Tag: Frauenrechte

  • Geschlechtergerechtigkeit: trotz geringem Lohngefälle keine vollwertige Gleichstellung

    Geschlechtergerechtigkeit: trotz geringem Lohngefälle keine vollwertige Gleichstellung





    Die Gleichstellung der Geschlechter bedeutet die Gleichstellung von Frauen und Männern in Bezug auf ihre Rechte, ihre Behandlung in der Gesellschaft, ihre Verantwortung, ihre Möglichkeiten und ihre wirtschaftlichen und sozialen Leistungen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist gegeben, wenn Männer und Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft die gleichen Rechte, Pflichten und Möglichkeiten haben und wenn die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse und Prioritäten von Männern und Frauen gleichwertig berücksichtigt werden.



    Brüssel definiert die Gleichstellung der Geschlechter als einen seiner Grundwerte, ein Grundrecht, eine wesentliche Komponente des Wirtschaftswachstums und ein Grundprinzip der europäischen Säule sozialer Rechte. Doch trotz aller Fortschritte bestehen immer noch Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten, bei der Beschäftigung, in der Lebensqualität und am Arbeitsplatz — auch mehr als zwanzig Jahre nach Beginn des 21. Jahrhunderts.



    Laut einer gemeinsamen Erklärung von mehr als 20 Botschaften in Bukarest und der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien ist es für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter unerlässlich, die volle, gleichberechtigte, wirksame und sinnvolle Teilhabe von Frauen in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens zu gewährleisten, einschlie‎ßlich der politischen Vertretung und der Führung in Entscheidungsprozessen. Die Unterzeichner betonen auch, dass Frauen und Mädchen das Recht auf ein Leben frei von Gewalt und Diskriminierung haben. Die Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter sind trotz sichtbarer Zeichen des Wandels in der EU nach wie vor gering und ungleichmä‎ßig. In der Europäischen Kommission arbeiten wir daran, ein Europa zu schaffen, in dem Mädchen und Frauen sich gleichberechtigt mit den Männern entfalten und ungehindert eine Führungsrolle übernehmen können“, sagte die für Gleichstellung zuständige Kommissarin Helena Dalli aus Malta, die in Bukarest über die wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen und über Instrumente zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprach.



    In Rumänien kümmern sich 46 % der Frauen im Vergleich zu nur 25 % der Männer um Kinder, ältere oder behinderte Menschen in der Familie. Auch in der Politik sind die Geschlechter nicht ausgewogen vertreten — Frauen sind in den nationalen Parlamenten und Regierungen, auch in Rumänien, nicht ausreichend vertreten, und das ist nicht gut für die Demokratie, sagt die EU-Kommissarin. Ein weiterer diskriminierender Aspekt ist die unterschiedliche Entlohnung — Frauen werden im Durchschnitt immer noch schlechter bezahlt als Männer.



    Die Gleichstellung der Geschlechter war auch das Thema, das Professor Andreea Paul bei Radio Rumänien ansprach — sie ist Hochschullehrerin an der Bukarester Wirtschaftsuniversität. Frauen wollen gleiche Rechte, Frauen wollen als Individuen im politischen und sozialen Leben, im Bildungs- und Wirtschaftssystem wettbewerbsfähig sein, und ich glaube, dass Rumänien eine viel stärkere Nation sein würde, wenn wir Frauen und Männern in Entscheidungspositionen gleiche Rechte einräumen“ — sagt Andreea Paul. Sie sprach von Chancengleichheit, Gleichbehandlung, gleicher Verantwortung, und gleicher finanzieller Entlohnung.



    Was die sogenannte Gender-Pay-Gap anbelangt, so steht Rumänien in der EU an der positiven Spitze mit einem der geringsten Lohngefälle, und das ist eine gute Nachricht. Im EU-Durchschnitt sind die Dinge ein wenig komplizierter. Das liegt daran, dass wir in Rumänien schon länger ein Bildungssystem haben, das traditionell eine höhere Bildung und die Aneignung hoher Qualifikationen bei Mädchen und Frauen begünstigt hat. Das ist also die positive Nachricht. Was wir jedoch nicht so gut schaffen, ist, diese angesammelte Kompetenz im Hochschul- und Postgraduierten-Bildungssystem in öffentliche Führungspositionen einflie‎ßen zu lassen. Bei privaten Lebensentscheidungen sieht es um die Gleichstellung wieder viel besser aus, aber nicht so gut steht es um die Vorstände der gro‎ßen Unternehmen. Kürzlich hat die Regierung beschlossen, eine Geschlechterquote von mindestens 30 % für die Vorstände börsennotierter Unternehmen vorzuschlagen. Mit anderen Worten — es sollten nicht weniger als 30 % Frauen oder Männer in diesen Vorständen vertreten sein. Aber an der Basis, in der realen Wirtschaft, sind wir noch weit von diesem Prozentsatz entfernt.“




    Rumänien liege zwei Jahrzehnte hinter den westeuropäischen Ländern zurück, wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht, sagt noch die Universitätsprofessorin Andreea Paul — heute spreche man über Repräsentationsquoten von 30 %, diese Dinge seien jedoch in den entwickelteren Ländern der Welt vor 20–30 Jahren beschlossen worden. Doch gebe es auch gute Gründe, optimistisch in die Zukunft zu blicken:



    Es ist ein Mentalitätsgefälle, das wir überwinden müssen. Und sicherlich machen es diese exponentiellen Veränderungen in unserer Zeit, das digitale Umfeld, die deutlichere Stimme der Frauen, einfacher, die Entwicklungen zu beschleunigen, und wir müssen nicht weitere 30 Jahre warten, um die Rückstände aufzuholen. Aber wir sollten uns auch ein bisschen mehr mit der Thematik auseinandersetzen und die Perspektiven besser verstehen und selbstbewusster über die Gleichstellung der Geschlechter sprechen. Und wir sollten den Feministinnen, die sich dafür stark machen, Respekt zollen. Wir müssen wir all den Feministinnen der Vergangenheit dankbar sein, die uns, den Frauen von heute, beispielsweise das Wahlrecht ermöglicht haben. In weniger als einem Jahrhundert haben wir erreicht, dass Frauen Zugang zu jeder Art von Arbeit haben, Zugang zu höherer Bildung bis hin zum Doktorstudium, das Recht erkämpft, öffentliche Ämter zu bekleiden, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu beanspruchen. All das und vieles mehr ist in der Tat dem Aktivismus der Feministinnen zu verdanken, die in den letzten Jahrzehnten so oft diffamiert wurden.“

  • Frauenrechte in Rumänien: Sexismus und Diskriminierung kulturell verankert

    Frauenrechte in Rumänien: Sexismus und Diskriminierung kulturell verankert

    Ein sich vor wenigen Jahren zugetragener Vorfall sorgte für Aufregung und Empörung in der rumänischen Gesellschaft. Eine 18-jährige Schülerin aus der Ortschaft Văleni, Landkreis Vaslui, wurde von sieben Jugendlichen vergewaltigt. Nachdem die Richter die Verhaftung der mutma‎ßlichen Täter entschieden hatten, reagierte die Öffentlichkeit mit einer kontrovers geführten Debatte, bei der viele Klischees, Vorurteile und sogar victim blaming“ (Opferbeschuldigung) zu Tage kamen. Viele Stimmen haben damals behauptet, das Mädchen trage die Schuld für die Vergewaltigung, und mit der Verhaftung der mutma‎ßlichen Täter sei das Leben von sieben Familien zerstört worden. Sie beschuldigten das Mädchen sogar der Anstiftung zu sexuellen Handlungen.



    Sexistische Haltungen und Diskriminierungen sind leider auch im Europäischen Parlament anzutreffen. Ein polnischer Abgeordneter sagte unlängst, dass die Frauen weniger als die Männer verdienen müssten, weil sie schwächer, kleinwüchsiger und weniger intelligent seien. Eine ähnliche Behauptung machte auch ein bekannter rumänischer Neurochirurg und Politiker. Dieser sagte, Frauen hätten in der Chirurgie nichts zu suchen. Andreea Bragă, Soziologin vom FILIA-Zentrum, einer regierungsfreien Organisation, die für Gleichberechtigung kämpft, kommentiert die Umstände:



    Solche Äu‎ßerungen sind möglich, weil wir in diesem Bereich ungebildet sind. Wir wurden nicht erzogen, die Gleichberechtigung, den Respekt zwischen Frauen und Männern, die Geschichte des Feminismus, den Beitrag der Frauen zu schätzen. Wir wurden nicht gelehrt, wie gefährlich die Diskriminierung ist. Hinzu kommen die konservativen Stellungen, die die Frauenrechte angreifen. Als Beispiel erwähne ich den Marsch gegen die Abtreibung, der in mehreren rumänischen Städten organisiert wurde. Derartige Veranstaltungen beweisen, dass wir nichts aus der Geschichte Rumäniens gelernt haben. Wir sollten uns daran erinnern, dass in der kommunistischen Epoche die Abtreibungen verboten waren und dass über 10.000 Frauen ihr Leben wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche verloren haben. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Frauenrechte von den konservativen Positionen immer mehr angegriffen werden. Es gibt leider keine Alternative zu dieser Erziehungsweise. Wir haben Gesetze, wir haben eine Verfassung. Darin steht: Wir sind alle gleich. Die Realität aber sieht ganz anders aus. Es gibt zahlreiche Ungleichheiten.“




    Laut Statistiken wurde eine von vier rumänischen Frauen wenigstens einmal vom Partner physisch oder sexuell belästigt. Laut den neuesten Berichten der Staatsanwaltschaft (2013, 2014, 2015) wächst die Zahl der Opfer von Jahr zu Jahr. Wenn wir über den Arbeitsmarkt sprechen, dann können wir behaupten, dass die Frauen in Rumänien schlechter bezahlt und weniger als die Männer gefördert werden. Der Weltbank zufolge belegt Rumänien den dritten Platz, was die Arbeitslosigkeit der Frauen in der EU anbelangt. So wie Andreea Bragă sagte, muss die Lösung in der Erziehung, in der Bildung gesucht werden.



    Soziologen haben unlängst mehr als 1600 Abbildungen, die in Lehrbüchern vorkommen, untersucht und sind zur Schlussfolgerung gekommen, dass diese traditionelle Rollenbilder und Klischees verbreiten, die der Gleichberechtigung alles andere als dienlich sind, obwohl auch einige progressive Lehrbücher in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Cosima Rughiniş, Soziologin und Initiatorin der Untersuchung, erklärte uns, mit welchen Aspekten sich die Forscher auseinandergesetzt haben: mit der Art und Weise, in der die Frauen und Männer in den Abbildungen dargestellt sind, und mit der bebilderten Darstellung der modernen Technik. Was dabei herauskam: Die Mädchen sind schön, brav, tragen rosa Kleider und haben einen Spiegel oder einer Puppe in der Hand. In Lehrbüchern für ältere Jahrgänge wird die Puppe durch ein Kind und der Spiegel durch einen Topf ersetzt. Jungen hingegen werden mit Vorliebe als rebellisch und wagemutig dargestellt. Sie dürfen ein Schwert besitzen, den Raum erobern oder chemische Formeln entdecken. Die Soziologin Cosima Rughiniş zu den verblüffenden Ergebnissen der Studie:



    Die Realität, die sich aus solchen Bildern ableiten lässt, ist leider völlig verzerrt. Denn es gibt sehr wohl Frauen, die Elektriker, Ingenieure oder Taxifahrer sind. Die Lehrbücher widerspiegeln überhaupt nicht die Realität, den Alltag. Die Lehrbücher helfen den Kindern nicht, die Welt zu sehen, in der ihre Mütter arbeiten. Die Bücher sollten die Perspektive der Schüler über die Welt, in der sie leben, erweitern und die Mädchen ermutigen, auch andere Bestrebungen zu haben, als nur Kinder zu bekommen und zu kochen. Diese Lehrbücher sind also völlig nutzlos in diesem Sinne. Von den alten Lehrbüchern war das zu erwarten, die neuen aber haben uns ebenfalls sehr enttäuscht.“




    Die Abbildungen werden vom Inhalt der Lehrbücher unterstützt. Nehmen wir das Beispiel Literaturlehrbücher: Um neue Inhalte zu vermitteln, müssten die Autoren zu aller erst entdecken, dass es in Rumänien auch Schriftstellerinnen, sogar zeitgenössische Schriftstellerinnen gibt. Die Soziologin Cosima Rughiniş dazu:



    Einerseits gibt es den allgemeinen kulturellen Sexismus, in dem wir leben, der in Rumänien bislang nicht problematisiert wurde. Wenn wir andererseits den Aufbau der Lesebücher betrachten, sehen wir, dass diese überwiegend literarische Texte aus dem 19. Jh. beinhalten, die gewöhnlich von Männern aus ihrer Perspektive geschrieben wurden. Die Vergangenheit wird für unsere Kinder zur Quelle der Realität. Eine mögliche Lösung wäre, dass die Lehrbücher auch Texte beinhalten, die von Frauen geschrieben wurden. Zeitgenössische Autorinnen sollten präsent sein. Die patriarchalische Gesellschaftsordnung, die vor einem Jahrhundert in Rumänien herrschte, ist leider auch in den heutigen Lehrbüchern zu finden. Als Beispiel nenne ich die Lektion über Klassenleiter, Gruppenleiter, Spielleiter aus dem Staatsbürgerkundebuch. Fast alle Lehrbücher stellen die Jungen als Leiter vor, so wie es leider zu erwarten war.




    Wie kann man sich der in den Lehrbüchern dargestellten Mentalität des 19. Jh. entledigen und die Frauenrechte durch die heutige Gesetzgebung besser fördern? Die Soziologin und Frauenrechtlerin Andreea Bragă versucht nun, darauf zu antworten:



    Wir haben zwar ein Gesetz und eine Strategie im Bereich der Chancengleichheit. So lange es aber keinen politischen Willen und keine Menschen gibt, die die Gleichberechtigung als Priorität betrachten, werden wir fast nichts verändern können. Prioritär ist mich die Bekämpfung bestimmter Formen der Gewalt. Alle kennen diese Probleme, doch keiner redet darüber in der Öffentlichkeit. Leider wird sehr selten über Unterkünfte für Frauen, die Opfer der Gewalt sind, gesprochen. In mehr als 13 Landkreisen gibt es überhaupt keine Unterkünfte. Gesetzentwürfe ermutigen in Rumänien die Diskriminierung oder die Belästigung am Arbeitsplatz. Schlussfolgernd meine ich, die Erziehung ist wesentlich. Damit soll so früh wie möglich angefangen werden. Weiter brauchen wir Information und Sensibilisierung in den Reihen der Politiker.“