Tag: Grundschule

  • Bildung im ländlichen Milieu: Programme gegen Schulabbruch

    Bildung im ländlichen Milieu: Programme gegen Schulabbruch

    EU-Statistiken belegen, dass die Schulabbrecherquote in Rumänien 2016 bei 18,5% lag und damit über den Vorjahreswerten lag. Schwerwiegend ist die Lage in ländlichen Gebieten, dort brechen wesentlich mehr Kinder die Schule ab als in den Städten. Das Gefälle zwischen Stadt und Land wurde auch von einer Studie der Stiftung World Vision Romania erfasst. Dabei sei es um mögliche Investitionsprojekte für die Bildung in ländlichen Gebieten gegangen, wie Gabriela Onofrei, Projektmanagerin bei der Stiftung, erklärt.



    Die Angaben aus dem Bildungsministerium deuten auf einen Unterschied von 24 Prozentpunkten zwischen Stadt und Land hin, wenn es um die Partizipationsrate an Bildung geht. Eine von zehn Schulen aus den Dörfern und Gemeinden schafft es nicht, mit allen Grundschülern, die beim Schuleintritt dabei waren, die fünfte Klasse zu erreichen. Nach den ersten acht Klassen haben die Hälfte aller Schulen in ländlichen Gebieten Schulabgänger. Die meisten Schulabbrecher sind aber in den Gymnasien ab der 9. Klasse festzustellen. Nur ein gutes Viertel aller Gymnasien meldet keine derartigen Fälle. Mehr als 40% der Schulabgänger nach Abschluss der achten Klasse bleiben den heimatlichen Gemeinschaften auf dem Lande erhalten, wo sie im Haushalt mit anpacken.“




    Leider ist das aber nicht das einzige schwerwiegende Problem für das Bildungssystem in ländlichen Gebieten. Die durchschnittliche Leistung bei der sogenannten Landesbewertung 2017, der Zulassungsprüfung nach der achten Klasse für das Gymnasium, lag auf dem Land um gut einen Notenpunkt unter dem Durchschnitt in der Stadt. Und das ist eigentlich auch genau die Stufe für die Verschärfung und Anhäufung der Probleme — das Ende des rumänischen Grundschulzyklus und der Beginn der Gymnasiumsstufe. Hier nehme die Schulabbrecherquote rapide zu, denn in ländlichen Gebieten gebe es viel weniger Gymnasien und die Schüler müssten lange Schulwege in Kauf nehmen, sagt Gabriela Onofrei von World Vision Romania.



    Es ist sehr schwierig für ein Kind vom Lande, ein Gymnasium zu besuchen, die langen Strecken, die zurückgelegt werden müssen, spiegeln sich auch in unserer Studie wider. Mehr als 18% der Befragten haben angegeben, dass die Schule schwer zu erreichen ist, dass man von Zuhause etwa 90 Minuten dafür braucht. Und hier lassen sich auch beachtliche Leistungsunterschiede zwischen den Kindern feststellen. Wir haben auch einen Durchschnitt der Noten bei der Landesbewertung vorliegen und der Anteil der Schüler, die unter der Mindestnote 5 abgeschlossen haben, ist in ländlichen Gebieten dreimal so hoch als in der Stadt. Der Anteil der Leistungen über Note acht, was etwa einer Zwei in Deutschland entspricht, ist zwanzig Mal so hoch in der Stadt.“




    Mit ihrem Programm Ich will in die Neunte“ will die Stiftung World Vision Schüler zur Fortsetzung ihrer Ausbildung ermutigen. Das Programm läuft bereits seit zehn Jahren, und in diesem Zeitraum haben gut 1300 Schüler jeweils ein monatliches Stipendium von einem Sponsor erhalten, um die Schule nicht abzubrechen. Ein weiteres Programm hei‎ßt in freier Übersetzung Brot und Morgenrot“ — dieses bietet Grundschülern eine warme Mahlzeit und Betreuung bei den Hausaufgaben.



    Darüber hinaus gibt es in ländlichen Gebieten nicht genügend Lehrkräfte, viele Lehrer müssen pendeln. Und au‎ßerdem fällt ein gro‎ßes Gefälle zwischen Land und Stadt auf, wenn es um Qualifikationen der Lehrer geht. Promovierte oder erfahrene Lehrkräfte mit Lehramtsdiplom ersten Grades arbeiten vor allem in städtischen Schulen, während auf dem Lande vorwiegend Referendare und unerfahrene Lehrer unterrichten. Auf der Suche nach einem allgemeinen Lagebild der Lehrkräfte in ländlichen Gebieten unterhielten wir uns mit Ema Barbă, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim Programm Teach for Romania“.



    Statistisch werden 96% der Kinder, die auf dem Land zur Welt kommen, nie ein Hochschulstudium absolvieren. Bei den Roma-Kindern sind es sogar 99%. Gleichzeitig sind die Humanressourcen begrenzt, ich meine damit die Anzahl der Lehrkräfte in ländlichen Gebieten. Die Arbeitsplätze dort sind bei den Lehrkräften nicht besonders begehrt. Deshalb finden wir, dass es auch in dieser Hinsicht viele Lücken zu füllen gilt. Es müssen die Stellen in den ländlichen Schulen besetzt werden, so dass möglichst viele Kinder Zugang zu einer hochwertigen Ausbildung bekommen.“




    Um dieses Ziel zu erreichen, bietet das Programm Teach for Romania“, das Teil des internationalen Netzwerks Teach for All“ ist, mehrere Ma‎ßnahmen an. Dadurch erhofft man sich, professionelle Lehrkräfte für die Schulen auf dem Land anzuwerben und zu integrieren. Die Vorauswahl und das spätere Programm hätten gezeigt, dass es recht viele Interessenten gibt, so Ema Barbă.



    Wir haben momentan 66 Lehrkräfte in unserem Programm. Zwei Generationen von Absolventen waren zwei Jahre lang an den Ma‎ßnahmen des Programms beteiligt und sind heute auf diversen Ebenen der Zivilgesellschaft tätig. Derzeit sind wir in über 70 Schulen in 12 Landkreisen tätig. Im vergangenen Jahr haben sich mehr als 1000 Personen für eine Stelle im Lehramt von Teach for Romania beworben. Wir waren erfreut, zu sehen, dass so viele Menschen, die in vielen Bereichen arbeiten könnten, entschieden haben, im öffentlichen Bildungssystem zu unterrichten, und vor allem in benachteiligten Regionen.“




    Das Programm umfasst vier Etappen, in den ersten zwei geht es um die Lehrerausbildung. Die dritte Etappe ist der eigentliche Unterricht über einen Zeitraum von zwei Jahren. Die letzte Etappe beginnt am Ende der zweijährigen Periode, wenn die Teach for Romania“–Lehrer die Möglichkeit haben, ihre Tätigkeit im Lehramt fortzusetzen oder in verwandte Arbeitsbereiche zu wechseln, die die Bildungsreform mitunterstützen.

  • Bildungswesen: Alice im Lehrbuchland

    Bildungswesen: Alice im Lehrbuchland

    Eine Gruppe von Forschern an der Bukarester Fakultät für Soziologie hat vor gut einem Jahr die eigene Erkundungsreise gestartet. Sie wollten mehr über aktuell verwendete Lehrbücher erfahren. Genauer gesagt ging es bei der Forschungsarbeit zwischen Oktober 2014 und Mai 2015 um die Schulbücher für die Klassen 1-4, in den Fächern Kommunikation in rumänischer Sprache und Ethik. Was sie dabei entdeckten waren allerdings keine Wunder“, wie im Roman von Lewis Carrol, sondern Dinge, die für das 21. Jahrhundert unverständlich scheinen: viele Stereotype, Geschlecht und Alter betreffend. Cosima Rughiniş ist Dozentin an der Hochschule, sie berichtet über die erschreckenden Schlussfolgerungen ihrer Studie.



    Die Lehrbücher enthalten sehr viele Stereotype in diese beiden Richtungen. Die erwachsenen Mütter sind vor allem als Lehrerinnen beschäftigt. In den Fiebeln sind zwei Drittel der Frauen als Lehrerinnen abgebildet. Und gewiss sieht es in der Realgesellschaft nicht so aus. Die Stereotype sind vor allem mit der Art der Beschäftigung verbunden. Erwachsene Frauen sind ferner oftmals beim Kochen abgebildet, so nach dem Motto <Frauen an den Herd>. Und das ist ist im wahrsten Sinne des Wortes gemeint: Sie halten auf den Bildern einen Topf in der Hand, oder man erfährt, dass sie gerade Plätzchen, Torten und Kekse gebacken haben. Dafür erfährt man überhaupt keine realitätsbezogenen Informationen. Die Lehrbücher spiegeln nicht die Welt wider, in der wir heute leben und das aus mehreren Gesichtspunkten. Und das trifft auch auf die männlichen Figuren zu. Die Lehrbücher ignorieren das Familienleben der Männer oder ihre Beteiligung am Familienleben. Dafür werden sie fast ausschließlich als Piloten, Holzfäller oder Schreiner dargestellt.“



    Die Zeichnungen sind also nicht zeitgemäß – das auch weil die Texte, die sie begleiten, ebenso nicht mehr mit der aktuellen rumänischen Gesellschaft im Einklang sind. Die Schulkinder lesen Ausschnitte aus literarischen Werken des 19. und 20. Jahrhunderts. Sogar Texte, die von den Autorinnen der Lehrbücher selbst verfasst wurden, präsentieren ein klischeehaftes Universum mit Frauen als Mütter und Lehrerinnen, manchmal immerhin als Kinderärztinnen. In Wirklichkeit haben die Frauen im heutigen Rumänien die unterschiedlichsten Berufe, nur die wenigsten sind Hausfrauen. Darüber hinaus sind die Väter an der Erziehung der Kinder und an den Arbeiten im Haushalt durchaus beteiligt. Warum gibt es dann trotzdem die Stereotype in den Lehrbüchern, fragten wir Cosima Rughiniş.



    In der kollektiven Wahrnehmung und in dem öffentlichen Diskurs zur Weiblichkeit und Männlichkeit findet man sie wieder. In der Tat glaube ich nicht, dass es im heutigen Rumänien noch die Erwartungshaltung gibt, dass ein Mädchen oder eine Frau nicht arbeiten sollte. Aus diesem Grund gibt es eine Diskrepanz zwischen den Büchern und der Wirklichkeit. Und diese Diskrepanz entstammt nicht allein den literarischen Werken des 19. Jahrhunderts, die in den Lehrbüchern präsentiert werden, sondern auch einer Trägheit der Darstellung. Die Bücher sind ja ohne Zweifel unter bestimmten zeitlichen oder finanziellen Einschränkungen entstanden. Und da hat sich meiner Meinung nach niemand die Mühe gemacht, dass die Lehrbücher mit dem heutigen Alltag der Kinder im Einklang stehen.



    Neben Stereotypen des Geschlechts enthalten die Lehrbücher für Grundschüler auch Stereotype des Alters. Diese würden von Soziologen als noch gefährlicher eingestuft, sagt Cosima Rughiniş.



    In Rumänien sind Stereotype des Alters viel stärker und man redet viel weniger darüber, sie sind quasi unsichtbar und lösen nicht dieselben Emotionen aus wie die Stereotype des Geschlechts. Wir als Frauen und einige der Männer mit denen wir zusammenarbeiten bekommen einen regelrechten Erzürnungsschub wenn wir die absolut lächerlichen Stereotypen erkennen. Aber ein Greis mit einem Spazierstock und ein Großmütterchen mit Kopftuch können niedlich erscheinen. Und das vor allem unter den gegebenen Voraussetzungen, da Rumänien wie die meisten europäischen Länder eine demographische Krise erlebt. Vor diesem Hintergrund werden ältere Personen faktisch ausgegrenzt aus sozialen Tätigkeiten, zudem auch aus der kollektiven Wahrnehmung verdrängt. Und leider tragen die Lehrbücher zu dieser Krise der alten Bevölkerung bei. Die Älteren werden nicht als aktive Personen abgebildet. In allen Lehrbüchern, die wir einstudiert haben – und wir haben alle Fiebeln, alle Ethik- und fast alle Rumänisch-Lehrbücher der 4. Klassen durchforstet – also in allen gab es eine einzige Ausnahme. Dort waren Großeltern in einer aktiven Szene dargestellt, beim Wandern in den Bergen. Ansonsten sitzen die Omas und Opas im Sessel, auf einer Bank, tragen Brillen und hören schlecht…



    Troz der Stereotype, mit denen Kinder bereits in den frühen Schuljahren konfrontiert werden, würde die Berufswahl dadurch nicht in irgendeiner Form beeinflusst werden, glauben Soziologen. Allerdings sind die Auswirkungen der Darstellungen heimtückischer als man denkt, erklärt Cosima Rughiniş.



    Die Gefahr besteht nicht darin, dass junge Mädchen Hausfrauen zu ihren Vorbildern machen. Nicht die Vorbilder sind das Problem. Mädchen und Jungs lassen sich aus der Gesellschaft inspirieren, aus Filmen, aus den Menschen aus ihrem Umfeld…Die Gefahr geht von der Glaubwürdigkeit aus, die unterschiedliche Personen, Frauen oder Männer, ausstrahlen. Zum Beispiel die Geschäftsfrauen. Wenn wir Geschäftsfrauen treffen, haben wir manchmal das Gefühl, dass sie weniger glaubwürdig sind als Geschäftsmänner. In manchen Ethik-Lehrbüchern gibt es ganze Kapitel über führende Persönlichkeiten und über Berufe, die nur von Männern ausgeübt werden. Es sind Ausnahmen, ich kann sie nicht als repräsentativ bezeichnen, aber ihre Präsenz in den Lehrbüchern zeugt von einer bestimmten kollektiven Wahrnehmungsform. Und deshalb glaube ich, dass Frauen mit einem gewissen Glaubwürdigkeitsnachteil Berufe wie Politikerin, Managerin oder Geschäftsfrau ausüben werden.



    Die Soziologen von der Universität Bukarest haben ihre Forschungsarbeit Alice im Lehrbuchland getauft. Sie wollen die Studie fortsetzen und die Lehrbücher für die Sekundärstufe unter die Lupe nehmen.