Tag: Friedrich Ebert Stiftung

  • Kulturkonsum im kleinstädtischen Milieu: Angebot nicht ausreichend auf Jugendliche zugeschnitten

    Kulturkonsum im kleinstädtischen Milieu: Angebot nicht ausreichend auf Jugendliche zugeschnitten





    Laut Kulturwissenschaftlern ist die Kultur nicht nur eine Welt an sich, sondern auch ein Medium, das unterschiedliche Werte transportiert. Au‎ßerdem sind Kulturräume in der heutigen Welt nicht nur Orte, die der Kultur gewidmet sind, sondern auch Träger gesellschaftspolitischer Grundsätze und Haltungen. Ausgehend von diesen Prämissen zielte die Studie Kulturkonsum junger Menschen in kleinen und mittelgro‎ßen Städten“ im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien darauf ab, zu untersuchen, inwieweit kulturelle Aktivitäten in kleinen städtischen Gebieten mit der feministischen Perspektive verflochten sind und ob junge Männer und Frauen kulturelle Veranstaltungen mit bestimmten sozialen Werten verbinden.



    Ein weiterer Ausgangspunkt für diese Untersuchung war der schlechte Zustand der kulturellen Infrastruktur in den Kleinstädten: wenige öffentliche Bibliotheken, geschlossene Kinos, Kulturhäuser, die entweder nicht funktionieren oder zweckentfremdet werden. Mehr als 225 Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren haben an der Umfrage teilgenommen, wobei der Anteil der Mädchen bei über 75 % lag. Der überwiegende Anteil von weiblichen Auskunftspersonen lag nicht in der Absicht der Autoren der Umfrage, sondern es haben sich einfach mehr Mädchen und junge Frauen entschieden, die Fragebögen auszufüllen und an den Interviews teilzunehmen, versichert Carmen Voinea, die Koordinatorin der Studie, der zufolge die Befragten eindeutig einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Verhalten beim Kulturkonsum und der Genderproblematik hergestellt haben.



    Aus ihren Antworten ging hervor, dass an der Schnittstelle zum kulturellen Konsum auch umfassendere Fragen der Gleichstellung der Geschlechter und der sozialen Eingliederung auftauchen. Eines ihrer Bedürfnisse war z.B. das Vorhandensein von Kulturräumen, in denen sich unterschiedliche Menschen, einschlie‎ßlich der LGBT-Gemeinschaft, sicher fühlen können. Das Bedürfnis, Probleme in der Gemeinschaft durch Kultur zu lösen, kam in den Interviews und Fragebögen ebenfalls zum Ausdruck. Darüber hinaus erzählten uns viele Teilnehmer an der Umfrage, dass sie durch den Kinobesuch und das Anschauen bestimmter Filme begonnen hatten, sich mit feministischen und geschlechtsspezifischen Themen auseinanderzusetzen. Wir haben versucht, ihre subjektive Beziehung zu diesen Kulturräumen zu erfassen. Auch wenn wir auf dem Papier oder sogar ganz konkret Museen, Bibliotheken und Kulturzentren haben, sind sie für junge Menschen vielleicht nicht immer attraktiv. Der Inhalt ist nicht auf sie zugeschnitten. Sie haben das Bedürfnis, einbezogen zu werden und aus einer partizipatorischen Position heraus in einigen Fällen zu Mitgestaltern dieser Räume für kulturelle Produkte zu werden. Die Tatsache, dass mehr Frauen an der Umfrage teilgenommen haben, könnte auf ein grö‎ßeres Interesse junger Frauen am Kulturkonsum im Zusammenhang mit dem Feminismus hinweisen.“



    Der Kulturkonsum junger Menschen hänge allerdings von der Infrastruktur und dem kulturellen Angebot ab, denn ihre Gewohnheiten spiegeln die Vielfalt und den Reichtum dieses Angebots wider — oder, im Gegenteil, seine Spärlichkeit, erläutert weiter Carmen Voinea:



    Erstens haben wir festgestellt, dass die häufigsten kulturellen Aktivitäten von Jugendlichen in Einsamkeit und in häuslicher Umgebung stattfinden oder ausgeübt werden. Auch die kulturellen Aktivitäten, die im öffentlichen Raum zugänglich sind, sind nicht sehr abwechslungsreich und nicht auf Jugendliche zugeschnitten. Obwohl ein hoher Prozentsatz der Befragten Kinobesuche attraktiv und interessant findet, gaben gleichzeitig 45 % von ihnen an, dass sie im letzten Jahr keinen Film im Kino gesehen haben. 48 % der Befragten gaben au‎ßerdem an, dass sie in eine andere Stadt fahren mussten, um ins Kino zu gehen.“




    Diese Zahlen sprechen für den Wunsch junger Menschen, ein Kino in ihrer Stadt zu haben. Die Umfrage ergab auch, dass das alte, geschlossene Kino in vielen Orten immer noch als ein Wahrzeichen wahrgenommen wird, selbst von den Jugendlichen, die es nicht als Kino erlebt haben. Die Studie über den Kulturkonsum junger Menschen enthält auch ermutigende Nachrichten, sagt zum Schluss erneut Carmen Voinea:



    Die Bibliotheken waren in der Art und Weise, wie sie in den von den Jugendlichen erstellten Mindmaps auftauchen, eine Überraschung für uns. In einigen Städten boten die Bibliotheken den Jugendlichen nicht nur Platz zum Lesen oder Ausleihen von Büchern, sondern auch einen Raum, in dem sie Ideen entwickeln konnten, z.B. von koreanischen Kulturclubs bis hin zu Karaoke-Abenden. In Călărași etwa, einer Kleinstadt an der Donau in Südrumänien, sagte eine junge Frau, die Bibliothek sei ihr Lieblingsort in der Stadt. Dasselbe gilt für die ehemalige Industriestadt Slatina. In der Bibliothek fanden sie einen Raum, in dem sie sich entfalten konnten, und einen Raum, in dem sie als Mitgestalter direkt am Kulturkonsum teilhaben konnten. Darüber hinaus sind die von den Jugendlichen am meisten besuchten Orte immer noch öffentliche Räume. 70 % der Orte, an denen sie Kultur konsumieren, sind öffentlich. Wenn sie hingegen über feministische Themen diskutieren, tun sie dies eher in privaten und informell organisierten Räumen. Auch wenn Jugendliche nach wie vor die öffentliche Infrastruktur am stärksten in Anspruch nehmen, gibt es dort immer noch nicht genug Offenheit, um feministische Themen anzusprechen.“




    Zu den Schlussfolgerungen der Studie Kulturkonsum junger Menschen in kleinen und mittelgro‎ßen Städten“ gehört daher auch die Empfehlung an die lokalen Behörden, die kulturellen Aktivitäten im öffentlichen Raum wiederzubeleben und sie integrativer zu gestalten, denn die Studie habe eindeutig gezeigt, dass es Interessenten dafür gibt.

  • Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Gender Pay Gap auch in Rumänien ausgeprägt

    Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Gender Pay Gap auch in Rumänien ausgeprägt

    Im Jahr 2017 betrug das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern in der EU 16% zugunsten von letzteren, und die Renten für Männer waren um 37% höher als bei Frauen. Diese Daten zeigen, dass sich die EU-Bürgerinnen in einer wirtschaftlich schwachen Position befinden. Diese Situation hat sich in den fast 25 Jahren, seit die UNO 1995 in Peking die Aktionsplattform zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen verabschiedet hat, nicht verbessert, so Jakub Caisl, Statistiker am Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) mit Sitz in Vilnius:



    Es gibt viele langfristige Herausforderungen, die leider aktuell bleiben. So gibt es beispielsweise die wirtschaftlichen Herausforderungen für Frauen: das Beschäftigungsniveau unter den Frauen, die Aufteilung der unbezahlten Arbeit oder der unbezahlten Arbeit im Haushalt. Das bedeutet, dass es weniger Frauen auf dem Arbeitsmarkt gibt und dass sie im privaten oder familiären Bereich die meisten unbezahlten Tätigkeiten ausüben. Letzteres ist ein Problem, das seit langem besteht.“




    Die unbezahlten Tätigkeiten“ der Frauen sind diejenigen, die ihnen traditionell seit Jahrhunderten zugeteilt werden: die Verantwortung für den Haushalt und für die Familie. Natürlich stellt sich niemand die Frage nach einer Vergütung dieser Arbeit, sondern nach einer gerechten Aufteilung der Haushaltsaufgaben mit dem Lebenspartner, damit die Belastung nicht einseitig ist. Darüber hinaus spiegelt sich dieses Ungleichgewicht in der Aufteilung der Haushaltspflichten deutlich in den Statistiken über den EU-Arbeitsmarkt wider. Jakub Caisl vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen:



    Derzeit haben wir in der EU noch immer rund 7,7 Mio. Frauen, die aufgrund häuslicher Verantwortlichkeiten nicht auf dem Arbeitsmarkt tätig sind, und wir haben immer noch 9 Mio. Frauen, die wegen der erwähnten Verantwortlichkeiten Teilzeit arbeiten. Im Vergleich dazu gibt es nur 500.000 Männer in der gleichen Situation. Der Unterschied ist deutlich und führt zu einem Beschäftigungsunterschied, der dem Lohnunterschied ähnlich ist. Der Unterschied in der Beschäftigung beträgt zur Zeit 11,5 Prozentpunkte zugunsten der Männer. Was die Fortschritte betrifft, so können wir sagen, dass es einige Fortschritte in dem Sinne gegeben hat: Die Beschäftigungsquote von Frauen und Männern ist infolge der Erholung nach der Wirtschaftskrise gestiegen. Aber die bereits erwähnten Geschlechterunterschiede sind geblieben.“




    Laut der jüngsten soziologischen Studie, die vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) Anfang Oktober veröffentlicht wurde — dem Gender Equality Index –, erhielt das Arbeitsumfeld in der EU durchschnittlich 72 Punkte. Nach den Berechnungen dieser Forschung bedeutet dies, dass von 100 möglichen Punkten im Bereich gleicher Zugang zum Arbeitsmarkt und gleiche Arbeitsbedingungen 72 Punkte erreicht wurde. In Rumänien liegt der Wert für das Arbeitsfeld bei fast 68 Punkten und damit unter dem EU-Durchschnitt. Konkret: Die Beschäftigungsquote liegt bei 61% bei Frauen und bei 79% bei Männern. Gleichzeitig weist Rumänien aber auch das geringste geschlechtsspezifische Lohngefälle von 3% zugunsten der Männer auf.



    Das geschlechtsspezifische Gefälle bei den Renten war 2017 jedoch viel grö‎ßer: Im Durchschnitt waren die Renten für Männer um 63% höher als die Renten der Frauen zwischen 65 und 79 Jahren. Darüber hinaus war die materielle Situation älterer Menschen beider Geschlechter Gegenstand statistischer Diagramme, die im Rahmen des Projekts Social Monitor“ von der Friedrich-Ebert-Stiftung auf der Grundlage der von Eurostat bereitgestellten Daten erstellt wurden. Victoria Stoiciu, Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, mit Details:



    Die Eurostat-Zahlen zeigen, dass in Rumänien im Jahr 2018 36,7% der älteren Menschen über 65 Jahre von Armut bedroht waren. Die Frauen waren im Jahr 2018 in Rumänien am stärksten von Armut betroffen. 43% der rumänischen Frauen sind in dieser Situation, im Gegensatz zu 19% der rumänischen Männer. Wir beziehen uns nur auf ältere Menschen. Dieser Prozentsatz (36,7) zeigt die höchste Armutsquote seit 2009 für diese Altersgruppe auf. Die Grafiken zeigen, dass die Armut bei älteren Menschen seit 2009 bis 2014 abnahm, dann begann die Armut wieder zu steigen, und 2018 hatte sie bereits das Niveau von 2009, als Rumänien sich in der Wirtschaftskrise befand, übertroffen. Das ist ein beunruhigendes Phänomen. Es wird viel darüber gesprochen, dass einerseits die Renten erhöht wurden, andererseits dass die Erhöhung der Renten nicht willkommen sei, weil sie nicht finanziell unterstützt getragen könne. Die Statistiken zeigen aber, dass all die Rentenerhöhungen mit den Bedürfnissen der älteren Menschen nicht Schritt halten können und dass die Armut in den Reihen der älteren Bürger zunimmt.“




    Welche Erklärungen gibt es für die prekäre Situation der älteren Menschen in Rumänien? Die Ursachen unterscheiden sich nicht wesentlich von den in der gesamten EU vorkommenden, so Victoria Stoiciu, Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien:



    Die prekäre Situation der älteren Menschen in Rumänien wird durch die Geschlechterunterschiede auf dem rumänischen Arbeitsmarkt erklärt. Diese wiederum sind das Ergebnis struktureller Benachteiligungen von Frauen in Rumänien. Nach Erreichen des Rentenalters spiegeln sich diese Benachteiligungen in dem Einkommen der Frauen wider. Was sind diese strukturellen Nachteile? Erstens wird der Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt eingeschränkt. Systematisch ist der Anteil der erwerbstätigen Frauen geringer als bei Männern. Dies ist auch auf traditionalistische Mentalitäten zurückzuführen, die sagen, dass die Frau zu Hause bleiben und sich nur um den Haushalt kümmern sollte. Aber wenn und wann sie erwerbstätig sind, arbeiten Frauen — in Jahren berechnet — weniger. Und nicht zuletzt sind die Löhne, die Frauen in Rumänien erhalten, immer noch konstant niedriger als die der Männer. Dies führt natürlich zu einem Niveauunterschied zwischen Männer- und Frauenrenten, da die Renten nach der Höhe der Beiträge berechnet werden. Das verursacht auch eine verminderte Sparfähigkeit, die negative Wirkungen hat, da viele ältere Menschen auch auf die Einsparungen während der Arbeitsjahre angewiesen sind. Diese Faktoren sind kumulativ, und die systematische Diskriminierung von Frauen in der rumänischen Wirtschaft zeigt sich am besten, wenn die Frauen das Rentenalter erreichen.“

  • Jugendliche in Rumänien: armutsgefährdet und politisch unterrepräsentiert

    Jugendliche in Rumänien: armutsgefährdet und politisch unterrepräsentiert

    Die 2018 durchgeführte Umfrage zeigt die Einstellung, Perspektive und das Selbstbild der Rumänen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren zu Themen wie Familie, Bildung, Lebensstil, Religion und Demokratie. Sie wurden mit jungen Menschen aus anderen europäischen Ländern, EU- und Nicht-EU-Mitgliedern, verglichen.



    Alle wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren, die sich auf junge Menschen in Rumänien beziehen, sehen sehr schlecht aus, sagt Gabriel Bădescu, einer der Autoren der Umfrage, die zusammen mit Daniel Sandu, Daniela Angi und Carmen Greab erstellt wurde. Einige dieser Indikatoren müssen jedoch in einem breiteren europäischen Kontext angewendet werden. So stimmen beispielsweise mehr als die Hälfte der rumänischen Befragten zu, dass Demokratie eine gute Regierungsform ist, aber 23% glauben immerhin, dass Diktatur unter bestimmten Umständen eine bessere Regierungsform als Demokratie sein könnte. Im Vergleich zu den anderen neun in die Erhebung einbezogenen Ländern Südosteuropas genie‎ßt die Demokratie in Rumänien die geringste Unterstützung, ungeachtet der in allen europäischen Ländern sichtbaren autoritären Tendenzen.



    Bemerkenswert ist, dass der Generationswechsel allein schon bessere, demokratieliebendere Bürger mit sich bringt, sagt Gabriel Bădescu:



    Dieser Rückgang der Bindung der Menschen an die Demokratie ist nicht gleichmä‎ßig über alle Altersgruppen verteilt. Tatsächlich hängt es sehr stark vom Alter des Befragten ab. Wenn wir von der Qualität der Demokratie sprechen, sollten wir wissen, dass junge Menschen eine gefährdete und problematische Kategorie sind. Problematisch, denn Studien zufolge ist es äu‎ßerst schwierig, bestimmte Einstellungen, sobald sie in jungen Jahren geprägt sind, später zu ändern; sie bleiben verwurzelt und verselbstständigen sich.“




    Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchte neben den Mentalitäten auch das Ausma‎ß der Unterstützung von Minderheiten in Rumänien und den anderen neun Ländern. Gabriel Bădescu erzählt uns, was die Ergebnisse sind:



    Die Unterstützung für Minderheitenrechte ist bei jungen Menschen gering. Rumänien hat bei mehreren Kategorien von Minderheiten aus allen zehn Ländern die niedrigste Unterstützung. Sie hat auch die zweitniedrigste Unterstützung für die ethnischen Minderheiten und die drittniedrigste, wenn es um die Rechte der Armen geht.“




    Die Studie hat auch ein Gefälle zwischen den Regionen Rumäniens sowie zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten festgestellt. Das Gefälle zwischen jungen Menschen in den städtischen Gebieten und denen in den ländlichen Gebieten widerspiegelt eine Benachteiligung der letzteren. Nach anderen Umfragen lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2017 im ländlichen Raum bei 37,3% und damit sechsmal höher als in städtischen Gebieten. Die 2018 durchgeführte Umfrage unter Jugendlichen zeigt, dass 23% der Jugendlichen in ländlichen Regionen unter der Kategorie NEET fallen, die für Not in Education, Employment or Training“ (dt. nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung“) steht, was bedeutet, dass sie keine formale Ausbildung absolvieren und auch nicht beschäftigt sind. Diese Zahl ist in den ländlichen Gebieten doppelt so hoch wie in den städtischen Gebieten, ein Unterschied, der in anderen EU-Ländern nicht zu finden ist.



    Die wirtschaftliche Situation wird von den Autoren der Umfrage zum Anlass genommen, um den relativ hohen Anteil junger Menschen zu erklären, die auswandern wollen. Im Gegensatz zu 2014, als eine ähnliche Umfrage durchgeführt wurde und 60% der 14- bis 29-Jährigen emigrieren wollten, sank diese Zahl 2018 auf fast 30%. Der Soziologe Daniel Sandu weist darauf hin, dass diese Zahl den Wünschen und nicht unbedingt konkreten Plänen entspricht, das Land zu verlassen:



    Es ist nicht entscheidend, wie intensiv dieser Wunsch ist, um festzustellen, ob sie das Land tatsächlich verlassen werden. Der Wunsch, zu gehen, kann vielmehr als Antwort auf die Frage interpretiert werden: Wie beurteilen Sie Ihre Chancen auf Selbstentfaltung in Ihrem eigenen Land? Wenn die wirtschaftliche Situation in Ihrem eigenen Land schwierig ist, wie im Jahr 2014, und wenn es weniger Möglichkeiten gibt, dann besteht die Tendenz, Ihre Abreise zu planen oder das Land verlassen zu wollen.“




    Zur Frage, wer das Land am stärksten verlassen will, zeigt die Umfrage einige überraschende Antworten, sagt der Soziologe Daniel Sandu:



    Wenn wir genauer hinsehen, bemerken wir eine bimodale Verteilung der Migrationsabsichten. Es gibt zwei sehr unterschiedliche Gruppen, an den gegenüberliegenden Enden. Eine Gruppe besteht aus jungen Menschen aus begünstigten Familien, die ein Auslandsstudium planen. Die Gruppe besteht aus jungen Menschen aus Familien, die Zugang zu materiellen Gütern haben, aber nicht aufgrund des Wohlstands ihrer Familien, sondern weil verschiedene Familienmitglieder bereits im Ausland sind. Sie schicken Geld zurück ins Land und geben diesen jungen Menschen Zugang zu Gütern, aber sie geben ihnen keine Stabilität und keine wirklichen Zukunftsaussichten in diesem Land.“




    Die Wahrnehmung der Zukunft basiert in der Tat darauf, wie die Gegenwart wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang bestätigt die Umfrage andere Statistiken. Die Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, Victoria Stoiciu, erklärt:



    Wie aus unserer Umfrage und anderen Studien hervorgeht, sind junge Menschen eindeutig eine unterprivilegierte Kategorie, in erster Linie wirtschaftlich. Wenn wir uns die Armutsquote unter jungen Menschen ansehen, und da meine ich die Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren, werden wir sehen, dass sie sehr hoch ist, höher als in anderen Altersgruppen. Wir beziehen uns in der Regel auf ältere Menschen oder Rentner, wenn wir solche Vergleiche anstellen. Das bedeutet nicht, dass ältere Menschen keine Probleme haben, sondern dass die wirtschaftliche Situation junger Menschen viel schlechter ist. Au‎ßerdem sind junge Menschen politisch unterrepräsentiert.“

  • Hörerpostsendung 28.4.2019

    Hörerpostsendung 28.4.2019

    Liebe Freunde, herzlich willkommen zur Hörerpostsendung von RRI!



    Wir schreiben heute den Ostersonntag in der orthodoxen Kirche und passend zum Thema hinterlie‎ß uns Paul Gager, einer unserer Stammhörer aus Österreich, eine Frage im Internetformular:



    Werte Redaktion!



    Im englischsprachigen Programm von Radio Slowakei International erzählte die Moderatorin aus Rumänien über einen Ostermontagsbrauch, wo Frauen in Rumänien an der Grenze zu Ungarn mit Parfum bespritzt werden. In der Slowakei eher mit Wasser. Gibt es diesen ungewöhnlichen Brauch noch immer? Und was steckt dahinter? Werden nur unverheiratete Frauen bespritzt? Oder jede? Der rumänischen Moderatorin von RRI hat das früher überhaupt nicht gefallen.



    Mit grübelnden Grü‎ßen


    Paul Gager



    Vielen Dank für Ihre Zeilen, lieber Herr Gager. Ich war meinerseits verwundert, zu erfahren, dass bei RSI jemand aus Rumänien arbeitet. Ich habe dann die Webseite der englischen Redaktion von RSI besucht, und in der Tat: Unter den Mitarbeitern befindet sich tatsächlich eine Dame mit rumänischem Namen. Nun aber zu Ihrer Frage. Den Brauch zu Ostermontag gibt es tatsächlich noch, und zwar nicht allein an der Grenze zu Ungarn, sondern in ganz Siebenbürgen und darüber hinaus auch in den benachbarten Landesteilen Bukowina und Marmarosch. Der Brauch stammt von den Siebenbürger Ungarn, wurde aber auch von der rumänischen Mehrheit übernommen und wird wie gesagt auch au‎ßerhalb von Siebenbürgen praktiziert. Allerdings wurden Mädchen und unverheiratete junge Frauen ursprünglich mit Quellwasser oder frischem Brunnenwasser bespritzt, erst später wurde das Wasser durch Kölnischwasser oder Parfum ersetzt. Damit sollten junge Frauen das ganze Jahr über schön bleiben, und dem Brauch liegt eine Legende zu Grunde. Es hei‎ßt, ein christliches Mädchen soll einmal mit einem Eierkorb durch den Wald gegangen sein. Dabei soll ihr ein heidnisches Mädchen über den Weg gelaufen sein. Das Christenmädel versucht die Altersgenossin zu bekehren und erzählt ihr von Jesus, Gottesfurcht und Nächstenliebe. Das heidnische Mädchen erwidert, sie würde sich nur dann bekehren lassen, wenn Gott ein Wunder geschehen und die Eier im Korb rot werden lasse. Und so kam es auch — die Eier färbten sich auf einmal rot, und vor lauter Aufregung und Ehrfurcht fielen die beiden Mädchen in Ohnmacht. Vorbeiziehende entdecken die beiden Mädchen und bespritzen sie mit Wasser, damit sie wieder zu sich kommen, und so sei dieser Brauch zu Ostermontag entstanden, wobei das Wasser später durch Parfum ersetzt wurde. Heute wird meistens auch ein kleiner Spruch dazu gesagt. Burschenscharen ziehen von Haus zu Haus, um die unverheirateten jungen Frauen ausfindig zu machen. Dabei sagen sie ein kleines Gedicht auf, das sinngemä‎ß so klingt: Ich bin der Gärtner und hab ein Fläschchen in meiner Tasche. Wo ist das schöne Röslein hier, das benetzt sein will?“ Der Brauch wird natürlich in unterschiedlichen Varianten praktiziert, in manchen Dörfern werden auch verheiratete Frauen bespritzt, manchmal artet es in einer regelrechten Spritzorgie aus — das ist wohl, was der Kollegin von RSI nicht gefallen hat. Meistens endet das Ganze mit einem Festgelage in einem grö‎ßeren Bauernhof. Und mancherorts dürfen die jungen Frauen am nächsten Tag Revanche nehmen, am Dienstag nach Ostern bespritzen sie dann die Burschen im Dorf.



    Von Wien geht es weiter nach Grafing bei München, von wo sich unser Hörer Werner Schubert meldete:



    Hallo Sorin, hallo liebe Redaktion,



    es wird mal Zeit, dass sich ein ehemals flei‎ßiger Hörer und Schreiber wieder meldet, die Ostertage haben auch mir mal wieder etwas Gelegenheit zu einem Besuch auf den kurzen Wellen gegeben.



    Der Empfangsbericht vom heutigen Tage stammt aus dem Inntal mit meiner dortigen guten Ausrüstung, aber auch in meiner ungünstigen Grafinger Wohnlage ist RRI wieder wie gewohnt in guter Qualität zu hören. Schön, dass man das Geld für die Kurzwelle noch hat, wenn es auch am Versandmaterial für die Hörer zunehmend fehlt. Aber das ist nicht nur bei RRI so. Besorgniserregend ist z.B. die Situation bei der Stimme der Türkei“, wo der deutschen Redaktion im Rahmen einer Umgestaltung“ einfach der Zugang zur eigenen Homepage genommen wurde.



    Im Mai ist ja Europawahl, normalerweise melde ich mich immer freiwillig als Wahlhelfer, aber an diesem Tag habe ich einen anderen Termin. Den würde ich nur streichen, wenn mich die Stadtverwaltung anschreibt, weil es zu wenig Helfer gibt. Die meisten Wahlhelfer kommen aus dem öffentlichen Dienst, weil es für den Sonntag einen anderen Tag frei gibt. Für mich als Angestellten in einer Firma gilt das nicht, ich bekomme zwischen 30 und 50 Euro für so einen Sonntag. Wer gut verdient, ist natürlich nicht scharf darauf, dafür einen ganzen Tag zu opfern, deswegen gibt es gelegentlich einen Mangel an Freiwilligen, auch wenn es Getränke und Wurstsemmeln dazu gibt.



    Das bringt mich zu einer Frage: Wer stellt sich in Rumänien als Wahlhelfer zur Verfügung? Setzt man auf Freiwillige oder werden Beamte verpflichtet, zu erscheinen, und gibt es eine Aufwandsentschädigung? Danke schon mal für die Antwort!



    Das mal eben von mir, ich melde mich bald mal wieder. Lieber Sorin, ich hoffe Ihr Rücken ist auch wieder ganz in Ordnung.



    Herzliche Grü‎ße aus dem frühlingshaft warmen Grafing von


    Werner Schubert




    Vielen Dank für Ihre Zeilen, lieber Herr Schubert, und danke auch für die Frage nach meinem Gesundheitszustand. Nun, dem Rücken geht’s besser, allerdings habe ich in letzter Zeit Schmerzen im Schultern- und Nackenbereich. Das kommt vom vielen Sitzen vor dem Rechner, und ich habe meine Gymnastik-Übungen in letzter Zeit auch etwas vernachlässigt. Ärzte sagen, nach einer Verletzung der Wirbelsäule verbleibt eine lebenslange Empfindlichkeit. Auf jeden Fall hat mir der kleine Unfall vor Augen gebracht, wie zerbrechlich ein Menschenleben ist — man kann von einem Augenblick auf den anderen im Rollstuhl landen, ich hatte auf jeden Fall Glück, mir keine schlimmere Verletzung zugezogen zu haben.



    Nun zu Ihrer Frage, zu deren Beantwortung mir unser ehemaliger Mitarbeiter Mihai Stoicescu geholfen hat, der selber öfter als Wahlhelfer im Einsatz war. In Rumänien ist die Zusammensetzung der Wahlausschüsse für Wahllokale durch ein kompliziertes Gesetz von 2015 geregelt. Demnach müssen der Präsident und der Vizepräsident Juristen sein — im Gesetz steht sogar Richter“. Da dies aber in der Praxis oft nur schwer umzusetzen ist, werden in der Regel Beamte aus der Lokalverwaltung damit beauftragt. Die übrigen Kommissionsmitglieder sind Vertreter aller kandidierenden Parteien und Wahlbündnisse, zudem Beobachter im Auftrag zivilgesellschaftlicher Vereine oder NGOs. Weil vor allem kleinere Parteien nicht immer über ausreichend Personal verfügen, greift man oft auf Volontäre zurück, die sich rechtzeitig anmelden und selbstverständlich unbescholtene Bürger sein müssen. Oft sind es Schullehrer, denn die meisten Wahllokale werden in Schulen organisiert. Allesamt unterzeichnen eine eigenverantwortliche Erklärung, dass sie somit einen staatlichen Auftrag erhalten und ihn nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen müssen. Die Aufwandsentschädigung ist — trotz auch hierzulande üblicher Verpflegung mit belegten Brötchen und Getränken — auch in Rumänien eher bescheiden: umgerechnet 25 Euro pro Wahlhelfer. Allein der Präsident und der Vizepräsident beziehen höhere Zulagen, die bis zu 100 Euro reichen können, weil sie als Berufsbeamte in der entsprechenden Funktion auch eine grö‎ßere Verantwortung haben. Der Einsatz ist allerdings nicht auf den Wahltag beschränkt. Am Freitag vor den Wahlen werden die Wahlhelfer zunächst eingewiesen; am Samstag nimmt man die Wahlzettel entgegen und versiegelt die Wahlurnen. Nach abgeschlossener Wahl am Sonntag kann sich das ganze Drumherum mit Auszählung der Stimmen, Protokollierung usw. bis Montagabend hinziehen, es ist also kein Spa‎ßjob. In der Regel werden daher drei Tagessätze als Entschädigung bezahlt. In der Schule im Kiez, wo ich wählen gehe, habe ich unter den Wahlhelfern einen Nachbarn aus meinem Hochhaus und eine Verkäuferin aus einem Laden im Viertel erblickt. Alles in allem ist es also ähnlich wie in Deutschland, und ich hoffe somit, Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet zu haben, lieber Herr Schubert. Herzliche Grü‎ße nach Bayern!



    Unser Hörer Carsten Fenske (der normalerweise in Greifswald zu Hause ist) meldete sich von einem neuen, malerischen Standort per E-Mail:



    Liebe Radiomacher von Radio Rumänien INTERNATIONAL, Deutscher Dienst,



    nach einer kleinen Pause melde ich mich nun, von einem neuen Empfangsort, bei Ihnen zurück.



    Das Winterquartier als Camper habe ich aufgegeben und stehe nun bis Ende Oktober auf einem Campingplatz im Fischerdörfchen Freest. Direkt vor mir in ca. 300 m Entfernung verläuft die Küste, auf die ich einen ungehinderten Blick habe. So kann ich aus- und einlaufende Schiffe sehen und abends auch hören. Ein sehr stimmungsvolles Bild, was nie langweilig wird.



    Nun aber zu Ihren Sendungen. Die Umstellung auf die Sommerfrequenzen macht sich bei mir deutlich bemerkbar. Der Empfang ist (bisher) schlechter, aber ausreichend. Ich höre Sie auf der Frequenz 9570 kHz, stets 18:00 Uhr UTC. Zur Verbesserung des Signals habe ich mir eine 6 m lange, stationäre Antenne gebaut. Zur Veranschaulichung hänge ich mal ein kleines Video an diese Mail. Damit erreiche ich eine Verstärkung von ca. 30% und somit ist wieder alles, wie es sein soll.



    Zu Ihren Sendungen kann ich nur sagen: Daumen hoch und bitte den Programmaufbau so lassen. Durch die kurzen Beiträge, Nachrichten und Musikstücke ist immer etwas für mich und sicher auch die anderen Hörer dabei. Didaktisch gut gemacht ist auch die stets zum Beginn moderierte Sendungsübersicht. Man wei‎ß also, was kommt. Da kann ich mich nur Ihrem deutschen Hörer Helmut Matt aus Herbolzheim anschlie‎ßen, den Sie am 21.04. zitierten.



    Aufschlussreich war auch Ihre Programmrückschau vom gleichen Tage, in welcher Sie von einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung berichteten. Wenn junge Menschen von 14 bis 23 Jahren eine Diktatur besser finden als eine parlamentarische Demokratie, lässt das aufhorchen. Es zeigt aber auch ein gro‎ßes Ma‎ß an Naivität und früher war alles besser“… Ich für meinen Teil möchte nicht wieder in einer Diktatur leben. Auf Kommunismus habe ich auch nach drei‎ßig Jahren noch keine neue Lust.



    Damit möchte ich meine Zeilen auch schon fast beenden, nicht ohne noch ein herzliches Danke zu sagen für den ersten Preis beim Radioquiz. Ich verbleibe bis zum nächsten Mal mit freundlichen Grü‎ßen



    Ihr Hörer


    Carsten Fenske



    Vielen Dank für das ausführliche Feedback, lieber Herr Fenske, und herzliche Grü‎ße an die Ostsee!



    Zeit für die Postliste. Einen Postbrief erhielten wir von Frank Bresonik aus Gladbeck, der uns u.a. vom Tod seines Vaters unterrichtete. Unser herzliches Beileid, lieber Herr Bresonik, möge er in Frieden ruhen! E-Mails erhielten wir bis einschlie‎ßlich vergangenen Freitag von Heinrich Eusterbrock, Volker Willschrey, Jörg-Clemens Hoffmann, Reinhold Meyer, Andreas Mücklich, Werner Schubert, Carsten Fenske und Michael Willruth (D) sowie von Sutomo Huang (Indonesien), Reinhard Schumann (SE) und Paul Gager (A).




    Audiobeitrag hören:




  • Soziologische Studie: Rumänische Lehrer wenig empfänglich für Demokratie

    Soziologische Studie: Rumänische Lehrer wenig empfänglich für Demokratie

    Das sind zwei Schlussfolgerungen einer kürzlich abgeschlossenen soziologischen Studie zum Thema demokratische Werte, zu denen sich das rumänische Lehrpersonal bekennt. Die Schlussfolgerungen der soziologischen Studie sind nicht nur besorgniserregend, sondern haben auch zu ernsthaften Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit geführt. Selbst die Autoren der Studie — eine Gruppe angesehener Soziologen und Psychologen, die unter der Schirmherrschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeiteten — räumten ein, dass die Schulbildung für die Bildung einer demokratiefreundlichen politischen Kultur von Bedeutung ist“. Aus dieser Perspektive spielen die Werte der Lehrer, besonders in einer Zeit, in der ein Teil Europas von autoritären Strömungen beeinflusst wird, die die Demokratie in Frage stellen, eine wichtige Rolle. Was die Autoren der Studie herausgefunden haben, erzählt uns Gabriel Bădescu, Leiter der Abteilung für Politikwissenschaften an der Babeş-Bolyai-Universität in Cluj (Klausenburg):



    Wir wollten sehen, inwieweit sie der Meinung sind, dass die Gesellschaft nach demokratischen Regeln regiert werden sollte. Insgesamt gaben rund 90% an, sie würden demokratische Systeme mögen und das klingt beruhigend. Das Problem ist, dass bei etwas detaillierteren Fragen ein ziemlich hoher Prozentsatz — etwa 40% — angegeben haben, dass es selbst in einer Demokratie gut wäre, einen starken Führer zu haben, der sich nicht mit freien Wahlen und dem Parlament beschäftigt.“




    Obwohl dies eine Minderheit ist, glauben 14% der Lehrer, dass der Austritt Rumäniens aus der Europäischen Union eine positive Angelegenheit wäre. Derselbe Prozentsatz würde die Existenz eines Militärregimes guthei‎ßen, und 11% würden das Vorhandensein eines Systems religiöser Gesetze befürworten (was das Fehlen politischer Parteien und das Fehlen von Wahlmechanismen bedeuten würde). Obwohl diese Studie zeigt, dass die Werte der Lehrer weniger demokratisch sind, als wir es erwartet hätten, ist der Soziologe Claudiu Tufiş der Ansicht, dass diese Daten in den breiteren Kontext der Ansichten der Bevölkerung gestellt werden müssen. Aus dieser Perspektive erscheinen die Lehrer in einem günstigeren Licht, nicht die Gesellschaft insgesamt. Der Soziologe Claudiu Tufiş:



    Die Daten im Bericht wurden nur durch Vergleich mit den Daten der Lehrkräfte in der voruniversitären Ausbildung interpretiert. Es wurde kein Vergleich mit der Gesamtbevölkerung oder mit der Bevölkerung mit höherer Bildung gemacht. Ich habe mir ähnliche Daten angesehen, die Anfang 2018 in Rumänien in Rahmen internationaler Forschungen gesammelt wurden. So sind wir zu dieser Schlussfolgerung gekommen: Auch wenn sie relativ intolerant und wenig demokratisch sind, sind die Lehrer in Rumänien, verglichen mit der Bevölkerung mit Hochschulstudium, offener und demokratischer. Das Problem ist nicht, dass Lehrer undemokratisch sind, sondern dass wir als Bevölkerung so sind. In den 30 Jahren nach dem Fall des Kommunismus haben wir die mit der Demokratie verbundenen Werte nicht verinnerlicht.“




    Hinzu komme der breitere europäische Kontext, meint der Soziologe Claudiu Tufiş.



    Das Problem aus dieser Sicht ist, dass in Rumänien einerseits die Unterstützung der Demokratie abnimmt und andererseits die Bevölkerung noch nicht gelernt hat, was Demokratie bedeutet und was ihre Werte sind. In Ländern mit einer demokratischen Tradition von mehr als 50 Jahren funktioniert das demokratische System, selbst wenn das Vertrauen in die Demokratie nachlässt.“




    In Bezug auf die soziale Toleranz weichen die Rumänen jedoch nicht zu viel vom europäischen Trend ab. Die von den Lehrern am häufigsten abgelehnten Gruppen sind Drogenabhängige (58,7%) und Alkoholabhängige (53,6%). An dritter Stelle stehen die Roma (42,5%), andere Kategorien, die einen hohen Prozentsatz negativer Einstellungen ihnen gegenüber aufweisen, sind Homosexuelle (38,3%), Sprecher einer anderen Sprache (33,7%) und unverheiratete Paare (33,1%). In Bezug auf Roma-Schüler gehen einige rumänische Lehrer jedoch weiter, laut der Studie Bildung für Demokratie in den Schulen in Rumänien“. Gabriel Bădescu dazu:



    Wir haben eine Frage zu der Meinung der Lehrer in Bezug auf die Ausbildung von Roma-Kindern. Ist es angebracht, gemeinsam mit anderen Kindern unterrichtet zu werden, oder wäre es wünschenswert, in separaten Klassen zu sein? In diesem Fall haben die Antworten Diskussionen ausgelöst, sie sind aber auch besorgniserregend, denn jeder achte Befragte, der seine Meinung geäu‎ßert hat, glaubt, dass die Roma in getrennten Klassen lernen sollten. Das ist ein Problem. In der Erziehungswissenschaft besteht seit langem Einigkeit darüber, dass die Schüler unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht, Unterschieden oder körperlichen Behinderungen zusammen lernen sollten. Die Schule sollte inklusiv sein.“




    Am beunruhigendsten ist jedoch die Einstellung junger Lehrer unter 35 Jahren. 54,5% von ihnen glauben, dass Rumänien einen starken Anführer haben sollte, und 17,9% meinen, dass es positiv wäre, wenn unser Land nicht mehr Mitglied der EU wäre. Der Soziologe Claudiu Tufiş erklärt:



    Dies sind Personen unter 35 Jahren, die zum Zeitpunkt des Falls des Kommunismus 5–6 Jahre alt waren und sich an nichts von früher erinnern konnten. Sie entwickelten sich in der schwierigen Zeit der postkommunistischen Übergangszeit. Sie haben unangenehme wirtschaftliche Erfahrungen gemacht, Ungleichheit erfahren, ihnen fehlten jedoch nicht die politischen Freiheiten und ihre Grundrechte wurden nicht verletzt. Die Erklärung könnte diese Erfahrung sein, verbunden mit Enttäuschung darüber, wie die Demokratie in Rumänien jetzt funktioniert.“

  • Lebenshaltungskosten in Rumänien: Ein Vielfaches des Durchschnittslohns

    Lebenshaltungskosten in Rumänien: Ein Vielfaches des Durchschnittslohns

    Im Monat September lag das Durchschnittsgehalt in Rumänien bei 2.700 Lei (umgerechnet rund 580 Euro). Die Frage, wie viel von den Lebenshaltungskosten man mir dieser Summe abdecken kann, scheint unter diesen Bedingungen sinnvoll. Eine neulich veröffentlichte Studie über die finanzielle Belastung, um ein anständiges Leben in Rumänien führen zu können hat, hat eine Antwort auf diese Frage geliefert und gleichzeitig auch weitere Fragen aufgeworfen. Die Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien hat zusammen mit dem Institut zur Forschung der Lebensqualität den Betrag berechnet, den man in Rumänien für die Lebenshaltungskosten benötigt. Die Autoren der Studie nennen 11 Kapitel, die sie in einen sogenannten Warenkorb der Lebenshaltungskosten legen und für jeden Bürger eine finanzielle Belastung darstellen: Lebensmittel, Kleider, Wohnung, Bildung und Kultur, Gesundheit, Urlaub und die Ersparnisse. Damit all diese Kosten abgedeckt werden, benötigt eine aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern bestehende Familie knapp 6762 Lei im Monat, d.h. 1450 Euro. Für einen Haushalt mit einer Person beziffert sich der entsprechende Betrag auf 2552 Lei pro Monat, rund 547 Euro. Victoria Stoiciu von der Stiftung Friedrich Ebert“ Rumänien erläutert, worauf die Studie basiert:



    Der Durchschnittslohn lag im Sommer 2018 laut dem Nationalen Statistikamt bei knapp 2700 Lei pro Monat. Das Gesamteinkommen einer Familie in Rumänien liegt bei knapp 6700 Lei und entspricht dem Gesamtwert des Warenkorbs, aber dessen Struktur entspricht nicht dem alltäglichen Verbrauch der Rumänen, sondern dem, was ein Warenkorb für ein anständiges Leben enthalten soll. In den vergangenen Jahren waren diese Berechnungen im direkten Verhältnis mit dem Notbedarf, nicht mit einem anständigen Lebensstandard, der mehr als die Befriedigung der minimalen materiellen Bedürfnisse vorsieht.“




    Die Studie sei zudem für die Stadtbevölkerung repräsentativ und nur zum Teil für die Lebenshaltungskosten im ländlichen Raum, sagt unsere Gesprächspartnerin:



    Die Studie betrifft weder die Rentner noch die Arbeitslosen, der Warenkorb als Struktur der Ausgaben ist repräsentativ für die Beschäftigten der Stadt, aber das hei‎ßt noch lange nicht, dass der Wert des Warenkorbs im ländlichen Raum dank der Eigenproduktion und des Selbstverbrauchs deutlich geringer wäre. Es stimmt, dass man im ländlichen Raum weniger für Lebensmittel ausgibt, aber für Gesundheit hingegen mehr. In vielen Dörfern gibt es keine Krankenhäuser und keine Gymnasien, deswegen müssen die Kinder zwischen ihrem Dorf und der nächsten Stadt pendeln oder Miete in der Stadt bezahlen.“




    Die Rumänen mit einem normalen Einkommen wie Cătălina stellen schnell fest, dass es einen gro‎ßen Unterschied zwischen den Lebenshaltungskosten für einen anständigen Lebensstandard und der rumänischen Wirklichkeit gibt:



    Diese Zahlen sind aus zwei Gründen unrealistisch: Zum einen verdient die Mehrheit der Rumänen im Durchschnitt nicht genug, um den Mindestwert des Warenkorbs zu erreichen, zum anderen gibt eine rumänische Familie mehr aus, um ein anständiges Leben zu führen.“




    Cătălina bezieht sich zum grö‎ßten Teil auf Erholung und Gesundheit. Für die zweite Kategorie gibt man im Durchschnitt rund 107 Lei pro Monat aus, also 23 Euro. Ein Kinoticket kostet rund 15 Lei, wenn man zu zweit ins Kino geht, gibt man im Durchschnitt mit Nebenkosten 100 Lei aus.



    Daniela war Lehrerin und ist seit kurzem in Ruhestand gegangen, sie arbeitet noch mit einigen Schulen zusammen, um ihr Einkommen aufzurunden; ohne diese Teilarbeit im Ruhestand wäre es ihr unmöglich, Geld zu sparen. Die Ernährung hat einen Anteil von 20,77% in den Gesamtausgaben eines Haushalts — dazu sagte Daniela:



    Mit den jüngsten Preiserhöhungen würde ein Anteil von 20% in einer Familie mit zwei Kindern die Ausgaben für Lebensmittel auch nicht abdecken. Nur wenn man zu Hause kocht, könnte man sagen, 20% wäre richtig, aber man muss doch die Lebensmittel kaufen. Gegenüber dem Vormonat sind die Preise um 10% gestiegen.“




    Der Wert des minimalen Warenkorbs sei nur ein Referenzpunkt und die Autoren der Studie sind sich dessen bewusst, dass es gro‎ße Unterschiede zwischen den realen Einnahmen eines jeden rumänischen Haushalts und dem Warenkorb gibt. Victoria Stoiciu kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten:



    90% der Rumänen verdienen im Durchschnitt höchstens 2100 Lei (450 Euro) pro Monat, also 90% der Rumänen verdienen weniger als den Wert des minimalen Warenkorbs für einen anständigen Lebensstandard. Rumänien ist ein armes Land und, wie ich feststelle, ist das anständige Leben ein Privileg eines kleinen Teils der Bevölkerung.“

  • Migration: Rumänen wandern massenhaft aus, Einwanderung bleibt bescheiden

    Migration: Rumänen wandern massenhaft aus, Einwanderung bleibt bescheiden

    Die meisten von ihnen bleiben länger als ein Jahr in einem der Länder, die aus ihrer Sicht ökonomisch stärker sind. Der Sozialmonitor, ein soziologisches Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, hat diese Entwicklung bis ins Detail analysiert. Etwas mehr als 2,5 Millionen Rumänen lebten im Jahr 2017 im Ausland, ergab die Detailstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung laut Angaben der Programmleiterin Victoria Stoiciu.



    Es ist eine Statistik für den Zeitraum 2003 bis 2017. Auf der einen Seite drückt sie die Anzahl der Rumänen aus, die sich 2017 länger als ein Jahr im Ausland aufgehalten haben, auf der anderen Seite bezieht sie sich auch auf den Trend der Abwanderung, ein zunehmender Trend. Diese Zahl bezieht sich nicht auf die saisonbedingte Migration, d.h. sie berücksichtigt nicht die rumänischen Gastarbeiter, die drei, sechs oder acht Monate im Jahr im Ausland arbeiten. Sie gehen dorthin, entweder um Erdbeeren zu pflücken oder um während der Bausaison angestellt zu werden. Wenn wir sie hinzufügen würden, würde das sicherlich die Statistik in die Höhe treiben. Die Gesamtzahl der Auswanderer geht also über die 3-Millionen-Grenze hinaus, wenn wir diejenigen einbeziehen, die für weniger als ein Jahr weggehen.“




    Aufgrund dieser Entwicklung lie‎ße sich Rumänien gar mit einem Land vergleichen, in dem ein harter und langwieriger Bürgerkrieg herrscht, etwa Syrien, behauptet Victoria Stoiciu.



    Damit belegen wir Platz zwei hinter Syrien in der weltweiten Rangliste der Länder mit der am schnellsten zunehmenden Abwanderung der Bevölkerung. Das bezieht sich weder auf die Gesamtzahl der Migranten noch auf deren Anteil an der Bevölkerung, sondern auf die Wachstumsrate der Auslandsgemeinschaften. Die Geschwindigkeit, mit der die Rumänen ihr Land verlassen haben, steht also an zweiter Stelle hinter der der Syrer. Dies ist jedoch sehr besorgniserregend, da Rumänien seit 2000 ein wirtschaftliches Wachstum verzeichnet. Von daher müssen wir das Wachstumsmodell ernsthaft hinterfragen. Wie wird dieses Wachstum an die Bevölkerung weitergegeben und wie fühlt es sich denn an? Diese Fragen muss man stellen, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung Rumäniens so schnell und zahlreich auswandert, wie die Bevölkerung eines Landes im Bürgerkrieg.“




    Die Auswanderer stammen vor allem aus einer besonders wichtigen Kategorie für die gegenwärtige und zukünftige Wirtschaft Rumäniens: Es sind die Personen, die zwischen 25 und 38 Jahre alt sind. Sie machen etwa 20% der Gesamtzahl der rumänischen Migranten aus. Es gibt auch viele Fachkräfte, egal ob sie in Bereichen wie dem Bauwesen ausgebildet oder hochqualifizierte Ärzte oder Informatiker sind. Unter diesen Umständen bleibt die Lücke, die diese Abwanderung auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen hat, vorübergehend ungefüllt.



    Das ist also die Situation der Auswanderer aus Rumänien. Wie sieht es aber mit den Einwanderern in Rumänien aus? Zum Beispiel zeigten die Ende 2017 von der Generalinspektion für Immigration erfassten Daten, dass in Rumänien rund 67.000 Ausländer aus Drittländern lebten, einschlie‎ßlich international anerkannte Flüchtlinge. Unter ihnen befanden sich etwas mehr als 800 Menschen, die über den EU-Umsiedlungsmechanismus eintrafen.



    Im vergangenen Jahr wurden 4820 Asylanträge gestellt, eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen Jahre, der bei etwa 1500 Anträgen lag. Wer sind aber diese Personen aus Drittstaaten oder die Asylbewerber und warum entscheiden sie sich für Rumänien? Sie sind im Allgemeinen allein ankommende Männer, die, sobald sie den Flüchtlingsstatus oder internationalen Schutz in Rumänien erhalten haben, eine Familienzusammenführung beantragen können. Die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern ist übrigens einer der Hauptgründe für die Einwanderung vieler Menschen aus Drittländern nach Rumänien. Aber es gibt einen anderen Grund, der in letzter Zeit häufiger vorkommt: Angst vor der Verfolgung oder der allgemeinen Gewalt in den Heimatländern. Es gibt allerdings auch Ausländer, die nach Rumänien kommen, um einen Arbeitsplatz zu finden, berichtet die Soziologin Luciana Lăzărescu.



    Die ungefähre Anzahl der Ausländer mit einem Arbeitsvisum für Rumänien beträgt derzeit 5900. Dies sind Drittstaatsangehörige. Die meisten der im Jahr 2017 ausgestellten Stellenausschreibungen wurden vietnamesischen Staatsangehörigen für die Schifffahrt erteilt. Sie wurden auch für Bürger aus der Türkei, China und Serbien freigegeben. Die gefragtesten Berufe auf dem rumänischen Arbeitsmarkt, für die die Arbeitserlaubnis erteilt wurde, sind Schwei‎ßer, Schlosser im Metall- und Schiffsbau, Ausbau-Tischler und Sanierer. Hauptsächlich qualifizierte Fachkräfte für die Schifffahrt.“




    Allerdings sei Rumänien noch kein Zielland für die Flüchtlinge, muss Luciana Lăzărescu einräumen. Man sei noch nicht so attraktiv wie andere westeuropäische Länder. Die Soziologin verweist ferner auf ein Regierungsprogramm zur Integration von Flüchtlingen auf den Arbeitsmarkt.



    Es gibt ein staatliches Integrationsprogramm für Menschen mit internationalem Schutz: eine Reihe von Ma‎ßnahmen, die die Integration von Ausländern in die Gesellschaft erleichtern sollen, aber auch ihre Integration auf den Arbeitsmarkt sowie die Anpassung an rumänische Gepflogenheiten und an die Arbeitsweise der rumänischen Institutionen. Das Programm beinhaltet einen rumänischen Sprach- und Kulturkurs, aber es gibt auch andere Dienstleistungen, die NGOs dieser Kategorie von Ausländern anbieten. Das Regierungsprogramm wird also umgesetzt. Viel heikler ist die Frage, wie die an verschiedenen Teilbereichen dieses Programms beteiligten Institutionen zusammenarbeiten und verstehen, diese Aufgabe zu übernehmen.“




    Die Zahl der Ausländer, die ein Aufenthaltsrecht in Rumänien genie‎ßen, ist also gering, und die Politik zur Rückführung der rumänischen Auswanderer ist mangelhaft. Was kann vor diesem Hintergrund unternommen werden, um die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen? — fragten wir Victoria Stoiciu.



    Es ist leichter gesagt als getan. Einwanderer anzuziehen, ist schwierig, weil Rumänien für sie nicht attraktiv ist. Da ein Migrant oder ein Flüchtling ein Visum für die EU erhält, stellt sich eine einfache Frage: Warum sollte er in Rumänien bleiben und nicht in Deutschland oder in Frankreich oder Belgien arbeiten, wo die Gehälter viel höher sind? Es ist auch nicht einfach, die rumänischen Gastarbeiter zurück nach Hause zu bringen. Am Ende lässt sich alles auf eine sehr einfache Frage reduzieren: die des Gehalts. Der Staat hat diesen Mindestlohn als Mittel, der 2011 um das 2,5-fache gestiegen ist, aber der private Sektor muss sich anpassen und die Löhne erhöhen. Aber das würde manchmal bedeuten, Gewinne zu reduzieren oder sogar Firmen zu schlie‎ßen. So einfach ist es nicht. Die Lösung ist nicht einfach.“

  • Armutsbekämpfung: bescheidene Fortschritte, widersprüchliche Statistiken

    Armutsbekämpfung: bescheidene Fortschritte, widersprüchliche Statistiken

    10 Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens werden wie am Flie‎ßband Bilanzen gezogen. Laut Statistiken hat Rumänien in Sachen Armutsbekämpfung erhebliche Fortschritte verzeichnet. Lebten 2007 noch 47% der Rumänen unter der Armutsgrenze, so waren 2015 nur noch 37% der Bürger davon betroffen. Die sogenannte AROPE-Kennzahl dient der Berechnung in diesem Fall, in die sowohl die Jahreseinkommen als auch die eigenen Güter flie‎ßen. Doch der Schein trügt teilweise, wie wir von unseren Gesprächspartnern erfahren werden.



    Die verbesserte Armutsstatistik bedeutet, dass sich immer mehr Rumänen in den letzten Jahren elektronische Haushaltsgeräte und Handys leisten konnten sowie alle zwei Tage mindestens ein Fleischgericht essen oder einmal im Jahr in Urlaub fahren. Die Rumänien-Vertretung der Friedrich Ebert“-Stiftung untersuchte im Rahmen eines Projekts die Zahlen seit dem EU-Beitritt des Landes. Dabei sei die Organisation zu eigenen Schlussfolgerungen in Sachen Armut gekommen, erzählt die Programmdirektorin Victoria Stoiciu.



    Es ist offensichtlich, dass heute viel mehr Menschen ein Handy und einen Farbfernseher besitzen als 2007. Einerseits sind derartige Artikel billiger geworden und andererseits werden den Verbrauchern viel einfacher Kredite gewährt. Wenn wir also diese Kennzahl betrachten, kann davon ausgegangen werden, dass die Armut zwischen 2007 und 2015 erheblich gesunken ist und es den Rumänen besser geht.“




    Andererseits lässt sich aus der Erhebung auch eine widersprüchliche Aussage ableiten: Auch wenn sich die Missstände im Allgemeinen verringert haben, ist die Not in bestimmten Fällen grö‎ßer. Wenn nur die Einkommen betrachtet würden, das hei‎ßt ausschlie‎ßlich das Geld, über das die Menschen verfügen, dann würde man überrascht feststellen müssen, dass die Armut weiter zugenommen hat. Genauer gesagt ist die Anzahl der Personen gestiegen, deren Einkommen um 60% weniger als der Landesdurchschnitt betragen. 2015 machte diese Kategorie knapp 25% der Gesamtbevölkerung aus, während ihr Anteil 2007 noch 18% betragen hatte. Victoria Stoiciu von der Friedrich Ebert“-Stiftung ergänzt:



    Die ärmsten 10% der rumänischen Bevölkerung leben nach wie vor in ländlichen Gebieten. Es sind generell Menschen, die eine Subsistenz-Landwirtschaft betreiben. Auf diesem Gebiet ist überhaupt kein Fortschritt verzeichnet worden. 2007 verdienten die ärmsten 10% der Rumänen 556 Euro im Jahr. Und damit sind Einkommen gemeint, keine Gehälter oder Löhne, also Verdienste, die auch aus dem Verkauf kleiner Eigenerzeugnisse erzielt werden können, etwa Eier, Käse usw. 2015 erreichten die Einkommen der Ärmsten 714 Euro im Jahr, also eine unerhebliche Verbesserung. Geschätzte 2 Millionen Rumänen leben von 714 Euro im Jahr.“




    Über die Mängel der auf dem Lande und vor allem über die in Bergregionen lebenden Menschen wollten wir uns mit Iulian Angheluţă unterhalten. Seine Stiftung Free Mioriţa“ hat sich seit Jahren im Rahmen eines Projekts einem ehrgeizigen Ziel verpflichtet: die letzten nicht elektrifizierten Gemeinden Rumäniens mit Strom zu versorgen. Diese Regionen sind noch recht zahlreich, und am härtesten getroffen sind die isolierten Gemeinden und Weiler in den Bergen. Von Iulian Angeluţă wollten wir als erstes wissen, wie der Alltag in den entsprechenden Regionen derzeit aussieht.



    Dort sind einige Waldwege. Es gibt Wasserquellen, es flie‎ßt dort Quellwasser aus den Bergen. Aber Elektrizität gibt es keine. Fast überall im Apuseni-Gebirge in den Westkarpaten, im Hochland um Hunedoara, in der Maramuresch und um Bistritz, dort sieht man kaum Überlandleitungen. Es gibt nur Pläne und sogenannte Machbarkeitsstudien. Darüber hinaus fehlen an vielen Orten die obligatorischen Anhaltspunkte einer zivilisierten Gesellschaft — etwa Schulen oder Krankenhäuser. Die Menschen kommen mit ihrer Subsistenz-Landwirtschaft über die Runden. Ein jeder hat Tiere auf seinem Hof, vor allem Schafe und Kühe. Aus dem Wald in der Nähe wird das Holz für die Heizung besorgt, und dort pflücken die Einwohner unterschiedliche Früchte und Pilze.“




    Der Anschluss an das Stromnetz würde für diese Menschen ein Mindestkomfort bedeuten, aber auch die Möglichkeit, der Isolation zu entkommen. Einige von ihnen haben das elektrische Licht dank der Photovoltaik- oder Solarstromanlagen erblickt. Iulian Angheluţă und seine Kollegen von Free Mioriţa“ haben die notwendigen Spenden dafür gesammelt. Es seien vor allem die Kinder in den isolierten Gemeinschaften, denen sie mit ihrer Aktion helfen wollten.



    Jeder Haushalt braucht Arbeitskräfte. Ob wir es mögen oder nicht, Kinder werden im Haushalt eingesetzt. Sie gehen mit den Schafen auf die Weiden oder sie helfen ihren Eltern bei anderen Aktivitäten. Sie haben ein sehr schweres Leben, die Bildung bleibt im Hintergrund. Deshalb scheint mir die Elektrizität wichtig. Sie ist wichtig für die Kinder beim Erledigen der Hausaufgaben, aber sie ist auch wichtig für den Zugang zu Informationen und die Bildung im Allgemeinen. Man bekommt Zugang zum Radio oder zum Telefon, mit dem man etwa den Notarzt rufen kann.“




    Die Situation der Kinder und Jugendlichen im Verhältnis zu den älteren Personen ist eben einer der Widersprüche der errechneten Armutsreduzierung, berichtet Victoria Stoiciu von der Friedrich Ebert“-Stiftung.



    Während Rumänien bei der Bekämpfung von Armut und der sozialen Ausgrenzung älterer Personen Fortschritte erzielt hat, waren diese Fortschritte bei den Jugendlichen viel bescheidener. Bei den jungen Rumänen im Alter von bis zu 16 Jahren ist die Armut um nur 6% zwischen 2007 und 2015 gesunken. Bei den über 64-Jährigen nahm die Armut um 24% ab. Für das beschleunigte Tempo könnte es auch eine Erklärung geben. 2009 hat die damalige Regierung eine Ma‎ßnahme getroffen, die zur Armutsreduzierung bei den älteren Personen entscheidend beigetragen hat: die Einführung der sozialen Mindestrente. Und dieser Pauschalbetrag liegt derzeit bei etwa 415 Lei, nicht einmal 100 Euro. Seien wir ehrlich! 100 Euro bieten kein anständiges Leben, aber es ist doch eine Verbesserung gegenüber vorigen Jahren.“




    Angesichts fehlender Strategien der für den sozialen Schutz zuständigen Behörden versucht die Zivilgesellschaft Abhilfe zu schaffen. Allein im vergangenen Jahr gelang es Free Mioriţa“ Solarstrom-Anlagen für 78 Haushalte in 15 Landkreisen zu liefern. Damit trug die Stiftung zur Elektrifizierung von vier Schulen und zwei Kirchen bei.

  • Reform im Gesundheitswesen: Vorstellungen gehen teils auseinander

    Reform im Gesundheitswesen: Vorstellungen gehen teils auseinander

    Rumäniens Gesundheitswesen gleicht einem Schlachtfeld. Oder einer Baustelle. Mehrere Medien- und Justizskandale hatten die Branche unlängst erschüttert. Etwa der Skandal um die verdünnten Desinfektionsmittel oder diverse Korruptionsvorwürfe gegenüber Krankenhausleitern. Der einstimmige Tenor lautet: Das System muss überdacht oder reformiert werden. Doch wie und wann soll die Reform Konturen annehmen?



    Die Meinungen gehen erst dann auseinander, wenn es um die Strukturierung der Reform im rumänischen Gesundheitswesen geht. Der erste logische Schritt einer Lösungsfindung, die Befragung der Systemteilnehmer selbst, ist bereits getan. Patienten und das medizinische Personal waren die Zielgruppe einer Umfrage der Europäischen Stiftung für Fortschrittliche Studien in Brüssel, der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien und der Stiftung der Demokratischen Linken. Laut der Studie seien 54% aller Rumänen zufrieden mit den staatlichen Krankenhäusern, die restlichen 46% bezeichneten sich als unzufrieden.



    Der höchste Zufriedenheitsgrad war bei den Personen im Alter zwischen 50 und 80 Jahren anzutreffen. Nur 43% der jungen Rumänen sind indes zufrieden mit der Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern. Nach den Hauptursachen der Unzufriedenheit haben wir uns beim Soziologen Iulian Stănescu erkundigt.



    Das erste Kriterium ist die Sauberkeit, die Desinfektion, die für über 80% der Umfrageteilnehmer ein Problem darstellt. Ebenfalls 80% haben auf die mangelhafte Qualität der Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern hingewiesen. Hinzu kommt auch das Problem der inoffiziellen Zahlungen. Weniger als ein Fünftel aller Befragten ist völlig oder teilweise mit der Aussage einverstanden, dass eingelieferte Patienten gut beraten seien, dem Personal Gefälligkeiten oder Geschenke anzubieten. Trotzdem zeigen Daten der qualitativen Erhebung, dass es sich dabei um ein weit verbreitetes Phänomen handelt und dass die Bürger die Situation stillschweigend hinnehmen, mit der Begründung, dass es gang und gäbe sei.“




    Aus den detaillierten Gesprächen mit den Befragten sei auch ihre Wahrnehmung der Probleme im Gesundheitswesen hervorgegangen, bzw. die Art, wie sie die Ursachen dafür sehen, sagt Iulian Stănescu.



    Aus der qualitativen Erhebung sind mehrere Probleme hervorgegangen. Das fehlende medizinische Personal und dessen fehlende Motivation, die fehlende Ausstattung, die Überbelegung, die Wartezeiten, die Bürokratie, das schlechte Management, die Entlohnung. All diese Probleme haben nach Ansicht der Befragten eine Ursache: die Unterfinanzierung. Im vergangenen Jahr konnten etwa einem Drittel aller Patienten nicht die benötigten Untersuchungen angeboten werden. Das, weil die Labore überbelegt waren oder über keine Finanzmittel mehr verfügten.“




    Ein Teil dieser Probleme könne als fehlender Zugang zur medizinischen Handlung“ zusammengefasst werden, bestätigt auch Vasile Barbu, der Vorsitzende des Landesverbandes für Patientenschutz.



    Die grö‎ßten Probleme treten dann auf, wenn man nach einer Erkrankung nach Anbietern von medizinischen Diensten suchen und Zugang zur medizinischen Handlung haben möchte. Das ist für einen Patienten das grö‎ßte Problem. Viele Ärzte sind ausgewandert und es sind nur wenige Fachkräfte geblieben. Nach der ärztlichen Untersuchung durch einen Facharzt müssen die diagnostischen Tätigkeiten bei einem weiteren Fachmann fortgesetzt werden. Und das kostet in diesem Fall viel Geld, es handelt sich um Summen, die unsere Möglichkeiten sprengen. Da wird die medizinische Handlung automatisch beeinträchtigt.“




    Dank dem System der staatlichen Krankenversicherung hat ein rumänischer Staatsbürger Anspruch auf ein festgelegtes Paket an medizinischen Dienstleistungen. Dafür müssen die Versicherten und ihre Arbeitgeber jeweils einen Beitrag aus dem Bruttolohn an die Krankenkasse abführen: 5,5% beträgt der Anteil der Arbeitnehmer und 5,2% der Beitrag der Arbeitgeber. Allerdings reichen die Beiträge oftmals nicht aus. Die Patientenverbände beabsichtigten dennoch nicht, das aktuelle System zu verändern, erklärt Vasile Barbu vom Patientenschutzverband.



    Theoretisch gibt es ein äu‎ßerst gro‎ßzügiges Dienstleistungspaket. Doch in Wirklichkeit hat man keinen Zugang dazu. Es gibt unterschiedliche Hindernisse für den Patienten, bürokratischer oder finanzieller Art, dadurch wird ihm der Zugang zu den Dienstleistungen verwehrt, für die er versichert ist. Es ist sehr wichtig, dass wir ein Krankenversicherungssystem haben, das vor allem auf soziale Solidarität gestützt ist.“




    Derweil hat das medizinische Personal seine ganz eigenen Vorstellungen. Das Thema haben wir gemeinsam mit der Ärztin Eleodor Cârstoiu angeschnitten, der Vertreterin der Ärztegewerkschaft ROMEDICA.



    Das erste Problem hängt mit unserer Tätigkeit zusammen, die Arbeitsnormen für einen Arzt, einen Assistenten oder eine Pflegekraft erforderlich macht. In Rumänien gibt es diese Arbeitsnormen nicht. Derzeit arbeiten wir entsprechend der Anzahl der Betten, was mit der medizinischen Tätigkeit im heutigen Rumänien nichts mehr zu tun hat. Die medizinische Tätigkeit hat sich in den letzten 30 Jahren weiterentwickelt, wobei in den letzten 10 Jahren die bürokratische Arbeit hinzugekommen ist, was unsere Arbeit erschwert. Die Anzahl der auszufüllenden Dokumente ist zumindest in den letzten Jahren exponentiell gestiegen.“




    Laut Angaben der Gewerkschaften der Branche könnten derartige Probleme allein durch eine Überarbeitung der Gesetzgebung behoben werden. Dabei müsste man auch den Kunstfehler genauer definieren, glaubt Dr. Eleodor Cârstoiu.



    Die geltende Gesetzgebung ist völlig unbefriedigend und lässt Missbrauchssituationen zu, in denen die Ärzte unter einer ständigen Bedrohung leben. Deshalb müssen Kunstfehler in einem eigenen Gesetz gemä‎ß europäischen Standards erfasst sein. Und das dritte Problem, das uns beschäftigt, ist die Ausbildung des medizinischen Personals. Nach dem sechsjährigen Studium wird den Absolventen überhaupt keine Qualifikation eingeräumt. Nach dem Medizin-Studium erhält man ein Diplom aus Pappe, mit dem man seinen Beruf nicht ausüben darf. Wir wollen, dass sich das ändert. Nach dem Studium folgt eine Vorbereitungszeit zwischen 3 und 7 Jahren, in der man sich als Assistenzarzt auf einen bestimmten Fachbereich der Medizin spezialisiert. Und diese Vorbereitung ist völlig unbefriedigend. Darüber hinaus muss ein Arzt sein Leben lang lernen. Die berufliche Fortbildung erstreckt sich über die gesamte Karriere und wir glauben, dass sie besser organisiert werden sollte.“




    Ungeachtet der möglichen gesetzlichen Veränderungen dürfe die Finanzierung des Gesundheitswesens nicht darunter leiden, glauben die Interessenvertreter der Patienten. Laut der Studie der Europäischen Stiftung für Fortschrittliche Studien glauben 44% der Befragten, dass sich das Gesundheitswesen grö‎ßtenteils über öffentliche Gelder finanzieren sollte. Weniger als ein Viertel der Umfrageteilnehmer gab an, dass eine überwiegend oder ganz private Finanzierung der Gesundheit förderlich sei. Damit gibt es dreimal so viele Anhänger des staatlichen Gesundheitswesens als Befürworter eines privaten Systems.

  • Umfrage unter Jugendlichen: Bessere Bildungschancen, soziale Ungleichheiten

    Umfrage unter Jugendlichen: Bessere Bildungschancen, soziale Ungleichheiten

    Die bedeutendsten Probleme Rumäniens sind die Korruption, die Armut und die Sorgen um den Arbeitsplatz — so die Ergebnisse einer Umfrage unter Jugendlichen, die vom Meinungsforschungsinstitut CURS im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wurde. Der Bericht fasst die Hauptbeschäftigungen und Interessen der jungen Rumänen im Alter von 15 bis zu 29 Jahren zusammen.



    Mehr als die Hälfte der Jugendlichen in Rumänien ist der Meinung, dass das Land sich nicht auf dem richtigen Weg befindet. Die meisten sind von den bedeutendsten politischen Institutionen und von den jungen Politikern enttäuscht. Fast die Hälfte der Jugendlichen wohnt noch mit den Eltern. Das Heiratsalter steigt von Jahr zu Jahr. Die Einkommen der jungen Angestellten oder Mitarbeiter sind sehr unterschiedlich und hängen vom Alter ab. Die Männer verdienen mehr als die Frauen, die Stadt- mehr als die Dorfbewohner, die Jugendlichen in Bukarest mehr als die Jugendlichen in der Moldau. Der Soziologe Radu Umbreş erläutert die Ergebnisse:



    Über drei Viertel der befragten Personen meinen, dass heute folgendes modisch sei: gut auszusehen, unabhängig und frei zu sein, Sport zu treiben und eine Karriere zu haben. Diese sind individualistische Eigenschaften, besonders wenn wir sie mit anderen Sachen vergleichen wie: Treue, Heirat, Teilnahme an ehrenamtlichen Tätigkeiten. Diese Tendenz kann besonders bei der Bukarester Jugend bemerkt werden. Die Damen wünschen sich mehr als die Männer, eine Hochschule zu besuchen und in einer Beziehung treu zu sein. Hinsichtlich des materiellen und kulturellen Konsums der Familien, in der die Jugendlichen leben, bemerkt man einen bedeutenden Unterschied zwischen den Jugendlichen, die in der Stadt leben, und jenen, die auf dem Dorf wohnen. Die Stadtjugendlichen gehören Familien an, die durchschnittlich um 300 Lei mehr (ca. 70 Euro) als die Familien auf dem Dorf ausgeben. Der Unterschied weitet sich auch auf den Gebrauch von Kulturgütern aus. 27% der Stadtjugendlichen haben mehr als 100 Bücher im Haus, während auf dem Dorf nur 19% der Jugendlichen diese Bücheranzahl besitzen. 8,6% der Dorfjugendlichen haben überhaupt kein Buch im Haus, im Vergleich zu 4,4% in der Stadt.“




    Die Jugendlichen verbringen im Vergleich zu den Erwachsenen mehr Zeit im Internet als vor dem Fernseher. Das Internet wird meistens für Unterhaltung, Sozialnetzwerke, Videos gebraucht. Erst danach folgt die Information. Die Jugendlichen haben nach 1989 eine bessere Bildung im Vergleich zu den Eltern — so der Bericht. Fast die Hälfte der befragten Personen besucht eine Ausbildungsstätte. Davon gehen zwei von drei in die Schule, aufs Gymnasium oder machen eine Lehre in Berufsschulen. Fast 30% besuchen eine Uni, während 7% ihr Master-Studium oder den Doktor machen. In Siebenbürgen bevorzugen die Jugendlichen die Berufsschulen, während die Bukarester Jugendlichen mehr eine postgraduale Bildung wünschen. Nur ein Jugendlicher von drei ist mit dem rumänischen Unterrichtssystem zufrieden. Die Dorfjugend ist zufriedener. Soziologe Radu Umbreş dazu:



    Obwohl der Grad der Hochschulausbildung heute erheblich zugenommen hat, bemerkt man eine stark konservative Tendenz in der Einstufung der Bildung. Anders gesagt: Die Eltern mit einer guten Bildung erziehen ihre Kinder so, damit sie auch zu Bildungsbürgern werden. 70% der Jugendlichen, die eine Uni besucht haben oder besuchen, haben Eltern, die ebenfalls eine Uni absolviert haben. 82% der Jugendlichen, die nur eine Berufsschule besucht haben, kommen aus Familien, in denen der Vater ein niedriges Bildungsniveau hat. Die Arbeitsplätze an der Spitze der Pyramide werden von gebildeten Jugendlichen belegt. Diese Zahlen zeigen eine soziale Ungleichheit: Vorteile und Nachteile in der Bildung werden von einer Generation auf die andere übertragen.“




    Und nun zum Arbeitsmarkt. Ein Jugendlicher von drei hat einen Vollzeitjob, einer von zehn arbeitet in Teilzeit und mehr als die Hälfte gar nicht. Die rumänische Jugend meint, die persönlichen Beziehungen seien für einen Arbeitsplatz wesentlich. Diese werden von der Erfahrung und der Bildung gefolgt. Die bedeutendste Rolle bei der Wahl eines Arbeitsplatzes spielt das Gehalt. Die meisten Jugendlichen wollen in der Privatwirtschaft tätig sein, während über 20% der Jugendlichen, besonders Männer über 25 Jahre in Bukarest, ein eigenes Geschäft starten wollen. Rund 40% der Jugendlichen sagten, sie würden im Ausland arbeiten oder studieren. Die meisten wollen im Westen der EU, Gro‎ßbritannien, Deutschland und den Vereinigten Staaten aktiv sein.



    Über 80% der Jugendlichen sind orthodoxen Glaubens, ein Drittel glaubt nicht an Gott, ist aber gegen Schwangerschaftsabbruch. Der Soziologe Daniel Sandu dazu:



    Wir haben ein kleines Problem in Rumänien, was den Schwangerschaftsabbruch anbelangt. Es geht um die Gesetzgebung. Über 50% der Jugendlichen meinen, das heute gültige Gesetz müsse verändert werden. 19% wünschen das totale Verbot der Abtreibung und über ein Drittel (37%) sind mit der Abtreibung in Notsituationen einverstanden. In Rumänien sind sowohl Frauen als auch Männer gegen die Abtreibung. In der Welt aber merkt man, dass der Schwangerschaftsabbruch eher als ein Problem der Frauen betrachtet wird.“




    Sehr viele Jugendliche sind der Auffassung, sie werden ein besseres Leben als ihre Eltern haben. Dieses Vertrauen kommt von den Möglichkeiten, die die Bewegungsfreiheit in der EU bietet, erklären die Autoren der Studie.

  • Demographischer Wandel: Rumäniens Bevölkerung altert

    Demographischer Wandel: Rumäniens Bevölkerung altert

    Vielen Fachstudien zufolge nimmt die Alterung der Bevölkerung zu. Mehr alte Menschen stellen eine erhebliche Herausforderung für die Sozialhilfe-, Renten- und Gesundheitssysteme dar, sowohl in Entwicklungsländern als auch in entwickelten Staaten. Die jungen Angestellten von morgen werden immer mehr Rentner unterstützen müssen. Laut Eurostat werde in den nächsten Jahrzehnten mehr als ein Drittel der Bevölkerung Europas über 60 Jahre alt sein.



    Auch in Rumänien wird die Alterung der Bevölkerung zunehmen. Die Geburtenrate sinkt und die Lebenserwartung steigt laut dem Bericht Rumänien altert — Herausforderungen und Lösungen“, der vor Kurzem von der Friedrich-Ebert-Stifung in Rumänien veröffentlicht wurde. Laut der Volkszählung von 2011 seien 16,1% der Rumänen über 65 Jahre alt. Die Prognosen zeigen, dass die Zahl der alten Personen weiter steigen wird. Die Friedrich-Ebert-Stiftung wollte erfahren, was sich hinter den Zahlen und statistischen Daten versteckt. Das Projekt wurde von den Journalisten Laurenţiu Diaconu Colintineanu und Ioana Moldovan durchgeführt und präsentiert Lebensgeschichten alter Menschen.



    Ioana Păunescu ist 101 Jahre alt und war die erste Ingenieurin für Elektromechanik in Rumänien. Sie hat zwei Weltkriege miterlebt und mit 73 hat sie das zweite Mal geheiratet, um nicht allein zu sein:



    Wir waren beide verwitwet und haben uns geeinigt, nicht alleine zu bleiben. Wir sind seit 28 Jahren verheiratet. Wir sind beide 101 Jahre alt. Es waren normale Jahre. Jetzt fällt es uns schwer, weil mein Mann an Alzheimer erkrankt ist, ich muss auf ihn aufpassen. Er spricht nicht mehr, wir können folglich nicht mehr diskutieren. Es ist schwer. Mir wird geholfen, weil ich nicht mehr allein kochen kann, meine Hände und meine Füsse helfen mir nicht mehr. Ohne Unterstützung kann ich nicht mehr gehen.“




    Eine andere Kategorie von alten Menschen sind diejenigen, die von anderen Familienmitgliedern gepflegt werden. Laura T. ist 52 Jahre alt und ihr Leben änderte sich komplett, als ihre 89jährige Mutter einen Oberschenkelknochenbruch erlitt. Sie konnte sich nicht leisten, einen Pfleger oder eine Pflegerin für ihre Mutter anzustellen. Deshalb teilt sie ihre Zeit täglich zwischen ihrer Mutter und ihrer eigenen Familie:



    Es ist ziemlich schwer, weil ich auch einen Job und eine eigene Familie habe. Es ist schwer, alles zu erledigen. Wir haben zum Glück zwei Wohnungen auf derselben Etage. Wir haben uns gedacht, Hilfe zu holen, wir haben nachgerechnet und sind zur Schlussfolgerung gekommen, dass wir uns das nicht leisten können. Ich mache, was ich auch immer kann. Ich helfe ihr. Wahrscheinlich bräuchte sie jemanden, der mehr mit ihr diskutiert. Ich habe aber keine Geduld mehr und auch keine Zeit dazu. Psychisch leide ich darunter, weil es sich um einen fortschreitenden, langsamen und unheilbaren physischen Verfall handelt.“




    In Rumänien gibt es lediglich 131 Altersheime mit insgesamt 7152 Betten. Petru Rotarciuc ist 63 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim in der Kommune Leorda, im nordöstlichen Landkreis Botoşani. Das Personal besteht hier aus einer Assistentin und zwei Krakenschwestern, die 70 Personen pflegen. Petru Rotarciuc ist hier zufrieden:



    Ich bin arbeitslos geblieben. Wo ich auch immer nach Arbeit suchte, sagte man mir, ich sei zu alt. Ich konnte für meine Wohnung nicht mehr zahlen und bin auf der Stra‎ße gelandet. Mehr als ein Jahr habe ich auf der Stra‎ße gelebt. Jemand vom Landkreisrat hat mich hierher gebracht. Es ist besser hier als auf der Stra‎ße, im Wind und Regen. Hier habe ich ein Dach über dem Kopf. Wenn ich in Rente gehe, werde ich hier bleiben. Ich war verheiratet, meine Frau ist gestorben. Ich habe drei Kinder, sie sind weg und ich habe von ihnen nichts mehr gehört. Ich habe sie gesucht, aber nicht gefunden. Ich vermisse sie. Ich brauche nichts, würde sie aber gerne sehen und mit ihnen reden.“




    Der Bericht Rumänien altert“ beinhaltet jedoch auch optimistische Daten: Die Armutsquote der alten Menschen (über 65 Jahre alt) ist in Rumänien von 65% im Jahr 2007 bis auf 35% im Jahr 2013 gesunken. Auch so liegt diese Quote doppelt so hoch als der EU-Durchschnitt, der bei 18% liegt. Ein positives Element war die Einführung der Mindestrente von 356 Lei (ca. 80 Euro) im Jahr 2009. Knapp eine halbe Million Rentner bekommen diese Mindestrente. 123.000 dieser Rentner sind Landwirte. Grund zur Besorgnis gibt es nach wie vor, meint Victoria Stoiciu, Programm-Koordinatorin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung:



    Wir haben weiterhin eine der kleinsten staatlichen Renten in der EU und eine der kleinsten Übergangsraten — das Verhältnis zwischen der Durchschnittsrente und dem Durchschnittslohn. Ein anderer Grund zur Besorgnis ist die starke Polarisierung. 81% der Rentner bekamen im Jahr 2009 weniger als 1000 Lei im Monat. Ein Viertel der Rentner haben eine Rente, die unter dem Warenkorb-Wert liegt, unter 444 Lei. 40% der Rentner, das sind 2 Millionen Menschen, bekommen eine Rente, die unter der Subsistenzgrenze von 587 Lei liegt. 98% der ehemaligen Landwirte bekommen eine solche Rente.“




    Rumänien braucht mehrere Pflegeheime und mehr qualifiziertes Personal. Die meisten Rentner können sich die privaten Altersheime nicht leisten. Das sind nur ein paar der Probleme, mit denen sich die betagten Menschen in Rumänien konfrontieren.

  • Hörerpostsendung 26.01.2014

    Hörerpostsendung 26.01.2014

    Liebe Freunde, herzlich willkommen zur wöchentlichen Hörerpostsendung von RRI. Ihr Postbote begrü‎ßt Sie aus einem verschneiten Bukarest mit eisigem Wind, der die gemessenen -7 Grad zu gefühlten -14 Grad Celsius werden lässt. In unserer Redaktion mit undichten Fenstern ist es nicht gerade angenehm, aber zumindest im Studio herrscht angemessene Wärme — die Technik darf man offenbar keinen Temperaturschwankungen aussetzen, Menschen müssen aber damit leben.



    Hei‎ß scheint hingegen die Debatte in Deutschland über Migranten aus Rumänien und Bulgarien seit Wochen und Monaten zu sein. Man spricht im Zusammenhang mit Zuwanderern aus den genannten Ländern von Armutsmigration“ und Sozialtourismus“, und einige Politiker schüren Ängste vor einem Missbrauch der Sozialsysteme“ Deutschlands oder sprechen sogar von Betrug.



    Das Thema interessiert auch unsere Hörer, denn wir haben mehrere Zuschriften und Meinungen dazu erhalten. So etwa bittet uns Heiner Finkhaus (aus Gescher, NRW), auch in den nächsten Monaten aus rumänischer Sicht zu berichten:



    Sie sprachen in Ihren Sendungen das Thema der Freizügigkeit von Arbeitnehmern in Europa an. Ich hoffe, Sie begleiten dieses Thema auch in den nächsten Monaten. Ich denke, die Ängste, die in einigen Städten in Deutschland aufkommen, sind leider teilweise berechtigt, sieht man sich dort die momentane Situation an. Hoffentlich zeigt uns die Zeit, dass die Bedenken grundlos waren.




    Klaus Pfahl (aus Elsnigk, Sachsen-Anhalt) findet die Aufregung übertrieben und kritisiert die Politiker, die sich damit profilieren möchten:



    Ich selbst möchte mal kurz meine eigene Meinung zu Ihren Nachrichtenmeldungen über die — wie man hier in Deutschland so schön sagt — Angst vor einer Armutseinwanderungswelle“ ab Januar 2014 sagen. Ich verfolge diese Diskussion täglich mit und es ist erbärmlich, wie einige deutsche Politiker sich damit ins rechte Licht rücken wollen. Aber aus Erfahrung wei‎ß man, dass diese Diskussionen in Kürze im Sande verlaufen werden und es wird sein, wie es immer war.




    Ralf Urbanczyk (aus Eisleben, Sachsen-Anhalt) vergleicht die derzeitige Diskussion mit jener aus der Zeit, als die Freizügigkeit für Bürger anderer neuer EU-Staaten eingeführt wurde, ohne dass es zu einer massenhaften Einwanderung in die Sozialsysteme gekommen wäre:



    In Ihren Sendungen gingen Sie auch schon auf die Debatte über möglichen Sozialmissbrauch durch rumänische Einwanderer in Deutschland ein. Ich finde diese Diskussion einfach unterirdisch.



    Sozialmissbrauch gab es immer und wird es immer geben, besonders in solch komplexen Strukturen wie der EU. Dazu existieren in der EU und in Deutschland genügend Gesetze, welche diesen ausschlie‎ßen sollen. Es ist ein absolutes Armutszeugnis von den Politikern, profilierungssüchtig gegen Rumänen und Bulgaren zu schimpfen, statt sich konstruktiv mit den eigenen Gesetzen auseinanderzusetzen. Und dann noch allen Rumänen und Bulgaren pauschal Sozialtourismus zu unterstellen, das ist einfach gelogen. Ich bin mir ziemlich sicher, diejenigen Rumänen und Bulgaren, welche sich in Deutschland Sozialleistungen erschleichen, sind die gleiche Klientel, die es auch in ihren Heimatländern machen. Also keineswegs die Mehrheit der Leute, welche für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten.



    Ich kann die Probleme mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren nirgendwo ausmachen. Als vor einigen Jahren diese Freizügigkeit für Länder mit ähnlichen Einkommensverhältnissen und Sozialleistungen, also zum Beispiel die Slowakei oder Lettland, eingeführt wurde, gab es auch keine massenhafte Einwanderung in die Sozialsysteme, obwohl die Einkommen in diesen Ländern weiterhin auf ähnlichem Niveau wie in Rumänien sind. Und die Beträge, welche am Ende aus den deutschen Sozialkassen für Migranten ausgegeben werden, sind gar nichts gegen die Summen, welche in die Rettung heruntergewirtschafteter Banken gesteckt wurden. Darüber wird dann der Mantel des Schweigens gelegt.




    Auch Lutz Winkler (aus Schmitten im Taunus, Hessen) ist gut informiert und lässt sich von einigen Medien, welche nur Stimmungsmache veröffentlichen, nicht beirren:



    Rumänien ist derzeit mit seinen Menschen in aller Munde. Die Diskussion über die europäische Freizügigkeit nimmt hier groteske Züge an. Einerseits möchte man nur die fertig ausgebildeten und studierten Menschen in Deutschland empfangen — andererseits aber bitte nicht jemand, der hier Arbeit suchen könnte. Die Stammtischparolen ziehen sich durch die Medien und gerade die Presse im Rhein-Main-Gebiet druckt nun flei‎ßig Leserbriefe ab, für die ich mich schäme. Weiter rechts geht es nicht mehr, der Populismus siegt.



    Wenn ich sehe, wie ausländische Arbeitskräfte im Pflegebereich ausgenutzt werden — und auch in deutsche Sozialsysteme einzahlen — und wie dann über diese Menschen gesprochen wird, dann frage ich mich, ob die Menschen Europa wirklich wollen. Ich habe mich geschämt, als jetzt in Frankfurt eine “Behausung” entdeckt wurde, in der Rumänen ihr Leben verbringen mussten. Die Behausungen waren ca. 1,50 m hoch und standen im Wasser. Ungeheizt natürlich. Angeblich hätten es die Rumänen darin besser als zu Hause.



    Ich hoffe, dass dieser Fremdenhass und die von deutschen Politikern geschürten Ängste bald aufhören und die Vernunft wieder einzieht. Denn seit der Freizügigkeit ist nichts passiert: keine Autokolonnen aus Rumänien und Bulgarien wurden entdeckt und bei 1,01 Mio. Menschen, die im Jahr 2013 nach Deutschland gekommen sind, gibt es auch 700.000 Menschen, die Deutschland wieder verlassen haben. Netto 300.000 Menschen sind also nach Deutschland gekommen — und sicher nicht nur Arbeitslose, die sich an den Sozialsystemen bereichern wollen. Aber Populismus war schon immer keine gute Diskussionsgrundlage.




    Fritz Andorf (aus Meckenheim, NRW) konnte hingegen den Meldungen in deutschen Medien auch positive Informationen entnehmen, die der These vom Sozialtourismus im Kern widersprechen:



    Leider spricht man in Deutschland im Zusammenhang mit Bulgarien und Rumänien zurzeit immer nur von Sozialtourismus. Dabei sollte man doch erst einmal abwarten, wie sich die Freigabe der Arbeitsmöglichkeit für diese Länder in der EU überhaupt auswirkt. Gerade heute ging eine Meldung durch die Medien, nach der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien beruflich deutlich besser qualifiziert sind als Migranten aus anderen Ländern. Also wozu dieses Geschrei schon jetzt?




    Liebe Freunde, vielen Dank für die vielschichtigen, differenzierten und vor allem gut fundierten Meinungen. Ich wei‎ß, dass das Thema sehr umstritten in Deutschland ist — der Begriff Sozialtourismus“ hat es übrigens zum Unwort des Jahres 2013 geschafft, wie Sie sicher wissen. Ich habe die Diskussion über Migration aus Rumänien und Bulgarien in den letzten Wochen und Monaten mitverfolgt — dank Internet besuche ich fast täglich die Online-Portale der grö‎ßeren überregionalen Publikationen in Deutschland. Darüber hinaus wollte es der Zufall, dass mir eine unlängst ausgearbeitete Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien vorliegt, die Begriffe und Wendungen wie Armutszuwanderung“, Sozialtourismus“, Missbrauch sozialer Leistungen“ nicht nur bedenklich findet, sondern auch auf deren Wahrheitsgehalt überprüft. Dabei greifen die Autoren auf Zahlen und Berichte aus Quellen zurück, deren Zuverlässigkeit niemand ernsthaft bestreiten dürfte: das Statistische Bundesamt, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Institut zur Zukunft der Arbeit (Bonn), das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), die OECD u.a.m. Autoren der besagten Abhandlung sind Matthias Jobelius, der Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien und der Republik Moldau, und Victoria Stoiciu, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Publikation ist öffentlich, trotzdem habe ich auch die ausdrückliche Erlaubnis der Autoren bekommen, relevante Stellen aus dem Dokument mit dem Titel Die Mär vom »Sozialtourismus«“ in der Sendung zu zitieren. Und auch Verweise auf andere Quellen sollen nicht fehlen.



    Zum einen ist es nicht verwunderlich, dass das Wohlstands- und Einkommensgefälle zwischen West- und Mittelost- bzw. Südosteuropa Migration fördert. Schlie‎ßlich gab es ähnliche Wanderungsbewegungen zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Seit Jahren und schon lange vor dem EU-Beitritt arbeiteten rumänische EU-Bürger als Akademiker, Facharbeiter, Auszubildende, Selbständige und Saisonarbeiter im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland. Seit dem 1. Januar 2014 können nun auch Rumänen ohne berufsqualifizierenden Abschluss uneingeschränkt in Deutschland arbeiten. Die Gründe für die Abwanderung rumänischer Arbeitskräfte sind komplex, den Autoren der Studie zufolge gingen und gehen die meisten Rumänen ins Ausland, um sich bessere Arbeitsmöglichkeiten und Einkommenszuwächse zu eröffnen. Dies liege an den niedrigen Löhnen und unzureichenden Beschäftigungsperspektiven in einem typischen Transformationsland wie Rumänien, so die Autoren der Studie.



    Doch bevor man meint, endlose Kohorten von Migranten aus Rumänien würden sich nach Deutschland in Bewegung setzen, sollte man sich Zahlen anschauen. Seit 2001 sind Italien und Spanien die mit Abstand wichtigsten Zielländer für rumänische Migranten. Sie nehmen zusammen jährlich zwischen 60 bis 80 Prozent aller rumänischen Zuwanderer auf. Wichtige Gründe für die Attraktivität beider Länder sind die Sprachverwandtschaft sowie die existierenden Netzwerke und gro‎ßen rumänischen Diaspora-Gemeinden in beiden Ländern. Deutschland liegt auf der Liste der Zielländer rumänischer Migranten zwar auf Platz drei, jedoch weit abgeschlagen hinter Spanien und Italien. Während in Spanien und Italien in den Jahren 2012 und 2013 jeweils über 900.000 bis knapp 1.000.000 Rumänen lebten, waren es 2012 in Deutschland etwa 205.000 und im Oktober 2013 ein wenig mehr als 262.000. Trotzdem lässt sich nicht von der Hand weisen, dass auch Deutschland als Zielland allmählich attraktiver für rumänische Migranten wird. Die Zahl der Zuwanderer aus Rumänien hat sich seit 2010 verdoppelt.



    Und nun zu den Qualifikationen und Tätigkeiten rumänischer Zuwanderer in Deutschland. In Deutschland gehören rumänische Staatsbürger zu den qualifizierten und gut integrierten Zuwanderungsgruppen. Zwar sei das Qualifikationsniveau der Migranten aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland etwas niedriger als das von Migranten aus den mittelostosteuropäischen Ländern, die 2004 der EU beigetreten sind, jedoch liege es höher als das Qualifikationsniveau südeuropäischer EU-Bürger, die nach Deutschland kommen, schreiben die Autoren der Friedrich-Ebert-Stiftung und berufen sich dabei auf einen Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Beschäftigungsstruktur der rumänischen und bulgarischen Arbeitsmigranten im EU-Ausland sieht folgenderma‎ßen aus: Der überwiegende Teil ist im Bausektor (21,2 Prozent), in Privathaushalten und der häuslichen Pflege (17,5 Prozent) sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe (14,2 Prozent) tätig. 14 Prozent der Auswanderer gelingt es, im Ausland einer im Vergleich zum Heimatland höher qualifizierteren Tätigkeit nachzugehen. Für je 22 Prozent bleibt das Tätigkeitsniveau gleich, weitere 22 Prozent arbeiten im Zielland in niedriger qualifizierten Jobs, 36 Prozent gingen zuvor in Rumänien keiner Tätigkeit nach.



    Die generell überdurchschnittliche bis höhere Qualifikation vieler rumänischer Arbeitsmigranten bestätigen auch andere Quellen. Laut einer Statistik, die der Zeit“ vorlag, kommen aus keinem anderen Land so viele Ärzte nach Deutschland wie aus Rumänien. Rund 2.700 Ärzte rumänischer Herkunft waren im Jahr 2012 in Deutschland tätig. Und laut Berechnungen des Deutschen Instituts der Wirtschaft (IW) in Köln zahle sich die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien unter dem Strich aus: Knapp 25 Prozent der erwachsenen Zuwanderer aus diesen Ländern besitzen einen akademischen Abschluss; unter den Zuwanderern insgesamt sind es 29 Prozent, innerhalb der Gesamtbevölkerung in Deutschland aber nur 19 Prozent. Besonders positiv für die Innovationskraft der Bundesrepublik wirke sich aus, dass rund 10 Prozent aller erwachsenen Zuwanderer über einen Hochschulabschluss in einem sogenannten MINT-Fach verfügen. Sie sind also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik qualifiziert. Unter den Rumänen und Bulgaren liegt dieser Anteil bei gut 8 Prozent, während es in der Gesamtbevölkerung nur 6 Prozent sind, so die Berechnungen des Deutschen Instituts der Wirtschaft (IW) in Köln.



    Zurück zur Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Behauptung, dass Wanderungsbewegungen positiv mit hohen Leistungen für Arbeitslose korrelieren würden und es folglich einen »Sozialstaatstourismus« gäbe, lie‎ße sich kaum empirisch belegen, schreiben die Autoren und berufen sich dabei auf Zahlen vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). In Deutschland sind Rumänen gut in den Arbeitsmarkt integriert. Verglichen mit dem Durchschnitt der Migranten aus den anderen östlichen EU-Mitgliedsländern (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Slowakei, Tschechien und Ungarn) sowie mit südeuropäischen Mitgliedsländern (Griechenland, Italien, Portugal und Spanien) haben Rumänen in Deutschland mit 60,2 Prozent die höchste Beschäftigungsquote. Die Arbeitslosenquote der Rumänen in Deutschland liegt mit 5,3 Prozent unter dem Bevölkerungsdurchschnitt in Deutschland (6,7 Prozent) und deutlich unter dem Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (14,7 Prozent).



    Probleme treten allerdings räumlich begrenzt und konzentriert in strukturschwachen Kommunen auf. Laut einer weiteren Studie des IAB mit dem Titel Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien: Arbeitsmigration oder Armutsmigration?“ weicht die in der Regel gelungene Arbeitsmarktintegration rumänischer Zuwanderer in einigen Kommunen vom Bundesdurchschnitt ab. So liegt die Arbeitslosenquote der Rumänen in Duisburg bei 18,7 Prozent, in Dortmund bei 19,3 Prozent und in Berlin bei 21,6 Prozent. Auch so liegen diese Zahlen aber in allen drei Fällen deutlich unter der Arbeitslosenquote der in diesen Städten lebenden Ausländer; sie zeigen vielmehr, dass in diesen Gegenden die Arbeitsmarktintegration weniger gut gelingt als im Bundesdurchschnitt.



    Und somit kommt man zu Problemen wie Schwarzarbeit, miserable Wohnbedingungen oder unwürdige und ausbeuterische Arbeitsbedingungen, wie sie Lutz Winkler in seinen Zeilen andeutete. Sie treten verstärkt in struktur- und wirtschaftsschwächeren Regionen Deutschlands auf, aber nicht nur dort. Hier darf ich auf eine Expertise im Auftrag des Gesprächskreises Migration und Integration“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn verweisen, die in der anfangs erwähnten Schrift zusammengefasst wird. Im zuletzt erwähnten Dokument ist folgendes zu lesen:



    Insbesondere solche Arbeitnehmer, die bereits in Rumänien im informellen Sektor gearbeitet haben, sind sich ihrer Arbeitnehmerrechte im Zielland oft nicht bewusst. Häufig wird dann nicht geklärt, ob und in welcher Form Arbeitsverträge vorhanden sind, wie die Lohnabrechnung aussieht, wie sich soziale Absicherung, Arbeitsstandards und Arbeitnehmerrechte gestalten. Wenn die betroffenen Arbeitnehmer auf Vermittler, Sub-Unternehmer, Leiharbeitsfirmen oder Arbeitgeber treffen, die bewusst Arbeitsstandards umgehen wollen, bleiben die Rechte von Arbeitsmigranten aus Rumänien oft auf der Strecke. Existieren in den Zielländern deregulierte Arbeitsmärkte, grenzüberschreitende Leiharbeit, ausgeprägte Niedriglohnsektoren, atypische Beschäftigungsverhältnisse (Werkverträge, Sub-Contracting etc.), intransparente oder gar illegale Mechanismen der Arbeitsvermittlung, bis hin zu Menschenhandel, kann sich das Problem verschärfen. Dann treten schnell Situationen ein, in denen rumänische EU-Bürger auch in Deutschland und auch auf dem regulären Arbeitsmarkt unter unwürdigen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu leiden haben.“



    Fazit der Studie: Wie so oft, wenn in Deutschland von »Missbrauch sozialer Leistungen«, »Armutszuwanderung« und »Sozialtourismus« geredet wird, sprechen die Fakten eine andere Sprache. Die Ausführungen haben gezeigt, dass rumänische Staatsbürger in Deutschland zu den vergleichsweise qualifizierten und gut integrierten Zuwanderungsgruppen gehören.“




    Zum Schluss ganz geschwind die Posteingangsliste:


    Von Paul Gager aus Österreich erhielten wir eine Gru‎ßkarte und einen dicken Umschlag mit Ausschnitten aus österreichischen Zeitungen und Magazinen. Weitere Schneckenpost, u.a. auch mit verspätet eingetroffenen Weihnachts- und Neujahrsgrü‎ßen, erhielten wir von Sandro Blatter (aus der Schweiz), Ulrich Wicke, Christoph Paustian, Wolfgang Kühn, Albert Pfeffer, Peter Thränert, Frank Bresonik, Carsten Hartwig, Wolf-Lutz Kabisch, Erhard Lauber, Heiner Finkhaus, Peter Möller (alle aus Deutschland).



    E-Mails erhielten wir bis Sonntagmittag von Iwan Roschkow (Ivan Rozhkov in englischer Transliteration) aus Russland sowie von Hubert Smykalla, Helmut Matt, Bernd, Anna und Willi Seiser, Siegbert Gerhard, Fritz Andorf, Herbert Jörger, Heinrich Eusterbrock, Hendrik Leuker, Volker Willschrey, Andreas Pawelczyk, Dieter Feltes (alle aus Deutschland).



    Audiobeitrag hören: