Tag: Gesellschaft

  • Code for Romania baut digitale Infrastruktur auf

    Code for Romania baut digitale Infrastruktur auf

    Das erste Projekt war votdiaspora.ro, eine Plattform, die Rumänen im Ausland half, Wahllokale leichter zu finden. Seitdem haben rund 3.000 Freiwillige – darunter IT-Spezialisten, Soziologen, Forscher, Designer und Kommunikationsexperten – Dutzende kostenlose Anwendungen für den rumänischen Staat und seine Bürger entwickelt, um das Leben zu erleichtern.

    Code for Romania verarbeitet Millionen Datensätze, Statistiken und Gesetzestexte und wandelt sie in nützliche Websites und Apps um. So können Rumänen Wahlergebnisse in Echtzeit verfolgen oder sich über Gesundheitsplattformen informieren. Auch der Katastrophenschutz profitiert von einer digitalen Plattform zur Koordination humanitärer Hilfe im Notfall – ein Modell, das inzwischen international Anerkennung findet. Länder wie die Niederlande, Deutschland oder Italien sehen mit Bewunderung auf Rumäniens digitale Fortschritte.

    Der Gründer von Code for Romania, Bogdan Ivănel, ist allerdings kein IT-Experte, sondern promovierter Völkerrechtler mit akademischen Stationen in Utrecht, Oxford und Berkeley. Nach elf Jahren im Ausland kehrte er aufgrund der Brandkatastrophe im Club Colectiv nach Rumänien zurück – Dutzende Menschenleben forderte damals das Feuer in Räumlichkeiten, in denen illegal Feuerwerk gezündet wurde und die Brandschutzvorschriften eklatant verletzt worden waren.

    Um gesellschaftliche Herausforderungen besser zu verstehen, initiierte Code for Romania das achtjährige Forschungsprogramm Civic Labs – die größte sozialwissenschaftliche Untersuchung in Rumäniens jüngerer Geschichte. Dabei wurden 37 Kernprobleme in fünf Bereichen analysiert: Bildung, Umwelt, gefährdete soziale Gruppen, Gesundheit und Bürgerbeteiligung. Daraus entstanden über 400 digitale Lösungsvorschläge, von denen bereits 70 umgesetzt wurden, sagt Bogdan Ivănel :

    „Wir waren immer höchstambitioniert – wir wollen die gesamte digitale Infrastruktur schaffen, die Rumänien braucht. Digitalisierung heißt nicht nur an öffentliche Dienste wie die Steuerbehörde, sondern an das gesamte soziale Umfeld, wo diese Technologien dringend gebraucht werden. Zum Beispiel ein Fallmanagementsystem für Opfer häuslicher Gewalt, das NGOs und Schutzunterkünfte hilft, sich besser zu koordinieren – etwa durch Informationen zu freien Betten, verfügbaren Psychologen oder Anwälten, die Opfer bei der medizinischen Begutachtung begleiten.“

    2022 entwickelte Code for Romania die Plattform Dopohoma, mit der der rumänische Staat Unterkünfte und Hilfen für ukrainische Flüchtlinge koordinierte. Das System fand rasch internationale Beachtung und wurde in Paris sowie in den USA ausgezeichnet.

    Der nächste Schritt folgte 2023 mit der Gründung von Commit Global – der internationalen Version von Code for Romania. Es ist die erste global wirkende NGO aus Rumänien, sagt Bogdan Ivănel:

    Uns wurde schnell klar, dass die Werkzeuge, die wir in Rumänien bauten, auch anderswo gebraucht wurden. Regierungen und Organisationen aus aller Welt suchten uns auf, aber wir hatten schlicht nicht die Kapazitäten, weil unsere Mission Rumänien war. Doch die Probleme sind überall dieselben: Ein Erdbeben oder eine Flutkatastrophe ereignet sich in Mexiko genauso wie in der Türkei oder China – und die benötigten Hilfsmittel sind überall gültig. Wir überzeugten Regierungen weltweit, erhielten Unterstützung von der Stadt Den Haag, wo unser globales Hauptquartier heute sitzt, und eine gesamte rumänische Mannschaft arbeitet von dort aus. Die deutsche Regierung ist unser strategischer Partner. Wir waren im Weißen Haus, sprachen mit den Regierungen der Schweiz, Schwedens und Großbritanniens – mit dem Ziel, eine globale Infrastruktur zu schaffen,  an die gemeinnützige Organisationen sich direkt anschließen können, anstatt immer wieder von vorne anfangen und neues Geld ausgeben”.

    Denn wenn wir eine Technologie entwickeln, die nach einem Erdbeben hilft, Schwangere unterstützt oder häusliche Gewalt bekämpft, warum sollten wir sie nicht auch in anderen Ländern einsetzen, fragt nicht unrethorisch Bogdan Ivănel und fügt hinzu: Die Krisen werden immer zahlreicher, und um widerstandsfähiger zu werden, müssen wir Organisationen mit der nötigen Technologie ausstatten, damit sie schneller und koordinierter helfen können.

     

  • Dokumentarfilm wirft gnadenloses Licht auf desolate Wohnzustände

    Dokumentarfilm wirft gnadenloses Licht auf desolate Wohnzustände

    Der Tod des Iosif Zagor (Orginaltitel: Moartea lui Iosif Zagor), das Dokumentarfilmdebüt von Adi Dohotaru ist eine der bewegendsten rumänischen Produktionen von 2024. Beim Astra Film Festival von Sibiu wurde er lobend erwähnt, das One World Romania Festival zeigte ihn als Auftaktevent. Dohotaru erzählt die Geschichte des Videografen Iosif Zagor, der seine letzten vier Lebensjahre dokumentiert – geprägt von Einsamkeit, Krankheit und der Angst vor Zwangsräumungen aus drei verschiedenen Unterkünften, in denen er unter prekären Bedingungen seinen Lebensabend verbrachte.

    Mit seiner alten Kamera hält Iosif Zagor das eigene Leben und das anderer Menschen in Sozialwohnungen fest. Das zentrale Thema des Dokumentarfilms – das Wohnen – wird aus der Perspektive der Verwundbarkeit betrachtet und zeigt, wie es für immer mehr Menschen zunehmend schwierig wird, an Wohnraum zu kommen. Der Film beleuchtet auch die oft missbräuchlichen Zwangsräumungsverfahren und ihre Auswirkungen auf Betroffene.  Die Dokumentation gibt Iosif Zagor eine Stimme und schafft einen Rahmen der Selbstdarstellung, in dem verwundbare Menschen ihre Geschichten selbst erzählen und sichtbar werden können.

    Regisseur Adi Dohotaru erinnert sich:
    2017 machten mich Freunde aus der Zivilgesellschaft auf die Lage von Menschen aufmerksam, die von Zwangsräumung bedroht waren – etwa 50 Personen. So lernte ich Iosif Zagor und seine Nachbarn kennen. Iosif hatte eine alte, staubige Kassettenkamera, die er lange nicht benutzt hatte. Ich bat ihn, seine eigene Situation und die seiner Nachbarn zu filmen, um die Behörden und die Öffentlichkeit auf ihr Problem aufmerksam zu machen. Zwar konnten wir die Räumung damals nicht verhindern, aber zumindest hinauszögern – sodass die Betroffenen nicht mitten im Winter obdachlos wurden. Ich blieb mit Iosif und einigen seiner Nachbarn in Kontakt und durch die Arbeit wurden wir mit der Zeit echte Freunde. So entstand die Idee, einen Film zu drehen, der vulnerablen Menschen eine Stimme gibt.

    Adi Dohotaru arbeitet mit der Methode der sogenannten Partizipativen Aktion und nutzt in seinen Projekten die Technik der performativen Anthropologie, um seine Mitwirkenden in den Mittelpunkt zu stellen. Er schreibt Gesetze und Gedichte, betreibt zivilgesellschaftliche und umweltbezogene Forschung.
    „Ich habe den Tod des Iosif Zagor gedreht, weil ich gescheitert bin. Als Aktivist, Forscher und Politiker habe ich – gemeinsam mit anderen Experten, Aktivisten und vulnerablen Menschen – politische Maßnahmen vorgeschlagen, damit der Staat in sozialen Wohnungsbau investiert. Die EU-Durchschnittsquote für soziale und bezahlbare Wohnungen liegt knapp unter 10 %, in Rumänien ist sie mit 1 % jedoch weitaus niedriger“, zeigt Dohotaru auf das Problem.

    „Tatsächlich ist die Situation in Rumänien deutlich schlechter als im europäischen Durchschnitt. Ein großes Problem ist, dass nach 1989 der Bestand an öffentlichen Wohnungen privatisiert wurde. Eine alternative Politik hätte mehr Sozialwohnungen  erhalten können. So hätten wir Problemgruppen eine Chance gegeben. Doch es kam anders. Während im Westen weiterhin Sozialwohnungen gebaut wurden, geschah dies in Rumänien nicht. Seit Jahrzehnten geht  auch in Westeuropa der öffentliche Wohnungsbestand tendenziell zur Neige. Warum hat sich der Staat aus dieser Aufgabe zurückgezogen? Weil wir einen neoliberalen Staat haben, der soziale und umweltpolitische Maßnahmen kaum mehr unterstützt. Dennoch bleibt das Wohnen ein Bereich, der staatlich reguliert werden sollte. Ob und wie sich dies ändern lässt, ist eine lange Diskussion. Der Film zeigt, was mit den Betroffenen geschieht, wenn der Staat entweder fehlt oder nur minimal präsent ist. Und dieses Problem ist global zu beobachten. Wir leben in einer individualistischen Ellenbogen-Gesellschaft, in der jeder mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist und kaum Zeit hat, sich für die Sorgen anderer zu sensibilisieren. Deshalb müssen wir nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft daran arbeiten, Dinge zu verändern. Dafür braucht es soziale und politische Bewegungen, die solche Themen auf die Agenda setzen. Doch derzeit engagieren sich im politischen Mainstreaam nur wenige  für soziale Fragen wie Wohnen oder Lebensqualität.“

    Den Dokumentarfilm von Adi Dohotaru produzierte Monica Lăzurean-Gorgan durch Filmways in Mitarbeit mit dem Verein SOS – Nachhaltige Gesellschaft. Koproduzenten sind Adi Dohotaru und Radu Gaciu, der Schnitt stammt von Alexandru Popescu. Unterstützt wurde der Film vom Masterprogramm für Dokumentarfilm der Theater- und Filmfakultät der Babeș-Bolyai-Universität in Cluj-Napoca.

  • Eintauchen in die Welt der Taschendiebe

    Eintauchen in die Welt der Taschendiebe

    Ein interessanter Dokumentarfilm, der letztes Jahr beim Astra Filmfestival prämiert wurde, ist seit einiger Zeit in den rumänischen Kinos zu sehen. Die Regisseurin Diana Gavra hat mit Beharrlichkeit und Mut “eine vertrauensvolle und intime Beziehung zu den Protagonisten aufgebaut, um uns eine Gruppe von Menschen näher zu bringen, für die Taschendiebstahl – wie sie es beschreiben – “eine Lebensart” ist. Mit Objektivität, ohne Sensationslust enthüllt der Film Amar meisterhaft die Persönlichkeiten der Menschen jenseits den Stereotypen und gibt den Protagonisten Platz, über ihr kompliziertes Leben offen zu berichten, hieß es in der Begründung der Jury des Astra Filmfestivals.

    Die Geschichte hinter der Geschichte ist vielleicht noch interessanter. Amar Răducanu, ein junger Roma, der Hauptprotagonist des Films, und die Regisseurin Diana Gavra lernten sich 2021 kennen. Amar stahl Diana einen Umschlag mit Geld, Diana meldete es der Polizei und mit Hilfe von Überwachungskameras wurde der Dieb gefasst. Amar war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er ebenfalls wegen Diebstahls gesessen hatte, und schlug Diana Gavra vor, ihr das Geld zurückzugeben, um einer erneuten Verurteilung zu entgehen. Diana war jedoch klar, dass Amar wieder stehlen müsste, um ihr das Geld zurückzugeben. Sie willigte jedoch ein, ihre Klage unter einer Bedingung zurückzuziehen: Er musste akzeptieren, vor der Kamera aufzutreten und die Hauptfigur in ihrem Dokumentarfilm sein. Amar sagte zu, und so begann ihre Zusammenarbeit.

    Als die Dreharbeiten begannen, hatte Diana Gavra, Regisseurin, Juristin und Professorin an der Nationalen Schule für Politik- und Verwaltungsstudien SNSPA, auch einen Doktortitel über die Integration der Roma, so dass sie das Thema gut recherchiert hatte. Der Film war für sie eine Herausforderung, über ihre Grenzen hinauszugehen und zu versuchen, sich in eine Welt hineinzuversetzen, die ihr fremd war.

    “Mit diesem Film wollte ich ein anderes Licht auf diese Welt werfen und die Dinge aus einer menschlichen Perspektive betrachten. Ich wollte diese Leute so sehen, wie sie wirklich sind, ihre Probleme, Erfahrungen, Gefühle, Wünsche und Frustrationen kennen lernen. Im Laufe eines Jahres gelang es mir, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, einfach alles, was im Leben von Amar, seiner Familie und seinem engen Freundes- und Verwandtenkreis passierte, festzuhalten. Natürlich haben Leute wie wir mit seinem Umfeld überhaupt nichts zu tun. Wir leben in Parallelwelten, jeder in seiner eigenen Blase, und wir haben den Eindruck, dass alle so denken wie wir, dass wir einander verstehen können, dass unsere Welt perfekt ist. Unsere Welten – meine und die von Amar – kommen nur im Konfliktfall zusammen – 2021 hatte er mir Geld gestohlen, ich hatte Anzeige erstattet, und er wäre im Knast gelandet.
    Tatsächlich wissen wir nicht, wie diese Menschen leben, und sie wissen nicht, wie wir leben. Sie wissen nicht, welche anderen Lebensperspektiven sie haben könnten, denn wir haben uns nicht einmal die Frage gestellt, ob sie ein anderes Leben führen könnten. Deshalb dachte ich, dass ich mit diesem Film ein Licht auf ihre Welt, aber auch auf unsere Welt werfen kann, indem ich Themen wie soziale Verantwortung anspreche. Amar wurde mitten in Bukarest geboren, aber er ist ein totaler Analphabet. Wir führen Debatten über funktionalen Analphabetismus und befürchten, dass er weit verbreitet ist. Aber Amar kann nicht einmal seinen eigenen Namen schreiben. Und ich frage mich, wie es möglich ist, dass ein Kind, das 1986 im Zentrum von Bukarest geboren wurde, sich selbst überlassen wird. Es stimmt, die Familie hat ihn nicht zur Schule gebracht, das war nicht ihr Lebensmodell, aber was hat die Gesellschaft für ihn getan? Ich finde, man hätte in der Statistik erwähnen müssen, dass dieses Kind nicht zur Schule gegangen ist. Und dann frage ich mich, ob wir keine Verantwortung gegenüber diesen Menschen haben? Welche Möglichkeiten hat Amar, der nicht einmal seinen Namen schreiben kann, im Zeitalter von ChatGPT?”

    Die Produktion erzählt die Geschichten von Menschen, die aus benachteiligten Verhältnissen stammen, die süchtig waren und auf der Straße aufgewachsen sind, sowie von Menschen, die das System, das Gesetz und die Haft in verschiedenen Gefängnissen in Europa aus erster Hand kennengelernt haben. Einige sind unverbesserlich, andere haben sich in die Sozialsysteme anderer Länder integriert, haben lesen und schreiben gelernt, haben ein soziales Leben, haben ein Zuhause und verbringen ihre Zeit auf konstruktive Weise. Als er Diana Gavra kennenlernte, war Amar Răducanu 35 Jahre alt und hatte 13 Jahre wegen Diebstahls im Gefängnis gesessen. Dianas Vorschlag, ihn zu einer Filmfigur zu machen, veränderte sein Leben, sagt Amar.

    “Sie können sehen, dass ich nicht mehr in dieser Welt bin, ich möchte wirklich aus der kriminellen Welt herauskommen. Ich habe eine Familie, ich habe Kinder, ich will nicht mehr ins Gefängnis, ich war schon so oft dort, dass ich das satt habe. Ich möchte ein Daheim haben, wo es besser geht Und der Vorschlag von Diana Gavra hat mir gefallen, ich wollte sehen, wie auch ihre Welt ist, eine Welt, die ich nicht kenne. Und sie gefällt mir jetzt wirklich. Als wir mit den Dreharbeiten begannen, war es ein bisschen schwierig, weil ich nicht an die Kamera gewöhnt war, aber dann fing ich an, es zu mögen. Und schließlich war es gut, ich habe den Dreh rusbekommen, wir haben es zusammen mit den Kollegen gelernt.”

    Der Dokumentarfilm AMAR ist eine Produktion von Pintadera Film und Pro Omnia Cinema und wurde mit Unterstützung des Nationalen Filmzentrums gedreht. Kameramann war Marius Panduru, den Schnitt übernahmen Eugen Kelemen und Monica Pascu.

  • Bundespräsident Steinmeier besucht Rumänien

    Bundespräsident Steinmeier besucht Rumänien


    Der Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank Walter-Steinmeier in Rumänien und die intensiven deutsch-rumänischen Kontakte der letzten Monate unterstreichen den privilegierten und strategischen Charakter der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Dies sagte der rumänische Präsident Klaus Iohannis bei dem Empfang seines Berliner Amtskollegen in Bukarest. Wir haben einen beständigen politischen Dialog auf bilateraler und europäischer Ebene, eine solide wirtschaftliche Zusammenarbeit und starke menschliche Bindungen, die wir der rumänischen Gemeinschaft in Deutschland und der deutschen Minderheit in Rumänien verdanken“, sagte Klaus Iohannis. In seiner Rede betonte Iohannis, dass diese Gemeinschaften eine lebendige Brücke zwischen den beiden Gesellschaften seien und ihr Beitrag zur Entwicklung der deutsch-rumänischen Beziehungen in kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und anderer Hinsicht von Bedeutung sei. Deutschland ist seit vielen Jahren Rumäniens wichtigster Handelspartner. Im vergangenen Jahr betrug das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern über 40 Milliarden Euro. Die deutsche Wirtschaft ist mit mehr als 25.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung und einem Aktienkapital von über 5,5 Milliarden Euro der zweitgrö‎ßte Investor in Rumänien.




    Die beiden Staatsoberhäupter sprachen auch über den Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum. Seit Langem vertritt Deutschland die Ansicht, dass Rumänien in den Raum der Freizügigkeit gehöre. Dies unterstrich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der betonte, dass er Freunde besuche. Er sagte: Ich kann Ihnen versichern, dass unsere Unterstützung bei der Überzeugungsarbeit, derjenigen, die an der Seite stehen, weitergehen wird.“ Der Beitritt sollte ursprünglich 2011 erfolgen, wurde aber aufgrund des Widerstands einiger Mitgliedstaaten verschoben.




    Die Sicherheitslage in der Schwarzmeerregion war ein weiteres Thema in den Gesprächen. Wir haben die Bedrohungen bewertet und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir gemeinsam — Rumänien, Deutschland und die anderen NATO-Verbündeten — stark sind und die Sicherheit unserer Länder gewährleisten können“, sagte Iohannis. Er dankte dem deutschen Bundespräsidenten für die Unterstützung seines Landes bei der Stärkung der NATO-Ostflanke und für die Beteiligung an den verbündeten Verbänden in Rumänien.




    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier traf auch mit Ministerpräsident Nicolae Ciucă zusammen. Die Gespräche befassten sich mit der weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene sowie im Rahmen von EU und NATO. Der rumänische Beamte erklärte, er habe mit dem deutschen Bundespräsidenten vereinbart, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern in der EU und der NATO zu intensivieren, um die aktuellen Herausforderungen im Bereich der Sicherheit, der Wirtschaft und der Gesellschaft zu bewältigen. Die beiden betonten auch die Notwendigkeit, die europäische und eure-atlantische Einheit bei der Unterstützung der Ukraine aufrechtzuerhalten.

  • Mit 45 schon zum alten Eisen?

    Mit 45 schon zum alten Eisen?

    In der rumänischen Gesellschaft kursieren einige gefährliche Klischees. Eines davon besagt, dass Menschen über 45 sehr geringe Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Wer in diesem Alter und unzufrieden mit dem jetzigen Job ist, beeilt sich also kaum, sich nach etwas anderem umzusehen – fast niemand glaubt, eine neue Stelle zu bekommen. Arbeitslose müssen mehrere Absagen hinnehmen und verlieren ihr Selbstvertrauen und den Antrieb, weiter zu suchen. Doch sind Menschen über 45 wirklich dazu verurteilt, in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft keine Beschäftigung zu finden. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen muss eine solche Person mitbringen, um gute Chancen auf einen Arbeitsplatz zu haben? Raluca Dumitra, Marketingleiterin beim online-Personalvermittler eJobs, wei‎ß mehr:



    “Nach allen Ma‎ßstäben stehen Bewerber über 45 bei der Stellensuche vor den grö‎ßten Herausforderungen, und das liegt vor allem daran, dass sie im Vergleich zu den jüngeren Generationen über weniger Computerkenntnisse verfügen. Gleichzeitig sind sie weniger flexibel, aber auch etwas weniger geneigt, sich auf Neues einzulassen und ihre Komfortzone zu verlassen. Gleichzeitig sollten wir nicht übersehen, dass sie einige Vorteile haben. Zunächst einmal verfügen sie über einen gro‎ßen Erfahrungsschatz in ihrem Beruf, den sie an ihre jüngeren Teamkollegen weitergeben können. Wir sprechen von einem hohen Ma‎ß an Ausdauer und auch von der Tatsache, dass sie sehr pünktlich sind”, sagt Dumitra.



    Vor einiger Zeit hie‎ß es, man kupfere ein Handwerk ab. Jetzt nennt man es Shadowing. Im Grunde ist es das Gleiche – ein älterer Mitarbeiter bringt seinem jüngeren Kollegen Fertigkeiten bei. Aber es kann auch sein, dass der jüngere Mitarbeiter seinem älteren Kollegen etwas weitergibt. Insgesamt kann ein Arbeitnehmer über 45 seine Chancen, einen Arbeitsplatz zu behalten oder sogar einen neuen zu finden, erheblich steigern, wenn er bereit ist, seine Fähigkeiten an Jüngere weiterzugeben. Schlie‎ßlich haben sie ihrerseits einst abgekupfert, meint die Personalerin. Ihr zufolge gebe es definitiv gro‎ße Unterschiede in den Fähigkeiten und der Erfahrung zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern, was auch natürlich sei. Doch man könne Systeme entwickeln, die es jüngeren Menschen ermöglichen, in den Beruf hineinzuschnuppern und den Älteren über die Schulter zu schauen, was für alle von Vorteil wäre. Die über 45-Jährigen haben dann die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten weiterzugeben, und empfinden sich selbst als wertvoller für das Unternehmen.



    Wie Raluca Dumitra weiter erklärt, gibt es bei Bewerbern über 45 auch den Nachteil, dass sie weniger flexibel sind und in den wenigsten Fällen bereit, für eine neue Stelle Lohneinbu‎ßen hinzunehmen.


    “Meistens bevorzugen Arbeitgeber junge Menschen ohne Erfahrung, und zwar aus ganz einfachen Gründen. Zum einen kann man sie nach Wunsch ausbilden, was, wenn wir ehrlich sind, bei über 45-Jährigen nur sehr schwer möglich ist. Wenn wir älter werden, verlieren wir an Flexibilität und an der Fähigkeit, uns an neue Anforderungen anzupassen. Und auch das finanzielle spielt eine Rolle: Die meisten Menschen über 45 wollen am bisherigen Lohnniveau festhalten. Oft ist es für einen Arbeitgeber vorteilhafter, einen Nachwuchskraft für ein geringeres Gehalt einzustellen, mit dem Vorteil, dass er sie dann nach Belieben ausbilden und formen kann. Umgekehrt kann es sein, dass ein junger Mensch nach der Ausbildung das Unternehmen verlässt. Dieses Risiko ist bei Arbeitnehmern über 45 geringer.”, sagt Raluca Dumitra von eJobs.



    Sie glaubt nicht, dass man ein Alter über 45 automatisch mit einer schwierigen Persönlichkeit gleichsetzen sollten. Es stimmt, dass es Schwierigkeiten bei der Integration in jüngere Gruppen gibt und es wird auf jeden Fall Generationenkonflikte geben. Unterschiede in der Mentalität können auch zu Konflikten führen können. Über 40 % der von eJobs befragten Arbeitnehmer über 45 sagen, dass sie mit ihren jüngeren Kollegen nicht wirklich gemeinsame Gesprächsthemen finden, hauptsächlich wegen des Altersunterschieds. Ermutigend findet die Personalfirma, dass viele der über 45-Jährigen durchaus Bereitschaft zu Zugeständnissen für einen besseren Job signalisieren.

    45 % von ihnen sind bereit, umzuschulden, wenn sie einen besseren Arbeitsplatz bekommen könnten. Und über 16,5 % sind sogar bereit, eine Gehaltskürzung in Kauf zu nehmen, wenn die Stelle bessere Aussichten bietet. Ebenfalls 7 % der Befragten gaben an, dass sie bereit wären zu lernen, an einem Computer zu arbeiten. Relevant ist auch, dass 16 % von ihnen keinerlei Kompromisse für einen besseren Arbeitsplatz eingehen würden. Eine passende Lösung für Menschen über 45 ist die berufliche Umstellung – also das Erlernen neuer Fähigkeiten und das Beschreiten von beruflichem Neuland, sagt Raluca Dumitra:



    “Idealerweise sollten wir mehr Unternehmen sehen, in denen Arbeitnehmer über 45 bereit sind, ihr Fachwissen und ihre im Laufe der Jahre erworbenen Fähigkeiten mit der jüngeren Generation zu teilen, was für alle von Vorteil wäre. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir mehr Kandidaten sehen werden, die sich beruflich Umorientieren, denn 45 % von ihnen haben uns gesagt, dass sie bereit wären, in andere Bereiche zu wechseln, in die sie ihre vorhandenen Fähigkeiten einbringen könnten. Es wäre auch sehr gut, wenn sie verstehen würden, dass im Jahr 2021 die Digitalisierung im Beruf keine Macke mehr ist, sondern etwas, wozu jeder Bewerber bereit sein muss. Fehlende Computerkenntnisse sind ein eindeutiger Nachteil bei der Arbeitssuche in jedem Alter, nicht nur bei über 45-Jährigen,” warnt Raluca Dumitra .



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  • Save the Children: Viele Kinder in prekären Situationen

    Save the Children: Viele Kinder in prekären Situationen

    Die Lockerung der Anti-Pandemie-Ma‎ßnahmen in Rumänien ausgerechnet am 1. Juni hat zum Internationalen Tag des Kindes eine gro‎ße Anzahl von Veranstaltungen möglich gemacht. Seit 2017, als der erste Tag des Sommers zu einem offiziellen Feiertag wurde, ist er auch in Rumänien eine Gelegenheit für Eltern und Kinder, Zeit miteinander zu verbringen, zu spielen und Spa‎ß zu haben. Diesmal konnten Gro‎ß und Klein die Lockerung der Anti-Pandemie-Ma‎ßnahmen genie‎ßen und den Tag entspannt verbringen. Eltern durften sich auch am Montag, den 31. Mai, einen Brückentag frei nehmen und hatten somit ein sehr langes Ferienwochenende. Es gab Veranstaltungen für jeden Geschmack und jedes Alter: Spiele im Freien, Theateraufführungen, Ausstellungseröffnungen, Konzerte, Kreativ-Workshops, Sportveranstaltungen und Ausflüge… Andere zogen es vor, Museen, Erlebnisparks oder den Zoo zu besuchen, je nachdem, wie das Wetter mitspielte. Kinder bekamen viele Geschenke, wobei die Sü‎ßigkeiten am meisten geschätzt wurden.




    Am 1. Juni gilt es aber auch, an die benachteiligten Kinder zu denken, denn die Statistik ist alarmierend: Laut des Vereins “Rettet die Kinder” sind Kinder in Rumänien zur Hälfte funktionale Analphabeten oder leiden unter irgendeiner Form von körperlicher, emotionaler oder sexueller Gewalt. Eines von drei Kindern ist von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht; sechs von zehn Kindern sterben, bevor sie ein Jahr alt sind; jedes Jahr werden 750 Teenager unter 15 Jahren Mütter; mindestens 100.000 Kinder leben ganz oder teilweise ohne ihre Eltern, während es für 78.000 Kinder mit Behinderungen in Rumänien kaum Chancen für eine soziale und schulische Integration gibt, so “Rettet die Kinder” in einer Pressemitteilung.




    Die Organisation fordert das Parlament und die Regierung auf, konkrete Ma‎ßnahmen zu ergreifen, um zehn identifizierte schwerwiegenden Probleme zu lösen: So gilt es, der Armut der Familien und Gemeinden, in denen einige Kinder leben, entgegenzuwirken, eine gerechte und qualitativ hochwertige Bildung für alle zu gewährleisten, psychotherapeutische Hilfe nach der Pandemie bereitzustellen und Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Besonderes Augenmerk muss auch auf minderjährige Mütter und Kinder gelegt werden, deren Eltern zum Arbeiten ins Ausland gegangen sind. Die Kindersterblichkeit muss gesenkt werden, und Heimkinder müssen besser geschützt sein. Kinder mit Behinderungen sind besser in das Bildungssystem zu integrieren. Nicht zuletzt gehören Kinder an Entscheidungen mitbeteiligt, die sie direkt betreffen.



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  • Frauen waren Leidtragende der Pandemie

    Frauen waren Leidtragende der Pandemie

    Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Marktforschungsunternehmens FRAMES hat ergeben, dass bei sieben von zehn Frauen die Pandemie ihre Lebensweise beeinträchtigt hat, wobei 65 % der Frauen über die Isolation durch die Einschränkungen klagten, sagt Adrian Negrescu von FRAMES:



    “58 % der Frauen gaben zudem an, dass die Arbeit von zu Hause aus für sie die ganze Zeit eher eine Belastung war, da niemand so sehr darauf vorbereitet war. Wir hatten keine Computer; wir hatten keine Videokameras. Au‎ßerdem ist es schwierig, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, wenn man zu Hause ist, in einer sehr kleinen Wohnung, mit der Familie, mit den Kindern in der Nähe,” bemerkt Negrescu – kein Wunder, dass nur 26% der Frauen Telearbeit positiv finden, sagt er.




    In den ländlichen Gebieten, aber auch in anderen unterprivilegierten Regionen, war Telearbeit weniger verbreitet. Dafür setzten sich Menschen hier mit eine erhöhten wirtschaftlichen Unsicherheit sowie psychologischen Verunsicherungen auseinander, findet die Organisation FILIA, die sich für den Schutz der Rechte von Frauen einsetzt:



    “Die Frauen, mit denen wir in den ländlichen Gebieten arbeiten, hatten keine andere Wahl, als ihren Job im Ausland wieder aufzugeben und konnten auch als Tagelöhnerinnen nicht mehr arbeiten. Sie mussten zu Hause bei ihren Kindern bleiben, die nicht mehr zur Schule gehen konnten”, sagt FILIA-Chefin Andreea Rusu. Auch die Partner oder Ehemänner konnten nicht arbeiten gehen, denn viele Menschen am Land haben keine Arbeitsverträge. Hygieneartikel oder Lebensmittel zu kaufen war viel komplizierter als vorher und Erhebungen zeigen, dass während des Notstands zwei Drittel der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung von Frauen gestellt wurden. Eine Gesundheitskrise ist immer auch eine wirtschaftliche oder soziale Krise und die Frauen leiden als erste darunter. Frauen kümmern sich um Kinder, die nicht in die Schule gehen, oder um kranke Verwandte. Sie haben also kaum Zeit, um zu arbeiten, was bedeutet, dass sie finanziell noch prekärer situiert sind und so hoch abhängiger von ihren Partnern werden, glaubt Andreaa Rusu.




    Das stellt auch Adrian Negrescu von der Firma Frames fest. 64% der Frauen gaben an, dass sie durch den Aufenthalt zu Hause ihre Partner besser kennenlernen konnten, erläutert er. Vor der Pandemie waren Männer und Frauen ja oft ganztags mit ihrer Arbeit beschäftigt und trafen sich in der Regel abends und an den Wochenenden. Nun aber lebten sie zusammen auf engstem Raum rund um die Uhr und nahmen sich ganz anders wahr. Für einige hing plötzlich der Haussegen schief, weshalb es im Jahr 2020 so viele Scheidungen gab und der Trend sich 2021 hält.



    Unter der Pandemie hatten aber auch die Beziehungen zwischen Müttern und ihren Kindern zu leiden, da die eigenen vier Wände plötzlich Schule, Büro und Wohnung in einem wurden. Einige der Frauen fanden es gut, ihren kleinen Kindern näher zu sein, sagt Adrian Negrescu:



    “Mütter hatten engeren Kontakt zur Welt ihrer Kinder. Die Kinder arbeiteten online und erledigten ihre Schulaufgaben von zu Hause aus. Eltern und Kinder verbrachten mehr Zeit miteinander als vor der Pandemie. Einige der Mütter entdeckten praktisch ihre Kinder, sie entdeckten Dinge an ihren Kindern, die ihnen vorher nicht aufgefallen waren,weil sie sonst wenig Zeit hatten”.




    In diesen schwierigen Umständen wäre zusätzliche Hilfe wirklich willkommen gewesen, wirft Andreea Rusu von der Frauenorganisation FILIA ein :



    “Für Frauen, denen es schwerfiel, von zu Hause aus, in der Nähe ihrer Kinder, zu arbeiten hätten Alternativen geschaffen werden müssen. Die Behörden haben verschiedene Hilfsformen angeboten, z. B. Kurzarbeit, aber das war nicht genug. Sehr viele Frauen sagten uns, dass sie keine andere Wahl hatten, als nachts zu arbeiten, oder dass sie sich für eine Krankschreibung entschieden haben, weil sie mit ihren häuslichen Pflichten nicht mehr zurechtkamen. Aus diesem Grund hat der Stress für die Frauen während der Pandemie zugenommen und die Arbeitsbelastung wurde grö‎ßer, während es für sehr viele von ihnen sehr schwer war, ein Gleichgewicht zwischen dem Privat- und dem Berufsleben zu finden. “




    Ein weiterer Grund für Stress war, dass der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen erschwert wurde, da die COVID-19-Fälle Vorrang bei der Behandlung hatten. Die Pandemie hat die Bedeutung der Prävention hervorgehoben, die von den meisten Menschen in Rumänen eher vernachlässigt wurde. Adrian Negrescu meint, dass es also mindestens ein positives Ergebnis der Pandemie gibt.



    “Frauen sind zunehmend vorsichtiger geworden, was ihre Gesundheit angeht und das ist gut. Vor der Pandemie gaben 61 % der Befragten an, sie gingen nur in der Not zum Arzt und 21 % erklärten, sie gingen nur einmal im Jahr zum Arzt. Nur 11 % lie‎ßen sich vierteljährlich ärztlich untersuchen. Jetzt, im Jahr 2021, hat das Wohlbefinden oberste Priorität. 83% der Befragten sind der Meinung, dass dies 2021 die höchste Priorität hat,.




    Der von Negrescu hervorgehobene positive Aspekt wird jedoch von einem anderen in den Schatten gestellt – die häusliche Gewalt nahm vor allem in den Lockdown-Phasen stark zu. Nicht nur in Rumänien, sondern in der gesamten EU.



    Audiobeitrag hören:



  • Familienausgaben in Zeiten der Pandemie: Viele sind knapp bei Kasse

    Familienausgaben in Zeiten der Pandemie: Viele sind knapp bei Kasse

    Die neulich vom Nationalen Statistischen Amt durchgeführte Studie zu den Lebensbedingungen der rumänischen Bevölkerung bezieht sich auf das Jahr 2019 und stellt fest, dass zu diesem Zeitpunkt 34% der rumänischen Familien Schwierigkeiten hatten, den Alltag finanziell zu stemmen. Leichte Schwierigkeiten bei der Deckung der täglichen Ausgaben hatten jedoch bereits über 77% der befragten Haushalte. Die Lage in diesem Jahr wird sich wohl insbesondere im ländlichen Raum vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie verschlechtert haben. Eine soziologische Studie der Stiftung World Vision Rumänien bestätigt dies.



    Oana Şerban ist Sprecherin der Stiftung, deren Aufgabe es ist, den Menschen im ländlichen Raum zu helfen: In armen ländlichen Gemeinden haben die Menschen keine Jobs wie wir sie haben und am öftesten übernehmen sie Gelegenheitsarbeiten“, sagt die Aktivistin. Andere bleiben zu Hause und verlassen sich allein auf das Kindergeld. In diesem Frühjahr hat Word Vision die Studie durchgeführt und das Ergebnis war nicht überraschend. Mehr als 60% der Eltern im ländlichen Raum haben nicht gearbeitet, während 40% der Befragten nicht oder nur teilweise das notwendige Minimum an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Hygieneprodukten für ihre Kinder bereitstellen konnten. Praktisch sprach ein Fünftel der Befragten über Einkommensverluste, weil sie entweder entlassen wurden oder keine Beschäftigung als Tagelöhner mehr gefunden haben. Daher sahen sich über 40% der Eltern gezwungen, die bereits geringen Ausgaben im eigenen Haushalt während des Lockdowns zu senken. 26% gaben an, keinen Arbeitsplatz und keine Einkommensquelle mehr zu haben. Das bedeutet, dass die Pandemie erhebliche Auswirkungen auf das Leben auf dem Land hatte, sagt Oana Şerban.


    Das Nationale Statistische Amt hat festgestellt, dass in 48% der Haushalte, die im letzten Jahr nur schwer die laufenden Ausgaben decken konnten, das Familienoberhaupt ein Landwirt war. Bei der Bewertung eigener Bedürfnisse und Ausgaben, gaben 5% der Landbewohner an, ein monatliches Einkommen von 1000 Lei oder 205 Euro zur Deckung der laufenden Ausgaben zu benötigen. Städtische Haushalte denken in anderen Grö‎ßenordnungen: 86% von ihnen brauchen mehr als das Doppelte, also 2000 Lei oder 410 Euro für das absolute Minimum. Dies deutet auf enorme Unterschiede zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Milieus hin, stellen die Fachleute des Instituts fest. Man könnte auch sagen, dass die Menschen dort, wo die Lebensbedingungen eher prekär sind, weniger Wünsche und Bedürfnisse haben, weil alles schwieriger zu erreichen ist.


    Im Gespräch mit Kindern haben wir festgestellt, dass sie sich nicht zu sehr beschweren, aber das ist der Tatsache zu verdanken, dass sie Entbehrungen gewohnt sind“, konstatiert auch Oana Şerban von World Vision Romania — sie geben sich mit wenig zufrieden, denn das hat ihnen das Leben beigebracht, und das ist sehr traurig, findet sie.



    Ob Stadt oder Land, das zweite Halbjahr des letzten Schuljahres fand zudem hauptsächlich online statt. Besser gesagt, es hätte so sein sollen. Wie üblich gibt es gro‎ße Unterschiede zwischen der Welt auf dem Papier und der Realität vor Ort, stellte die Stiftung World Vision Rumänien fest. Rund 40% der Schüler am Land haben nicht an Online-Kursen teilgenommen und nur 64% der Lehrer haben im Internet unterrichtet, der Rest schickte Hausaufgaben per SMS, auf WhatsApp oder Messenger. Wieder andere gingen von Haus zu Haus, um den Kindern gedruckte Unterlagen auszuhändigen. Mehr als 55% der Eltern verfügen über kein digitales System für jedes Kind in der Familie“, rechnet Oana Şerban vor.



    Dabei haben die meisten Familien mehr als ein Kind, möglicherweise zwei, drei oder sogar vier. Anstatt gleichzeitig Online-Kurse zu belegen, mussten sie abwechselnd den Unterricht auf dem gleichen Handy besuchen. Es war also sehr schwierig, die Kontinuität der Bildungsprozesse zu gewährleisten. Das ist sehr ernst, sagt Şerban, denn von dort aus ist es nur ein Schritt bis zum Schulabbruch. Nur 20% gaben an, dass ihre Kinder die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten Fernsehkurse besucht hätten, da einige Familien nicht einmal über einen Fernseher verfügen.


    Übrigens Schule: Neue Erkenntnisse stellen den Ablauf des neuen Schuljahres infrage, das am 14. September begonnen hat und in dem wieder zunehmend Online-Kurse angeboten werden. Nach Gesprächen mit 62 Schulleitern im ländlichen Raum kamen die Experten der Stiftung World Vision Rumänien zu dem Schluss, dass derzeit jede vierte Schule nicht ans Internet angeschlossen ist, 9 von 10 Schulen keine Computer oder Laptops oder Tablets für Online-Kurse haben, und 12% der Schulleiter glauben, dass das Risiko des Analphabetismus aufgrund der Coronavirus-Pandemie zunehmen wird.

  • Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Der bereits in den anderen Ländern des ehemaligen Osblocks einsetzende Niedergang des Kommunismus hatte einen hohen Preis in Rumänien — tausende von Opfern, die meisten davon junge Menschen, die mit ihrem Blut vor 30 Jahren Geschichte geschrieben haben. Eine derartige Revolution verändert die Selbstauffassung der gesamten Gesellschaft in Bezug auf ihren eigenen Werdegang.



    Das Gedächtnis hat jedoch subjektive Züge, und jeder Rumäne erinnert sich anders an die Zeit vor Dezember 1989. Im Suţu-Palast in Bukarest fand ein Treffen statt, das sich mit dem Einfluss der persönlichen Archive auf das Image der Osteuropäer im Zusammenhang mit den Veränderungen von 1989, aber auch mit dem alltäglichen Leben dieser Zeit befasste. Raluca Alexandrescu, Universitätsdozentin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Bukarest, spricht über das subjektive Erinnerungsvermögen:



    Es war kalt in den Wohnungen, die Leute standen für alles Mögliche Schlange in den Läden… Wenn ich Leute treffe, die mir erzählen, dass es ihnen während des Ceauşescu-Regimes gut ging, bin ich immer wieder erstaunt, obwohl es viele Arten gibt, sein Leben zu führen. Andererseits ist es aber auch verständlich, dass die Erfahrungen der Einzelnen vor 1989 unterschiedlich sind und miteinander konfrontiert werden müssen. Aus diesem Grund denke ich, dass die heutige Blockade in der Wahrnehmung mit diesem anhaltenden Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erlebnissen der Einzelnen zu erklären ist. Einige sind nostalgisch, andere haben für die Zeit vor Dezember 1989 sogar eine Art Kult entwickelt und wiederum ist es für andere Menschen unvorstellbar, dem Kommunismus und dem Ceauşescu-Regime mit Nostalgie zu begegnen.“




    In der rumänischen Gesellschaft war die weit verbreitete Angst vielleicht das prägendste Gefühl während des Ceauşescu-Regimes. Der von der Securitate betriebene Unterdrückungsapparat war zu einem unsichtbaren, jedoch allgegenwärtigen Feind geworden, und der Mut, öffentlich über die eigenen politischen Überzeugungen zu sprechen, wurde von den meisten Menschen als riskantes Wagnis angesehen. Raluca Alexandrescu bringt weitere Einzelheiten:



    In diesem schizoiden Umfeld, in dem viele von uns aufgewachsen sind, wusste jeder sehr genau, dass es überhaupt nicht ratsam war, das zu Hause in der Familie Besprochene weiterzuerzählen. Dies ist für meine Generation, für die etwas jüngere und insbesondere für die etwas ältere Generation immer noch ein Problem. Wir leben, wir bilden uns und agieren in der Gesellschaft, vielleicht ohne es zu merken, in einem Zustand der Binarität uns selbst gegenüber, aber auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Unser Bezug zur Öffentlichkeit und zur Stellungnahme und Involvierung im öffentlichen Leben ist ebenfalls davon geprägt, ohne dass wir es merken würden.“




    Der Moment der Revolution änderte das Bewusstsein und bestimmte das Leben der Überlebenden. Der Weg zur Demokratie wurde mit der Überwindung der Angst eröffnet. Die rumänischen Bürger gewannen eines der wichtigsten Grundrechte: die Rede- und Meinungsfreiheit. Raluca Alexandrescu dazu:



    Die Erfahrung von 1989 war bis zu einem gewissen Punkt sogar eine unvermittelte. Ich erinnere mich, dass ich am 21. Dezember 1989 mit meinen Brüdern in die Stadt ging, um etwas für Weihnachten zu kaufen. Wer sich noch daran erinnert, dass es damals kaum noch etwas zu kaufen gab, versteht, dass es nur ein Vorwand war, ein wenig aus dem Haus zu gehen. Mein Bruder, meine Schwester und ich gingen zum Universitätsplatz, wo die Menschen bereits zu protestieren begonnen hatten. Ich erinnere mich, dass ich mit 14 Jahren versuchte, ‚Nieder mit dem Kommunismus!‘ und ‚Nieder mit Ceauşescu!‘ zu skandieren. Doch damals und dort, beim Hotel Intercontinental, kam der Ton aus meinen Stimmbändern, aus meiner Kehle nicht raus. Ich war wie versteinert. Es waren etliche Minuten, in denen meine Stimmbänder auf die Befehle des Gehirns nicht mehr reagierten. Ich schrie aber innerlich, und das ist der Moment, an den ich mich als meine kleine innere Revolution erinnere.“




    Anlass des Treffens zur Erinnerung an die Revolution und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige rumänische Gesellschaft war die Ausstellung des amerikanischen Fotografen Edward Serotta. In jenen Dezembertagen 1989 dokumentierte er — der Securitate zum Trotz — die Ereignisse auf der Stra‎ße. Ähnlich war er noch in Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR vorgegangen, wei‎ß Adrian Cioflâncă, Direktor des Zentrums für die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien und Mitglied der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS):



    Edward Serotta hatte mehr Bewegungsfreiheit als zum Beispiel Anne Applebaum, die 1989 zusammen mit einem BBC-Journalisten nach Rumänien kam und am Flughafen von Securitate-Beamten mit riesigen Walkie-Talkies begrü‎ßt wurde, wie in einem albernen Agenten-Film. Die Securitate wollte die beiden Journalisten einschüchtern, sie daran hindern, sich mit einigen Dissidenten zu treffen und einige wichtige Orte aufzusuchen, die mit der antikommunistischen Dissidenz zu tun hatten. Praktisch konnten die beiden ausländischen Journalisten nicht viel erreichen, überall, wohin sie gingen, waren ihnen Securitate-Leute auf den Fersen. Im Fall von Edward Serotta tappte die Securitate in eine Falle. Serotta hat sie hereingelegt, er hat vorgetäuscht, eher an den jüdischen Gemeinden in Rumänien interessiert zu sein. Er kannte allerdings verschiedene Memoiren über Rumänien in der Zwischenkriegszeit.“




    1989 — das Jahr, in dem Europa zu sich selbst wiederfindet“, eine Ausstellung im Museum für die Geschichte der Stadt Bukarest, die in Partnerschaft mit dem Österreichischen Kulturforum organisiert wurde, setzt sich nicht so sehr mit dem Fall des Kommunismus auseinander, sondern dokumentiert vielmehr die Wiederverankerung der Freiheitsidee im kollektiven Denken. Die rumänische Gesellschaft befindet sich immer noch in einem Wandel der Wahrnehmungen, Mentalitäten und der Erinnerungsfähigkeit.

  • Trend zu später Mutterschaft erreicht auch Rumänien

    Trend zu später Mutterschaft erreicht auch Rumänien

    Nach den neuesten vom Europäischen Statistikinstitut Eurostat veröffentlichten Daten lag das Durchschnittsalter, in dem Frauen in der Europäischen Union ihr erstes Kind bekommen, 2017 bei 29 Jahren, wobei die jüngsten Mütter mit durchschnittlich 26,5 Jahren in Bulgarien und Rumänien gemeldet wurden. Anscheinend folgen rumänische Frauen dem Beispiel westeuropäischer Familien. Paare wünschen sich weniger Kinder und erst später im Leben. Die Menschen sind mehr an persönlichem Glück interessiert. In den letzten Jahren hat der Beruf im Leben von Frauen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie sind mehr am Studium und am beruflichen Aufstieg interessiert, was das Familienleben zu einer geringeren Priorität macht.



    Andererseits warnen Experten davor, dass eine spätere Schwangerschaft eine Reihe von Risiken mit sich bringt. Ştefania Mircea, Projektkoordinatorin bei der NGO Save the Children“, erklärt:



    Es ist ein aktueller Trend, dass die Geburt des ersten Kindes bis nach dem Alter von 30 Jahren verschoben wird. Männer und Frauen werden Eltern viel später als frühere Generationen. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben vor allem mit dem wachsenden finanziellen und beruflichen Druck zu tun. Manchmal sind die Folgen nicht unbedeutend und gehen bis hin zur Unmöglichkeit einer Schwangerschaft. Aber es gibt noch viele andere Risiken: Fehlgeburt, genetische Anomalien des Fötus, Schwangerschaftsdiabetes, Frühgeburt, schwierige Geburt oder gar Tod bei der Geburt. Der allgemeine Konsens ist, dass eine Frau im Alter von 25 Jahren die maximale Fruchtbarkeit erreicht.“




    Doch trotz des Anstiegs des Durchschnittsalters der Mutterschaft konfrontiert sich Rumänien nach wie vor mit gro‎ßen Problemen, insbesondere in gefährdeten Gemeinschaften. Die europäische Erhebung zeigt auch, dass der höchste Prozentsatz der jugendlichen Mutterschaft (Mütter unter 20 Jahren) 2017 ebenfalls in Rumänien und Bulgarien gemeldet wurde, nämlich 13,9 % der Gesamtzahl der Erstmütter. Rumänien steht bei der Zahl der minderjährigen Mütter an der Spitze der EU-Länder.



    Laut dem jüngsten Bericht der Organisation Save the Children“ gingen 5 von 10 Müttern unter 18 Jahren noch nie zu einer fachärztlichen Untersuchung, was zu einer viermal höheren Frühgeburtenrate führte. Ştefania Mircea erzählt uns mehr:



    Das Problem der Mütter im Teenageralter ist in Rumänien nach wie vor alarmierend, da die Kindersterblichkeit fast dreimal so hoch ist wie bei erwachsenen Müttern mit offiziellem Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung. Laut einer Anfang des Jahres vom Nationalen Statistikamt veröffentlichten Umfrage lag die Kindersterblichkeit bei Müttern unter 15 Jahren 2017 bei 17,3 pro 1.000 Lebendgeburten, während die durchschnittliche landesweite Rate bei 6,7 pro 1.000 Lebendgeburten lag. Für die Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen war die Säuglingssterblichkeit im Jahr 2017 höher als die landesweite Durchschnittsrate, nämlich 10,5 pro 1.000 Lebendgeburten. Nach den neuesten Statistiken wurden 2017 insgesamt 742 Jugendliche unter 15 Jahren zu Müttern, während 18.938 Lebendgeburten für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren gemeldet wurden.“




    Seit einigen Jahren führt die Organisation Save the Children“ Programme zur Unterstützung der gefährdeten Gemeinschaften Rumäniens durch, wie Ştefania Mircea uns mitteilte:



    Wir haben diese Familien unterstützt, indem wir die richtige medizinische Behandlung und alles, was mit der Bildungskomponente zusammenhängt, angeboten haben. Wir haben ein Netzwerk zur Unterstützung der sozialen Integration und Armutsbekämpfung geschaffen, das integrierte medizinische, soziale und Bildungsdienste auf lokaler Ebene anbietet. Wir arbeiten in 14 Bezirken und haben eine Verbesserung festgestellt. Wir verfügen über lokale Teams, die rund 7.500 Menschen unterstützen, darunter Kinder unter 5 Jahren, junge Mütter und schwangere Jugendliche. Als Ergebnis unserer Intervention hatten mehr als 30% der schwangeren Frauen in diesen Gemeinden gynäkologische Untersuchungen während der Schwangerschaft. Die Kinder und Schwangeren, die wir unterstützen, besuchten ihre Hausärzte, andere meldeten sich bei einem Hausarzt an. Das sind Dienstleistungen, von denen sie vorher nicht profitiert hatten, weil sie entweder nicht wussten, dass solche Dienstleistungen verfügbar waren, oder weil es für sie schwierig war, die Arztpraxis zu erreichen.“




    Die Emanzipation der Frauen, die Intensivierung der Migration, die wachsenden Anforderungen an die Erziehung und Bildung von Kindern und das Fehlen einer Familienpolitik sind einige der Ursachen, die zu niedrigeren Geburtenraten in Rumänien führen. Laut Statistik nimmt die Bevölkerung Rumäniens in einem alarmierend schnellen Tempo ab. 2018 gab es die niedrigste Zahl von Lebendgeburten seit fünfzig Jahren, nur 173.900 Kinder wurden geboren. Junge Rumänen verlassen jedes Jahr das Land auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. In zehn Jahren, von 2007 bis 2017, verlie‎ßen 3,4 Millionen Menschen Rumänien, was etwa 17% der Bevölkerung des Landes ausmacht.

  • 90 Jahre Radio România

    90 Jahre Radio România

    Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Bukarest die Kontrolle über alle historischen Provinzen mit mehrheitlich rumänischer Bevölkerung, die bis dato von den benachbarten Vielvölkerreichen regiert worden waren. Zehn Jahre später beschenkte sich Rumänien selbst mit dem effizientesten Kommunikationsmittel der Zeit – dem Radio. Es war das einzige Mittel, das bis in die entfertensten Winkel des vereinigten Landes gelangen konnte. Am 1. November 1928 ging die sogenannte Radiotelefonische Rundfunkgesellschaft Rumäniens“ zum ersten Mal auf Sendung. Hallo, hier Radio Bukarest“ lauteten die ersten auf unserer Wellenlänge ausgesprochenen Worte. Sie stammten vom ersten Intendanten der Institution, dem Physiker Dragomir Hurmuzescu.



    Das rumänische öffentlich-rechtliche Radio, das von Anfang an als Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsmedium gedacht war, strahlt seit 90 Jahren praktisch ununterbrochen aus. Es musste seine Redaktionspolitik stets anpassen und manchmal der Politik Tribut zollen, aber der Rundfunk hat die radikalen Regimewechsel, die Rumänien in dieser Zeit durchgemacht hat, überlebt – von der Demokratie der Zwischenkriegszeit bis hin zu den rechtsextremen Diktaturen rund um und während des Zweiten Weltkriegs sowie vom totalitären, kommunistischen Regime bis hin zur im Dezember 1989 wieder hergestellten Demokratie.



    Radio Romania richtet sich an die gesamte Gesellschaft, an alle Generationen und Geschmäcker und hat über die Jahre versucht, das Image eines nationalen, öffentlichen, ausgewogenen Senders aufrecht zu erhalten. Landesweit sind der Nachrichtensender Actualități, der Kultursender Cultural, der Musiksender Muzical und der Sender für die Dorfgemeinden Antena Satelor zu empfangen. Hinzu kommen die regionalen und lokalen Studios sowie die Internetsender für Kinder und Jugendliche. Das rumänische öffentliche Radio hat bereits seit den 1930er Jahren auch mit der Ausstrahlung von Programmen für das Ausland begonnen.



    Heute versucht Radio Rumänien International, die rumänische Aktualität und die nationalen Werte für Ausländer verständlich zu machen und die Verbundenheit der ständig wachsenden Diaspora mit der Heimat zu pflegen. Radio Rumänien International überträgt Programme in 11 Fremdsprachen (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Hebräisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Serbisch, Spanisch, Russisch, Ukrainisch) sowie auf Rumänisch und im aromunischen Dialekt.



    Derzeit gilt die rumänische Rundfunkgesellschaft als glaubwürdigste und bedeutendste Medienanstalt des Landes, nach der Anzahl der Hörer, die ihre täglichen Programme einschalten, den Kampagnen, an denen sie beteiligt ist, und den großen Kulturprojekten, die sie entwickelt. Die Einschaltquoten von Radio Rumänien liegen täglich bei über 4,5 Millionen Hörern und der Marktanteil liegt bei 30%.



    Anlässlich des 90. Jahrestages der Gründung des öffentlich-rechtlichen Radiosenders hat Rumäniens Verteidigungsminister Mihai Fifor den Nachrichtensender Radio Romania Actualități mit dem Verdienstzeichen Partner für die Verteidigung Erster Klasse ausgezeichnet. Der wichtige Orden wurde als Zeichen der Anerkennung für die ununterbrochene Unterstützung bei der Image-Pflege der Rumänischen Armee verliehen, hieß es. Außerdem erhielt Radio Romania als Anerkennung der neun Jahrzehnte im öffentlichen Dienst eine Trophäe von der Handelskammer der Stadt Bukarest, die im Rahmen der Bukarester Filmgala verliehen wurde.

  • Verantwortungsvolle Bürger – aber verantwortungslose Gesellschaft

    Verantwortungsvolle Bürger – aber verantwortungslose Gesellschaft

    Es ist ein Paradox: 97% der Menschen halten sich selbst für verantwortungsbewusst, aber nur 8% glauben, dass sie in einer verantwortungsbewussten Gesellschaft leben. Aber 89% der Bürger sagten, dass sie eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft empfinden. Was auf einen ersten Blick seltsam erscheint, ist in der Soziologie Alltag, meint der Fachmann: Diese sehr ausgeprägte Dissonanz haben wir auch bei anderen Studien angetroffen, bei denen wir den gesunden Menschenverstand auszuforschen versuchten. Sie nimmt eine einfache Form an: Ich besitze Merkmal X, aber niemand anders oder ganz wenige haben dieses Merkmal ebenfalls. Jeder glaubt, dass er seinen Job macht und sich korrekt verhält“, sagt Barbu Mateescu.



    Zum einen habe das zu tun mit einem aus dem Kommunismus überlieferten generellen Misstrauen in die Gemeinschaft, zum anderen mit einer Kombination zwischen einem sehr kritischen Blick auf die Gesellschaft und einer sehr positiven Selbstwahrnehmung, meint er. Bestes Beispiel sei die Wahrnehmung im Umweltschutz. 95% fühlen sich verantwortlich für die Umwelt — aber das Land wird gerade von der EU abgestraft für die fehlerhafte Abfallwirtschaft, so Barbu Mateescu: Die Leute glauben sogar, dass die Verantwortung für die Umwelt wichtiger ist als die für Freunde, Kollegen, Vorgesetzte oder Mitarbeiter. Umwelt belegt in dieser Rangordnung Platz zwei gleich hinter der Familie. Wie der Soziologe aber weiter ausführt, setzten die meisten Befragten das Umweltbewusstsein mit einfachen Alltagshandlungen gleich — wenn sie nach einem Papierkorb suchen, anstatt das Papier auf die Stra‎ße zu werfen, haben sie die Umwelt gerettet.



    98% der befragten Personen sind der Meinung, dass die Verantwortung gegenüber der eigenen Familie am stärksten ins Gewicht fällt. Überhaupt spielt der enge Umkreis eine herausragende Rolle — 92% fühlen sich gegenüber Freunden verantwortlich. Interessanterweise spielt das Verantwortungsgefühl per se eine gro‎ße Rolle — 98% glauben, dass sie für den Erfolg relevant ist. Die Erfolgsidee wird also auch aus dieser Perspektive definiert, findet der Soziologe Barbu Mateescu: Der Dreh- und Angelpunkt der rumänischen Gesellschaft ist die Familie und der sehr enge Umkreis: Eltern, Ehepartner, Kinder. Der Zusammenhalt dieser Familie ist ausschlaggebend, damit jemand Erfolg beanspruchen kann.“ Barbu Mateescu fügt an, dass auch die Bildung und Erziehung der Kinder wichtig ist — dem Kind eine Ausbildung zu geben, die ihm dann ausreichend Ansehen und finanzielles Vermögen sichern, gehört ebenfalls zum Erfolg. Für die meisten ist ein anständiges, ausgeglichenes Leben sehr wichtig — sie mögen keine Schulden und wenn sie Schulden machen, wollen sie sie schnellstmöglich zurückzahlen. 9 von 10 Rumänen gaben in der Erhebung an, ihre Schulden pünktlich zu bezahlen. 8 von 10 erklärten, nur so viel auszugeben, wie sie sich leisten können. 6 von 10 sagen, dass sie gerne sparen wollen — aber nur 3 von 10 gelingt das.



    Ist aber dieses Bild einheitlich? Nicht unbedingt, glaubt Barbu Mateescu. Die Eigenwahrnehmung des Verantwortungsbewusstseins hängt sehr viel von spezifischen Umständen ab — in einer siebenbürgischen Stadt, wo relativ viel Kapital vorhanden ist und wo es kaum Jobprobleme gibt, sieht es anders aus als in einer auf einen ersten Blick ähnlichen Kommune in der Moldau, wo Arbeitsplätze selten sind. Es ist also schwer, Gemeinsamkeiten zu finden“, sagt Mateescu. Der Soziologe unterstreicht aber einen klaren roten Faden — wo immer die Befragten auch wohnten, die Familie kam immer zuerst.

  • Religion prägt Weltanschauung

    Religion prägt Weltanschauung

    95% der Rumänen glauben an Gott, aber nur 21% geben an, dass sie jede Woche in die Kirche gehen. Obwohl 67% glauben, dass “Homosexualität entmutigt werden sollte”, finden nur 27% der Rumänen, dass das Referendum zur Definierung der Ehe ausschlie‎ßlich als Vereinigung zwischen Mann und Frau notwendig ist. Diese Daten sind neulich von der Friedrich Ebert Stiftung in Rumänien veröffentlicht worden.



    Die Stiftung präsentierte die Daten vor einem besonderen Hintergrund: die Regierungskoalition verkündete die Absicht, ein Referendum abzuhalten, um einer Bürgerpetition mit 3 Millionen Unterschriften zur Änderung der rumänischen Verfassung Folge zu leisten. Die Menschen wollen, dass in der Verfassung die freie Eheschlie‎ßung zwischen Mann und Frau als Grundlage der Familie definiert wird – und nicht, wie jetzt, nur der Zusammenschluss von Ehegatten. Den Antrag initiierte eine Koalition von mehreren Vereinen, die sich für die traditionelle heterosexuelle Familie unter anderem auf der Grundlage christlicher Prinzipien einsetzt. Obwohl die meisten Rumänen sich für religiös halten – wie es viele soziologische Studien zeigen – deckt die Statistik auch einige Diskrepanzen oder Lücken in dieser Logik auf, sagt Victoria Stoiciu, Repräsentantin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien. “Wir haben 99,6% der Rumänen, die – nach der Volkszählung – erklären, einer Religion anzugehören. Wenn wir auf der anderen Seite genauer hinschauen, wie die Menschen in ihrem Alltag diese religiösen Überzeugungen ausleben, sehen wir, dass nur 44% der Rumänen täglich beten. Und nur 21% der Befragten sagen, sie gingen wöchentlich in die Kirche. Eine Diskrepanz fällt sofort auf. Fast 100% der Rumänen halten sich für religiös, aber anscheinend praktizieren viel weniger Menschen ihre Religion”, sagt Stoiciu.



    Der Anthropologe Vintilă Mihăilescu stimmt den Daten zu, die die Stiftung aus mehreren Quellen zentralisiert veröffentlichte. Er glaubt allerdings, dass man die Kluft zwischen vorgegebener Religiosität und tatsächlicher Praxis differenzierter betrachten muss: “Diesen Unterschied muss man nicht so deuten, dass Taten nicht den Worten folgen. Wir müssen nur verstehen, dass orthodoxe Praktiken möglicherweise weniger institutionalisiert sind als andere. Die direkte Beziehung zu Gott durch das Gebet zuhause ist auch eine Form der praktizierten Religion. Diese Kluft, die in der Statistik erscheint, deutet nicht unbedingt auf Heuchelei hin, wie sie sich oft ansieht. Es bedeutet nicht etwa: “Ich bin zwar fromm, aber ich habe keine Zeit für diesen Mist.” Häufig haben sehr fromme Gemeinschaften ihre eigenen Gewohnheiten, die oft vorchristlich, sogar magisch sind. Diese nicht kanonischen Praktiken werden dennoch von einigen Priestern akzeptiert, weil sie ihre Hirtenmission ermöglichen”, sagt der Anthropologe.



    Darüber hinaus bestätige die vom Social Monitor der FES veröffentlichte Infografik, dass die religiösen Gewohnheiten eher ein Bindemittel der Gemeinde als unbedingt Ausdruck des Glaubens ihrer Mitglieder sind. “Es scheint auch paradoxal, dass 99,6% der Befragten angeben, sie gehörten einer Religion an, aber nur 95% sagen, sie glauben an Gott. Es ist zwar kein riesiger Unterschied, von nur 5%, aber er kann nicht vernachlässigt werden. Er erklärt sich durch die Mitgliedschaft in einer Tradition und einer kulturellen Gemeinschaft. Zum Beispiel wird jemand in einer Familie von orthodoxen Christen geboren, dann getauft, und heiratet dann in der Kirche. Alles sind Merkmale der Mitgliedschaft in einer Religion, aber es bedeutet nicht, dass die Person tatsächlich auch an Gott glaubt. Die eher kulturelle Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft bedeutet nicht, dass eine Person sich gezwungen fühlt, die täglichen religiösen Praktiken einzuhalten, also Kirche, Gebet usw. Die gro‎ßen Übergangsrituale — Taufe, Hochzeit, Begräbnis — werden dennoch respektiert”, meint Victoria Stoiciu von der FES.



    Im gleichen Register der Kluft zwischen Grundsatz und Praxis müssten auch die Daten ausgelegt werden, die eine geringe Unterstützung für das Familienreferendum zeigen – nur 27% sind für das Referendum, obwohl 67% denken, dass Homosexualität entmutigt werden muss. Diese Daten zeugen auch von Toleranz, findet der Anthropologe Vintilă Mihăilescu. “Die Tatsache, dass Homosexualität entmutigt werden muss, ist aus der Perspektive eines frommen Christen oder eines Geistlichen völlig natürlich. Kein Thema, ob das richtig ist oder falsch ist: ich sage nur, dass die Aussage kohärent ist mit dem christlichen Gemeinverständnis. Die Überraschung liegt woanders. Zwei Drittel der Rumänen scheinen zu sagen: dieses Phänomen sollte nicht gefördert werden, aber das hei‎ßt nicht, dass wir die Verfassung oder die Gesetze ändern müssen. Homosexualität sollte also nicht ermutigt, aber auch nicht bestraft werden. Und das impliziert eine höhere Dosis von Weisheit, als ich erwartet hatte”, wundert sich der Anthropologe.



    Relevanter für den Gemütszustand in der Gesellschaft ist aber eine andere Zahl: 79% der Rumänen verknüpfen den Glauben mit der Moral und glauben, dass es notwendig ist, an Gott zu glauben, um moralisch zu sein und die richtigen Wertvorstellungen zu haben, so Vintilă Mihailescu. Ihm zufolge deutet das darauf hin, dass die Menschen die Welt als unmoralisch empfinden und die Kirche als einzige Orientierungshilfe.

  • Menschen im Niemandsland

    Menschen im Niemandsland

    Urbanismusexperten sind schon vor Jahren auf diese Entwicklung aufmerksam geworden. An der Peripherie gestandener Gemeinden entwickeln sich mit der Zeit neue Siedlungscluster. Der Staat kümmert sich kaum um die Menschen, die in diesen Niemandsgebieten leben, findet der Urbanismusforscher Bogdan Suditu: “Das ist ein zunehmendes Phänomen, das aber auf nationaler Ebene weniger gut bekannt ist. Das Entwicklungsministerium hat zwei Studien erstellt, aber das ist auch alles”, sagt Suditu.


    Die Menschen hier haben keine Ausweise, keine Anmeldung – sie sind sozusagen nur zur Hälfte Bürger dieses Landes, und das ist nicht OK, meint er. Sie können keine öffentlichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen – keinen Strom beziehen, keine Schule besuchen und so weiter. In solchen Satellitensiedlungen wohnen in Extremfällen bis zu 6000 Menschen auf einem Gebiet, das offiziell zu keiner Gemeinde gehört – ein echtes Niemandsland, wo die Kommunen oft auch ihre Abfälle entsorgen.



    Vor einigen Jahren wurde der Fall der Bewohner von Pata-Rât bekannt. Diese informelle Siedlung an der Mülldeponie der siebenbürgischen Gro‎ßstadt Cluj war ein Zuhause für bis zu 300 Familien. Das Cluster entstand im Laufe der Zeit, als arme Familien – vor allem Roma – aus der Stadt evakuiert wurden und sich hier niederlie‎ßen. Zu ihnen stie‎ßen dann Bewohner umliegender Dörfer, die von der Abfallwirtschaft lebten. Als die Stadt Cluj eine umweltgerechte Abfalldeponie bauen wollte, kam es zum Konflikt, denn die Menschen hätten erneut evakuiert werden müssen. Kein Einzelfall, sagt Bogdan Suditu: “Einige solche Gemeinden entstanden, weil der Staat Menschen praktisch gezwungen hat, dorthin zu ziehen und sie dann einfach vergessen hat – zum Beispiel im Gebiet Valea Corbului. Schon 1950 ordnete der Staat die Ansiedlung von 41 Familien – und meldete sich dann 60 Jahre gar nicht mehr bei ihnen. Und heute stellt dieser Staat fest, dass 1300 Menschen dort zum Teil illegal leben. Zu dieser geteilten Schuld müssen wir alle stehen”, glaubt der Urbanismusexperte.



    Im kleinen Gebiet Valea Corbului im Kreis Argeş in Südrumänien leben diese Menschen ohne Zugang zu einer normalen Kommunalversorgung – unter ihnen auch Marius Păcuraru, der über ein typisches Problem erzählt. “Zwischen 2001-2002 wurde das Dorf Valea Corbului erweitert. Meine Eltern zogen dorthin und bauten einfach ein kleines Haus, wo ich heute noch wohne. Über dieser Wohnung verlaufen Hochspannungsleitungen von nicht weniger als 40 Tausend Volt. Das gefährdet unsere Gesundheit, Nach zwei Stunden unter diesen Leitungen kriegt man Kopfschmerzen, meine Kinder spüren das auch”, klagt der Mann.



    Die Menschen, die unter diesen Hochspannungsleitungen leben, können ironischerweise keinen Strom beziehen. Sie versuchten vor einigen Jahren, einen Antrag beim Versorger zu stellen – aber weil sie keine Eigentumsurkunden für die Häuser haben, mussten sie klein beigeben.


    Selbst Bukarest ist von solchen Vorfällen nicht verschont geblieben. Hier gibt es eine solche Problemsiedlung sogar mitten in der Stadt, im Viertel Ferentari im 5. Bezirk, nicht weit vom Nobelviertel Cotroceni, wo auch der Präsidialpalast steht. Auch hier haben viele Mensche keine Papiere und leben deshalb abgeschnitten von der Kommunalversorgung.



    Rodica Păun ist wohnhaft in Ferentari und ist auch die zuständige Sozialarbeiterin der Gemeinde. “Das Problem mit fehlenden Papieren – Ausweise und Mietverträge – führt auch zu Probleme mit der Abfallwirtschaft und der Kommunalversorgung. Ohne Papiere können die Leute nicht zur Schule gehen und ohne Schule kriegen diese Leute keinen Job”, erläutert die Frau. Nach Diskussionen mit der Energiegesellschaft ENEL ist es ihr zumindest gelungen, die Stromversorgung für etwa 100 Leute zu arrangieren. Aber für viele ist es schwer, denn sie haben keine Baugenehmigung, keine Kaufverträge, leben also in einem rechtlichen Vakuum.



    Der Staat muss endlich das Problem erkennen, fordert der Urbanist Bogdan Suditu. “Diese Erscheinung ist nicht nur für Rumänien spezifisch. Vielerorts in Europa gab es das zu einem Zeitpunkt – in Frankreich, Spanien, Portugal, am Balkan usw. Das Problem wurde irgendwann gelöst, aber nur, weil der Staat es als solches erkannt hat. Das ist die Grundvoraussetzung – dass der Gesetzgeber das Problem erkennt und nach Lösungen sucht. Soweit sind wir in Rumänien noch nicht”, beklagt abschlie‎ßend der Urbanismusexerte.


  • Zwischen Protest und Privatinitiative

    Zwischen Protest und Privatinitiative

    Das Jahr 2017 begann mit massiven Demonstrationen — und endete unter dem gleichen Zeichen. Doch Protest war nicht das einzig prägende in der Entwicklung der rumänischen Gesellschaft.



    Bereits Anfang des Jahres trotzten mehrere Hunderttausend Menschen in allen Städten des Landes für einige Wochen dem Frost, um einige der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung anzufechten. Internationalen Medien berichteten: Blau, Gelb, Rot: Zigtausende Demonstranten bildeten in Bukarest mit dem Licht ihrer Smartphones eine riesige rumänische Flagge, um den Rücktritt der Regierung zu fordern, die die Anti-Korruptions-Anstrengungen zu untergraben versucht“, titelte AFP.



    Die Proteste in Rumänien wurden auch im Europäischen Parlament diskutiert, viele Europaabgeordnete bewerteten die Mobilisierung und Solidarität der Demonstranten als pro-europäische Botschaft. Rumänien verdient Politiker, die den Kampf gegen Korruption unterstützen“, sagte Frans Timmermans, Erster Vizepräsident der Europäischen Kommission. Er warnte die rumänischen Politiker davor, den Anti-Korruptions-Kampf zu beeinträchtigen — ansonsten könnte die Abrufung europäischer Gelder in Rumänien gefährdet werden.



    Diese Botschaft war auch deshalb wichtig, weil Rumänien 2017 zehn Jahre EU-Mitgliedschaft feierte. Im Jahr 2007 war Rumänien einer der Staaten mit dem grö‎ßten Europaoptimismus. Meinungsumfragen im letzten Winter zeigten 10 Jahre später eine Rückwärtsentwicklung dieser Begeisterung in Rumänien, wobei der stetige Rückgang jedoch mit der Einstellung in den übrigen Mitgliedstaaten in etwa übereinstimmt. Laut einer Eurobarometer-Umfrage waren 53% der Rumänen der Ansicht, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein positiver Faktor für ihr Land sei. Es war ein Prozentsatz, der dem europäischen Durchschnitt entspricht, aber überraschend für Rumänien ist, da hier das Vertrauen in die EU schon immer viel ausgeprägter war. Das Vertrauen der Rumänen in die EU-Institutionen im Vergleich zu den nationalen Institutionen liegt jedoch weiterhin auf einem guten Niveau. Das Eurobarometer zeigte, dass 38% der Rumänen dem Europäischen Parlament vertrauten und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 25% lagen. Gleichfalls sind über 35% der Befragten der Meinung, dass ihre Stimme auf europäischer Ebene besser gehört wird als auf nationaler Ebene.



    Auf europäischer Ebene wurden auch Bürgerinitiativen unterstützt, die jungen Menschen helfen sollen, die generisch als NEET bezeichnet sind — also weder arbeiten, noch in einer Ausbildung oder im Studium sind. In diesem Kontext organisierte die Denkfabrik Social Doers eine nationale Konferenz, auf der eine Plattform zu der Europäischen Koalition für Rechte der NEET-Jugendlichen“ gestartet wurde. Dies ist eine Initiative, die im Rahmen des Erasmus Plus – Programms gefördert und im Januar 2017 in Brüssel gestartet wurde, wo Victor Negrescu, damals MdEP, jetzt stellvertretender Minister für europäische Angelegenheiten in der Regierung Rumäniens, seine Unterstützung für die Integration junger NEETs erklärte.



    Bürgerliche und private Initiativen waren die Grundlage für ein weiteres Projekt, das für krebskranke Kinder in Rumänien äu‎ßerst wichtig ist: den Bau eines ihnen gewidmeten Krankenhauses in Bukarest. Hintergrund ist, dass die Krankenhäuser, in denen diese Kinder behandelt werden, unzureichend ausgestattet und finanziert sind, so auch das Kinderkrankenhaus Marie Curie“ in Bukarest. Dort entsteht das neue private Krankenhaus, das sich der ganzheitlichen Behandlung von Kindern mit onkologischen Erkrankungen widmet. Tragende Kraft hinter dem Projekt war die Nichtregierungsorganisation Give Life“. Sie will etwas an der bedrückenden Statistik ändern, nach der in Rumänien jedes zweite an Krebs erkrankte Kind stirbt, während in Europa 80% von ihnen überleben. In der Tat hat der rumänische Staat in den letzten fünfzig Jahren nichts auf dem Gebiet der pädiatrischen Onkologie aufgebaut. Das private Krankenhausprojekt umfasst Gebäude auf 8.000 Quadratmetern, und die Investition beläuft sich auf 8 Millionen Euro. Bisher wurde die Hälfte gesammelt. Das Spendengeld kommt von mehr als 1500 Firmen und 50.000 Privatpersonen. Für die Eltern krebskranker Kinder, die gerne nahe am Patienten sein wollen und heute gezwungen sind, auf Stühlen neben dem Bett ihrer Kinder auszuharren, führte eine Nichtregierungsorganisation das MagicHome-Projekt durch. Das Projekt sieht den Bau eines 700 Quadratmeter gro‎ßen Gebäudes in nächster Nähe der grö‎ßten onkologischen Klinik in Bukarest vor. Dort können Väter und Mütter ruhig übernachten und gleichzeitig auf Abruf für ihre Kinder da sein.



    Neben Jugendlichen, Kindern, Gesundheit und Politik ist die Umwelt ein immer wichtigeres Anliegen von Nichtregierungsorganisationen und der Gesellschaft geworden. Das betrifft nicht nur den Naturschutz, sondern auch die Sorge um eine gesündere Ernährung und einen möglichst naturnahen Lebensstil. Illegale Abholzung von Bergwäldern ist ein Problem, das all diese Fragen umfasst. In den letzten 15-20 Jahren ist in Rumänien die Waldfläche zurückgegangen und sie erreicht heute 27,45% des Gebiets. Damit liegt die Quote deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 32,4%. Laut einer Studie von Greenpeace Rumänien verlor der nationale Waldbestand zwischen 2000 und 2014 rund 3 Hektar in der Stunde. Die Umweltaktivisten von Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen gehörten zu den ersten, die die Öffentlichkeit über die tragische Situation der Wälder in Rumänien informierten. Freiwillige Helfer von Umweltorganisationen achten auf Fälle von illegaler Abholzung oder Schmuggel und melden suspekte Vorfälle. Illegaler Holzschlag ist aber schwer nachweisbar, und Umweltaktivisten werden manchmal Opfer der brutalen Reaktion derjenigen, die sie bei der illegalen Abholzung auf frischer Tat ertappen.