihr nur die Schule verleihen kann. Funktionale Analphabeten sind aus diesem Gesichtspunkt am wenigsten vorbereitet.

  • Agatonia-Schule: Traditionelle Handwerke neu erlernt

    Agatonia-Schule: Traditionelle Handwerke neu erlernt

    Der moderne Schulunterricht sieht es als Priorität vor, dass die Schulen mit Computern ausgestattet werden und die Schüler Internet-Zugang bekommen, damit alle mit Höchstgeschwindigkeit über das Weltgeschehen auf dem Laufenden bleiben. Und doch werden in einer Dorfschule in der Gemeinde Piscu, Landkreis Ilfov, die Kinder und auch die Erwachsenen ermuntert, alte, traditionelle Handwerke wieder zu entdecken und den lokalen Kulturschatz kennenzulernen. Adriana Scripcariu, die Leiterin der Schule Agatonia und des Vereins Gaspar, Baltasar und Melchior“, gibt uns mehr Details über die Schule Agatonia, in der Ortschaft Piscu, im Südosten Rumäniens:



    Die Schule Agatonia bietet mehrere Perspektiven auf den Unterricht. Einerseits handelt es sich um eine ordentliche Grundschule, in der wir die normalen schulischen Aktivitäten durchführen. Andererseits ist das Spezifikum unserer Schule, dass wir Aktivitäten fördern, die in Verbindung zum Kulturschatz Rumäniens stehen. Auch in unseren normalen Lehrstunden bringen wir immer Informationen zu diesem Thema. Im Rahmen unserer praktischen Aktivitäten erfahren die Kinder mehr über die Geschichte unserer Ortschaft, sie lernen traditionelle Handwerke wie z.B. das Weben am Webstuhl. In den letzten Jahren haben wir auch mehrere Lehrbücher über den Kulturschatz unserer Region erarbeitet, und wir sind der Ansicht, dass jeder Landkreis ein solches Kulturschatz-Lehrbuch haben sollte. Bis jetzt haben wir zwei Lehrbücher herausgegeben, über die Landkreise Ilfov und Braşov. Das sind interdisziplinäre Lehrmaterialien — sie enthalten Volksliteratur, Informationen über traditionelle Handwerke, Informationen über Bräuche, Traditionen, religiöse Feiertage, so dass die Kinder in der Welt der Kulturwerte, die sie umgeben, besser verankert sind. Unsere Agatonia-Schule in Piscu steht allen offen — viele Kinder- und Erwachsenengruppen aus ganz Rumänien kommen zu uns, um mehr über unseren Kulturschatz zu erfahren und verschiedene traditionelle Handwerke zu erlernen.“




    Der Zweck der Agatonia-Schule ist die Erziehung der jungen Generationen, die das kulturelle Erbe ihrer Vorfahren kennenlernen, verwerten und weitergeben sollten. Als sie die Grundlagen dieser Schuleinrichtung legten wussten Adriana Scripcariu und ihr Ehemann, der Bildhauer Virgil Scripcariu, noch nicht, was sie damit erreichen würden. Adriana Scripcariu:



    Ich kann nicht sagen, dass wir einen genauen Plan hatten; ganz langsam, Schritt für Schritt haben wir dieses Projekt entwickelt. Wichtig war, dass wir uns in einem Dorf niedergelassen haben, wo die alten Traditionen und Bräuche aufbewahrt wurden. Ich habe Kunstgeschichte studiert, mein Ehemann ist Bildhauer, wir entdeckten den Kulturschatz dieses Dorfes, und weil wir auch Kinder haben, wollten wir kulturelle Aktivitäten für alle Dorfkinder initiieren. Im Laufe der Zeit wurde uns klar, wie attraktiv diese Themen sein können, wenn man sich bemüht, sie den Kindern auf interessante, spannende Weise zu präsentieren. Wir haben auch Gruppen aus anderen Ortschaften zu unseren Aktionen eingeladen; die Leute sind hierher gekommen und wir haben wunderbare Stunden zusammengebracht. Wir hoffen, dass die Teilnehmer jetzt die traditionellen Handwerke besser kennen und schätzen.“




    Am Vormittag funktioniert die Agatonia-Schule wie eine ganz normale Grundschule für die Dorfkinder. Am Nachmittag öffnet die Schule ihre Tore für mehr Kinder, in verschiedenen Altersstufen. Es werden interdisziplinäre Aktivitäten durchgeführt, zu spezifischen Themen des rumänischen Kulturschatzes, aber auch zu Themen der Allgemeinbildung im breiteren Sinne. Alle Aktivitäten am Vor- und Nachmittag werden den Kindern aus dem Dorf Piscu kostenlos angeboten. Die Schule Agatonia organisiert regelmä‎ßig, auf Anforderung, gegen bescheidene Summen, weitere Aktivitäten für andere Gruppen von Kindern und Erwachsenen, die an den vorgeschlagenen Projekten teilnehmen möchten — es handelt sich um Workshops zum Erlernen von traditionellen Handwerken oder zum Kennenlernen des lokalen Kulturschatzes. Mit den dafür bezahlten Beiträgen unterstützen diese Gruppen die tägliche Aktivität der Schule. Auf diese Weise sichert der Verein seine Selbstfinanzierung. Wer sind aber die Gäste, die an den Aktionen der Agatonia-Schule teilnehmen? Adriana Scripcariu:



    Unsere Gäste gehören allen Altersgruppen an, vom Kindergarten bis zu Erwachsenen von wichtigen Einrichtungen oder Unternehmen, die hierher kommen, um Teambuilding-Aktivitäten zu machen. Sehr beliebt ist unsere Töpferei-Werkstatt — sie ist typisch für unseren Dorf, der eine uralte Töpferei-Tradition hat. In Piscu können die Gäste auch ihr eigenes Essgeschirr anfertigen und selbst dekorieren. Die Erwachsenen, die uns besuchen, entdecken Keramikgegenstände, gewebte Teppiche und viele andere Objekte, die sie in die Welt ihrer Kindheit zurückversetzen. Das ist eine besondere Erfahrung für jeden von uns, weil unsere Gro‎ßeltern auf dem Lande lebten, und diese Kindheitserinnerungen uns allen sehr lieb und teuer sind. Neben der Töpferei-Werkstatt haben wir auch Bildhauerei-Aktivitäten. In unserer Relief-Werkstatt können unsere Gäste selbst Plastiken aus Ton modellieren. In einigen Stunden können die Teilnehmer versuchen, unter Anleitung des Bildhauers aus Ton einen Gegenstand oder sogar ein Porträt nach einem lebendigen Modell anzufertigen. Diese Erfahrungen sind relativ selten für die modernen Stadtbewohner, und deshalb kommen die Leute gern zu uns. Im Rahmen eines einzigen Besuches können wir mehrere Workshops verbinden, z.B. Relief mit Töpferei und Weben, oder Porträt-Modellieren mit Töpferei, oder aber Malerei auf Keramikgegenständen kombiniert mit Linolschnitt. Wir bieten verschiedene Workshop-Kombinationen an, nach den Wünschen unserer Gäste.“




    Mehr Informationen über die Aktivität der Agatonia-Schule und des Vereins Gaspar, Baltasar und Melchior“ im Dorf Piscu finden Sie auf der Internetseite www.piscu.ro.