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  • Kleinbauern gegen Konzerne: Landwirte fordern mehr Rechte gegenüber Großunternehmen

    Kleinbauern gegen Konzerne: Landwirte fordern mehr Rechte gegenüber Großunternehmen

    Die ländlichen Gebiete gelten in Rumänien als Hüter der Tradition. Die Dörfer konfrontieren sich jedoch mit gro‎ßen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Viele dieser sind auf die Gestaltungsweise des postkommunistischen rumänischen Dorfes zurückzuführen. Hier wird noch die sogen. Subsistenzwirtschaft betrieben. Laut Statistiken leben 46% der Rumänen auf dem Lande. Hier wird in 3,6 Millionen Haushalten zum Gro‎ßteil nur für den Eigenkonsum produziert. Das bedeutet, dass die Hälfte der Subsistenz-Landwirtschaft in der EU in Rumänien betrieben wird. Die Kleinbauern können aber nicht mit den gro‎ßen landwirtschaftlichen Unternehmen konkurrieren.



    Laut etwas älteren Daten vom rumänischen Statistikamt sind in der Zeitspanne 2002–2010 etwa 150 Tausend kleine Farmen verschwunden. In derselben Periode sei die Zahl der gro‎ßen Farmen um 3% gestiegen. Zudem hätten diese gro‎ßen Unternehmen in den letzten Jahren mehr Grundstücke gekauft. Ramona Duminicioiu vom Verband Eco Ruralis berichtet:



    Sehr viele rumänische und ausländische Konzerne haben Millionen Hektar Ackerland in den letzten 20 Jahren gekauft. Jetzt besitzen Konzerne etwa die Hälfte der Ackerfläche Rumäniens. Die andere Hälfte ist im Besitz der mehr als 4,7 Millionen aktiven Landwirte. Unsere Flächen werden immer kleiner.“




    Viele Landwirte sind alt oder besitzen nicht die nötigen Maschinen, um das Land zu bearbeiten. Deswegen verkaufen sie ihre Grundstücke. Die typisch bäuerlichen kleinen Farmen, die für den Eigenkonsum wirtschaften, können nur schwer die Bestimmungen einhalten, die die Gro‎ßproduktion in der Landwirtschaft fördern. Die kleinen Landwirte fühlen sich bedroht und meinen, man würde ihre Rechte verletzten. Ramona Duminicioiu dazu:



    Wenn wir kein Saatgut von den gro‎ßen, sogenannten zugelassenen Gro‎ßunternehmen kaufen, können wir nichts produzieren. Unser Saatgut, das nährreiche und gesunde Nahrung produziert, soll nicht normenkonform sein. Das Saatgut wurde geregelt, Rumänien hat einige internationale Normen eingeführt. Es müssen bestimmte Kriterien eingehalten werden: Das Saatgut muss uniform, stabil und distinkt sein. Das Saatgut der Landwirte ist distinkt, hält aber die anderen beiden Kriterien nicht ein. Genetisch ist es sehr vielfältig, das ermöglicht die Anpassung an das Wetter und macht die Produkte sehr nährstoffreich. Im Vergleich zu diesem ist das hybride, moderne oder genetisch veränderte Saatgut nährstoffarm. Dieses kann nur mit Hilfe von chemischen Düngemitteln und intensiven Produktionsmitteln der industriellen Landwirtschaft angebaut werden.“




    Wegen dieser gravierenden Probleme leitete die UNO die Verabschiedung einer Erklärung für die Rechte der Kleinbauern und anderer Personen ein, die in ländlichen Gebieten arbeiten. Das Dokument hat 27 Artikel und wurde schon zur öffentlichen Debatte vorgelegt. Ramona Duminicioiu dazu:



    Das Recht zur Wiederverwendung des Saatguts muss rechtlich verankert werden. Unsere Kleinbauern-Märkte sollen nicht mehr privatisiert, an private Verwalter übergeben oder von Zwischenhändlern übernommen werden. Wir sind der Meinung, dass wir an öffentlichen Beschaffungsprojekten für Lebensmittel, die vom Staat für die Belieferung von öffentlichen Schulen, Kantinen und Krankenhäusern eingeleitet werden, teilnehmen können und müssen. Die kommunalen Grundflächen müssen rechtlich geschützt werden. Wenn sie verkauft werden, muss die lokale Gemeinde Priorität haben, sie sollen nicht auf dem freien Markt verkauft werden, weil das zu einem unfairen Wettbewerb führen würde.“




    Damit die Produkte der Kleinbauern ohne Zwischenhändler direkt zu den Endkunden gelangen, implementiert der Verband Creştem România Împreună“ (Gemeinsam lassen wir Rumänien wachsen“) ein Projekt, das die ländlichen Gebiete mit den Städten verbindet. Das Projekt hei‎ßt Adoptiere einen Kleinbauer“. Der Stadtbewohner werden aufgefordert, alle nötigen Produkte von einem Kleinbauer zu kaufen. Mihai Mihu vom Verband Creştem România Împreună“ berichtet:



    »Adoptiere einen Kleinbauer« ist der soziale Teil eines grö‎ßeren Projekts, das versucht, die Städte mit den ländlichen Gebieten zusammen zu bringen. Wir identifizieren rurale Höfe, wir schildern ihre Geschichte, wir treffen die Kleinbauern, die in diesen Höfen arbeiten. Dann fördern wir diese zusammen mit ihrer Geschichte auf unserem Online-Portal und in den Sozialnetzwerken. Wir versuchen die lokale Wirtschaft zu unterstützen und zu fördern. So bleibt das Geld in der Gemeinde, und der Gemeinde geht es dann besser.“




    Bis zum Ende der Verhandlungen und Billigung der UNO-Erklärung für die Rechte der Kleinbauern können solche lokale Projekte die Stadtbewohner und die Kleinbauern in Verbindung bringen.

  • Leben und arbeiten in einem Großunternehmen

    Leben und arbeiten in einem Großunternehmen

    In den letzten 20 Jahtren haben 42 Gro‎ßunternehmen der Welt Filialen in Rumänien eröffnet; die meisten von ihnen sind Importfirmen, Kaufhäuser, Versandhäuser oder Dienstleistungsunternehmen. Die Filialenleiter kommen normalerweise aus den Herkunftsländern der Aktionäre dieser Gro‎ßunternehmen. Für die meisten jungen Rumänen, die eine Hochschule abgeschlossen haben (das sind in etwa 100.000 im Jahr), ist ein Arbeitsplatz in einer rumänischen Filiale eines Gro‎ßunternehmens die beste Alternative zu Emigration.



    Die Gehälter in einem multinationalen Gro‎ßunternehmen sind höher als in einem kleineren Unternehmen oder beim Staat, und es gibt auch weitere Vorteile wie zum Beispiel einen Dienstwagen, den Zugang zur Weiterbildung, private Krankenversicherung sowie gute Gehaltszulagen für Überstunden oder bessere Arbeitsleistungen. Eine Statistik von CNIPMMR, einer Organisation, welche die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen vertritt, hat erwiesen, da‎ß 14% der rumänischen Bevölkerung bei Privatfirmen arbeiten.



    Was die jungen Leute aber nicht wissen, wenn sie davon träumen, bei einem gro‎ßen Konzern zu arbeiten, ist, da‎ß die Vorteile nur theoretisch der Anstrengung am Arbeitsplatz entsprechen. Die Wirklichkeit sei viel härter, sagte uns Ioana Popescu, eine 38jährige, die bei einer Bank arbeitet:



    Als wir die Hochschule abschlossen, dachten wir, da‎ß ein Arbeitsplatz in einem multinationalen Unternehmen uns unbegrenzte Möglichkeiten bieten würde. Ich wünschte mir sehr, in einem solchen multinationalen Unternehmen zu arbeiten. Ich wu‎ßte nicht, was das bedeuten würde, es gab auch ein paar gescheiterte Versuche, bis ich endlich einen Arbeitsplatz in einer Gro‎ßfirma bekam. Das professionnelle Niveau ist sehr hoch. Am Anfang hatten wir alle davon geträumt, hierarchisch so hoch wie möglich zu kommen, so viel wie möglich zu lernen. Die Corporation“ war so etwas wie der Heilige Graal — nun, die Wirklichkeit ist doch ein bi‎ßchen anders. Man hat schon Zugriff auf ultramoderne Software, man kann in der Tat viel lernen, es gibt auch Weiterbildungskurse. Aber man hat keine Freizeit mehr. Man mu‎ß auf seine Hobbys verzichten, auf das Vergnügen, ins Theater oder ins Konzert zu gehen, man mu‎ß sogar auf das Familienleben verzichten. Am Anfang wu‎ßte ich das alles nicht, aber ich habe es nach und nach gelernt — so ist das Leben in der Firma.“



    Wenn man mit der Arbeit bei einem Gro‎ßunternehmen anfängt, wird einem gesagt, die Firma sei wie eine Gro‎ßfamilie, wo jedes Mitglied seine eigenen Zuständigkeiten habe, aber auch verpflichtet sei, den anderen Familienmitgliedern“ zu helfen, ihre Arbeit rechtzeitig zu erledigen. Die Arbeit ist aber praktisch nie zu Ende. Die Menschen werden zu Bienen, die zum Gedeihen des Bienenstocks arbeiten müssen. Am Anfang sagt einem keiner, wieviele Überstunden man in Kauf nehmen mu‎ß. Ioana Popescu erzählt:



    Mit der Zeit haben ich erfahren, dass so etwas wie ein 8-Stunden-Arbeitstag nicht existiert — es wird gearbeitet, bis der Auftrag erledigt wird. Und der Auftrag wird sehr oft erst viele Stunden nach Feierabend erledigt. Es besteht kein äu‎ßerlicher Zwang, man mu‎ß sich frei dafür entscheiden. Es kommt darauf an, was man sich wünscht. Wenn man Karriere machen und hierarchisch so hoch wie möglich kommen will, mu‎ß man viele Überstunden in Kauf nehmen. Wenn man als Vater oder Mutter alles opfern möchte, um dem Kind alles zu sichern, dann kann man sagen »Ja, ich tue es meinem Kind zuliebe«. Man mu‎ß dafür aber einen hohen Preis bezahlen, im besten Fall kann man noch das Wochenende mit der Familie verbringen. Es ist sehr schwer, weniger zu arbeiten und sich für mehr Freizeit zu entscheiden, weil (wir wollen ja keine Heuchler sein), wenn man sich gut verkaufen kann, wenn man viel arbeitet, wenn man ein hohes professionnelles Niveau erreicht, dann kann man in einem multinationalem Gro‎ßunternehmen sehr gut verdienen. Mit den erworbenen Fachkentnissen ist man stets auf dem Markt — daher ist es auch schwer, harte Entscheidungen zu treffen.“



    Nach einigen Jahren harter Arbeit in einem immer höheren Rhythmus und ohne Zeitlimit leiden die Angestellten unter chronischer Müdigkeit oder sogar unter Depressionen:



    Man ändert sich, wird zum anderen Menschen — erst wenn man einen dreiwöchigen Urlaub macht und dann in die Firma zurückkehrt, wird einem klar, da‎ß es nicht in Ordnung ist. Man sieht andere Leute, die um 4 oder 5 Uhr nachmittags Feierabend machen und nach Hause gehen, und man denkt nicht daran, da‎ß es nicht ok sei, wenn man bis spät abends in der Firma bleibt. Die anderen scheinen etwas falsch zu machen, sie hätten keinen Ehrgeiz, sie wü‎ßten nicht, was sie im Leben erreichen wollen. Man braucht einen besonderen Moment, ein Aha-Erlebnis, um zu verstehen, da‎ß der Weg, den man eingeschlagen hat, nicht der richtige ist. In meinem Fall gab es Familienprobleme, die mir die Augen geöffnet und klar gemacht haben, da‎ß ich etwas ändern sollte.“



    Die Gro‎ßunternehmen betonen ständig die Karrieremöglichkeiten und bieten Workshops zur persönlichen Entwicklung, sehr teuere Fort- und Weiterbildungskurse, und sehr gute Krankenversicherungen, mit medizinischen Leistungen von höchster Qualität. Trotzdem landen sehr viele Gro‎ßunternehmen-Mitarbeiter auf der Couch des Psychotherapeuten, sagte uns der Facharzt Gabriel Diaconu:



    Die Patienten, die zu mir kommen, sind sehr traurig, wenn wir zusammensitzen und diskutieren. Wenn sie die Augen aufmachen fragen sie sich »Wie bin ich blo‎ß hier gelandet?«, »Wie konnte ich es zulassen, da‎ß so etwas passiert?«. Das ist eine böse Wirklichkeit. Im Vergleich zu der allgemeinen Bevölkerung haben diese Leute ein drei- bis viermal höheres Risiko, an chronischer Schlaflosigkeit oder unter Angststörungen zu leiden. Auch das Risiko eines Aufputschmittelmi‎ßbrauchs ist sechs- bis siebenmal hoher als beim Rest der Bevölkerung. Es geht dabei um eine Müdigkeitsfabrik, die aufgeputscht werden mu‎ß, ich rede dabei nicht von Kaffee oder Zigaretten, sondern über richtige Aufputschmittel, Energy-Drinks, gefährliche Cocktails, die am Morgen einen Taurin-Drink und am Abend dazu noch Alkohol enthalten. Mit solchen gefährlichen Mischungen sollte der Gehirn ununterbrochen auf Hochtouren funktionieren, und das kann kein gutes Ende haben.“



    Was motiviert aber so viele Leute, einen solchen Arbeitsrhythmus zu akzeptieren, der, auch wenn die Arbeit gut bezahlt wird, unvermeidlich zu Erschöpfung führt? Die Antwort hat der Facharzt für Psychiatrie Gabriel Diaconu:



    Diese Menschen erwerben einen gewissen Lebensstandard, wenn sie dann zwei bis drei Wochen im Jahr einen schönen Urlaub in Thailand machen, leben sie besser als der Durchschnittsbürger. Oder sie fahren ein dickes Auto, oder aber wohnen sie in einem nobleren Bezirk, in einem Haus, oder einem Appartment, das um 30 Quadratmeter grö‎ßer ist. Abends wenn sie nach Hause kommen, legen sie sich schlafen in Bettlaken, die das Doppelte gekostet haben, als sie wert sind. All diese Details geben aber diesen Leuten das Gefühl, das sie ein legitimes, geregeltes Leben führen.“



    Paradoxerweise träumen viele der Gro‎ßunternehmen-Mitarbeiter, die in die Praxis des Psychotherapeuten Diaconu kommen, davon, einige hunderttausend Euro zu sparen und ein kleines Unternehmen zu gründen. Sie wollen aus dem System heraus, bevor es zu spät wird. Und das ist kein typisch rumänisches Problem, sagte uns Dr. Gabriel Diaconu:



    Rumänien hat gerade die Augen aufgemacht, da wir nur seit etwa 20 Jahren mit den Gro‎ßunternehmen, den sog. »Corporations« leben müssen. Wenn man die Pathologie des Corporation-Mitarbeiters in den USA betrachtet, stellt man fest, da‎ß dort diese Welt viel zynischer ist.“



    Ioana Popescu hat vor 45 Tagen ihren Rücktritt eingereicht. Wenn die im Arbeitsvertrag vorgesehene Kündigungsfrist abgelaufen ist, hat sie vor, eine Zeit lang schlicht und einfach zu leben. Ioana ist 38 Jahre alt, ist ledig und hat keine Kinder.



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