Tag: Geschlechterrollen

  • Gender-Barometer im Vergleich: Geschlechterrollen fortschrittlicher als vor 18 Jahren wahrgenommen

    Gender-Barometer im Vergleich: Geschlechterrollen fortschrittlicher als vor 18 Jahren wahrgenommen

    Rumänien ist ein Land, in dem sich die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Fragen nach einem modernen Trend ändert, ein Land, das immer noch zwischen der konservativen und der fortschrittlichen Haltung in Bezug auf Gleichstellungsfragen schwankt, aber auch ein Land mit einer eher schwachen Wahrnehmung der Notwendigkeit einer Politik, die sich auf Gleichstellungsfragen konzentriert. Dies waren die wichtigsten Schlussfolgerungen des Geschlechterbarometers im Jahr 2018, das 18 Jahre nach dem ersten Geschlechterbarometer in Rumänien im Jahr 2000 durchgeführt wurde. Das neueste Barometer wurde im Auftrag der feministischen NGO Filia Center erstellt. Es erfasst ganz genau die Veränderung bestimmter Mentalitätsmuster, während andere Mentalitäten in der Zeit eingefroren sind und Unsicherheit in Bezug auf bestimmte Einstellungen entsteht. Häusliche Gewalt, Bildung für Gesundheitsversorgung und Reproduktion, die hohe Zahl der Teenie-Mütter, die in Rumänien in gro‎ßer Zahl leben — das sind die Themen, die in den letzten Jahren auf die öffentliche Agenda gesetzt wurden. Ebenso möchte das Filia Center, dass die Ergebnisse einer solchen Forschung die Entstehung einer angemessenen Geschlechterpolitik unterstützen. Andreea Braga ist die Vertreterin des Filia Centers. Sie wird uns nun Einzelheiten über den Hintergrund, vor dem das Gender-Barometer ermöglicht wurde, und über die möglichen Lösungen für das Problem mitteilen.



    Patriarchale geschlechtsspezifische Vorurteile im Zusammenhang mit Gewalt, aber auch der Mangel an Informationen über häusliche Gewalt und die Dynamik der Gewalt unter Fachleuten vor Ort, Polizisten, Richtern oder Sozialarbeitern, schränken den Zugang von Frauen zu ihren Rechten ein. Von Anfang an stellen wir fest, dass selbst Polizisten Opfer entmutigen, Strafanzeige zu erstatten, so dass einfach nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Ich will nicht verallgemeinern, nicht alle von ihnen verhalten sich so, aber wir wollen, dass so viele Fachleute wie möglich geschlechtsspezifisch sensibel sind, Stereotypen und Vorurteile gegenüber Frauen und Männern überwinden können, damit sie in Fällen häuslicher Gewalt sofort eingreifen können, zumal ihre Intervention den Unterschied zwischen Leben und Tod machen kann. Wir stehen nach wie vor an der Spitze der europäischen Länder, was die Zahl der Mütter im Teenageralter, die hohe Kindersterblichkeitsrate, den begrenzten Zugang zu Gesundheitsdiensten für Mütter betrifft. Es gibt eine gro‎ße Zahl von Frauen, die es in der Schwangerschaft nie zum Arzt schaffen. Deshalb haben wir eine Lösung vorgeschlagen, die darin besteht, kommunale Netzwerke von Hebammen und Krankenschwestern wiederzubeleben, die ihre Nutznie‎ßer erreichen und mit der überwiegenden Mehrheit der Frauen in der Gemeinde zusammenarbeiten können. Wir wollen das Netzwerk der Familienplanungspraxen revitalisieren. Leider gibt es auch eine Art Widerstand der öffentlichen Meinung, wenn wir über reproduktive Rechte und den Zugang zur Geburtenkontrolle sprechen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir das ändern.“




    Unter diesen Umständen haben die Ergebnisse des Gender-Barometers von 2000 und des Gender-Barometers im Jahr 2018 im Vergleich nach Meinung der Universitätsprofessorin und Soziologin Laura Grunberg die Entstehung positiver Veränderungen, aber auch den Fortbestand eingefrorener Einstellungen aufgezeigt. Viele der Antworten im Jahr 2018 sind widersprüchlich und deuten auf die Schwankungen der Mentalitäten zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen traditionalistischen und zukunftsorientierten Einstellungen hin. Hier ist Dr. Laura Grunberg, die über eingefrorene Wahrnehmungen spricht.



    Auf die Frage, ob der Mann das Familienoberhaupt ist, zeigen die Statistiken, dass 83% der Befragten im Jahr 2000 »Ja« gesagt haben, während im Jahr 2018 immerhin noch 70% die Frage bejaht haben. Das ist jedoch eine gute Entwicklung. Aber ich finde es immer noch schwierig, es als Veränderung zu betrachten, denn 70% ist immer noch viel. Die Situation ist die gleiche, wenn es um die Frage geht, ob Frauen ihrem Mann folgen sollen. In gewisser Weise ist der Wandel hier offensichtlicher, von 78% auf 65%, die erachten, dass die Frau dem Mann hörig sein sollte. Aber ich finde dieses Ergebnis immer noch nicht zufriedenstellend. Es gibt sichtbare Unterschiede, aber die Zahl ist immer noch hoch. Ich hätte erwartet, dass sich die Dinge in 18 Jahren mehr ändern würden.“




    Dennoch gibt es im Geschlechterbarometer 2018 viele positive Aspekte. Laura Grunberg:



    Es hat sich eine Veränderung in der Art und Weise ergeben, wie die Idee einer weiblichen Präsidentin wahrgenommen wird. Im Jahr 2000 waren die Rumänen damit nicht einverstanden. Im Jahr 2000 gaben etwa 73% der Befragten an, dass sie einen männlichen Präsidenten bevorzugen, während heute nur noch 43% diese Idee unterstützen, was eine fantastische Veränderung ist. Was auch die Vorstellung betrifft, dass Männer besser als Frauen in der Lage seien, zu führen, so ist der Rückgang beträchtlich — von 54% auf 44%. Das bedeutet, dass Frauen genauso gut sind wie Männer, und einige von ihnen sind sogar besser. Auch die Vorstellung, dass Frauen zu sehr mit Hausarbeiten beschäftigt seien und daher keine Zeit hätten, in Führungspositionen zu arbeiten, nimmt von 68% auf 44% ab. Was die Vorstellung betrifft, dass es Frauen an Selbstvertrauen mangelt, so glaubten das 43% der Rumänen im Jahr 2000, im Gegensatz zu nur 31% im Jahr 2018.“




    Das Gender-Barometer zeigt deutlich, dass sich die Bemühungen der gemeinnützigen Organisationen ausgezahlt haben, um das Bewusstsein für häusliche Gewalt zu schärfen und rechtliche Ma‎ßnahmen gegen Aggressoren und zugunsten des Opfers zu unterstützen. Laura Grunberg:



    Im Vergleich zum Jahr 2000 sehen mehr Menschen häusliche Gewalt nicht mehr als eine private Sache an, die innerhalb der Familie angegangen werden muss. Im Gegenteil, die Polizei ist die erste Institution, die diese Fragen lösen sollte. Im Jahr 2000 waren 35% der Befragten der Meinung, dass die Partner ihre Probleme selbst lösen sollten, während derzeit nur noch 20% diese Idee unterstützen und sagen, dass man als aller erstes die Polizei rufen sollte. Das ist ein Mentalitätswechsel, etwas sehr Schwieriges. Also zahlen sich die Bemühungen aus.“




    Das Fazit des Gender Barometers lautet, dass sich Rumänien verändert und die Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf die traditionellen Rollen von Frauen und Männern diversifiziert.

  • Geschlechtsspezifische Klischees in der rumänischen Literatur und Erziehung

    Geschlechtsspezifische Klischees in der rumänischen Literatur und Erziehung

    Typisch Mann, typisch Frau — ob wir ein Verhalten als typisch männlich oder typisch weiblich einschätzen, resultiert daraus, wie wir es wahrnehmen und bewerten — sprich, in welche Schublade wir denjenigen Menschen stecken. Der typische Mann habe seine Emotionen unter Kontrolle, sei zielstrebig, ehrgeizig und durchsetzungsstark. Die Frau gilt als emotional, sozial orientiert, sicherheitsbedürftig und intuitiv.



    Die ungleiche Situation von Mann und Frau in vielen beruflichen Zweigen, die immer noch in den Ländern der Europäischen Union existiert, ist nicht immer die Folge direkter Diskriminierung. Die unterschiedliche Bildungs- und Berufswahl von Frauen und Männern wird nach Erkenntnissen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ma‎ßgeblich durch geschlechtsspezifische Stereotypen beeinflusst. Stereotype dienen dazu, schneller Informationen über eine Person zu verarbeiten und den Aufwand fürs Denken möglichst gering zu halten, meinen die Sozialpsychologen. Meist beinhalten diese Schubladen unserer Vorstellung zwar ein Quäntchen Wahrheit, pauschalieren jedoch und werden deshalb der individuellen Eigenart eines Menschen nicht gerecht.



    Wie entstehen aber die geschlechtsspezifischen Klischees in der Gesellschaft? Werden sie durch Erziehung und durch verschiedene kulturelle Modelle gepflegt und weitergegeben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine Studie über geschlechtsspezifische Stereotype in der rumänischen Kultur, einschlie‎ßlich im Alltag, im Rahmen des Projekts Integration und Förderung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt“. Das Projekt wird von der Stiftung für eine offene Gesellschaft durchgeführt, mit EU-Finanzierung vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Die Studie über geschlechtsspezifische Stereotype in Rumänien basiert auf Untersuchungen in vier Bereichen — Film, Theater, Literatur und Medien; Zweck der Untersuchungen war, zu klären, ob die geschlechtsspezifischen Stereotype eine kulturelle Basis haben. Über die Ergebnisse der Studie spricht der Vorsitzende der Stiftung für eine offene Gesellschaft, Mircea Vasilescu:



    Unsere Hypothese war im Allgemeinen korrekt: Die Art und Weise, wie wir Frauen, Weiblichkeit im Allgemeinen betrachten, basiert auf dem ‚kulturellen Erbe‘. Selbstverständlich spielen dabei die Medien eine sehr wichtige Rolle, durch ihren starken Impakt. Die Medien unterstützen das Denken nach stereotypen Mustern, sie nutzen viele frauenbezogene Stereotype aus, um hohe Auflagen oder Einschaltquoten zu erreichen. Ich beziehe mich dabei vor allem auf die Boulevardmedien.“




    Neben den Medien scheint auch die Schule eine Quelle von geschlechtsspezifischen Stereotypen zu sein, durch die Literaturanalyse der Werke, die im Unterricht studiert werden. Mircea Vasilescu ist vom Beruf Literaturhistoriker und –Kritiker, und hat untersucht, wie manche literarische Gestalten in der Schule charakterisiert werden:



    Ich habe nachgeprüft, was über diese weiblichen Figuren in den Schulbüchern, in anderen Fachbüchern mit Literaturanalysen und auf den spezialisierten Internetseiten steht. Diese Referate zeigen, wie Literatur in der Schule präsentiert wird — der Unterricht wimmelt von Stereotypen und Gemeinplätzen. Da frage ich mich, ob ein normaler junger Mensch, wenn er die Schule abgeschlossen hat, nicht dieselben Ideen und Muster, die er über weibliche Figuren erlernt hat, mit einer stereotypen Denkweise auch im wirklichen Leben umsetzt.“




    Die Antwort auf diese Frage ist positiv, und leider sind sehr oft die in den Schulbüchern enthaltenen Interpretationen und Charakterisierungen der weiblichen Figuren weder sehr genau noch besonders schmeichelhaft, und das erstreckt sich auch auf die echten Frauen, die man im Alltag trifft.



    Einige weibliche Prototypen“ werden in den letzten Jahren auch in den Medien gefördert, vor allem in gewissen Fernseh-Unterhaltungssendungen. Die Fernsehshows haben einen neuen Frauentyp geschaffen: die bezaubernde Assistentin. Sie gehört zur Studio-Dekoration und unterhält die Zuschauer mit dem Blödsinn, die sie von sich gibt. Üblicherweise ist sie die dumme Gans“ — die meisten TV-Produzenten bestehen auf diese Frauenrolle. Dieser geschlechtsspezifische Stereotyp hat dazu geführt, dass nur wenige Frauen in den sog. ernsthaften“ Sendungen präsent sind. Mircea Vasilescu:



    Man sieht nur selten Frauen in den Fernseh-Talkshows zu politischen oder sozialen Themen; sehr wenige Frauen werden als Expertinnen oder Talk-Gäste eingeladen. Es werden immer wieder dieselben Frauen eingeladen, meistens Politikerinnen.“




    Die geschlechtsspezifischen Stereotype werden nicht nur in der Schule oder durch Fernsehsendungen vermittelt, sondern auch durch die Erziehung, die die Kinder sehr früh von ihren Eltern bekommen. Livia Aninoşanu koordiniert das Zentrum Partnerschaft für Gleichstellung“, Partner im Rahmen des Projekts Integration und Förderung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt“, und ist der Meinung, dass die Kinder im Sozialisierungsprozess sehr früh lernen, was sich für Mädchen und was sich für Jungen gehört. Livia Aninoşanu:



    Man fördert typische Verhaltensmuster — für Jungen und für Mädchen. Einem Jungen sagt man: ‚Weine doch nicht, du bist ja kein Mädchen!‘. Den Jungen wird eine begrenzte emotionelle Ausdrucksweise vermittelt. Ihre negativen Emotionen dürfen sie nur durch Wutausbrüche äu‎ßern; Angst oder Zurückhaltung dürfen sie nicht zeigen. Bei den Mädchen ist es gerade umgekehrt: Sie werden nicht ermutigt, ihre Wut zu zeigen, ‚nein‘ zu sagen oder klare Barrieren zu stellen. Wir erlauben ihnen aber, zerbrechlich zu sein. Von klein an stellen wir unsere Kinder auf klare Gleise, wir zeigen ihnen die Rollen, die sie in der Gesellschaft erfüllen müssen, wir fixieren sie auf die Idee, dass Jungs stark und Mädchen schwach sind.“




    Differenziertes Spielzeug prägt auch das Verhalten der Kinder. Livia Aninoşanu:



    In allen Spielwarenabteilungen der Einkaufszentren gibt es Regale für Mädchen und Regale für Jungs. Die Mädchenregale erkennen wir an der rosaroten Farbe und wir entdecken dort Spielzeug, das ihre späteren, typisch weiblichen Rollen in der Gesellschaft darstellen: kleine Küchen, Waschmaschinen, Bügeleisen. Bei den Jungen haben wir Spielzeug wie Weltraumschiffe, Autos, Waffen… Es gibt nur wenige geschlechtsneutrale Spielsachen. Und es gibt auch viele Fälle, wenn die Kinder etwas anderes haben wollen, als die Gesellschaft ihnen vorgeschrieben hat, aber sie trauen sich nicht, danach zu fragen. Wir fragten die Erzieherinnen im Kindergarten, und sie sagten uns, was für Probleme und Ängste entstehen können, wenn die Jungs mit Puppen oder zusammen mit den Mädchen spielen möchten. Die Eltern bekommen Angst, wenn der Sohn so etwas vorzieht, sein Wunsch wird ignoriert und der Junge fast immer sofort eines Besseren belehrt.“




    Zu korrigieren wären aber vielleicht die Ansichten der Erwachsenen, meinen die Sozialpsychologen, die sich mit der Gleichstellung von Frauen und Männern beschäftigen. Man sollte seine Kinder nicht durch geschlechtsspezifischen Filter erziehen, sondern ermuntern, zu experimentieren und in den verschiedensten Situationen ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.