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  • La blouse roumaine: Rumänische Leinenbluse erobert die Mode

    La blouse roumaine: Rumänische Leinenbluse erobert die Mode

    Virginia Linul wurde im Landkreis Bistriţa-Năsăud (Bistritz-Nassod) geboren. In ihrer Familie wurden traditionelle bestickte Blusen schon seit immer genäht. Heutzutage ist Virginia Eigentümerin eines regelrechten Museums für rumänische Trachten. Sie sammelte um sich herum 50–60 Mitarbeiterinnen, die ihr beim Nähen helfen. Den Sinn ihrer Arbeit begriff sie aber erst später. Vertrauen zu den von ihr gefertigten Kleidungsstücken gewann sie nämlich erst 1999. In dem Jahr beteiligte sich Rumänien an dem Smithsonian Folklife Festival in Washington. Unser Land stellte beim Festival verschiedene Volkstrachten vor, aber auch traditionelle Gerichte und andere volkstümliche Bräuche. Ihr Beruf setze eine hohe Verantwortung voraus, sagte uns Virginia Linul:



    Wir fertigten zunächst Volkstrachten, die für unsere Region — Bistriţa-Năsăud — spezifisch sind. Danach nähten wir auch Volkstrachten, die für andere Regionen des Landes typisch sind. Die Arbeitstechnik ist ähnlich, nur die Muster sind verschieden. Wir haben sehr verantwortungsvoll gearbeitet, haben uns im Voraus dokumentiert, sowohl in Museen wie auch vor Ort, auf dem Land. Ich nähe nicht blo‎ß Volkstrachten, um eine Bestellung los zu werden. Ich ahme keine Volkstracht künstlich nach, sondern übernehme die Verantwortung für die kommenden Generationen. Denn wenn wir unseren Kindern gefälschte traditionelle Blusen anbieten, werden sie irgendwann mal glauben, es seien Originalteile. Sie werden meinen, das sei das Richtige. Wir Eltern tragen die Verantwortung für die Entwicklung der nachkommenden Generationen. Wir wollen ihnen die wahre Tracht nahe bringen: Eine Volkstracht muss authentisch und von der Hand genäht sein. Nur so wird sich das Kind merken, wie eine echte Volkstracht auszusehen hat.“




    Virginia Linul erklärte uns, in unserem Land gäbe es 450 ethnografische Regionen. Es sei unsere Pflicht, ihre Repräsentativität aufrecht zu erhalten. Sie erzählte uns auch, dass die rumänische Volkstracht wieder in die Mode zurückkehrte:



    2011 kam nach Rumänien ein französischer Designer, Philippe Guiller. Er arbeitete als Leiter der Kulturabteilung bei der Botschaft Frankreichs in Bukarest. Er reiste kreuz und quer durch das Land und verliebte sich in seine Schönheit. Er erkannte die Kunst in den handwerklich erzeugten Produkten, in den Schmuckstücken und wusste, diese zum Vorschein zu bringen. Er stellte eine Sammlung zusammen und präsentierte sie unter dem Namen »100%.ro. prejudecăţi« (zu dt. in etwa: 100% rumänische Vorurteile). Dank diesem Ausländer, der mit mir zusammenarbeitete, wurden 60% der Kollektion hier gefertigt — mit Handwerkern in Maramureş, in der Bukowina, in Braşov, in der Kleinen Walachei (Oltenien). Wir arbeiteten mit Handwerkern aus allen Ecken Rumäniens zusammen und lie‎ßen die rumänische volkstümliche Kunst zum Vorschein kommen. Das Projekt wurde gefördert, TV-Sender berichteten darüber. Und so erfuhren viele Prominente über unsere Erzeugnisse und sie begannen, sie zu tragen. Sie zogen die rumänische traditionelle Bluse anlässlich des Nationalfeiertags an, danach auch bei anderen Gelegenheiten. Nach einem Jahr fing Andreea Tănăsescu, die Gründerin der Webseite »La Blouse Roumaine« an, die traditionelle bestickte Bluse auf Facebook zu fördern. Sie organisierte auch verschiedene Events zum Thema.“




    Die Präsenz der rumänischen Volkstrachten im Internet wird immer deutlicher. Ein Beispiel dafür ist der Verein Semne cusute“ (dt. genähte Symbole). Seit Juni schon ist der Verein auf Google Arts and Culture durch eine Ausstellung vertreten. Es handelt sich um die Ausstellung Îmbrăcate în povești“ (dt. märchenhaft bekleidet). Die Ausstellung erkundet das Handwerk des Webens. Konkret dokumentiert die Ausstellung, wie traditionelle rumänische Blusen gewoben und bestickt werden und enthüllt das Geheimnis der Geschichte, die hinter dem Stickmuster steht. Sämtliche Farben und Symbole werden dabei entschlüsselt. Wir haben es mit einer Reise an die Grenze zwischen Kunst und Tradition zu tun. Ioana Corduneanu ist die Begründerin des Vereins Semne cusute“. Sie erzählte uns mehr Einzelheiten über die Fertigung einer traditionellen Bluse:



    Ich hoffe, wir werden allmählich die billigen Stoffe vergessen und uns daran erinnern, wie unsere Gro‎ßmütter und Urgro‎ßmütter dieses Handwerk vollbrachten. Sie arbeiteten mit Leinen, Hanf, Seide und Wolle. Das sind gesündere Stoffe, sowohl für uns als auch für unseren Planeten. Es sind edlere Stoffe — und unsere Hemde, unsere Blusen verdienen eine derartige Behandlung. Mit Sicherheit gibt es Damen, die ihr Outfit mit einer solchen Bluse stilvoll ergänzen möchten.“




    Ioana Corduneanu erzählte uns, die Mitglieder der Gruppe Semne cusute“ würden meistens aus Spa‎ß nähen:



    Sie nähen aus Spa‎ß, denn Sticken ist eine Kunst, eine Entspannungsmethode. Sie nähen die Blusen für sich selbst, um sie selber zu tragen. Oder sie verschenken sie an ihre Familienmitglieder. Die gro‎ßzügigsten von ihnen nähen die Blusen, um sie im Rahmen unserer Ausstellungen zu zeigen. Die Ausstellungen können mittlerweile auch im Internet gesehen werden.“




    Die Damen, die sich der Näherinnengruppe gesellen möchten, brauchen nur ein paar einfache Schritte zu machen — so Ioana Corduneanu:



    Wer auf Google nach den Begriffen »semne cusute« (dt. genähte Zeichen) sucht, findet das Blog der Gruppe sowie einen Link zur entsprechenden Facebook-Seite. Sie können der Gruppe beitreten, ihre Aktivität verfolgen und den Wunsch ausdrücken, der Näherinnengruppe auch in Wirklichkeit, nicht nur online, beizutreten. Die verwendeten Symbole haben universellen Charakter, sind allgemein verständlich. Spezifisch Rumänisch ist die Grammatik, die Aufstellung der Buchstaben in Sätzen. Darin besteht unsere Einmaligkeit. Und so können wir unsere Hemde und Blusen von denen unserer Nachbarn unterscheiden. Wir können sogar so weit gehen und aus den Motiven erschlie‎ßen, in welchem Dorf oder in welcher Region das Hemd genäht wurde. Es gibt Frauen aus den Niederlanden, Bulgarien oder Japan, die zusammen mit uns nähen. Denn sie haben verstanden, dass es eigentlich um universelle Werte geht, die durch dieses Handwerk weiter übertragen werden.“




    Anlässlich des diesjährigen Nationalfeiertags Rumäniens am 1. Dezember trugen mehrere Damen zusammen mit Ioana Corduneanu im Pariser Zentrum Pompidou die rumänische Volkstracht, ergänzt durch einen blauen Rock. Wieso ein blauer Rock die traditionelle Volkstracht ergänzte, verstanden wir erst später, als wir bemerkten, dass sich die Besucher mit den Damen fotografieren lie‎ßen. Allerdings nicht an einem beliebigen Ort, sondern direkt neben dem Gemälde von Henri Matisse La blouse roumaine“ (beendet im April 1940).

  • Jubiläumsausstellung: 100 Jahre Dadaismus

    Jubiläumsausstellung: 100 Jahre Dadaismus

    Dieses Jahr feiert die Kulturwelt 100 Jahre Dadaismus — aus diesem Anlass wurde neulich im Bukarester Kulturzentrum ARCUB die Ausstellung TZARA.DADA.ETC. eröffnet. Der Kunsthistoriker Erwin Kessler stellte die Ausstellung mit Stücken aus der Sammlung der Familie Emilian Radu zusammen. Es handelt sich um die wichtigste Retrospektive mit Kreationen und Publikationen des dadaistischen Schriftstellers Tristan Tzara in Rumänien. Gleichzeitig ist die Ausstellung TZARA.DADA.ETC. die erste Ausstellung weltweit, die einen Gro‎ßteil der Erstausgaben von Tzaras Werken mit Illustrationen von wichtigen internationalen Künstlern präsentiert. Die Ausstellung ist auch eine Hommage an die Eröffnung des Cabarets Voltaire und die Geburt der Dada-Bewegung am 5. Februar 1916 in Zürich. Zu den wichtigsten Dada-Texten von Tristan Tzara zählen La Première Aventure céleste de Monsieur Antipyrine“ (Das erste himmlische Abenteuer des Herrn Antipyrine“), von 1916 und Vingt-cinq poèmes“ (25 Dichtungen“) von 1918 sowie die Manifeste der Dada-Bewegung: Sept manifestes Dada“ (Sieben Dada-Manifeste“) von 1924. Weitere Werke von Tristan Tzara, die besichtigt werden können, sind LHomme approximatif“ (Der ungefähre Mensch“) von 1931, Parler seul“ (Selbstgespräche“) von 1950 und La Face intérieure“ (Die innere Seite“) von 1953. Erwin Kessler, der Kurator der Ausstellung TZARA.DADA.ETC., mit weiteren Details:



    Es ist schon etwas Besonderes, dass ein junger Mann aus Rumänien, der in November 1915 Bukarest verlässt, am 5. Februar 1916 die gro‎ße Bühne der internationalen Kunst und Kultur betritt und eine neue Kulturbewegung mitbegründet. Das ist auch die These unserer Ausstellung, nämlich, dass Anfang 1916 der Dadaismus in einem Inspirationsmahlstrom entstand, und dass die aus Rumänien stammenden Schriftsteller und Künstler Tristan Tzara, Marcel Iancu und Arthur Segal in einem unglaublichen Wirbel die Dada-Bewegung geschaffen haben. Die Ausstellung im Bukarester Kulturzentrum ARCUB präsentiert etwa 100 Stücke aus der Sammlung Emilian Radu. Der Bukarester Sammler Emilian Radu hat in den letzten Jahren viel Mühe und viel Geld aufgeopfert, um zahlreiche Dokumente über Tristan Tzara und die Dada-Bewegung zusammenzustellen. Das sind einmalige Originalstücke — viele davon wurden noch nie öffentlich gezeigt, auch wenn sie für den Dadaismus von gro‎ßer Bedeutung sind. Ein relevantes Beispiel wäre ein Brief von Tristan Tzara an André Breton aus dem Jahr 1919. Es ist ein enorm wichtiger Brief, den Tzara auf einem zerrissenen Blatt aus seinem ersten Buch, »25 Dichtungen«, geschrieben hat. In diesem Brief arrangiert er seine Reise nach Paris und somit die Umsiedlung der Dada-Bewegung von Zürich nach Paris.“




    Auf dem Gipfel seines Erfolges beschlie‎ßt Tristan Tzara, sich vom öffentlichen Leben zurückzuziehen. In einem Interview mit seinem Freund Ilarie Voronca für die bekannte Avantgarde-Publikation Integral“ sagte Tristan Tzara: Ich schreibe, um Menschen zu entdecken. Und ich habe in der Tat Menschen entdeckt, aber diese Menschen enttäuschten mich so sehr, dass dieser Beweggrund wie der Raureif aus meinem Horizont, aus meinem Interesse verschwunden ist. Die Tatsache aber, dass ich heute noch das Objekt meines Interesses doch als meiner Aufmerksamkeit würdig betrachte, macht mich noch viel trauriger. Es ist mir endlich klar geworden, dass die anderen nur schrieben, wenn nicht unbedingt um auf die soziale Leiter hochzuklettern, dann mindestens um in die Bank ihrer Beziehungen ein Anlagekonto zu machen, welches ihnen eines Tages das Tor einer Akademie aufmacht, die mir nichts bedeutet. Ich schreibe weiter für mich selbst, und weil ich keine Menschen finde, suche ich ständig nach mir selbst. Im Gegenteil zu den verbreiteten falschen Gerüchten, laut denen Dada durch den Rücktritt einiger Individuen gestorben wäre, bin ich derjenige, der Dada absichtlich getötet hat, weil ich der Ansicht war, dass der damalige Zustand der individuellen Freiheit letzten Endes sich in einen kollektiven Zustand verwandelt hatte, und dass die verschiedenen ‚Präsidenten‘ angefangen hatten, ähnlich zu fühlen und ähnlich zu denken. Und nichts ist mir unsympathischer als die Gehirnfaulheit, welche die individuellen Bewegungen vernichtet, sich dem Wahnsinn nähert und gegen das allgemeine Interesse verstö‎ßt.“ Hören wir noch einmal Erwin Kessler, den Kurator der Ausstellung TZARA.DADA.ETC.:



    Tristan Tzara war in der Tat extrem enttäuscht, und in Bezug auf diese Enttäuschung kann ich Ihnen einen weiteren Brief aus dieser Sammlung und implizit aus dieser Ausstellung zeigen. Es ist ein Schriftstück von Tristan Tzara an einen Angestellten des französischen Pressebüros, welcher Dokumentation über den Dadaismus zusammenstellte. Als dieser Angestellte ihm 1928 eine Akte über Dada schickte, antwortete Tristan Tzara voller Traurigkeit, er möchte nichts mehr über Dada und Dadaismus erhalten, sondern nur Dokumentation über sich selbst. Nach dieser tiefen Enttäuschung hatte er sich vom Dadaismus, seiner eigenen Kreation, getrennt. Dadaismus war eigentlich eine Unternehmung gewesen — eine Unternehmung zur Bezugsherstellung, zur Kommunikation, zur Publikation, eine einmalige soziale und politische Unternehmung. Indem ich diese Unternehmung verfolgte, entdeckte ich den echten Tristan Tzara. Ich habe ihn nicht jetzt, neulich, entdeckt — seit etwa sechs Jahren recherchiere ich über Tristan Tzara, ich lese über ihn und stelle Dokumentationen über sein Leben und Werk zusammen, ich habe mehrere Studien über Tristan Tzara veröffentlicht, einschlie‎ßlich im Ausland, in den USA. Ich schrieb über seine Fähigkeit, aus dem Nichts eine kulturelle Bewegung von au‎ßergewöhnlichem Ausma‎ß zu schaffen. Zurzeit ist der Neodadaismus eine wichtige Strömung mit einem bedeutenden Beitrag zur Gegenwartskunst.“




    Die Ausstellung TZARA. DADA. ETC., die in Bukarest bis Ende April zu besichtigen ist, präsentiert Originalwerke, Graphiken von berühmten Avantgarde-Künstlern wie André Breton, Pablo Picasso, Henri Matisse, Joan Miró, Sonia Delaunay, Max Ernst, Alberto Giacometti, Yves Tanguy, Jean Arp und Marcel Iancu, Erstauflagen von Werken wichtiger Avantgarde-Autoren und historische Avantgarde-Publikationen, Plakate über Dada-Aktionen und Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit sowie eine beeindruckende Sammlung mit Fotoaufnahmen, die Tristan Tzara in allen Etappen seines Lebens darstellen. Die Ausstellung TZARA. DADA. ETC. gehört zu den Kulturevents, die anlässlich der Kandidatur der rumänischen Hauptstadt Bukarest als Europäische Hauptstadt 2021 vom Bukarester Kulturzentrum ARCUB organisiert werden.