Tag: Gefangenenlager

  • Rumänische Kriegsgefangene in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg

    Rumänische Kriegsgefangene in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg

    Die Zahl der rumänischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg steht bis heute noch nicht fest. Bis zum 23. August 1944, als Rumänien sich der Koalition der Vereinten Nationen anschlo‎ß, verschwanden etwa 165.000 rumänische Soldaten — die meisten von ihnen wurden zu Kriegsgefangenen. Nach dem 23. August haben die Sowjets etwa 100.000 rumänische Soldaten entwaffnet und gefangen genommen. Laut den offiziellen Quellen der Sowjetunion befanden sich 1946 noch 50.000 Rumänen in sowjetischen Gefangenenlagern.



    Die Geschichte dieser Menschen, die meisten von ihnen verloren in der gigantischen Sowjetunion, wird höchstwahrscheinlich niemals komplett geschrieben. Der Zugang zu den sowjetischen Archiven ist heute zwar möglich, doch die enorme Zahl der Dokumente macht die Forschungsarbeit besonders schwer. Die rumänischen Historiker versuchen, so schnell wie möglich Informationen zu sammeln; einer dieser Forscher ist Vitalie Văratec, Autor der Studie Die rumänischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Dokumente 1941-1945“. Vitalie Văratec teilte uns mit, mit welchen Schwierigkeiten er in den Moskauer Archiven konfrontiert wurde:



    Heutzutage können wir nicht einmal die genaue Zahl der rumänischen Kriegsgefangenen feststellen. In den Dokumenten wird nur die Bezeichnung ‚Verschollene‘ verwendet. Wenn diese Soldaten zum Beispiel in einem Flu‎ß gefallen sind, wei‎ß niemand mehr, was mit ihnen geschehen ist. Einer meiner Kollegen, mit dem ich beim Verfassen des Buches zusammenarbeitete, hat versucht, die Liste der Gefallenen in der Schlacht von Ţiganca festzustellen; er sagte mir, da‎ß bis heute noch nicht genau bekannt sei, wie viele Soldaten gefallen sind, wie viele gefangen genommen und wie viele für verschollen erklärt wurden. Es gibt nur eine lange Liste mit Verschollenen — niemand wei‎ß, was mit diesen Menschen in Wirklichkeit passiert ist. Und das wissen wir nur von den Schlachten am Flu‎ß Prut. Was war aber am Don, am Dnjestr, oder bei der Schlacht von Stalingrad geschehen?“




    Der Status der rumänischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg war von der sowjetischen Auslegung des Völkerrechts abhängig. Vitalie Văratec:



    Der Status der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion entsprach teilweise den Normen, die in der Genfer Konvention von 1929 festgelegt worden waren. Es gab aber auch deutliche Unterschiede, wenn man bedenkt, da‎ß der sowjetische Staat in seiner offiziellen Politik den Grundsatz des Klassenkampfes förderte und die Offiziere einen besonderen Status genossen. In der Sowjetunion gab es eine spezielle Interpretation der Frage betreffend die Arbeitspflicht für Kriegsgefangene. Laut der Genfer Konvention durften die Kriegsgefangenen nicht in der Militärindustrie oder in irgendeinem Bereich im Interesse der Armee arbeiten. In der Sowjetunion, wie auch in Nazideutschland, hat man diese Norm nicht beachtet.“




    Am schlimmsten in den sowjetischen Gefangenenlagern war aber die Ernährung. Trotz des enormen ideologischen Drucks haben einige sowjetischen Ärzte erklärt, da‎ß die Verpflegung der Kriegsgefangenen unter dem Lebenserhaltungniveau war. Vitalie Văratec dazu:



    Sehr viele Kriegsgefangene sind in den sowjetischen Lagern verhungert. Die russischen Historiker haben dieses Problem sehr aufmerksam recherchiert. Ein Forscher aus Wolgograd, Dr. Sidorow, hat sogar eine umfassende Studie über die Entwicklung der Lebensmittelrationen für Kriegsgefangene während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht. Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 wurden Entscheidungen getroffen, die zum Tod von Tausenden Menschen führten. Die Sowjetunion befand sich in einer äu‎ßerst schwierigen wirtschaftlichen Lage und wurde gezwungen, viel Getreide aus den USA zu importieren. In dieser Situation konnte der sowjetische Staat die Mindestrationen von Lebensmitteln für Kriegsgefangene nicht sichern. Nach den Schlachten am Flu‎ß Don und von Stalingrad war die Zahl der Kriegsgefangenen massiv gestiegen und in den ersten Monaten des Jahres 1943 wurden sogar medizinische Gutachten über den Zustand der Gefangenen gefordet. Auch wenn die Sowjetbürger in Angst vor dem harten proletarischen Regime lebten, trauten sich doch einige Ärzte zu erklären, da‎ß die offiziell festgelegten Lebensmittelrationen für die normale Lebenserhaltung nicht ausreichten. Laut ihren Rechnungen reichten die Kalorienmengen der Rationen für Kriegsgefangenen nur, um im Liegen zu überleben, ohne sich zu bewegen. Aber diese Menschen mu‎ßten schwere Arbeit verrichten, und unter diesen Bedingungen konnten sie nicht lange überleben.“




    Das Leben der Kriegsgefangenen in den sowjetischen Lagern war unerträglich, aber die Leute haben die Hoffnung nicht verloren — sie versuchten immer wieder, sich zu retten. Vitalie Văratec mit weiteren Informationen:



    Ich habe viele Statistiken über die Zahl der Toten und Kranken unter den Kriegsgefangenen gelesen. Es gibt aber auch eine besonders interessante Statistik über diejenigen, die aus den Lagern ausgebrochen und geflüchtet waren. Neben den Listen mit den Namen der Ausbrecher gibt es auch Angaben über diejenigen, die wieder gefasst oder nicht mehr gefasst wurden. 3,2% aller Ausbrecher wurden nicht mehr gefasst, und die meisten von ihnen waren Rumänen. Da fragte ich mich, warum? Eine Geschichtsforscherin aus Italien versuchte, eine Antwort darauf zu finden, und sie konnte feststellen, dass es eine Art ‚Mafia‘ der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion gegeben hat. Nach der Schlacht von Stalingrad wurden über 30.000 rumänische Soldaten gefangengenommen; darüber gibt es auch Zeugnisse von Zivilisten. Eine ältere Frau hat erzählt, da‎ß, als sie am Morgen in die Schule ging, sie manchmal am Stacheldrahtzaun sah, wie die Kriegsgefangenen in Reih und Glied standen. Die Rumänen bekreuzigten sich, und die Deutschen zeigten mit den Finger auf sie und lachten. Daraus wurde mir klar, da‎ß die Rumänen, mit ihrer orthodoxen Religion, sich schneller an die schwere Lage im Gefangenenlager angepa‎ßt hatten. Nach diesem Prinzip konnten sie sich auch besser organisieren.“



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  • Aus der Geschichte des Roten Kreuzes in Rumänien

    Aus der Geschichte des Roten Kreuzes in Rumänien

    Das Rote Kreuz wurde in Rumänien 1876 als humanitäre Organisation gegründet. Sein erster Sitz war im Bukarester Colţea-Krankenhaus. Das rumänische Rote Kreuz hatte von Anfang an eine intensive Tätigkeit. Ein ausgestatteter Krankenwagen mit einem Arzt und mehreren Krankenschwestern versorgte die Verletzten des serbisch-türkischen Kriegs. Im nachfolgenden Unabhängigkeitskrieg Rumäniens gegen die Türken 1877-1878 war das rumänische Rote Kreuz schon eine erfahrene Organisation.



    Später war Königin Maria, die Ehefrau des Königs Ferdinand I., sehr aktiv in der Organisation. Im 1. Weltkrieg wanderte sie von Lazarett zu Lazarett. Ihre Fotos in Krankenschwester-Uniform gingen um die Welt. Ein Merkmal der Filialen des Roten Kreuzes ist die Solidarität untereinander und das Mitgefühl gegenüber leidgeprüften menschlichen Wesen, unabhängig auf welcher Seite sie kämpfen oder welcher Religion sie angehören.



    Im Archiv des Zentrums für mündliche Geschichte des rumänischen Rundfunks befinden sich mehrere Zeugenaussagen mehrerer Menschen, die im Roten Kreuz aktiv waren. Wir haben für unsere heutige Sendung drei Zeitzeugenberichte ausgewählt. Ani Cicio-Pop Birtolan war die Tochter von Ştefan Cicio-Pop, einer der politischen Anführer der Rumänen in Siebenbürgen. Sie war im Roten Kreuz aktiv und erinnerte sich an das Ende des 1. Weltkriegs und erzählte von der Aufruhr vor der Gründung Gro‎ßrumäniens:



    Während des 1. Weltkriegs war ich schon ziemlich gro‎ß. Während meiner Arbeit beim Roten Kreuz habe ich niemanden diskriminiert. Ich arbeitete in einem Krankenhaus, wo ich Soldaten, die ihre Hände oder Beine verloren hatten, mit dem Löffel ernährte. Wir unternahmen alles Mögliche, um ihr Schicksal zu lindern. Wir entschieden uns gleich: Die Rumäninnen vom Roten Kreuz werden rund um die Uhr am Bahnhof hei‎ßen Tee servieren. Wir boten auch Brötchen an, die wir zu Hause gebacken hatten. Meine 14jährige Schwester backte diese Tag und Nacht zusammen mit unserem Dienstmädchen, sie schlief nicht. Und ich dachte: Was können wir noch tun, wir müssen ein Manifest schreiben. Hätte ich nur noch ein Exemplar dieses Manifests! Ich habe mit einem jugendlichen Enthusiasmus geschrieben und kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie ich das gemacht habe. Ich eilte zum Klavier und wir sangen die Nationalhymne ‚Erwache, Rumäne!‘ und ‚Zu den Waffen!‘. Es war ein jugendlicher Überschwang ohnegleichen.“




    Mircea Carp war Offizier und hatte Beziehungen zu den Amerikanern, die im Roten Kreuz aktiv waren. Bevor er aus Rumänien flüchtete, wurde er von den neuen kommunistischen Behörden verhaftet.



    Beginnend mit März 1947 und bis zu meiner Verhaftung habe ich einige Gruppen geleitet, die das sogen. ‚amerikanische Geschenk‘ in Iaşi und Vaslui verteilten. Darauf hatten es die Ermittler abgesehen, ob ich etwa geheime Botschaften der amerikanischen Behörden dem rumänischen Kreuz in Vaslui und insbesondere in Iaşi übermittelt habe. Ich konnte mich davor drücken und sagte nur die halbe Wahrheit. Ich gab keine Informationen, ich gab zu, zwei Mal geschlossene Umschläge übergeben zu haben. Jedes Mal sagte ich, dass ich als Offizier den Umschlag nicht öffnen durfte, um zu sehen, was drinnen ist. Die Ermittler beharrten darauf, dass die Umschläge militärische Informationen oder Anweisungen für das Rote Kreuz in Iaşi und Vaslui enthielten. Das war natürlich weit übertrieben, weil zu der Zeit die Amerikaner so etwas nicht unternahmen. Insbesondere weil es sich um eine Hilfsmission für die Bevölkerung, die mit der Dürre kämpfte, handelte. Ich gab zu, Umschläge übergeben zu haben, die dann vor mir in Iaşi und Vaslui geöffnet wurden und die Anweisungen für die Verteilung der amerikanischen Hilfe beinhalteten. Es hatte nichts mit Spionage oder Sabotage zu tun.“




    Alexandru Smochină war politischer Gefangener und als er im Lager in Magadan, im fernen Orient, ankam, wurde ihm gesagt, er könne mit Hilfe des Roten Kreuzes Briefe nach Rumänien schicken.



    Ich ging zum Speisesaal, dorthin hatten sie uns bestellt. Alle waren Ausländer: Koreaner, Japaner, Deutsche, Bulgaren, Serben, Ungarn, Finnen, Rumänen, Leute aus dem Baltikum, sowjetische Bürger, Griechen, aus Asien waren da noch Perser, viele Völker. Nach einer Weile nahm ich Platz neben Lascu, einem Rumänen aus Bukarest. Und da kam einer und sagte uns einfach, wir hätten das Recht, unseren Familien zuhause zu schreiben. Dafür bekamen wir Postkarten des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes. Er empfahl uns, den Eltern zu schreiben. Er sagte uns: Mütter bleiben Mütter. Wer eine Ehefrau hatte, wusste nicht, ob er sie nach so vielen Jahren noch hat. Er gab uns je eine Postkarte und sagte uns, wir hätten das Recht, jeden Monat zu schreiben. Er sagte noch, wir hätten das Recht, Pakete und Geld zu bekommen, aber keine Waffen oder Ähnliches. Das hat uns sehr gefreut und wir alle haben dann geschrieben. Er sammelte dann unsere Postkarten ein. Weil ich aber immer das Lager wechselte, habe ich nur von meiner Frau und meiner Tochter eine Antwort bekommen.“



    Das rumänische Rote Kreuz verkörperte die menschliche Solidarität, abseits des Hasses zwischen Menschen und Völkern. Das Rote Kreuz brachte viele Male Licht, Trost und Hoffnung in düsteren Zeiten.



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