Tag: Forschungsprojekt

  • Forschungsprojekt: Pandemie in persönlichen Geschichten und Fotos dargestellt

    Forschungsprojekt: Pandemie in persönlichen Geschichten und Fotos dargestellt

    Das Leben ist letzten Endes eine Aufeinanderfolge von Geschichten — mehr oder weniger angenehme oder herausfordernde, spannende oder eher gewöhnliche Lebensgeschichten. Sie sind genau so unterschiedlich wie die Menschen, die dahinter stecken. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass die Menschen weltweit während der Isolierung Interesse für die Lebensgeschichten ihrer Mitmenschen zeigten.



    Cristina Liana Puşcaş lebt in Oradea (dt. Gro‎ßwardein). Sie arbeitete als Forscherin im Burgmuseum, als die Institution Kurzarbeit einführte. Da sie plötzlich viel freie Zeit hatte, beschloss sie, die Zeit während der Pandemie zu dokumentieren. Sie ist nämlich fest davon überzeugt, dass man Jahre später Bilder und Informationen über diese Zeit brauchen wird. Und auch die verschiedensten Gefühle und Emotionen, die während der Pandemie erlebt wurden, werden von Bedeutung sein. Deshalb startete Cristina Liana Puşcaş eine historische, fachübergreifende Forschungsarbeit unter dem Titel Das Leben in Zeiten der Pandemie“.



    Die Forschungsarbeit ging von einer Umfrage aus. Ich formulierte 25 Fragen, die ich in den öffentlichen Raum stellte. Ich wollte herausfinden, wie die Einwohner im Kreis Bihor oder die, die im Ausland lebten, aber Rumänisch sprachen, die Pandemie — diesen Zwischenfall in der menschlichen Geschichte — wahrnahmen. Ich brachte den Fragebogen am 22. April in Umlauf. Bis jetzt erhielt ich 321 Antworten. Es ist klar, dass nicht alle ausgefüllten Fragebögen, die ich zurückbekam, auch als gültig betrachtet werden können. Allerdings war das Interesse ziemlich hoch, mit Sicherheit werden 200 Antworten akzeptabel sein. Der Fragebogen ist online auszufüllen, was einigerma‎ßen einige Schwächen birgt. Denn die Teilnehmer hätten Zugang zum Internet haben müssen, um Informationen nachsuchen zu können. Darüber hinaus gibt es auch viele Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben, also gar nicht teilnehmen konnten. Das bedeutet, die meisten Teilnehmer hatten eine höhere Ausbildung und Zugang zum Internet.“




    Cristina Liana Puşcaş erzählte uns, an der Umfrage hätten sich Teilnehmer aus mehreren Städten Rumäniens beteiligt. Es machten aber auch einige Rumänen mit, die derzeit in New York, Wien oder Hamburg leben. Cristina Liana Puşcaş erläuterte uns im Einzelnen die gestellten Fragen und beurteilte kurz die erhaltenen Antworten:



    Was für ein Projekt gaben sie auf, als sie sich isolieren mussten? Das war eine Frage, die ich stellte. Viele Teilnehmer antworteten, sie mussten ihre Urlaubspläne aufgeben. Manche sahen sich gezwungen, auf die Hausrennovation zu verzichten. Manche gaben einen Arbeitsplatz auf. Andere wiederum meinten, sie mussten auf die Theaterabende oder auf den Kirchengang verzichten. Diejenigen, die von zu Hause aus gearbeitet und die Isolierung streng eingehalten haben, fühlten sich schwer betroffen. Diejenigen, die weiterhin zur Arbeit gingen, haben sich im Gegenteil nicht so stark betroffen gefühlt.“




    Eine weitere Frage wollte herausfinden, woran sich die Leute während der Isolierung am schwersten angepasst hätten. Cristina Liana Puşcaş lieferte uns dazu mehrere Einzelheiten:



    Die meisten Teilnehmer meinten, sie hätten Schwierigkeiten mit der mangelnden Sozialisierung gehabt. Es hätte ihnen nämlich der Kontakt zu ihren Angehörigen, den Freunden und den Arbeitskollegen gefehlt. Die Mütter hätten es am schwierigsten gehabt. Sie mussten nämlich in mehrere Schuhe schlüpfen — sie übernahmen zugleich die Rolle der Lehrerin, der Mutter, der Ehegattin, der Pflegerin, der Therapeutin, der Friseurin usw. Das sei überwältigend gewesen. Darüber hinaus sei es schwer gewesen, sich an die neuen Desinfektionsrituale anzupassen. Au‎ßerdem war es nicht immer einfach, Formblätter auszufüllen, um die Wohnung verlassen zu dürfen. Und die täglichen Spaziergänge — in Wirklichkeit, die Bewegungsfreiheit — aufzugeben, fiel einigen Teilnehmern auch schwer.“




    Die meisten Paare hatten unter der Pandemie und der zusammenhängenden Isolierung nicht zu leiden — sagte uns Cristina Liana Puşcaş. Manche Antworten verbargen allerdings witzige Ergänzungen, wie z.B. Ich mag es nicht, drei Mahlzeiten pro Tag essen zu müssen“ oder Ich wei‎ß nicht, warum meine Frau meinen Tag einplanen möchte“ oder Es wurde deutlich, dass wir unterschiedliche Lebensansichten haben“. Allerdings hatten die Menschen während der Isolierung die Möglichkeit, ihre Innenwelt zu erforschen, über ihre Gefühle nachzudenken. Dazu sagte uns Cristina Liana Puşcaş Folgendes:



    Da gab es noch die Frage nach den kleinen Alltagsfreuden, die die Teilnehmer während der Pandemie entdeckt hätten. Und manche von ihnen haben in der Tat gewusst, das Beste daraus zu machen. Sie haben sich über die strahlende Sonne gefreut, den Kaffee in aller Ruhe genossen, Brot zu Hause gebacken, gekocht, gelesen, im Garten gearbeitet und viel mehr Zeit zusammen mit der Familie verbracht.“




    Und weil es gilt, dass ein Bild mehr als tausend Worte aussagt, startete Cristina Liana Puşcaş parallel zur Umfrage auch ein Fotografieprojekt — Fotos in Zeiten der Pandemie“. Unsere Gesprächspartnerin beobachtete Folgendes diesbezüglich:



    Alle Bilder wurden vom Wohnungsfenster oder direkt in der Wohnung geschossen. Meistens sind es Bilder vom Fenster, auf denen man den Garten erkennen kann. Eine Frau schickte mir ein Bild mit ihrem kahl rasierten Schädel. Ein anderes Foto bildete eine Frau ab, die auf den Treppen einer Kirche auf die Knie ging. Die meisten hatten einen Bezug zum Leben drinnen, es gab nur wenige, die das Leben auf der Stra‎ße dokumentierten.“




    Die zwei Forschungsprojekte laufen noch. Unser Optimismus regt uns an, von bessern Augenblicken zu träumen, unser Realismus hält uns aber an, die Lage neu zu bewerten und die echt wichtigen Dinge im Leben in unserem Herzen zu suchen. Cristina Liana Puşcaş meint, die Menschen hätten begriffen, wie wichtig die Natur sei. Und die Familie. Und die Freunde.

  • „Anti-Instagram“: Ausstellung mit analogen Medien dokumentiert Leben in ehemaliger Bergbaustadt

    „Anti-Instagram“: Ausstellung mit analogen Medien dokumentiert Leben in ehemaliger Bergbaustadt

    Im vergangenen Sommer reisten 20 Jugendliche aus dem ganzen Land für zwei Wochen nach Anina (dt. Steierforf), in den Südwesten Rumäniens, um die sozialen Realitäten einer ehemaligen Bergbaustadt zu erkunden, in der heute keine Industrie mehr betrieben wird. Das Motto der Initiative lautete: Wie war es, als alles gut war?“. Was die Jugendlichen herausfanden, war, dass die Erinnerung an die guten alten Zeiten ganz unterschiedlich ist. Das zeigt auch die Ausstellungsinstallation, die sie nach der Reise zusammenstellten.



    Die Ausstellung ANTI-Instagram ist das Ergebnis einer pädagogischen Übung, die sich die Dokumentation mit üblichen, klassischen Methoden zum Ziel setzte. Dabei wurden verschiedene Mittel wie Fotografie, Film und Zeichnung verwendet. In Teams drehten die Jugendlichen kurze Dokumentationen und schossen Standbilder mit Filmkameras und Polaroids, erstellten Cartoons und Gemälde, um die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner darzustellen. Die Verwendung ausschlie‎ßlich analoger Medien hilft den Künstlern, sich auf ihre individuelle Vision in Bezug auf die Deutung der Wirklichkeit und auf ethische Fragen zu konzentrieren. Die 19-jährige Irina Novac erzählte uns, wie alles begann:



    Ende August und Anfang September trafen wir uns in Anina, einer ehemaligen Industriestadt. Hier organisierten wir mehrere Besuche. Jedes Team setzte sich ein anderes Ziel. Mein Team interessierte sich für die Kultur in Anina. Andere Teams besuchten die Bergwerke, andere schenkten den Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit, um herauszufinden, womit sie sich beschäftigten.“




    Auf den ersten Blick wirkt Anina wie eine exotische Bergstadt. Doch allmählich flie‎ßt der Alltag und die gelebte Wirklichkeit in den Raum hinein, den die Jugendlichen erkundet haben. Sara-Patricia Pongrac ist 18 Jahre alt, sie erzählte uns von der Forschungsarbeit:



    Mein Team hat nach Fotos gesucht. Wir haben Geschichten von Menschen gesammelt, uns mit den Ortsbewohnern unterhalten, Schnappschüsse von ihnen gemacht. Ich habe mit einem Kollegen an einem Kurzfilm gearbeitet, der eine Zugstrecke, nämlich die Strecke Anina-Oraviţa, dokumentierte. Da gibt es Leute, die täglich mit dem Zug fahren. Wir hatten die Gelegenheit, sie auf ihrer Zugreise zu begleiten und uns mit ihnen zu unterhalten.“




    Luisa Balaban, 19 Jahre alt, teilte uns auch ihre Erfahrung in Anina mit:



    Ich denke, dass Anina im Moment nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt, wie sie es verdient. Es ist sehr interessant, dort zu sein und die Perspektive der Menschen in unserem Alter, der jungen Menschen, kennenzulernen. Denn es ist eine ziemlich begrenzte Stadt. Ich kam mit einigen Jugendlichen in Kontakt und was ich von ihnen erfuhr, war sehr interessant. Ich freute mich, ihre Lebensauffassung kennenzulernen. Offensichtlich hörte ich auch viele Klischees, wie z.B.: Diese Stadt ist tot, ich will von hier weg, ich habe nicht das Gefühl, dass hier noch etwas zu tun sei. Gleichzeitig hatten sie sehr tiefe Wurzeln in dieser Bergbaukultur, ihre Familien lebten seit vielen Generation hier. Es war interessant, festzustellen, dass diese Kinder, die in einer geschichtsreichen Stadt wohnen, diese Geschichte freudig umarmen, sie annehmen, aber sich gleichzeitig von ihr entfernen wollen. Denn sie erkennen keine mögliche Zukunft für sie vor Ort.“




    Eine multidisziplinäre Forschung, die von den zwanzig Jugendlichen durchgeführt wurde. Das Projekt war eine Schultätigkeit. Es war Teil eines umfangreicheren Vorhabens im Rahmen des Programms One World Romania“. Die Forschungsarbeit verknüpfte Bereiche wie Anthropologie, Geschichte und Kunst. Was die Jugendlichen motivierte, sich dem Projekt anzuschlie‎ßen, war der interdisziplinäre Ansatz, so Luisa Balaban:



    Die Idee, mit analogem Film zu arbeiten, schien sehr interessant. Ich liebte es, analoge Fotos zu machen, aber die Idee, an 16-mm-Filmen zu arbeiten, schien au‎ßergewöhnlich, eine Erfahrung, die ich sonst nirgendwo hätte machen können. Deshalb habe ich mich für dieses Projekt beworben.“



    Sara-Patricia Pongrac fügte Folgendes hinzu:



    Ich war sehr interessiert, als ich sah, dass es sich um ein anthropologisches Forschungslager handelte. Ich wusste anfangs nicht, worum es bei der Anthropologie geht. Dann sah ich, dass wir uns mit den Menschen und ihrem Leben beschäftigten. Die Fotos und Filme kamen erst danach. Wir haben uns vom Leben der Menschen inspirieren lassen, und wir haben versucht, dies in der Ausstellung auszudrücken und zu zeigen, was wir dort gesehen haben.“



    Auch Irina Novac teilte uns ihre Erfahrung mit:



    Ein Freund erzählte mir über das Projekt. Ich fand die Idee interessant, also besuchte ich die Webseite von One World Romania, um mehr Informationen darüber zu erfahren. Ich sah, es war weit weg von zu Hause; aber wir hatten gerade Sommerferien, also dachte ich, es wäre cool, daran teilzunehmen. Es ging um Menschen, das fand ich interessant. Folglich meldete ich mich an.“




    Das Ergebnis war eine Installation, die bis Mitte April im Museum für zeitgenössische Kunst in Rumänien zu sehen war. Luisa Balaban sagte uns, was dort zu sehen sei:



    Die Installation zeigt den Weg, den wir zurückgelegt haben. Anfangs waren wir recht zaghaft, weil wir viel zu tun hatten und nicht wussten, wo wir anfangen sollten — es gab so viele Möglichkeiten: Fotos, Filme, Dokumentationen. Das waren Bereiche, in denen wir überhaupt keine Erfahrung hatten. Es ist kompliziert, die Leute nach ihrer Geschichte zu fragen, sie um alte Fotos von der Stadt zu bitten. Aber das ist es, was Sie in der Ausstellung sehen. Das Projekt hat sich allmählich entwickelt — es war ein Prozess, den wir Schritt für Schritt durchmachten. Wir verstanden allmählich die Geschichte von Anina. Die Ortsbewohner halfen uns, zu diesem Verständnis zu kommen. Sie waren bereit, auf unsere Fragen in Bezug auf ihre Geschichte, zu antworten, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.“




    Eine der Figuren in einem für das Projekt entworfenen Comic-Strip hei‎ßt Junge mit einem Trichter auf dem Kopf“. Sie soll das Leben in einer Bergbaustadt veranschaulichen. Der Junge geht durch die leeren Stra‎ßen, findet einen Trichter, den er auf den Kopf setzt und somit in einen Bergarbeiter-Schutzhelm verwandelt. So verkleidet, entdeckt er die Wirklichkeit und die Alltagsgeschehnisse um sich herum. Die Workshops zum Thema der kreativen Dokumentation sind das jüngste Projekt von One World Romania“ in den Schulen.