Tag: Henrik Ibsen

  • Hermannstädter Nationaltheater wartet mit acht neuen Produktionen auf

    Hermannstädter Nationaltheater wartet mit acht neuen Produktionen auf

    Jedes Jahr lockt das Nationale Theater Radu Stanca“ sein Publikum mit vielen Premieren an; viele davon sind in Zusammenarbeit mit der Theaterhochschule in Sibiu/Hermannstadt entstanden. Ende März dieses Jahres wurden acht der neuesten Produktionen in einer Minispielzeit aufgeführt, um das Hermannstädter Theater bei den Fachkritikern, den Journalisten und den Theaterliebhabern im ganzen Land bekannter zu machen.



    Bertolt Brechts Stück Der gute Mensch von Sezuan“ in der Regie von Anca Bradu ist eine der Premieren dieser Spielzeit. Die Aufführung wirft eine wichtige Frage auf, die gerade heutzutage aktueller als je zuvor scheint: Was bedeutet es, gut zu sein? In einer Welt die von Armut, Korruption, Vulgarität und Gewalt beherrscht wird, wählen drei Götter, die auf der Suche des lebensbewahrenden Guten sind, eine Prostituierte aus, die die Welt heilen sollte. Diana Fufezan, eine der beliebtesten Schauspielerinnen des Hermannstädter Nationaltheaters, spielt die Hauptrolle Shen Te in Der gute Mensch von Sezuan“:



    Bei der Arbeit mit diesem Text von Bertolt Brecht sind mir sehr viele Fragen in den Sinn gekommen. Die wichtigsten Fragen waren: Was bedeutet es, gut zu sein? Warum vollbringt man gute Taten? Weil es einfach so getan wird? Weil es von einem verlangt wird? Weil man es so fühlt? Sollte man gute Taten vollbringen, auch wenn es einem sehr schlecht geht, damit es den anderen besser gehen sollte? Sollte man aus dem Wenigen, das man besitzt, auch den anderen etwas schenken, damit sie weiterleben können? Sollte man gutmütig bleiben, auch wenn die anderen einen schlecht behandeln? Das ist wirklich eine gro‎ße, wichtige Frage: Was bedeutet es, gut zu sein, gut zu bleiben?“




    Diana Fufezan ist mit dem Publikum in Sibiu/Hermannstadt vertraut; daher fragten wir sie, ob das Publikum sich für ein so schwerwiegendes Thema interessieren würde:



    Es ist in Ordnung, ins Theater zu kommen, um sich zu entspannen, um eine angenehme Zeit zu haben. Das ist wunderbar, ich liebe Komödien. Ich finde es aber auch sehr gut, wenn man den Mut hat, sich selbst gewisse Fragen zu stellen. Es ist gut, wenn man am späten Abend, nach der Theateraufführung, Antworten auf diese Fragen sucht. Man kann Antworten darauf finden, oder wiederum nicht, aber ich finde es gut, dass man sich darüber Gedanken macht. Das Hermannstädter Publikum ist wundervoll, ich sage das, weil ich die Reaktionen der Zuschauer im Theater kenne. Bei jeder Aufführung werden wir Schauspieler mit derselben Liebe empfangen — jedes Mal fühle ich mich glücklich und ich möchte unseren Zuschauern aus ganzem Herzen dafür danken. Das Publikum ist uns treu geblieben, die Leute kommen zu allen Aufführungen, egal wie verschieden die Stücke sind. Unsere Zuschauer lieben die Diversität und kommen immer wieder ins Theater. Vor allem in dieser Zeit, die wir heutzutage in Rumänien erleben, sind die Themen über die Suche nach dem Guten in »Der gute Mensch von Sezuan« höchst aktuell.“




    Das Gute, die Religion, die Art und Weise, wie wir heute auf das Gute und die Religion beziehen, kommen zur Debatte in der Aufführung mit dem Stück 10“ von Csaba Székely, Regie Radu Nica, einer Produktion im Rahmen des europäischen Projekts Be SpectACTive!“. Basierend auf den 10 Geboten des Alten Testaments werden 10 Geschichten der Gegenwart auf der Bühne dargeboten. Darüber sagte der Autor Csaba Székely: Das Stück präsentiert Menschen in gewöhnlichen Lebenssituationen, aber auch unter au‎ßergewöhnlichen Umständen. Jede moralische Entscheidung, die zu einem gewissen Zeitpunkt von einer Person getroffen wird, hat eine starke Wirkung auf das Leben der nächsten Person.“ Der Regisseur Radu Nica befasst sich seit längerer Zeit mit dem Thema Religion:



    Mit dieser Aufführung wollte ich erreichen, dass jeder von uns seine Beziehung zur Religion überdenkt. Das Thema Religion ist zurzeit in Rumänien höchst aktuell — in Bukarest wird die gro‎ße »Volksläuterungskathedrale« errichtet, in die Schulen soll Religion als Pflichtfach eingeführt werden. Ich hoffe, dass die Aufführung mit dem Stück »10« das Publikum bewegt und wachrüttelt. Mein Wunsch ist, dass die Menschen darüber nachdenken, inwieweit die zehn Gebote des Alten Testaments noch einen Bezug zu unserem heutigen Leben haben. Meiner Meinung nach ist diese Aufführung für das rumänische Publikum von gro‎ßem Interesse und sie könnte auch für das ausländische Publikum sehr interessant werden. Das ist eine Freske der rumänischen Gesellschaft von heute, betrachtet durch die Linse der 10 Gebote des Alten Testaments.“




    In der Minispielzeit des Hermannstädter Nationaltheaters hat der junge Regisseur Botond Nagy das Publikum zu einer technopoetischen Installation“ mit dem Stück Hedda Gabler“ von Henrik Ibsen eingeladen. Hedda Gabler ist für den Regisseur eine der schönsten, komplexesten, menschlichsten Theaterfiguren. Über die Themen, die er mit dieser einzigartigen Aufführung den Zuschauern vorschlägt, sagte der Regisseur Botond Nagy:



    Wir befinden uns in einer glücklichen Situation, da Henrik Ibsen sehr viele Themen anbietet. Abgesehen von der Angst und der Manipulation, die im gesamten Text zu verspüren sind, haben wir in »Hedda Gabler« ein weiteres hochaktuelles Thema: der Finanzdruck, der in allen Stücken von Henrik Ibsen präsent ist. Hier wird dieser Finanzdruck von der Figur Jørgen Tesman verkörpert. Die Liebe ist auch ein wichtiges Thema bei Henrik Ibsen; der schwedische Dramatiker hatte selbst ein hochbewegtes Liebesleben, und das wird in der Beziehung zwischen Hedda Gabler und Ejlert Løvborg wiedergegeben. Auch für mich war das eine besondere, sehr persönliche Beziehung — das war irgendwie mein Startpunkt. Am wichtigsten war aber in meine Inszenierung die Beziehung des Menschen mit der Welt — wir wissen nicht genau, wo wir uns befinden, was wir tun, wohin wir gehen. Die gesamte Welt ist ein Chaos, und ich wei‎ß nicht, wann wir Klarheit gewinnen werden. Vielleicht wird uns die Welt, in der wir leben, niemals vollkommen klar. Und vielleicht ist das nicht unbedingt ein Problem.“

  • Regisseur Thomas Ostermeier beim Klausenburger Festival „Interferenzen“

    Regisseur Thomas Ostermeier beim Klausenburger Festival „Interferenzen“

    Die Berliner Schaubühne war beim Klausenburger Theaterfestival Interferenzen“ mit dem Stück Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen vertreten. Regie führte dabei Thomas Ostermeier. Und, will man dem Festivaldirektor und Leiter des Ungarischen Staatstheaters, Gabor Tompa, Glauben schenken, gibt es derzeit keinen passenderen Ort als Klausenburg, um das Stück aufzuführen. In dem Werk des Norwegers Ibsen geht es um die Entdeckung, dass das Trinkwasser einer Stadt verseucht ist, was die Bewohner ihrer wichtigsten Einkommensquelle berauben könnte: des Tourismus. Muss die Wahrheit ans Tageslicht oder nicht?



    Nach der Aufführung in Cluj folgte eine Debatte mit den Theatermachern, die den pompösen Titel trug: Ibsen, unser Zeitgenosse. Ökologie und Kapitalismus: vom Volksfeind hin zu Roşia Montană“. Im Rahmen der Debatte erklärte der Regisseur Ostermeier welche Änderungen man am Originalskript Ibsens aus dem Jahre 1882 vorgenommen hatte. Die wichtigste davon war die Verjüngung der Hauptfigur Dr. Stockmann und seiner Ehefrau: Sie wurden als 30-35 Jährige dargestellt — also um viele Jahre jünger als die Protagonisten des Originalwerks. Das, weil man den Schwerpunkt von dem politischen Kampf auf die psychologische Untersuchung der jungen Generation verlegen wollte, wie Thomas Ostermeier erklärte.



    Ich habe ein junges Paar verwendet und die Rollen der Tochter und Ehefrau von Dr. Stockmann aus der Originalversion zu einer einzigen Darstellerin verschmolzen. Das, weil, um ganz ehrlich zu sein, das Stück nicht gerade zu den stärksten Ibsens zählt, es ist ein ausgeprägt banales Stück. Ich habe mich bemüht, die Handlung komplizierter zu gestalten, indem ich die Ehefrau Katherine Stockmann widersprüchlich handeln lie‎ß. Sie ist einerseits solidarisch mit ihrem Ehemann, aber auf der anderen Seite genervt von einem Mann, der von sich selbst glaubt, die Flamme der Wahrheit in die Gesellschaft zu bringen, und der gleichzeitig seine Frau schlecht behandelt und zu Hause kein guter Ehepartner ist. Das war sehr wichtig für mich: eine psychologische Seite des politischen Aktivisten zu zeigen, dieses kleineren Bruders, der Minderwertigkeitskomplexe gegenüber dem gro‎ßen Bruder hegt. Dieser Komplex ist auch der Grund, warum er Aktivist geworden ist. Es gibt also auch einen psychologischen Hintergrund, nicht nur die politische Motivation. Dann habe ich im letzten Akt der Aufführung viele Änderungen eingeführt. Die unnatürliche Art des Vaters, der das junge Paar erpresst, die des Bürgermeisters, der sagt, dass, wenn er so weiter macht, er ihn vor den Richter führen und sagen wird, dass er den Ruf des Unternehmens schädigen will, da er beim beabsichtigten Kauf der Unternehmensaktien einen hohen Profit erreichen möchte… All diese Dinge finden sich nicht in der Originalversion von Ibsen wieder. Aber so etwas kann man in vielen Ländern sehen: Wenn man einen politischen Feind hat, einen politischen Gegner, bekämpft man ihn nicht mit politischen Mittel, sondern mit der strafrechtlichen Verfolgung.“




    Auch das Ende der Aufführung ist völlig unterschiedlich im Vergleich zu dem Originaltext. Während bei Ibsen der Arzt zum Held wird, der den Grundstein einer Schule legt, lässt Ostermeier diesen in eine Falle tappen, indem er ihn vor die Wahl eines viel besseren Lebens, mit viel Geld, stellt. Laut dem deutschen Regisseur sei ein derartiges Szenario viel realistischer. Vielleicht könnte man Thomas Ostermeier als zynisch bezeichnen, der Künstler gestand allerdings während der Debatte, dass er sehr verärgert ist über die Arroganz der jungen Generation — seiner Generation:



    Es ist eine ambivalente, schizophrene Generation. Zum einen glauben wir, unseren Vorgängern um Lichtjahre voraus zu sein, in Sachen Frauenrechte oder beim Umgang miteinander… Und au‎ßerdem neigen wir zu der Überzeugung, dass wir viel umweltbewusster sind… Und so weiter… Aber gleichzeitig ist unsere Generation für den ökologischen Holocaust verantwortlich und die kommenden Generationen werden uns fragen, warum wir nichts dagegen unternommen haben. Es ist also eine wahre Schizophrenie. Weil wir uns vormachen, eine fortgeschrittene Weltanschauung im Vergleich zur Generation unserer Eltern zu haben, und wir gleichzeitig nichts auf politischer Ebene unternehmen, wir ändern überhaupt nichts an der Politik. Ich wollte darüber sprechen, über diese Generation, die morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, die Yoga macht, die nicht raucht, die um ein gesundes Leben bemüht ist, die sich aufmerksam um ihre Kinder kümmert… Ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, bedeutet, nicht nur zu Hause zu sein und um das eigene Kind zu sorgen, sondern dem Kind auch eine bessere Welt zu bieten, die nicht völlig verseucht ist. Genau das ist die Schizophrenie unserer Generation und das erkennt man an allen aktuellen politischen Bewegungen, die gescheitert sind.“




    Für den Regisseur Thomas Ostermeier ist die Aufführung von Ibsens Ein Volksfeind“ kein revolutionäres Manifest. Ich glaube nicht, dass man etwas durch das Theater verändern kann. Es ist nicht die Rolle des Theaters, Revolutionen auszulösen. Für mich ist die gesamte Aufführung eher ein Geständnis, eine Momentaufnahme“, so der Regisseur.