Tag: Gedächtnis

  • Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Der bereits in den anderen Ländern des ehemaligen Osblocks einsetzende Niedergang des Kommunismus hatte einen hohen Preis in Rumänien — tausende von Opfern, die meisten davon junge Menschen, die mit ihrem Blut vor 30 Jahren Geschichte geschrieben haben. Eine derartige Revolution verändert die Selbstauffassung der gesamten Gesellschaft in Bezug auf ihren eigenen Werdegang.



    Das Gedächtnis hat jedoch subjektive Züge, und jeder Rumäne erinnert sich anders an die Zeit vor Dezember 1989. Im Suţu-Palast in Bukarest fand ein Treffen statt, das sich mit dem Einfluss der persönlichen Archive auf das Image der Osteuropäer im Zusammenhang mit den Veränderungen von 1989, aber auch mit dem alltäglichen Leben dieser Zeit befasste. Raluca Alexandrescu, Universitätsdozentin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Bukarest, spricht über das subjektive Erinnerungsvermögen:



    Es war kalt in den Wohnungen, die Leute standen für alles Mögliche Schlange in den Läden… Wenn ich Leute treffe, die mir erzählen, dass es ihnen während des Ceauşescu-Regimes gut ging, bin ich immer wieder erstaunt, obwohl es viele Arten gibt, sein Leben zu führen. Andererseits ist es aber auch verständlich, dass die Erfahrungen der Einzelnen vor 1989 unterschiedlich sind und miteinander konfrontiert werden müssen. Aus diesem Grund denke ich, dass die heutige Blockade in der Wahrnehmung mit diesem anhaltenden Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erlebnissen der Einzelnen zu erklären ist. Einige sind nostalgisch, andere haben für die Zeit vor Dezember 1989 sogar eine Art Kult entwickelt und wiederum ist es für andere Menschen unvorstellbar, dem Kommunismus und dem Ceauşescu-Regime mit Nostalgie zu begegnen.“




    In der rumänischen Gesellschaft war die weit verbreitete Angst vielleicht das prägendste Gefühl während des Ceauşescu-Regimes. Der von der Securitate betriebene Unterdrückungsapparat war zu einem unsichtbaren, jedoch allgegenwärtigen Feind geworden, und der Mut, öffentlich über die eigenen politischen Überzeugungen zu sprechen, wurde von den meisten Menschen als riskantes Wagnis angesehen. Raluca Alexandrescu bringt weitere Einzelheiten:



    In diesem schizoiden Umfeld, in dem viele von uns aufgewachsen sind, wusste jeder sehr genau, dass es überhaupt nicht ratsam war, das zu Hause in der Familie Besprochene weiterzuerzählen. Dies ist für meine Generation, für die etwas jüngere und insbesondere für die etwas ältere Generation immer noch ein Problem. Wir leben, wir bilden uns und agieren in der Gesellschaft, vielleicht ohne es zu merken, in einem Zustand der Binarität uns selbst gegenüber, aber auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Unser Bezug zur Öffentlichkeit und zur Stellungnahme und Involvierung im öffentlichen Leben ist ebenfalls davon geprägt, ohne dass wir es merken würden.“




    Der Moment der Revolution änderte das Bewusstsein und bestimmte das Leben der Überlebenden. Der Weg zur Demokratie wurde mit der Überwindung der Angst eröffnet. Die rumänischen Bürger gewannen eines der wichtigsten Grundrechte: die Rede- und Meinungsfreiheit. Raluca Alexandrescu dazu:



    Die Erfahrung von 1989 war bis zu einem gewissen Punkt sogar eine unvermittelte. Ich erinnere mich, dass ich am 21. Dezember 1989 mit meinen Brüdern in die Stadt ging, um etwas für Weihnachten zu kaufen. Wer sich noch daran erinnert, dass es damals kaum noch etwas zu kaufen gab, versteht, dass es nur ein Vorwand war, ein wenig aus dem Haus zu gehen. Mein Bruder, meine Schwester und ich gingen zum Universitätsplatz, wo die Menschen bereits zu protestieren begonnen hatten. Ich erinnere mich, dass ich mit 14 Jahren versuchte, ‚Nieder mit dem Kommunismus!‘ und ‚Nieder mit Ceauşescu!‘ zu skandieren. Doch damals und dort, beim Hotel Intercontinental, kam der Ton aus meinen Stimmbändern, aus meiner Kehle nicht raus. Ich war wie versteinert. Es waren etliche Minuten, in denen meine Stimmbänder auf die Befehle des Gehirns nicht mehr reagierten. Ich schrie aber innerlich, und das ist der Moment, an den ich mich als meine kleine innere Revolution erinnere.“




    Anlass des Treffens zur Erinnerung an die Revolution und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige rumänische Gesellschaft war die Ausstellung des amerikanischen Fotografen Edward Serotta. In jenen Dezembertagen 1989 dokumentierte er — der Securitate zum Trotz — die Ereignisse auf der Stra‎ße. Ähnlich war er noch in Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR vorgegangen, wei‎ß Adrian Cioflâncă, Direktor des Zentrums für die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien und Mitglied der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS):



    Edward Serotta hatte mehr Bewegungsfreiheit als zum Beispiel Anne Applebaum, die 1989 zusammen mit einem BBC-Journalisten nach Rumänien kam und am Flughafen von Securitate-Beamten mit riesigen Walkie-Talkies begrü‎ßt wurde, wie in einem albernen Agenten-Film. Die Securitate wollte die beiden Journalisten einschüchtern, sie daran hindern, sich mit einigen Dissidenten zu treffen und einige wichtige Orte aufzusuchen, die mit der antikommunistischen Dissidenz zu tun hatten. Praktisch konnten die beiden ausländischen Journalisten nicht viel erreichen, überall, wohin sie gingen, waren ihnen Securitate-Leute auf den Fersen. Im Fall von Edward Serotta tappte die Securitate in eine Falle. Serotta hat sie hereingelegt, er hat vorgetäuscht, eher an den jüdischen Gemeinden in Rumänien interessiert zu sein. Er kannte allerdings verschiedene Memoiren über Rumänien in der Zwischenkriegszeit.“




    1989 — das Jahr, in dem Europa zu sich selbst wiederfindet“, eine Ausstellung im Museum für die Geschichte der Stadt Bukarest, die in Partnerschaft mit dem Österreichischen Kulturforum organisiert wurde, setzt sich nicht so sehr mit dem Fall des Kommunismus auseinander, sondern dokumentiert vielmehr die Wiederverankerung der Freiheitsidee im kollektiven Denken. Die rumänische Gesellschaft befindet sich immer noch in einem Wandel der Wahrnehmungen, Mentalitäten und der Erinnerungsfähigkeit.

  • District 40: Historisches Viertel von Bukarest durch Kulturprojekte wiederbelebt

    District 40: Historisches Viertel von Bukarest durch Kulturprojekte wiederbelebt

    Das Bukarester Stadtviertel Icoanei soll durch verschiedene Kulturaktionen wiederbelebt werden. Die Veranstalter setzen dabei vor allem auf die Aktivierung des historischen Gedächtnisses. Demnach werden wir in einem ersten Schritt eingeladen, eine Nacht in der Umgebung des Parks Grădina Icoanei zu verbringen. Mehrere kulturinteressierte Leute, aber auch Einwohner des angewiesenen Stadtteils machen dabei mit. Erstmals werden die Tore zu fünf wichtigen Gebäuden in diesem Stadtviertel geöffnet. Sämtliche interessierte Besucher werden demzufolge die Möglichkeit haben, im Zeitraum zwischen 20 Uhr abends und 2 Uhr in der Nacht einen Blick in diese Anwesen zu werfen. Das vom Verein ARCEN umgesetzte Projekt umfasst ein gemeinsames Programm, das sowohl visuelle wie auch auditive Erfahrungen voraussetzt. Dabei sollen verschiedene Workshops, Ausstellungen und Aussprachen veranstaltet werden. Mehr Einzelheiten dazu brachte Edmund Niculuşcă, Mitbegründer von ARCEN:



    ARCEN startet ein Projekt, das einen historischen Stadtteil in Bukarest in den Vordergrund bringt, nämlich das Stadtviertel Icoanei. Das Projekt hei‎ßt District 40. Die Zahl 40 wird dadurch begründet, dass das angewiesene geschützte Areal in Bukarest mit dieser Nummer versehen wurde — nämlich das Schutzgebiet 40. Durch dieses Projekt versuchen wir, das Stadtviertel Icoanei wiederzubeleben, es den Bewohnern von Bukarest näher zu bringen. Dieser Stadtteil hat ein sehr gro‎ßes kulturelles Potenzial. Hier befinden sich viele Theater, Kultureinrichtungen und Kulturinstitute, Architekturbüros, Universitäten, Schulen und Gymnasien. Die Architektur ist ebenfalls überraschend in diesem Stadtviertel. Historisch betrachtet, handelt es sich um ein einst armes, verkommenes Viertel, das sich irgendwann spektakulär entwickelte und eines der vornehmsten Stadtteile in Bukarest wurde. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Stadtviertel Icoanei Eugeniu Carada, der Gründer der Nationalbank, wohnte. Oder Alexandru Marghiloman und Dimitrie Sturdza, zwei ehemalige Premierminister unseres Landes. Ebenfalls hier befindet sich auch die Zentralschule, eine der wichtigsten Mädchenschulen in der Hauptstadt. Dieser Stadtteil hat eine besondere Geschichte.“




    District 40 wurde als offene Plattform gedacht, die den Dialog und die aktive Zusammenarbeit zwischen sämtlichen Organisationen, Gemeinschaften und Kulturinstitutionen im Stadtviertel Icoanei und in der Umgebung erleichtern soll. Sowohl Kulturpersönlichkeiten wie auch die Einwohner des Stadtviertels werden aufgefordert, die Plattform in Anspruch zu nehmen. Mehr dazu von Edmund Niculuşcă:



    Wir haben dieses Projekt in der Nacht vom 19. zum 20. Mai gestartet, anlässlich der Museen-Nacht in Bukarest. Bei dieser Gelegenheit wurden fünf Kulturräume im Stadtviertel Icoanei während des Zeitraums 20.00–02.00 Uhr geöffnet. Das gemeinsame Programm nimmt sich das Thema des Gedächtnisses vor. Die fünf Institutionen, die ihre Tore für das breite Publikum aufmachten, sind: die Zentralschule in der Icoanei-Stra‎ße, das Anwesen Rezidenţa Scena 9 in der Stra‎ße I.L. Caragiale 32, das Französische Institut, die Buchhandlung Cărtureşti und das Gebäude des Kreativzentrums CINETic. Diese Räumlichkeiten werden innerhalb eines gemeinsamen Programms zusammengebracht.“




    Die Besucher werden aufgefordert, in die Geschichte zurück zu schauen und das Thema des Gedächtnisses aus mehreren Perspektiven anzugehen — das Gedächtnis der Architektur und der Stadt, die jüngere Vergangenheit, Erinnerungen an Töne und Stimmen, die Erinnerung an Emotionen und Gedanken. Mehr dazu erneut von Edmund Niculuşcă:



    Wir hoffen, das Interesse vieler Besucher zu erregen. Wir schlagen nämlich einen alternativen Spaziergang durch ein historisches Stadtviertel vor und setzen dabei hohen Wert auf allerlei visuelle und auditive Erfahrungen. Das von uns gewählte Thema — des Gedächtnisses — soll dabei überall erkennbar sein. Es handelt sich nicht um die Perspektive, die einem in der Schule beigebracht wird, sondern vielmehr um persönliche Erfahrungen und um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Es ist eine Herausforderung für die Besucher. In der Zentralschule werden wir zum Beispiel die Besucher ersuchen, uns zu sagen, was sie im Museum ihres Lebens ausstellen würden. Das Gebäude Rezidenţa Scena 9 beherbergt eine Ausstellung rumänischer zeitgenössischer Literaturmanuskripte. Denn unser Gedächtnis legt mit jedem Tag zu, unsere Erinnerungen vermehren sich, und dazu tragen alle Schriftsteller und Künstler bei. In den Räumlichkeiten von CINETic kann die modernste Erfahrung erlebt werden. Da gibt es Video-Mapping und virtuelle Rundgänge. Hier findet hauptsächlich eine philosophische Debatte zwischen dem Gedächtnis, das hängen bleibt, und dem, das durch die nachfolgende Erfahrung ersetzt wird. Die Buchhandlung Cărtureşti bietet einen Rundgang durch die Wohnung des ehemaligen Ministerpräsidenten Dimitrie Sturdza, die heute als Buchhandlung fungiert. Im Französischen Institut werden 50 Jahre seit den Studentenprotesten in Frankreich im Monat Mai des Jahres 1968 gefeiert. Vor diesem Hintergrund fanden mehrere Filmprojektionen sowie eine Mitternacht-Konferenz statt.“




    Das Projekt District 40 wurde von Svetlana Cîrstean und Edmond Niculușcă entwickelt. Die Aktion sei nur ein erster Schritt eines umfangreicheren Programms, so Edmund Niculuşcă:



    Das Stadtviertel Icoanei ist eines der 98 geschützten Gebiete in Bukarest. Bukarest wurde in 98 historischen Stadtteilen unterteilt. Jeder historische Stadtteil zeichnet sich durch besondere Eigenschaften aus und verfügt über Schutzregeln. Das Stadtviertel Icoanei war, wie gesagt, ein in der Vergangenheit verkommenes Viertel, das irgendwann mal eine unglaubliche Entwicklung erfuhr. Es wurde gut bewahrt im Laufe der Zeit und es sagt Vieles über die Identität der Hauptstadt aus. Durch unsere Aktionen versuchen wir, das geschützte Gebiet Nummer 40, also das Stadtviertel Icoanei, wieder zu beleben.“

  • Bukarest: Gedächtnis und Stadterkundung

    Bukarest: Gedächtnis und Stadterkundung

    Memorie” (zu dt. Gedächtnis) ist ein Teilprojekt über das kollektive Gedächtnis Bukarests, das die Kandidatur der rumänischen Hauptstadt um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2021 offiziell macht. Das Projekt läuft an der Gabroveni-Herberge (Hanul Gabroveni), die jüngst restauriert wurde und nimmt die Form einer Trilogie an, die aus folgenden Teilen besteht: Memoria, Explorarea, Imaginarea Oraşului z.d. das Gedächtnis, die Stadterkundung und die Wahrnehmung der Stadt.



    Dabei wird die Stadt sowohl zum Handlungsraum, als auch zum Protagonisten. Bukarest war seinen Schriftstellern gegenüber gro‎ßzügig, hat ihnen erlaubt, sich von ihrem Kern, ihrer Quintessenz zu ernähren, manchmal in einer schmerzhaften Art, und lie‎ß sich ihrerseits, genau wie ein riesengro‎ßer Vogel, von den Schriftstellern ernähren, die über sie geschrieben haben. Sie haben sich dann Teile ihrer Körper weggeschnitten, damit sie der riesengro‎ße Vogel im Gegezug auf seinem Rücken hin und her transportieren kann. Die in Freunde und Feinde der Stadt geteilten Schriftsteller haben sie alle auch mit Gro‎ßzügigkeit und lauter Paradoxen belohnt. Sie haben Bukarest sowohl zum Handlungsraum, als auch zur Hauptfigur gemacht. Sie haben sie gleicherma‎ßen verehrt und verdammt.” Wir haben die Schriftstellerin Svetlana Cârstean zitiert, die Kuratorin der Literaturveranstaltungen, die an der Gabroveni-Herberge stattfinden. Die Schriftstellerin kommt mit Einzelheiten zum Veranstaltungsplan zu Wort:



    Bis Mitte Mai läuft die Etappe Gedächtnis”. Im Vorfeld der Literaturveranstaltungen haben wir die Autoren streng ausgewählt. Wir schlugen den Schriftstellern vor, über Bukarest zu sprechen, während sie sich gegenüber sa‎ßen. Wir stellen sie einander gegenüber, um eine interessante Spannung zu schaffen. Sie bringen dabei widersprüchliche Ideen zum Ausdruck. Einige sagen, dass sie Bukarest ohne Vorbehalt lieben, andere sagen hingegen, dass sie sich gegenüber der Stadt fremd fühlen. Einige, dass sie sich nur hier zu Hause fühlen, während andere der Überzeugung sind, dass sie zu jeder Zeit diese Stadt verlassen könnten. Wir haben der Literatur ein dreitägiges Programm gewidmet. Bei einer der Veranstaltungen waren die Schriftsteller Ioana Pârvulescu und Răzvan Petrescu zu Gast, wobei das Gespräch von der Literaturkritikerin Florina Pârjol moderiert wurde. Dann kam die Debatte Adrian Schiop–Mihai Duţescu, moderiert vom Kritiker Paul Cernat. Alle Schriftsteller, die sich an diesem Projekt beteligen, haben bislang in ihren Prosawerken den Beweis einer äu‎ßerst tiefen Beziehung zu Bukarest gemacht. Eine andere Debatte stellte die Schriftstellerinenn Gabriela Adameşteanu und Simona Sora gegenüber. Das Gespräch wurde von der Literaturkritikerin Andreea Răsuceanu moderiert. Andreea Răsuceanu möchte ich allerdings zu einer Konferenz einladen, weil sie sich als ausgezeichnete Expertin der literarischen Geographie erweist. Sie arbeitet derzeit an einem Buch zum Thema: Bukarest in der zeitgenössischen Literatur, von Mircea Cărtărescu zu Simona Sora.”




    Im Rahmen des Projektes “Gedächtnis” fand auch ein Gedichtmarathon, moderiert von Svetlana Cârstean, statt, woran sich Adela Greceanu, Florin Iaru, Octavian Soviany, Miruna Vlada und Elena Vlădăreanu beteiligten. Die Kuratorin des Events mit weiteren Einzelheiten: “Jeder dieser Schriftsteller hat eingewilligt, seiner persönlichen Beziehung zu Bukarest Ausdruck zu verleihen. Unser Treffen führte folglich zu einem au‎ßergewöhnlichen Resultat und ich möchte das Projekt fortsetzen, weil es so viele Schriftsteller gibt, deren persönliche Erfahrung und Beziehung zu Bukarest ich kennenlernen möchte. Das ist aber nur eines der Projekte. In der Gabroveni-Herberge gibt es auch eine Ausstellung, die ich sehr lieb beigewonnen habe und die mir in der rumänischen Kulturlandschaft wie etwas ganz Au‎ßergewöhnliches vorkommt.



    Es handelt sich um ein kleines Archiv mit alten Bukarest-Fotos. Jeder kann sich eines davon wählen, beim Infokiosk einscannen lassen, und es dann in einem anderen Ausstellungsraum an die Wand kleben und daneben schreiben, was für Erinnerungen das besagte Foto bei ihm weckt. Viele Besucher und auch Schriftsteller haben unseren Vorschlag mit voller Begeisterung angenommen. ”Der erste Teil der der rumänischen Hauptstadt gewidmeten Trilogie, das Gedächtnis der Stadt” nimmt sich vor, eine kognitive und affektive Karte Bukarests zu schaffen. Die Organisatoren spornen die Einwohner dazu an, sich mit Bildern und Videos aus persönlichen Sammlungen, die verschiedene Ausschnitte aus Dokumentationen ergänzen, am Projekt aktiv zu beteiligen. Die Bukarester haben somit auch die Gelegenheit, ihre persönliche Beziehung zu ihrer Stadt zum Ausdruck zu bringen. Svetlana Cârstean erläutert:



    Der Prozess des Gedächtnisses” begann mit ein paar Menschen und wird, meiner Ansicht nach, mit deutlich mehr weitermachen. Darin liegt auch eines der Ziele unseres Projektes und eines der Kriterien, aufgrund derer jede Kandidatur ausgewertet wird: eine möglichst aktive und glaubwürdige Mobilisierung der Gemeinde. Ich wünsche mir, dass nicht nur Künstler über ihr eigenes Bukarest erzählen, selbst wenn dieser Aspekt beim Publikum viel Neugier weckt. Ich fand besonders interessant, als der Prosaschriftsteller Adrian Schiop sagte: wenn ich Geld haben werde, werde ich mir eine Wohnung im Randviertel Ferentari kaufen. Oder wenn jemand anderes darauf erwiderte, dass er möglichst weit weg von Bukarest gehen möchte. Ich bin selber nicht in Bukarest geboren, ich wuchs in Botoşani auf und die ersten Jahre meines Lebens verbrachte ich auf dem Land bei meinen Gro‎ßeltern. Ich habe also dieses Trauma, mich in einer Stadt einzuleben, zweimal erlebt: einmal als ich nach Botoşani zog, selbst wenn Botoşani eine kleine Stadt ist, und dann als ich in die Metropole Bukarest zog. Ich lebe seit 27 Jahren in Bukarest, theoretisch könnte ich sagen, dass ich mich hier zu Hause fühle. Ich fühle mich dennoch nicht richtig wie zu Hause, die Stadt hat mich mittlerweile nicht komplett adoptiert. Ich habe verschiedene Entwicklungsstadien Bukarests miterlebt, in zahlreichen und voneinander total unterschiedlichen Vierteln gewohnt. Ich glaube, dass mir dieses Projekt die ganze Zeit Überraschungen bereiten wird und es wird mir klar, dass ich mich gegenüber dem Subjekt neu positionieren muss.”




    Es besteht die Möglichkeit, dass sich Bukarest im Jahr 2021 der langen Liste der europäischen Kulturhauptstädte anschlie‎ßt. Der nationale Wettstreit der Städte, dessen Gewinner Rumänien dabei vertreten wird, startete im Dezember 2014. Um den Titel kämpfen auch Cluj-Napoca (Klausenburg), Timişoara, Iaşi, Craiova, Arad, Sfântu Gheorghe, Oradea, Alba Iulia (Karlsburg), Brăila und Braşov (Kronstadt).