Tag: Ferenc Sinkó

  • Performance und Experiment: LIKE CNDB – das etwas andere Festival

    Performance und Experiment: LIKE CNDB – das etwas andere Festival

    Die 3. Auflage des Festivals LIKE CNDB, das vom Nationalen Tanzzentrum Bukarest vom 17. März –17. April veranstaltet wurde, lief unter dem Motto: De neîncadrat“ (zu deutsch in etwa Die, die aus der Reihe tanzen“). Unter diesem Motto versuchten die Festivalveranstalter, die sog. Waisenkinder“ der Unterhaltungskunst, hybride Vorstellungen und Shows, die aus Kombinationen verschiedener Künste resultieren, zusammenzubringen und bekanntzumachen. Mehr dazu von der Managerin des Nationalen Tanzzentrums Bukarest, Vava Ştefănescu:



    Warum das Motto »Die, die aus der Reihe tanzen«? Erstens, weil wir dieses Jahr 100 Jahre DADA feiern. DADA war eine der stärksten Bewegungen der Avantgarde, und das Nationale Tanzzentrum Bukarest (CNDB) wird von diesem Geist der Avantgarde beseelt. Bereits seit seiner Gründung hat das CNDB dem Publikum au‎ßergewöhnliche, nicht der Norm entsprechende Veranstaltungen angeboten, Aufführungen, die aus der Reihe tanzten. Unsere Tanzaufführungen haben den Rahmen der Tanzkunst gesprengt, die Perspektive über diese Kunstform und deren Aufführungsmittel von Grund auf erneuert. In letzter Zeit haben die Künstler um uns herum breit gefächerte Interessen und Projekte, die nicht zu einem Genre passen, nicht in eine bekannte Kategorie einzustufen sind. Die Tanzkunst steht auch nicht mehr alleine da — jetzt bieten die Gegenwartstänzer komplexe Aufführungen an — in Begleitung anderer Kunstformen entstehen mehrere Diskurse in derselben Performance.“




    Zu den Veranstaltungen, die aus der Reihe tanzen“ und vom Nationalen Tanzzentrum Bukarest dieses Jahr ein LIKE“ bekommen haben, gehört auch die Aufführung mit dem Stück EA e băiat bun“ (dt. SIE ist ein guter Junge“), Text und Regie von Eugen Jebeleanu, basierend auf dem Dokumentarfilm Rodica ist ein guter Junge“ (Rodica ist ein weiblicher Name in Rumänien). Ziel des Projekts war, eine Aufführung über den Mangel an sozialer Toleranz gegenüber Minderheiten zu präsentieren, um die öffentliche Meinung für die schlimmen Folgen der Intoleranz und Diskriminierung zu sensibilisieren, oder mindestens um Fragen zu stellen. Mehr dazu vom Hauptdarsteller Florin Caracala:



    Das ist keine Theateraufführung und auch keine Tanzaufführung. Es ist im Grunde genommen die Sublimierung der Geschichte Rodicas aus dem Dokumentarfilm »Rodica ist ein guter Junge«. Sehr wichtig ist dabei auch die Art und Weise wie wir, die Künstler, die Geschichte der echten Rodica, das Leben im Dorf Rozavlea, wo sie lebt, die Erfahrungen Rodicas, erlebt haben. Rodica ist ein Transsexueller. Was uns besonders überrascht hat, ist, dass alle Leute im Dorf Rozavlea Rodica sehr gern haben. Daher glauben wir, dass dieses Dorf ein gutes Beispiel für die ganze Welt ist. Wenn man im Dorf Rozavlea fragt: ‚Wie ist Rodica denn so?‘ — kommt sofort die Antwort: ‚Rodica ist ein guter Junge.‘ Rodica kümmert sich um die Tiere, sie singt bei Hochzeiten und Taufen… Alle lieben Rodica im Dorf Rozavlea. Wir haben einige Fragmente vom Dokumentarfilm, Gespräche mit Rodica, übernommen und diese in unserer Performance verwendet, aber in der Performance geht es nicht um den Dokumentarfilm, sondern um Rodica selbst, über unsere Beziehung zu Rodica, über Transsexualität, über Gender– und Geschlechtsidentität und auch über die Gesetzgebung betreffend die Geschlechtsidentität in Europa.“




    Die Aufführung SIE ist ein guter Junge“ wurde in Cluj/Klausenburg produziert. Ebenfalls aus Cluj kommt die Konzert-Performance Parental CTRL“, eine Kreation des eklektischen Künstlers Ferenc Sinkó, die zum Thema Die, die aus der Reihe tanzen“ des Festivals LIKE CNDB perfekt passt. Ferenc Sinkó:



    Diese Konzert-Performance wurde bereits im Nationalen Tanzzentrum Bukarest und in mehreren Theatern aufgeführt. Wenn man einer Minderheit angehört, kann man irgendwie sowohl der Minderheit als auch der Mehrheit angehören — man hat diese Möglichkeit, diese Flexibilität. Und das bedeutet viel mehr, als nur eine klar eingestufte Person zu sein. Ich bin noch auf der Suche nach meinem Genre, nach einer Form, die mich repräsentiert, aber zurzeit ist diese Form immer noch unklar, verstreut, und momentan gefällt mir diese Form, die ‚aus der Reihe tanzt‘. Der Titel »Parental CTRL« ist nur ein Teaser, ein Anrei‎ßer. Wir haben uns nicht vorgenommen, ein Bühnenstück über Elternkontrolle oder über den Konflikt zwischen den Generationen zu präsentieren. Wir sind eher in eine etwas persönlichere Zone gegangen, wo jeder seine persönliche Geschichte in Bezug auf die Eltern und die Beziehung zu den Eltern hat. Von da an haben wir angefangen, die Situationen zu entwickeln und zu generalisieren. Ich hoffe, dass jeder, der diese Aufführung erlebt, sich selbst wie in einem Spiegel betrachtet und auch an persönlichere Erlebnisse denkt, nicht nur daran, was auf der Bühne passiert. Jeder hat seine Geschichte und seine Geschichten.“

  • Das Festival „Temps d’Images“

    Das Festival „Temps d’Images“

    Temps d’Images — Bilderzeit, aber auch Bilder unserer Zeit. Theater, Tanz, Videokunst — alle zusammen in einem Festival, das sich auf die soziale Funktion der Kunst konzentriert:



    2008 sah das Festival ein bi‎ßchen anders aus — die jetzige Orientierung entstand im Laufe der Zeit. Wir brauchten drei Auflagen, um unsere Zielrichtung genau zu erkennen. 2011 war ich von den sozialen Bewegungen in der arabischen Welt tief beeindruckt, es wurde mir klar, da‎ß wir wichtige Zeiten erleben und die jüngsten sozialen Umwandlungen die Gegenwartsgeschichte prägen werden. Alles, was wir bei unserem Festival zusammen mit den eingeladenen Künstlern unternehmen, sollte diesen für unsere Zukunft extrem wichtigen Moment widerspiegeln. So haben wir angefangen, soziale Themen zu behandeln, oder Themen, die in enger Verbindung mit den sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit stehen. Ich bin der Ansicht, da‎ß die Kunst eine neue Perspektive auf die sog. ‚Sisyphus-Arbeit‘ der Menschen öffnen könnte.“



    Das war Miki Braniște, Vorsitzende des Verbandes ColectivA und Leiterin des Festivals Temps d’Images“. Die 6. Auflage des Festivals Temps d’Images“ in Rumänien fand in der ersten Novemberhälfte in Cluj/Klausenburg statt; das Festival hat aber eine ältere, europäische Geschichte. 2002 starteten der Fernsehkanal Arte und La Ferme du Buisson — die Nationalbühne Marne la Valée aus Frankreich — das Projekt Temps d’Images“, ein Festival mit Theater, Tanz, Photo- und Videokunst. Seitdem wuchs das Festival ununterbrochen und jetzt läuft es in 10 Ländern — in Belgien, Estland, Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal, Polen, Rumänien, Ungarn und in der Türkei.



    Jede rumänische Auflage des Festivals Temps d’Images“ hatte ein anderes Thema, das vom Sozialbereich inspiriert wurde. Alle Themen verbindet aber ein gemeinsamer roter Faden. Miki Braniște dazu:



    Letztes Jahr hatten wir das Thema ‚Zukunft‘ und dieses Jahr konzentrieren wir uns auf das Thema ‚Solidarität‘. Aus den Gesprächen mit dem Publikum und den Künstlern bei der vorigen Auflage ist uns klar geworden, da‎ß man allein nichts auf dieser Welt schaffen kann. Wir brauchen einander, und wir müssen über den Begriff ‚Solidarität‘ hinausschauen, nach den Ursachen der Solidarität suchen. Ich wäre daran interessiert, Künstler aus Japan einzuladen, wo die Umweltprobleme sehr aktuell sind. Die Umweltthematik, die in der Kunst sehr wenig reflektiert wird, wird von jetzt an für uns alle besonders wichtig.“



    Bei der diesjähigen Auflage des Festivals Temps d’Images“ war das Thema Solidarität“ in irgendeiner Form in allen Events wiederzufinden. Die Festivalleiterin Miki Braniște mit weiteren Details:



    Wir führten viele Debatten, an denen rumänische und ausländische Künstler, Festivalproduzenten und Festivalleiter teilgenommen haben. Obwohl jeder von ihnen die Situation in seiner Heimat dargestellt hatte, haben wir verstanden, da‎ß Solidarität eine globale Frage ist, da‎ß wir alle Solidarität brauchen. Dieses Thema beschäftigte auch das Publikum des Festivals, wir erhielten viel Feedback. Wir haben ein gro‎ßes Bedürfnis nach Kommunikation, bei den Debatten reichte uns die Zeit nie aus. Die Debatten können wir aber auch nach dem Festival hier in Cluj fortsetzen. Wir können versuchen, Lösungen zu finden, damit die Menschen ihre Rolle als Bürger besser verstehen und mehr Anteil nehmen.“



    Über Solidarität erzählt auch die Tanzperformance Parallell“, geschaffen von Ferenc Sinkó und Leta Popescu und aufgeführt von Lucia Mărneanu und Kata Bodoki-Halmen. Diese Tanzaufführung hat die Theaterkritikerin Oana Stoica tief beeindruckt:



    Diese Performance beginnt als Gegenwartstanz und endet als Theateraufführung. Das Ganze zielt auf Probleme der Gender-Identität, nämlich auf die lesbische Identität ab; es ist eine Gegenüberstellung der Art und Weise, wie Männer und Frauen einander betrachten und zeigt, wie die Gesellschaft Vorurteile und Klischees schafft. Es geht um die Klischees, die jeder von uns auf den anderen projiziert, von der Sinnlichkeit bis zur Sexualität, es geht um Differenzen jeder Art. Die Aufführung ist sehr beeindruckend, die Darstellung der zwei Tänzerinnen ist ganz unterschiedlich von dem, was wir normalerweise auf den rumänischen Bühnen zu sehen bekommen. Der Tanz und der gleichzeitig poetische und sozial engagierte Text werden in physischer Form zusammengeschmolzen. Die Aktion ist sowohl physisch als auch textverbunden. Die zwei jungen Frauen, die parallell in verschiedenen sog. ‚Räumen‘ tanzen, gehen im Laufe der Aufführung von der weiblichen zur männlichen Identität über.



    Die Programmauswahl für das Festival Temps d’Images“ sei dem gegenwärtigen Spezifikum des rumänischen Theaters angepa‎ßt worden; es ging um Texte mit starkem sozialen Engagement, die vom Alltag inspiriert wurden, sagte die Theaterkritikerin Oana Stoica. Ihr Abschlu‎ßkommentar synthetisiert das Besondere des Projekts Temps d’Images“ und zeigt, warum unsere Gesellschaft dieses Festival braucht. Oana Stoica:



    Die sozialen Probleme werden in der Kunst in Form von Fragen reflektiert, in dem Sinne, da‎ß der Künstler gewisse Probleme und Laster der Gesellschaft darstellt. Es werden Probleme und Fragen aufgeworfen, aber keine Lösungen geboten. Es ist nicht die Aufgabe des Künstlers, Lösungen oder Heilmittel zu finden; er mu‎ß nur die Wunde blo‎ßstellen. Genau das braucht das Publikum — seine Probleme werden in verbaler Form ausgedrückt, in einer Form, die es sich noch nicht vorgestellt hatte. Meiner Meinung nach sollten die Kunst, das Theater in Rumänien mehr über die Probleme der Menschen von heute sprechen, auf Metaphern verzichten und Klartext reden.“



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