Tag: Feminismus

  • „Girls in STEM“: Gymnasiastinnen für mehr Frauen in MINT-Fächern

    „Girls in STEM“: Gymnasiastinnen für mehr Frauen in MINT-Fächern

     

     

    Aus den Statistiken der UNESCO geht hervor, dass weltweit nur ein Drittel der wissenschaftlichen Forscher Frauen sind und dass dieser Anteil in den letzten zehn Jahren stabil geblieben ist. Auf den höchsten Ebenen, d. h. in Führungspositionen und als Mitglieder nationaler Wissenschaftsakademien, beträgt der Frauenanteil jedoch nur 12 %.

     

    Nach Daten aus dem Jahr 2023 liegt der Anteil von Frauen an den Absolventen in MINT-Fächern (Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik) in Rumänien mit 41 % über dem europäischen Durchschnitt von 32,8 %. Die nächsten beiden Länder mit den höchsten Anteilen sind Polen und Griechenland. Der Anteil der weiblichen Doktoranden in Wissenschaft und Technik in Rumänien beträgt hingegen nur 0,24 % der rumänischen Gesamtbevölkerung, womit das Land an letzter Stelle in der EU steht.

     

    Wissenschaftsexperten sind der Meinung, dass man sich weniger mit den Zahlen befassen sollte, die Rumänien an die Spitze der Länder stellen, in denen Frauen ein Studium absolvieren oder in der Wissenschaft arbeiten. Vielmehr sollte man sich mit der geringen Vertretung von Frauen in Spitzenpositionen in der Forschung auseinandersetzen. Eine mögliche Erklärung für den hohen Prozentsatz an weiblichen Hochschulabsolventen in Rumänien kann auf die kommunistische Vergangenheit zurückgeführt werden. Die massenhafte Alphabetisierung und Professionalisierung von Frauen mit dem Ziel der Modernisierung der Gesellschaft basierte allerdings nicht auf Gleichstellungsmaßnahmen oder feministischen Bewegungen – das kommunistische Regime setzte nämlich auf Frauen als Arbeitskräfte.

     

    Doch Mädchen und junge Frauen, die sich von dieser Ungleichheit betroffen fühlen, wollen sich diese Situation nicht mehr gefallen lassen und ergreifen Initiativen für einen höheren Anteil ihrer Geschlechtsgenossinnen in MINT-Fächern. Ein solches Projekt nennt sich „Girls in STEM“ („Mädchen in MINT-Fächern“) und wurde im Mai-Juni 2024 von der Organisation „Girl Up Neuroscience“ unter der Leitung von zehn jungen Gymnasiastinnen ins Leben gerufen. Finanziert wurde das Projekt von den Vereinten Nationen.

     

    Marina Suvac ist Zwölftklässlerin am „Vasile Alecsandri“-Gymnasium im ostrumänischen Galatz und Vorsitzende der Organisation „Girl Up Neuroscience“. Im Folgenden erzählt sie, wie alles begann.

     

    Mir ist aufgefallen, dass der Feminismus und die Frauen in diesem Bereich nicht ausreichend vertreten sind, und ich interessiere mich sehr für die Neurowissenschaften. Es ist eine persönliche Leidenschaft von mir. Es gibt viele Projekte des Typs »Girl in STEM«, also Frauen in der Wissenschaft im Allgemeinen, und sie konzentrieren sich in der Regel auf Highschool-Schülerinnen, aber ich dachte, ich würde etwas Spezielleres in den Neurowissenschaften machen, weil MINT ein Bereich ist, der mehr als nur die klassischen wissenschaftlichen Fächer umfasst. Und so ist im Grunde »Girl Up Neuroscience« entstanden. Ich bin auch auf diese internationale Initiative »Girl Up« gestoßen – sie haben eine sehr, sehr detaillierte Website, die vieles ermöglicht, und so habe ich ein bisschen mehr über sie erfahren und wollte mich auch selbst einbringen, um etwas zu verändern.“

     

    Es gibt zwar Projekte, die darauf abzielen, Mädchen für diese Bereiche zu begeistern, doch laut Marina richten sich diese hauptsächlich an Gymnasiastinnen. Ihrer Meinung sei es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät: Das Profil der Gymnasiasten habe sich bereits herauskristallisiert, und die Vorstellung, dass die exakten Wissenschaften eher eine männliche Domäne seien, sei bereits tief verwurzelt. In ihrer Freizeit setzt Marina Suvac auf Veranstaltungen für Mädchen und junge Frauen im Internet.

     

    Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir neun Webinare online durchgeführt, bei denen wir Rednerinnen aus verschiedenen Bereichen eingeladen haben. Es gab viele weibliche Vortragende aus vielen verschiedenen Bereichen: Frauen in den MINT-Fächern selbst, aber auch aus dem Bereich Feminismus oder aus den Neurowissenschaften. Dieses Jahr haben wir auch einen Beitrag zur psychischen Gesundheit. Unser Sommerprojekt »Girls in STEM« fand von Juni bis August 2024 statt und bestand aus einer Konferenz und drei Workshops, bei denen Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren eingeladen waren, selbst Hand anzulegen und echte wissenschaftliche Experimente durchzuführen.“

     

    Marina Suvac sagt ferner, dass sie die Auswirkungen der mangelnden Vertretung von Frauen in der Wissenschaft als Schülerin am eigenen Leib zu spüren bekam:

     

    In der 9. Klasse besuchte ich ein Gymnasium, das auf Hochleistung getrimmt war. Der Unterricht basierte hauptsächlich auf Naturwissenschaften, und viele meiner Kommilitonen nahmen an Schülerwettbewerben teil. Es war eine Computer- und Chemieklasse. In meiner Klasse waren von 21 Schülern nur fünf Mädchen.“

     

    An den von „Girl Up Neuroscience“ organisierten Veranstaltungen nahmen rumänische Frauen teil, die an wissenschaftlichen Fakultäten studiert haben oder in MINT-Bereichen in Rumänien und im Ausland arbeiten. Neben Konferenzen, Webinaren und Workshops mit Dutzenden von Experimenten hat das Team von „Girl Up Neuroscience“, das aus mehr als zweihundert ehrenamtlich arbeitenden Schülerinnen besteht, zahlreiche erklärende Artikel auf der Website veröffentlicht. Zu den behandelten Themen gehören emotionale Intelligenz, die Auswirkungen von Traumata, der Dopamin-Kreislauf, Neurodiversität und Geschlechtergleichstellung.

     

    Eine Studie aus dem Jahr 2021, die in sieben Ländern durchgeführt wurde, zeigte, dass die Rollenklischees bei Eltern eine entscheidende Rolle spielen könnte bei der Aufrechterhaltung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in den MINT-Fächern. 85 % der befragten Eltern sagten, sie würden sich einen Mann vorstellten, wenn sie an einen Wissenschaftler denken müssten, und 89 % verbanden mit dem Beruf des Ingenieurs ebenfalls eine männliche Person.

     

  • Geschlechtergerechtigkeit: trotz geringem Lohngefälle keine vollwertige Gleichstellung

    Geschlechtergerechtigkeit: trotz geringem Lohngefälle keine vollwertige Gleichstellung





    Die Gleichstellung der Geschlechter bedeutet die Gleichstellung von Frauen und Männern in Bezug auf ihre Rechte, ihre Behandlung in der Gesellschaft, ihre Verantwortung, ihre Möglichkeiten und ihre wirtschaftlichen und sozialen Leistungen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist gegeben, wenn Männer und Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft die gleichen Rechte, Pflichten und Möglichkeiten haben und wenn die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse und Prioritäten von Männern und Frauen gleichwertig berücksichtigt werden.



    Brüssel definiert die Gleichstellung der Geschlechter als einen seiner Grundwerte, ein Grundrecht, eine wesentliche Komponente des Wirtschaftswachstums und ein Grundprinzip der europäischen Säule sozialer Rechte. Doch trotz aller Fortschritte bestehen immer noch Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten, bei der Beschäftigung, in der Lebensqualität und am Arbeitsplatz — auch mehr als zwanzig Jahre nach Beginn des 21. Jahrhunderts.



    Laut einer gemeinsamen Erklärung von mehr als 20 Botschaften in Bukarest und der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien ist es für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter unerlässlich, die volle, gleichberechtigte, wirksame und sinnvolle Teilhabe von Frauen in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens zu gewährleisten, einschlie‎ßlich der politischen Vertretung und der Führung in Entscheidungsprozessen. Die Unterzeichner betonen auch, dass Frauen und Mädchen das Recht auf ein Leben frei von Gewalt und Diskriminierung haben. Die Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter sind trotz sichtbarer Zeichen des Wandels in der EU nach wie vor gering und ungleichmä‎ßig. In der Europäischen Kommission arbeiten wir daran, ein Europa zu schaffen, in dem Mädchen und Frauen sich gleichberechtigt mit den Männern entfalten und ungehindert eine Führungsrolle übernehmen können“, sagte die für Gleichstellung zuständige Kommissarin Helena Dalli aus Malta, die in Bukarest über die wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen und über Instrumente zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprach.



    In Rumänien kümmern sich 46 % der Frauen im Vergleich zu nur 25 % der Männer um Kinder, ältere oder behinderte Menschen in der Familie. Auch in der Politik sind die Geschlechter nicht ausgewogen vertreten — Frauen sind in den nationalen Parlamenten und Regierungen, auch in Rumänien, nicht ausreichend vertreten, und das ist nicht gut für die Demokratie, sagt die EU-Kommissarin. Ein weiterer diskriminierender Aspekt ist die unterschiedliche Entlohnung — Frauen werden im Durchschnitt immer noch schlechter bezahlt als Männer.



    Die Gleichstellung der Geschlechter war auch das Thema, das Professor Andreea Paul bei Radio Rumänien ansprach — sie ist Hochschullehrerin an der Bukarester Wirtschaftsuniversität. Frauen wollen gleiche Rechte, Frauen wollen als Individuen im politischen und sozialen Leben, im Bildungs- und Wirtschaftssystem wettbewerbsfähig sein, und ich glaube, dass Rumänien eine viel stärkere Nation sein würde, wenn wir Frauen und Männern in Entscheidungspositionen gleiche Rechte einräumen“ — sagt Andreea Paul. Sie sprach von Chancengleichheit, Gleichbehandlung, gleicher Verantwortung, und gleicher finanzieller Entlohnung.



    Was die sogenannte Gender-Pay-Gap anbelangt, so steht Rumänien in der EU an der positiven Spitze mit einem der geringsten Lohngefälle, und das ist eine gute Nachricht. Im EU-Durchschnitt sind die Dinge ein wenig komplizierter. Das liegt daran, dass wir in Rumänien schon länger ein Bildungssystem haben, das traditionell eine höhere Bildung und die Aneignung hoher Qualifikationen bei Mädchen und Frauen begünstigt hat. Das ist also die positive Nachricht. Was wir jedoch nicht so gut schaffen, ist, diese angesammelte Kompetenz im Hochschul- und Postgraduierten-Bildungssystem in öffentliche Führungspositionen einflie‎ßen zu lassen. Bei privaten Lebensentscheidungen sieht es um die Gleichstellung wieder viel besser aus, aber nicht so gut steht es um die Vorstände der gro‎ßen Unternehmen. Kürzlich hat die Regierung beschlossen, eine Geschlechterquote von mindestens 30 % für die Vorstände börsennotierter Unternehmen vorzuschlagen. Mit anderen Worten — es sollten nicht weniger als 30 % Frauen oder Männer in diesen Vorständen vertreten sein. Aber an der Basis, in der realen Wirtschaft, sind wir noch weit von diesem Prozentsatz entfernt.“




    Rumänien liege zwei Jahrzehnte hinter den westeuropäischen Ländern zurück, wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht, sagt noch die Universitätsprofessorin Andreea Paul — heute spreche man über Repräsentationsquoten von 30 %, diese Dinge seien jedoch in den entwickelteren Ländern der Welt vor 20–30 Jahren beschlossen worden. Doch gebe es auch gute Gründe, optimistisch in die Zukunft zu blicken:



    Es ist ein Mentalitätsgefälle, das wir überwinden müssen. Und sicherlich machen es diese exponentiellen Veränderungen in unserer Zeit, das digitale Umfeld, die deutlichere Stimme der Frauen, einfacher, die Entwicklungen zu beschleunigen, und wir müssen nicht weitere 30 Jahre warten, um die Rückstände aufzuholen. Aber wir sollten uns auch ein bisschen mehr mit der Thematik auseinandersetzen und die Perspektiven besser verstehen und selbstbewusster über die Gleichstellung der Geschlechter sprechen. Und wir sollten den Feministinnen, die sich dafür stark machen, Respekt zollen. Wir müssen wir all den Feministinnen der Vergangenheit dankbar sein, die uns, den Frauen von heute, beispielsweise das Wahlrecht ermöglicht haben. In weniger als einem Jahrhundert haben wir erreicht, dass Frauen Zugang zu jeder Art von Arbeit haben, Zugang zu höherer Bildung bis hin zum Doktorstudium, das Recht erkämpft, öffentliche Ämter zu bekleiden, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu beanspruchen. All das und vieles mehr ist in der Tat dem Aktivismus der Feministinnen zu verdanken, die in den letzten Jahrzehnten so oft diffamiert wurden.“

  • Kulturkonsum im kleinstädtischen Milieu: Angebot nicht ausreichend auf Jugendliche zugeschnitten

    Kulturkonsum im kleinstädtischen Milieu: Angebot nicht ausreichend auf Jugendliche zugeschnitten





    Laut Kulturwissenschaftlern ist die Kultur nicht nur eine Welt an sich, sondern auch ein Medium, das unterschiedliche Werte transportiert. Au‎ßerdem sind Kulturräume in der heutigen Welt nicht nur Orte, die der Kultur gewidmet sind, sondern auch Träger gesellschaftspolitischer Grundsätze und Haltungen. Ausgehend von diesen Prämissen zielte die Studie Kulturkonsum junger Menschen in kleinen und mittelgro‎ßen Städten“ im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien darauf ab, zu untersuchen, inwieweit kulturelle Aktivitäten in kleinen städtischen Gebieten mit der feministischen Perspektive verflochten sind und ob junge Männer und Frauen kulturelle Veranstaltungen mit bestimmten sozialen Werten verbinden.



    Ein weiterer Ausgangspunkt für diese Untersuchung war der schlechte Zustand der kulturellen Infrastruktur in den Kleinstädten: wenige öffentliche Bibliotheken, geschlossene Kinos, Kulturhäuser, die entweder nicht funktionieren oder zweckentfremdet werden. Mehr als 225 Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren haben an der Umfrage teilgenommen, wobei der Anteil der Mädchen bei über 75 % lag. Der überwiegende Anteil von weiblichen Auskunftspersonen lag nicht in der Absicht der Autoren der Umfrage, sondern es haben sich einfach mehr Mädchen und junge Frauen entschieden, die Fragebögen auszufüllen und an den Interviews teilzunehmen, versichert Carmen Voinea, die Koordinatorin der Studie, der zufolge die Befragten eindeutig einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Verhalten beim Kulturkonsum und der Genderproblematik hergestellt haben.



    Aus ihren Antworten ging hervor, dass an der Schnittstelle zum kulturellen Konsum auch umfassendere Fragen der Gleichstellung der Geschlechter und der sozialen Eingliederung auftauchen. Eines ihrer Bedürfnisse war z.B. das Vorhandensein von Kulturräumen, in denen sich unterschiedliche Menschen, einschlie‎ßlich der LGBT-Gemeinschaft, sicher fühlen können. Das Bedürfnis, Probleme in der Gemeinschaft durch Kultur zu lösen, kam in den Interviews und Fragebögen ebenfalls zum Ausdruck. Darüber hinaus erzählten uns viele Teilnehmer an der Umfrage, dass sie durch den Kinobesuch und das Anschauen bestimmter Filme begonnen hatten, sich mit feministischen und geschlechtsspezifischen Themen auseinanderzusetzen. Wir haben versucht, ihre subjektive Beziehung zu diesen Kulturräumen zu erfassen. Auch wenn wir auf dem Papier oder sogar ganz konkret Museen, Bibliotheken und Kulturzentren haben, sind sie für junge Menschen vielleicht nicht immer attraktiv. Der Inhalt ist nicht auf sie zugeschnitten. Sie haben das Bedürfnis, einbezogen zu werden und aus einer partizipatorischen Position heraus in einigen Fällen zu Mitgestaltern dieser Räume für kulturelle Produkte zu werden. Die Tatsache, dass mehr Frauen an der Umfrage teilgenommen haben, könnte auf ein grö‎ßeres Interesse junger Frauen am Kulturkonsum im Zusammenhang mit dem Feminismus hinweisen.“



    Der Kulturkonsum junger Menschen hänge allerdings von der Infrastruktur und dem kulturellen Angebot ab, denn ihre Gewohnheiten spiegeln die Vielfalt und den Reichtum dieses Angebots wider — oder, im Gegenteil, seine Spärlichkeit, erläutert weiter Carmen Voinea:



    Erstens haben wir festgestellt, dass die häufigsten kulturellen Aktivitäten von Jugendlichen in Einsamkeit und in häuslicher Umgebung stattfinden oder ausgeübt werden. Auch die kulturellen Aktivitäten, die im öffentlichen Raum zugänglich sind, sind nicht sehr abwechslungsreich und nicht auf Jugendliche zugeschnitten. Obwohl ein hoher Prozentsatz der Befragten Kinobesuche attraktiv und interessant findet, gaben gleichzeitig 45 % von ihnen an, dass sie im letzten Jahr keinen Film im Kino gesehen haben. 48 % der Befragten gaben au‎ßerdem an, dass sie in eine andere Stadt fahren mussten, um ins Kino zu gehen.“




    Diese Zahlen sprechen für den Wunsch junger Menschen, ein Kino in ihrer Stadt zu haben. Die Umfrage ergab auch, dass das alte, geschlossene Kino in vielen Orten immer noch als ein Wahrzeichen wahrgenommen wird, selbst von den Jugendlichen, die es nicht als Kino erlebt haben. Die Studie über den Kulturkonsum junger Menschen enthält auch ermutigende Nachrichten, sagt zum Schluss erneut Carmen Voinea:



    Die Bibliotheken waren in der Art und Weise, wie sie in den von den Jugendlichen erstellten Mindmaps auftauchen, eine Überraschung für uns. In einigen Städten boten die Bibliotheken den Jugendlichen nicht nur Platz zum Lesen oder Ausleihen von Büchern, sondern auch einen Raum, in dem sie Ideen entwickeln konnten, z.B. von koreanischen Kulturclubs bis hin zu Karaoke-Abenden. In Călărași etwa, einer Kleinstadt an der Donau in Südrumänien, sagte eine junge Frau, die Bibliothek sei ihr Lieblingsort in der Stadt. Dasselbe gilt für die ehemalige Industriestadt Slatina. In der Bibliothek fanden sie einen Raum, in dem sie sich entfalten konnten, und einen Raum, in dem sie als Mitgestalter direkt am Kulturkonsum teilhaben konnten. Darüber hinaus sind die von den Jugendlichen am meisten besuchten Orte immer noch öffentliche Räume. 70 % der Orte, an denen sie Kultur konsumieren, sind öffentlich. Wenn sie hingegen über feministische Themen diskutieren, tun sie dies eher in privaten und informell organisierten Räumen. Auch wenn Jugendliche nach wie vor die öffentliche Infrastruktur am stärksten in Anspruch nehmen, gibt es dort immer noch nicht genug Offenheit, um feministische Themen anzusprechen.“




    Zu den Schlussfolgerungen der Studie Kulturkonsum junger Menschen in kleinen und mittelgro‎ßen Städten“ gehört daher auch die Empfehlung an die lokalen Behörden, die kulturellen Aktivitäten im öffentlichen Raum wiederzubeleben und sie integrativer zu gestalten, denn die Studie habe eindeutig gezeigt, dass es Interessenten dafür gibt.

  • Frauen in der postkommunistischen Gesellschaft: Buch untersucht Stellung der Frau in Rumänien

    Frauen in der postkommunistischen Gesellschaft: Buch untersucht Stellung der Frau in Rumänien

    Der Band Die Geburt der demokratischen Staatsbürgerschaft. Frauen und ihre Macht im modernen Rumänien“ von Maria Bucur und Mihaela Miroiu analysiert die Art und Weise, wie Frauen im postkommunistischen Europa wahrgenommen werden. Maria Bucur lehrt Geschlechterstudien an der Universität Indiana in den USA. Über dieses Projekt sagte sie:



    Das ganze Projekt begann natürlich mit meiner Freundschaft zu Mihaela, was mich dazu brachte, zehn Jahre lang über dieses Thema viel zu lesen. Es hat sich gelohnt, denn ich habe viel gelernt. Ich war es nicht gewohnt, Urteile zu fällen, so wie ich sie am Ende getroffen habe, und das ist ein Gewinn für mich. Ich glaube, ich hatte sehr viel zu lernen. Meine Interdisziplinarität hat sich enorm ausgeweitet, und das ist für mich au‎ßergewöhnlich. Die Gelegenheit, diese Frauen kennenzulernen, die mir Mihaela vorgestellt hat, war die Chance meines Lebens.“




    Die in diesem Bereich durchgeführten Forschungen führten zur Entwicklung einer Geschichte der rumänischen Frauen nach 1990. Das Buch von Maria Bucur und Mihaela Miroiu stellt eigentlich einen einzigartigen Ansatz in der rumänischen Literatur dar:



    Das Kapitel über die Geschichte, oder genauer gesagt der historischen Kontext, war ursprünglich nicht geplant. Wir hatten mit einer Feldstudie begonnen, die wir später im Detail vorstellen wollten. Aber dann wurde uns klar, dass es bisher kein Buch in rumänischer Sprache über die Geschichte der Frauen gab, ein Buch, das erklärt wie man ihre Stimmen besser verstehen kann und welche die rechtlichen, bildungspolitischen oder politischen Strukturen und Normen der damaligen Zeit waren.“




    Mihaela Miroiu ist Professorin für Politikwissenschaft an der Nationalen Schule für Politische und Administrative Studien in Bukarest. Ihr Name ist vor allem mit der Gründung der feministischen Studien und der Geschlechterforschung in Rumänien verbunden. Als Koautorin des Buches gibt sie zu, dass dieses Projekt das Ergebnis eines persönlichen Ansatzes ist:



    In gewisser Weise war dieses Buch mein Moment, in dem ich mir sagte: ‚Lass mich zur ursprünglichen Frau zurückkehren.‘ Zu allen Frauen, die mich aufgezogen haben, zur Generation der Frauen, die meine Zeitgenossinnen sind, und dann zu den Frauen der folgenden Generationen. Das sind, wenn Sie so wollen, die drei Generationen: unsere Gro‎ßmütter, Mütter und Töchter. Es gab nicht viel vorsätzliches Denken in dem Buch, es hat sich einfach so ergeben. Ich persönlich finde die drei sehr langen Interviews, die jeweils durchschnittlich 5 bis 6 Stunden dauerten, sehr gut.“




    In der gesamten modernen Geschichte haben Frauen für die Anerkennung ihrer moralischen, intellektuellen, bürgerlichen und politischen Rechte gekämpft. Und überraschenderweise scheinen die rumänischen Frauen, auch die älteren, einen angeborenen Bürgergeist zu haben, sagt Mihaela Miroiu:



    Die politische Kultur all dieser Frauen ist lobenswert. Ohne allzu anspruchsvoll zu sein, haben sie Interessen, die es politisch zu lösen gilt. Es ist sehr klar, dass aus ihrer Sicht eine Demokratie und eine Art von Politik, in der die Moral verschwunden ist, nichts mit dem Gemeinwohl zu tun hat. Sie wären in konsolidierten Demokratien wie den skandinavischen ganz zu Hause.“




    Eine Feldforschung im siebenbürgischen Dorf Sâncrai gab Maria Bucur und Mihaela Miroiu die Möglichkeit, Geschichten von einer Vielzahl von Frauen zu hören, die einfach und au‎ßergewöhnlich zugleich sind:



    Man kann ihre Entwicklung sehen, wie sie einfach ihr Leben selbst in die Hand genommen haben, unabhängig davon, dass es sich um 80-jährige Frauen aus Sâncrai handelt, die nur vier Jahre in die Schule gegangen sind, oder um hoch qualifizierte Stadtfrauen, viele von ihnen Ärztinnen, Lehrerinnen, Ingenieurinnen. Sie sind sich au‎ßerordentlich ähnlich in ihren Bestrebungen und sie sind sich sehr ähnlich, weil sie die Trennung zwischen der Moral und der Praxis der Politik nicht ertragen können. Eine Idee, die unser Buch fördert.“




    Das Buch wurde 2018 in den USA im Verlag Indiana University Press veröffentlicht und ist jetzt in rumänischer Sprache in der Sammlung Zeitgeschichte“ im Verlag Humanitas erhältlich. Die Übersetzung trägt die Unterschrift von Magda Dragu und Mihaela Miroiu.

  • Visuelle Künste in Rumänien: feministische Ansätze

    Visuelle Künste in Rumänien: feministische Ansätze

    Marilena Preda-Sânc ist interdisziplinäre bildende Künstlerin und Professorin an der Nationalen Universität der Künste Bukarest. Seit 1980 wurde ihre Arbeit international bei Museen, Festivals, Konferenzen, Symposien, Sendeanstalten und Galerien präsentiert. Durch die Integration der traditionellen Kunstformen und der neuen Medienkunst visualisieren und untersuchen ihre Kunstwerke das Körper-Geist-Seele-Verhalten in Bezug auf Natur und den sozialen, politischen und repräsentativen Raum. Ihre künstlerische Arbeit erforscht die Feminismus-Problematik und die Frau als Anführerin aus der öko-feministischen Perspektive. Marilena Preda-Sânc ist die erste Künstlerin, die sich mit dem Thema Feminismus in Rumänien befasst hat und gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen Rumäniens:



    Seit meiner ersten persönlichen Ausstellung im Jahr 1980 habe ich versucht, mich mit verschiedenen künstlerischen Mitteln auszudrücken. Mein gesamtes künstlerisches Schaffen zeichnet sich durch die Vielfalt der Mittel aus. Am wichtigsten ist die Botschaft, die ich übermitteln möchte, und ich bin auf der Suche nach der besten Form des künstlerischen Ausdrucks. Die künstlerischen Mittel, die ich verwende, sind äu‎ßerst unterschiedlich, von der Zeichnung über die traditionelle Malerei, das Objekt, das Künstlerbuch, die Fotografie, bis auf die Aktion, die Performance und die Installation. Ich unterrichte auch und interessiere mich sehr für Kunst im öffentlichen Raum. Es geht dabei um alle Arten von Ereignissen, temporäre Ereignisse, einfach alles, was im öffentlichen Raum geschieht. Für einen Künstler ist Freiheit am wichtigsten, die Freiheit, morgens aufzustehen und das zu schaffen, was man will. Ein Künstler darf von Modeerscheinungen, Klischees, Ideologien oder anderen Zwangsmechanismen der Konsumgesellschaft nicht eingeschränkt werden.“




    Marilena Preda-Sânc hat ihre Arbeiten auf zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen und Festivals ausgestellt und sich an Residenzen beteiligt: bei Kulturkontakt, Wien, und Franklin Furnace, New York. Ihre Videos, Gemälde, Zeichnungen, Installationen, Fotografien befinden sich in Museen oder Privatsammlungen, z.B. im Museum der Gegenwartskunst Bukarest, im Arhitekturni Muzej Ljubljana, in der Kunsthalle Nürnberg, im Albertina Museum Wien. Den ersten Kontakt mit den feministischen Ideen hatte die junge Künstlerin in den 1980er Jahren. Marilena Preda-Sânc:



    Als ich 1983 anfing, Fotografien und Interventionen zu machen, wusste ich nichts über Feminismus. Aber im Inneren spürte ich das starke Gefühl, dass ich genau das tun musste. Ich betrachtete mich immer als Meinungsbildnerin in meinem künstlerischen Genre und tat alles mit viel Einfühlungsvermögen den anderen gegenüber. Das Einfühlungsvermögen ist mein Motor, es ist präsent in allem, was ich als visuelle Darstellung schaffe. Nach 1990 lernte ich auch einige Theoretikerinnen des Feminismus kennen, Mihaela Miroiu, mit der ich mich sehr verbunden fühle, oder Laura Grünberg. Ich ging auf Reisen, beschäftigte mich intensiv mit dem Feminismus und begann ihn zu verstehen. Dadurch habe ich auch mich selbst und mein künstlerisches Schaffen besser verstanden. So wurde mir auch das Etikett »Feministin« verpasst. Ich verstehe aber den Feminismus nicht aus der aggressiven Perspektive, die vor allem in den 1970er Jahren üblich war. Ich betrachte die Welt aus der öko-feministischen Perspektive, einer tiefgehenden ökologischen Perspektive, die für mich wesentlich ist.“




    Die 1987 geborene Claudia Brăileanu lebt und arbeitet in Bukarest. Claudia Brăileanus Experimente in Malerei, Collage und Objekt gehen von der Struktur aus, die das Material sichtbar macht, von seinen Mustern und inneren Rhythmen. Die Künstlerin Claudia Brăileanu arbeitet mit Ideen wie Abweichungen, Unterbrechungen und Dekonstruktionen, spielt mit dem Subjekt und dem Objekt und vereint sie in einer Reflexion und Selbstreflexion über Dialog und Identität. Für Claudia Brăileanu, Vertreterin der neuen Generation der bildenden Künstler, hat sich der Begriff der Freiheit weit über den persönlichen Raum hinaus erweitert. Claudia Brăileanu:



    Es geht nicht unbedingt um die Freiheit, zu schaffen, sondern um die Freiheit, zu lernen. Es ist nicht unbedingt die Tatsache, dass ich nicht an einen bestimmten Bereich oder ein bestimmtes Projekt gebunden sein möchte. Es geht einfach um die Idee, spazieren zu gehen und Dinge zu entdecken, die mich zu neuen Bereichen führen, die ich erkunden und weitervermitteln kann. An der Nationalen Universität der Künste in Bukarest studierte ich Malerei, es ist der Kunstbereich, der mich am meisten interessierte, ich fühlte mich davon angezogen. Dann hatte ich eine extrem wichtige Erfahrung in Leipzig, wo ich ein Stipendium an der Kunstakademie hatte. Die Erfahrung in Leipzig war für mich besonders wichtig, weil ich dort begann, mit Dingen zu experimentieren, die für mich nicht selbstverständlich waren. Ich habe unter anderen Performance-Texte geschrieben. Wir hatten auch einen Kurs für visuelle Kunst, in dem wir mit verschiedenen Medien experimentierten. Wir arbeiteten mit Malerei, mit Objekten, mit Texten.“




    Die Einbindung in den sozialen Bereich ist auch für die jüngere Generation der bildenden Künstler sehr wichtig. Dank der unbegrenzten Möglichkeiten, die die neuesten Technologien bieten, integriert Claudia Brăileanu in ihre Malerei eine ursprünglich im virtuellen Raum erscheinende Ästhetik:



    Ich besuchte auch einen Kurs mit dem Namen »Social and Humor«. So etwas hatte ich in der Vergangenheit überhaupt nicht getan. In der Tat fand ich in diesem Zusammenhang eine bestimmte Ausdrucksweise, die ich später in meine Malereiarbeiten brachte, obwohl das, was ich in dem Kurs erlebt hatte, völlig anders war. Es war eine vollkommen andere Ästhetik, es war die Idee der Wiederholung, die für mich sehr wichtig war. Ich versuchte, die soziale Seite mit dieser Idee der Wiederholung zu behandeln. Eine sich wiederholende Struktur erzeugt ein Muster, das im Laufe der Zeit modifiziert wird, und durch Wiederholung des Musters wird wiederum ein anderes Muster generiert. Für mich ist das eine sehr organische Sache, eine Idee, die ich in meinen Malstil integriert habe. So kam ich zu dem Projekt, an dem ich seit zwei Jahren arbeite. Anfangs war es nur Malen. Später habe ich auch mit dem digitalen Teil begonnen.“




    Von den Ausstellungen Claudia Brăileanus erwähnen wir Abweichungen“, Möbius-Galerie, Bukarest (2017); Umgestalten von Landschaften“, FIVE PLUS Art Gallery, Wien (2016); Dada, adică nu!“ Jecza-Galerie, Temeswar (2016); Studio 34“, Zentrum für bildende Künste, Bukarest (2016); Mail Art“, Go Contemporary, Bukarest (2016); Tendenzen in der zeitgenössischen rumänischen Malerei“, Botschaft Rumäniens, Berlin (2015); Zweite internationale Studentenbiennale — Zeichnung, Sofia (2014).



    Die Dimensionen der alltäglichen oder kulturellen Erlebnisse, die Marilena Preda-Sânc und Claudia Brăileanu in visuelle Kunst umsetzen, werden der Öffentlichkeit aus der Perspektive zweier verschiedener Künstlergenerationen geboten. Was über die Ausdrucksmittel hinaus wichtig ist, ist genau der Dialog zwischen den beiden Epochen, zu denen die Künstlerinnen gehören.

  • Feministisches Roma-Theater: Darstellerin Mihaela Drăgan in Bukarest und Berlin erfolgreich

    Feministisches Roma-Theater: Darstellerin Mihaela Drăgan in Bukarest und Berlin erfolgreich

    Ich fühle mich privilegiert, dass ich unter 9 Schriftstellerinnen für dieses internationale Residenzprogramm in London ausgewählt wurde. Es war eine unvergessliche Erfahrung sowohl aus beruflicher als auch aus persönlicher Sicht.“ Mihaela Drăgan, Jahrgang 1986, ist Schriftstellerin und Darstellerin, lebt in Bukarest und Berlin. Sie ist unter anderen im Film Aferim!“ aufgetreten, der auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Die Teilnahme am Residenzprogramm in London bezeichnet die junge Darstellerin als Wendepunkt in ihrem Werdegang:



    Es war eine einzigartige Erfahrung, mit der Royal Court in London zu arbeiten. Das Residenzprogramm dauerte drei Wochen und es war sehr intensiv. Ich habe täglich an Workshops für kreatives Schreiben teilgenommen, die von berühmten Autoren aus Gro‎ßbritannien gehalten wurden. Ich habe viele Darsteller getroffen und viel gearbeitet. Jeder Teilnehmer hat dabei ein Theaterstück geschrieben. Jetzt sind wir ein wenig nostalgisch, dass es zu Ende kam, hoffen aber, uns bald wieder zu sehen. Die Organisatoren legten den Akzent auf das Thema neue Politiken im Kontext des Ausstiegs Londons aus der EU, weil das Theater eine wichtige Stellung in diesem Zusammenhang einnimmt. Das gab mir auch die Chance, darüber zu sprechen, was geschehen könnte, wenn im heutigen Europa die extremen Einstellungen gegenüber Migranten stärker werden.“




    Die Aufführung soll im Herbst auch in Rumänien auf die Bühne gebracht werden und die Darstellerin erwartet voller Begeisterung diesen Moment. Erstmals wurde sie eigentlich beim Rumänischen Kulturinstitut in London vorgestellt und fand eine sehr gute Resonanz beim Publikum. Die Handlung spielt in der nahen Zukunft, eine Gruppe von Roma-Hexen verfügt über die neuesten Mittel der Technik, die sie im Kampf gegen den Neofaschismus einsetzen. Für Mihaela Drăgan war der Auftritt beim Rumänischen Kulturinstitut in London eine schöne Überraschung, besonders als sie feststellte, dass das Publikum sehr vielfältig ist. Auch die Erfahrung beim Berliner Theater Maxim Gorki“, mit dem sie seit zwei Jahren zusammenarbeitet, war aus dieser Sicht sehr erfreulich:



    80% der Darstellerinnen und Darsteller haben einen Migrationshintergrund, und das Theater erfreut sich eines Riesenerfolgs. Ein ähnliches Theaterensemble habe ich auch in Rumänien gegründet, wir sind unabhängig, treten in unkonventionellen Räumen auf und verfügen über kein Budget. In Berlin gab es jeden Abend rund 400 Zuschauer bei unseren Aufführungen, wir hoffen auch, eines Tages so berühmt zu werden. Meine Kolleginnen vom Theater »Giuvlipen« (in etwa: Frauenpower“ in Romanes — Anm. d. red.) und ich sind wahre Bahnbrecherinnen, was das Roma-Theater in Rumänien angeht, aber das ist nicht das Wichtigste für uns, dass wir als die Ersten in diesem Bereich betrachtet werden. Wichtig ist, dass wir eine neue, frische und innovative Vision bringen. Wir bleiben in enger Verbindung mit den sozial-politischen Bewegungen der Welt und natürlich befassen wir uns auch mit der Rolle der Frauen sowohl in der Roma-Minderheit als auch im ganzen Land. Wir glauben, dass sich die Mentalität ändert und die Gesellschaft deutliche Fortschritte macht, aber manchmal müssen wir feststellen, dass wir hingegen Schritte zurück machen, besonders wenn die Frau als Gegenstand betrachtet wird.“

  • Gender-Barometer im Vergleich: Geschlechterrollen fortschrittlicher als vor 18 Jahren wahrgenommen

    Gender-Barometer im Vergleich: Geschlechterrollen fortschrittlicher als vor 18 Jahren wahrgenommen

    Rumänien ist ein Land, in dem sich die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Fragen nach einem modernen Trend ändert, ein Land, das immer noch zwischen der konservativen und der fortschrittlichen Haltung in Bezug auf Gleichstellungsfragen schwankt, aber auch ein Land mit einer eher schwachen Wahrnehmung der Notwendigkeit einer Politik, die sich auf Gleichstellungsfragen konzentriert. Dies waren die wichtigsten Schlussfolgerungen des Geschlechterbarometers im Jahr 2018, das 18 Jahre nach dem ersten Geschlechterbarometer in Rumänien im Jahr 2000 durchgeführt wurde. Das neueste Barometer wurde im Auftrag der feministischen NGO Filia Center erstellt. Es erfasst ganz genau die Veränderung bestimmter Mentalitätsmuster, während andere Mentalitäten in der Zeit eingefroren sind und Unsicherheit in Bezug auf bestimmte Einstellungen entsteht. Häusliche Gewalt, Bildung für Gesundheitsversorgung und Reproduktion, die hohe Zahl der Teenie-Mütter, die in Rumänien in gro‎ßer Zahl leben — das sind die Themen, die in den letzten Jahren auf die öffentliche Agenda gesetzt wurden. Ebenso möchte das Filia Center, dass die Ergebnisse einer solchen Forschung die Entstehung einer angemessenen Geschlechterpolitik unterstützen. Andreea Braga ist die Vertreterin des Filia Centers. Sie wird uns nun Einzelheiten über den Hintergrund, vor dem das Gender-Barometer ermöglicht wurde, und über die möglichen Lösungen für das Problem mitteilen.



    Patriarchale geschlechtsspezifische Vorurteile im Zusammenhang mit Gewalt, aber auch der Mangel an Informationen über häusliche Gewalt und die Dynamik der Gewalt unter Fachleuten vor Ort, Polizisten, Richtern oder Sozialarbeitern, schränken den Zugang von Frauen zu ihren Rechten ein. Von Anfang an stellen wir fest, dass selbst Polizisten Opfer entmutigen, Strafanzeige zu erstatten, so dass einfach nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Ich will nicht verallgemeinern, nicht alle von ihnen verhalten sich so, aber wir wollen, dass so viele Fachleute wie möglich geschlechtsspezifisch sensibel sind, Stereotypen und Vorurteile gegenüber Frauen und Männern überwinden können, damit sie in Fällen häuslicher Gewalt sofort eingreifen können, zumal ihre Intervention den Unterschied zwischen Leben und Tod machen kann. Wir stehen nach wie vor an der Spitze der europäischen Länder, was die Zahl der Mütter im Teenageralter, die hohe Kindersterblichkeitsrate, den begrenzten Zugang zu Gesundheitsdiensten für Mütter betrifft. Es gibt eine gro‎ße Zahl von Frauen, die es in der Schwangerschaft nie zum Arzt schaffen. Deshalb haben wir eine Lösung vorgeschlagen, die darin besteht, kommunale Netzwerke von Hebammen und Krankenschwestern wiederzubeleben, die ihre Nutznie‎ßer erreichen und mit der überwiegenden Mehrheit der Frauen in der Gemeinde zusammenarbeiten können. Wir wollen das Netzwerk der Familienplanungspraxen revitalisieren. Leider gibt es auch eine Art Widerstand der öffentlichen Meinung, wenn wir über reproduktive Rechte und den Zugang zur Geburtenkontrolle sprechen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir das ändern.“




    Unter diesen Umständen haben die Ergebnisse des Gender-Barometers von 2000 und des Gender-Barometers im Jahr 2018 im Vergleich nach Meinung der Universitätsprofessorin und Soziologin Laura Grunberg die Entstehung positiver Veränderungen, aber auch den Fortbestand eingefrorener Einstellungen aufgezeigt. Viele der Antworten im Jahr 2018 sind widersprüchlich und deuten auf die Schwankungen der Mentalitäten zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen traditionalistischen und zukunftsorientierten Einstellungen hin. Hier ist Dr. Laura Grunberg, die über eingefrorene Wahrnehmungen spricht.



    Auf die Frage, ob der Mann das Familienoberhaupt ist, zeigen die Statistiken, dass 83% der Befragten im Jahr 2000 »Ja« gesagt haben, während im Jahr 2018 immerhin noch 70% die Frage bejaht haben. Das ist jedoch eine gute Entwicklung. Aber ich finde es immer noch schwierig, es als Veränderung zu betrachten, denn 70% ist immer noch viel. Die Situation ist die gleiche, wenn es um die Frage geht, ob Frauen ihrem Mann folgen sollen. In gewisser Weise ist der Wandel hier offensichtlicher, von 78% auf 65%, die erachten, dass die Frau dem Mann hörig sein sollte. Aber ich finde dieses Ergebnis immer noch nicht zufriedenstellend. Es gibt sichtbare Unterschiede, aber die Zahl ist immer noch hoch. Ich hätte erwartet, dass sich die Dinge in 18 Jahren mehr ändern würden.“




    Dennoch gibt es im Geschlechterbarometer 2018 viele positive Aspekte. Laura Grunberg:



    Es hat sich eine Veränderung in der Art und Weise ergeben, wie die Idee einer weiblichen Präsidentin wahrgenommen wird. Im Jahr 2000 waren die Rumänen damit nicht einverstanden. Im Jahr 2000 gaben etwa 73% der Befragten an, dass sie einen männlichen Präsidenten bevorzugen, während heute nur noch 43% diese Idee unterstützen, was eine fantastische Veränderung ist. Was auch die Vorstellung betrifft, dass Männer besser als Frauen in der Lage seien, zu führen, so ist der Rückgang beträchtlich — von 54% auf 44%. Das bedeutet, dass Frauen genauso gut sind wie Männer, und einige von ihnen sind sogar besser. Auch die Vorstellung, dass Frauen zu sehr mit Hausarbeiten beschäftigt seien und daher keine Zeit hätten, in Führungspositionen zu arbeiten, nimmt von 68% auf 44% ab. Was die Vorstellung betrifft, dass es Frauen an Selbstvertrauen mangelt, so glaubten das 43% der Rumänen im Jahr 2000, im Gegensatz zu nur 31% im Jahr 2018.“




    Das Gender-Barometer zeigt deutlich, dass sich die Bemühungen der gemeinnützigen Organisationen ausgezahlt haben, um das Bewusstsein für häusliche Gewalt zu schärfen und rechtliche Ma‎ßnahmen gegen Aggressoren und zugunsten des Opfers zu unterstützen. Laura Grunberg:



    Im Vergleich zum Jahr 2000 sehen mehr Menschen häusliche Gewalt nicht mehr als eine private Sache an, die innerhalb der Familie angegangen werden muss. Im Gegenteil, die Polizei ist die erste Institution, die diese Fragen lösen sollte. Im Jahr 2000 waren 35% der Befragten der Meinung, dass die Partner ihre Probleme selbst lösen sollten, während derzeit nur noch 20% diese Idee unterstützen und sagen, dass man als aller erstes die Polizei rufen sollte. Das ist ein Mentalitätswechsel, etwas sehr Schwieriges. Also zahlen sich die Bemühungen aus.“




    Das Fazit des Gender Barometers lautet, dass sich Rumänien verändert und die Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf die traditionellen Rollen von Frauen und Männern diversifiziert.

  • Feminismus und weibliche Protagonisten in der rumänischen Kunst

    Feminismus und weibliche Protagonisten in der rumänischen Kunst

    Neulich veranstaltete der Verband 4Culture“ in Zusammenarbeit mit der Bukarester Filiale des Rumänischen Architektenverbandes die Debatte Istorii şi naraţiuni. Despre feminism în România“ (Geschichten und Erzählungen. Über Feminismus in Rumänien“). Andreea Căpitănescu, Gegenwartstanz-Choreographin, Kulturmanagerin und künstlerische Leiterin des Verbands 4Culture“, spricht über die Frauenpräsenz in den Performance-Künsten in Rumänien:



    Im Bereich Gegenwartstanz sind die männlichen Choreographen viel mehr zu sehen, sie sind bekannter als die Choreographinnen, auch wenn die Anzahl der Frauen, die ein Choreographie-Studium abschlie‎ßen, viel höher als die der Männer ist. Ein Grund dafür wäre, dass sowohl in den Theatern als auch in anderen wichtigen Kunsteinrichtungen oder bei wichtigen künstlerischen Ereignissen die Führungsposten und die Entscheidungsstellen überwiegend von Männern belegt werden. Es ist in der Tat viel schwieriger, sich als Frau im Bereich der Künste Gehör zu verschaffen, sichtbar zu werden. Wir reden hier von übertriebenem Stolz: Die Männer versuchen, uns einzuschüchtern, sie sind ziemlich aggressiv und auf einen solchen Machtkampf sind die Frauen nicht immer vorbereitet.“




    Es gibt aber auch Frauen, die sich im Kunstbereich bewähren und die Dinge in Bewegung setzen. Die Kulturmanagerin Andreea Căpitănescu dazu:



    Es gibt sicherlich auch wichtige Künstlerinnen und Kuratorinnen, wie zum Beispiel Valentina Iancu, die an unserer Debatte teilgenommen hat. In der Zeit, als sie Kuratorin am Nationalen Kunstmuseum Rumäniens war, versuchte Valentina Iancu, rumänische bildende Künstlerinnen zu fördern und bekannt zu machen. Es ging dabei um Künstlerinnen, die nicht einmal andere bildende Künstler kannten. Diese Frauen wurden absichtlich ignoriert oder fälschlicherweise mit politischen Bewegungen vom Anfang des 20. Jh. in Zusammenhang gebracht. Valentina Iancu hat sich bemüht, diese vergessenen Künstlerinnen vor die Öffentlichkeit zu bringen, sie hat Ausstellungen veranstaltet, hat auch ein Album herausgegeben… sie hat schon Spuren hinterlassen. Und es gibt auch andere feministische Künstlerinnen und Kuratorinnen. Seit einigen Jahren arbeite ich mit Olivia Niţiş zusammen, sie ist eine aktive Feministin und tut alles, um Künstlerinnen zu fördern. Ich kenne auch mehrere Frauen, die Kurse über Gender Studies halten und regelmä‎ßig über die Bedeutung der Frauenbildung, des freien Zugangs der Frauen zu Bildung schreiben. Sie setzen sich für die Frauen in den marginalisierten Gesellschaftsbereichen ein, sie kämpfen für Frauenrechte, sie kämpfen gegen Gewalt. Ich könnte jetzt auf Anhieb Oana Băluţă und Mihaela Miroiu erwähnen, aber es gibt viele andere Künstlerinnen, wie zum Beispiel Marilena Preda-Sânc, die ihrerseits versuchen, andere Frauen weiterzubilden und weniger bekannte Aspekte der Frauendiskriminierung in den Mittelpunkt zu bringen.“




    Valentina Iancu ist Expertin für visuelle Künste, Kulturjournalistin und selbsterklärte Feministin. Für sie ist der Feminismus mit der Definition des ursprünglichen Konzepts eng verbunden, er ist eine Bewegung, die fest daran glaubt, dass Frauen und Männer gleiche Rechte genie‎ßen müssen“. Darüber hinaus gibt es aber auch viele Nuancen, denn jeder kann diese Bewegung gemä‎ß der persönlichen Grundsätze und Ideologien interpretieren. Valentina Iancu:



    In Rumänien ist der neoliberale Feminismus vorwiegend, das ist der Feminismus, der von den amerikanischen Forschern als »wei‎ßer Feminismus« definiert wird. Der sog. »wei‎ße Feminismus« kümmert sich vor allem um die Probleme der Frauen, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, und neigt dazu, andere Schichten und andere Erfahrungstypen zu ignorieren. Auch in der Kunst spielgelt sich vor allem dieser »akademische Feminismus« in den Werken und den Aktionen der meisten rumänischen Künstlerinnen wider. Eines finde ich aber interessant: Neulich gruppierten sich mehrere junge Künstlerinnen in eine etwas radikalere Initiative, um eine neue Frauenzeitschrift herauszugeben. Die erste Auflage der Zeitschrift »CUTRA« [zu deutsch in etwa: »DIE HINTERHÄLTIGE« – Anm. d. Red.] wurde am 1. Dezember vorgestellt. Ziel der Zeitschrift »CUTRA« ist, zum ersten Mal in Rumänien die Grundsätze des intersektionellen Feminismus bekannt zu machen. Es geht darum, dass eine Frau mit vielen verschiedenen Problemen konfrontiert wird, je nachdem, welcher ethnischen Gemeinschaft sie angehört. Eine Frau definiert ihre Identität nach vielen Kriterien, nicht nur dadurch, dass sie weiblich ist.“




    Was die Präsenz von Frauen im Bereich der visuellen Künste angeht, so ist die Situation etwa dieselbe wie im Bereich Theaterregie. In den Kunstuniversitäten gibt es sehr viele Studentinnen, aber nach dem Abschluss haben es Frauen viel schwieriger, eine Karriere zu starten. Frauen werden fast immer verdächtigt, dass sie eines Tages die Kunst beiseitelassen und sich für die Familie entscheiden würden. Die Expertin für visuelle Künste Valentina Iancu dazu:



    Wir haben den Eindruck, dass es mehr Künstlerinnen gibt, aber wir sehen sie nicht, zumindest nicht in den Strukturen, wo viel Geld zu Verfügung steht und viel Macht ausgeübt wird. Die Künstlerinnen entdecken wir am Rande des Geschehens, wir sehen, wie sie ums Überleben, um einen Platz in der Öffentlichkeit kämpfen. Bei den älteren Generationen ist das Problem deutlicher, wir sprechen von etablierten männlichen Künstlern im Alter von 60–70 Jahren, die in ihrer Karriere ein gewisses Niveau erreicht haben, und von weiblichen Künstlerinnen in demselben Alter, die zur gleichen Zeit debütiert, genauso viel gearbeitet und genauso oft ausgestellt haben, und leider nicht dieselbe Anerkennung genie‎ßen.“




    Die Debatte bleibt weiterhin offen. Andreea Căpitănescu, Gegenwartstanz-Choreographin, Kulturmanagerin und künstlerische Leiterin des Verbands 4Culture“, ist aber der Meinung, die rumänische Gesellschaft sei noch nicht offen genug für solche Debatten. Die meisten Männer im Kulturbereich schmunzeln vor sich hin, wenn sie von Veranstaltungen über Feminismus hören. Das Thema sei für sie, leider, immer noch etwas Frivoles.

  • LINOTIP – neues Tanzzentrum in Bukarest eröffnet

    LINOTIP – neues Tanzzentrum in Bukarest eröffnet

    LINOTIP soll das Zentrum hei‎ßen, es ist die Abkürzung für Unabhängiges Choreographie-Zentrum. Dieses soll im Bukarester Stadtzentrum, im sogenannten Universul-Palast eingeweiht werden, einem Gebäude, das auch weitere unabhängige Initiativen beherbergt. Linotip soll die Antwort auf den extremen Bedarf an Räumlichkeiten für Tanzaufführungen darstellen. Die Idee dazu hatten die beiden Choreographen Arcadie Rusu und Ioana Marchidan. Sie wollten eine Fläche einrichten, auf der sie bereits existierende Aufführungen präsentieren können. Darüber hinaus sei das Publikum des zeitgenössischen Tanzes in Rumänien erst dabei, sich zu formen, meint Arcadie Rusu.



    Wir haben einen recht wichtigen Auftrag, denn bei uns ist der zeitgenössische Tanz so gut wie gar nicht vertreten. Wenn es ihn gibt, dann in der Form ganz selten aufgeführter Vorstellungen. Es gibt keine Kultur in dieser Hinsicht, denn diese Kulturform war während des Kommunismus verboten. Ich sehe den zeitgenössischen Tanz als eine ganz besondere Kunstform. Und wir sind daran interessiert, das Publikum in diesem Bereich zu erziehen. Oftmals können wir nicht ausgesprochene Dinge viel besser beobachten. Unser genetisches Erbe verfügt über diese Intelligenz, die für die Erfassung und Auslegung von Gesten, Blicken oder Absichten notwendig ist. Nur entschlüsseln wir sie nicht mit der Vernunft, sondern auf emotionaler Ebene. Ich möchte, dass bei meinen Aufführungen auch Leute im Publikum sitzen, die noch nie zeitgenössischen Tanz gesehen haben. Ich glaube nicht, dass der Tanz sich als Kunstform nur an besondere und gebildete Menschen wenden sollte, er ist eine Kunstform, die für jedermann zugänglich sein muss.“




    Das unabhängige Choreographiezentrum Linotip ist ein Studio-Saal mit 60-70 Plätzen und der grö‎ßten Bühne unter den kleinen Räumlichkeiten“, sagt Arcadie Rusu stolz. Gesamtfläche: 120 Quadratmeter. Es sei nicht einfach, eine unabhängige Bühne zu betreiben, also eine Strategie für mindestens sechs Monate zu planen, so dass der Raum funktionieren und sich weiterentwickeln kann, gesteht Ioana Marchidan.




    Wir haben bereits die vierte Werkstatt für zeitgenössischen Tanz organisiert, also haben wir uns vorgenommen, uns auf die Bildung zu konzentrieren. Weil die Laien, die unsere Werkstätten besuchen, auch das zukünftige Publikum für den zeitgenössischen Tanz sind, und das für alle Tanzbühnen, nicht nur für Linotip. Als nächsten Schritt haben wir bereits eine Tanz-Spielzeit begonnen. Das Publikum soll wissen, dass am Unabhängigen Choreographie-Zentrum Linotip Tanzaufführungen stattfinden. Dreimal in der Woche… Genauso wie im Theater. Also wird es diese Spielzeit geben, mit unseren Aufführungen und weiteren Gastaufführungen. Wir wollen den Studenten von der Film- und Theaterakademie, den Bachelor- und Masterstudiengängen den Linotip-Preis verleihen — sie werden so aufgefordert, in den Aufführungen zu spielen, auch ins Publikum zu kommen. So können sie lernen, was es bedeutet, vor einem zahlenden Publikum aufzutreten. Jetzt sind wir gerade dabei, mit dem Choreographen Massimo Gerardi zu verhandeln, wir wollen einen Themenschwerpunkt mit ihm planen. Er soll Werkstätten für Profis und Laiendarsteller leiten. Er sollte auch ältere Aufführungen wie »Magnetic Fields« inszenieren, eine deutsch-rumänische Koproduktion. Und wir haben ihn eingeladen, eine Aufführung mit dem Linotip-Ensemble zu konzipieren.“




    Die Spielzeit bei Linotip begann am 1. Februar mit der Premiere der Aufführung Babel“, bei dem das Konzept und die Choreographie von Arcadie Rusu stammen. Darin geht es um den Menschen von heute und die Stadt als Dschungel, in dem jedes Lebewesen um sein Überleben kämpft, erklärt der Autor selbst.



    Die Aufführung ist in erster Linie aus unserem Leben inspiriert. Bukarest diente als Forschungsplattform für die Vorstellung. Im Allgemeinen kann »Babel« als Aufführung über unsere Rückentwicklung als Spezies gedeutet werden. Wir haben aus technologischer Sicht recht gro‎ße Fortschritte erzielt, aber menschlich haben wir die gleichen Probleme. Wir haben nicht begriffen, dass unser Leben auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt ist und dass irgendwann alles vorbei ist und keine materiellen Dinge mehr wichtig sind. Wir sind hier auf der Suche nach Stabilität, nach Gleichgewicht, und hier entstehen die egozentrischen und materialistischen Ideen. Deshalb verliert der Mensch seine spirituelle Dimension. Von daher ist »Babel« eine Tanzaufführung, die von der Illusion der Stabilität spricht.“




    Nach Babel“ folgte am Linotip-Zentrum auch schon die nächste Premiere. Zwei zeitgenössische Frauen“ — das Konzept und die Choreographie stammen von Ioana Marchidan.



    In der Aufführung beleuchte ich ein wenig die Stellung der Frau im Verhältnis zum Mann und thematisiere die Diskriminierung, die es im Laufe der Geschichte gegeben hat. Wir wissen nur zu gut, dass die Frau im Besitz einer anderen Person war — des Vaters, des Ehemannes. Die Frauen wurden einfach verkauft, so leid es mir auch tut, sie wurden wie das Vieh einfach verkauft. Mich haben auch die Suffragetten interessiert, die sich für das Wahlrecht für Frauen eingesetzt haben. Ich habe versucht, auch das anzusprechen, jedoch auch Unterthemen des Feminismus in die Gegenwart zu bringen. Es ist eine feministische Aufführung, aber ich wollte keine militante Aufführung daraus machen, ich wollte nicht auf die extremistische Schiene. Ich war bemüht, einigerma‎ßen bei der Jugend anzufangen, wenn die Mädchen auf der Stra‎ße mit sexistischen Sprüchen angemacht werden. In der Pubertät und Jugend sind die Mädchen anfällig und sensibel und solche Dinge können ihnen wehtun.“




    Es sei nicht leicht, eine unabhängige Bühne für den zeitgenössischen Tanz zu gründen und zu verwalten, erzählt Ioana Marchidan. Dennoch habe sie Vertrauen in das Linotip-Projekt, sagt die Choreographin.



    Ich glaube, dass der Kontext jetzt sehr günstig ist, zumal unsere Aufführungen genau von den aktuellen Themen handeln, von den Ereignissen auf dem Siegesplatz vor dem Regierungssitz, der Politik… Das Publikum ist auf der Suche nach Aufführungen mit Bewegung. Ich glaube, dass das hilfreich sein wird, und auch die Tatsache, dass es nicht allzu viele Tanzbühnen gibt. Es gibt gerade mal zwei, mit uns sind es drei… Das ist extrem wenig! Und ich glaube, dass das Publikum diese Art von Räumlichkeiten braucht. Solche Bühnen werden auch dem Publikum gut tun. Es sollten auch weitere Bühnen eröffnet werden, aber es sollen mutige Projekte sein. Man braucht Mut dazu. Es ist schwer, aber wenn man nicht dazu steht, wenn man den Schritt nicht wagt und nicht kämpft, dann erreicht man nichts. Viele sagen, ihnen fehlten die Mittel. Auch uns fehlen die Mittel, aber man kann Projekte beantragen, Geld beiseite legen, mit jemandem reden… Das Publikum wird kommen. Ich bin überzeugt, dass die Dinge ins Rollen kommen.“

  • Festival mit feministischem Anspruch: Frauen auf der Mătăsari-Straße

    Festival mit feministischem Anspruch: Frauen auf der Mătăsari-Straße

    Die Mătăsari-Stra‎ße war lange für ihre Rotlicht-Szene bekannt. Zum fünften Mal schon versucht ein Stra‎ßenfestival das zu ändern: Femei pe Mătăsari“, zu deutsch Frauen auf der Mătăsari“, hat der Nebenstra‎ße im Nordosten Bukarests am Wochenende mit Musik, bunten Stände und Cafés Leben eingehaucht. Die Idee zum Festival kam Iulian Văcărean von der Organisation Beneva“ an einem lauen Sommerabend vor gut fünf Jahren. Zusammen mit einer Freundin stand er an der Mătăsari-Stra‎ße vor ihrem kurz zuvor dort eröffneten Kulturhaus. Es war schon spät, irgendwann fuhr ein Taxi vorbei. Der Fahrgast rief aus dem Wagen: Junge, wieviel kostest du?“ Da dachte sich Văcărean, dass es dem Viertel gut tun würde, wenn andere Fragen gestellt würden:



    Wir haben entschieden, dass es an der Mătăsari nicht mehr darüber gesprochen wird, wieviel du kostest, sondern was die Stadt für dich bedeutet, was die Stra‎ßen bedeuten, was Menschen bedeuten und zuletzt, was wir bedeuten.“




    Neben witzig gemeinten Aktionen, wie einem High-Heels-Wettrennen (Bilder davon in unserer Fotostrecke) gab es auch ernst gemeinte Aktionen wie Diskussionen und Stadtviertelführungen. Edmond Niculușcă von A.R.C.E.N. (Rumänischer Verein für Kultur, Bildung und Normalität) erklärt, was der Sinn dahinter ist:



    Die Mătăsari-Gegend ist eine der ältesten Gegenden Bukarests, das Ende der Mătăsari-Gasse, der Moșilor-Markt und der Moșilor-Weg sind sehr alte Stra‎ßen, die dreihundert Jahre alt sind. Wir spazieren mit den Bukarestern durch diese Stra‎ßen zum einen wegen der Architektur dort, zum anderen erzählen wir ihnen alle möglichen Geschichten von den Menschen, die dort gelebt haben. Wir versuchen, die Leute mit Geschichten der Stadt zu bewegen, weil, wenn du von Stadtgeschichten bewegt worden bist, dann wirst du dich mit Sicherheit aktiv einbringen, wenn es um das Verständnis des Schutzes des baulichen Erbes der Hauptstadt geht.“




    Ganz dem Kommerz entziehen konnte sich das Festival jedoch nicht. Die Stände mit Schmuck, Kleidung waren augenscheinlich das Herzstück der Veranstaltung. Was die politische — und feministische — Botschaft des auf dem Festival angebotenen Workshops Wie wirst du berühmt?“ sein sollte, bei dem auch Stylisten als Redner eingeladen waren, blieb ebenfalls etwas fragwürdig. Zu Gute halten kann man dem Festival jedoch in jedem Fall eines: Es hat den urbanen Raum zumindest für ein Wochenende den Fu‎ßgängern zugänglich gemacht. In Bukarest, wo das Auto immer noch am meisten Raum bekommt, ist das gerade im Sommer eine schöne Abwechslung.



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