Tag: Himmelverbot

  • Andrei Schwartz begleitet Roma über sechs Jahre für seine neue Doku

    Andrei Schwartz begleitet Roma über sechs Jahre für seine neue Doku

    Der über sechs Jahre gedrehte Dokumentarfilm begleitet mehrere Roma in Rumänien, die zwischen ihrer Heimat und der deutschen Stadt pendeln müssen, in der sie versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.


    Andrei Schwartz kam in Bukarest auf die Welt und wanderte 1973 nach Deutschland aus, wo er die Hamburger Kunsthochschule besuchte. Auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival in Amsterdam gewann er 1997 den Joris-Ivens-Preis für Auf der Kippe, einen in Klausenburg gedrehten Dokumentarfilm über das tägliche Leben der Roma, die in der Nähe der Mülldeponie leben. Im Jahr 2015 führte Andrei Schwartz Regie bei dem Dokumentarfilm Himmelverbot, der für das One World Romania Festival ausgewählt wurde. Die Hauptfigur des Films, die wegen schweren Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, wird nach 21 Jahren Haft begnadigt. Wir sprachen mit Andrei Schwartz über seinen neuen Dokumentarfilm Europa Passage und sein Anliegen, die Geschichten von Menschen am Rande der Gesellschaft im Film festzuhalten.



    Wie Sie wissen, habe ich 1997 einen anderen Film über Pata-Rât, die Müllhalde von Klausenburg, gedreht. Als ich also diese Roma sah, die in Hamburg ankamen, dachte ich, ich sehe die Figuren aus dem Dokumentarfilm, den ich damals gemacht hatte. Generell bin ich daran interessiert, die Gesellschaft von ihrem Rand aus zu betrachten, denn wenn man diese Perspektive hat, versteht man auch, was im Zentrum passiert. Dieser neue Dokumentarfilm ist nicht nur ein Film über diese Menschen, die zwischen Rumänien und Hamburg pendeln, er ist auch ein Porträt von Hamburg, natürlich über die weniger schönen Seiten der Stadt. Da ich diese Stadt, Hamburg, als meine Heimat betrachte, war ich auch daran interessiert, wie der weniger bekannte Teil der Stadt aussieht.


    Um auf das Interesse an den Ausgegrenzten zurückzukommen: Ich wurde in Bukarest geboren, in der Nähe von Balta Cocioc, einer riesigen Mülldeponie, wo eine Roma-Gemeinschaft von der Müllsortierung lebte. Ich erinnere mich, dass ich als Kind auf dem Weg zur Schule mit dem Oberleitungsbus dorthin fuhr, aber ich hatte nie den Mut, in das Gebiet zu gehen, um zu sehen, was dort vor sich ging. Ich mache mir auch Sorgen um die Ausgegrenzten, denn als Jude wurden meine Verwandten, die in Ungarn lebten, in den Konzentrationslagern vernichtet, und die Vernichtung ist leider auch Teil der Geschichte der Roma. Als ich diesen Roma-Film, Auf der Kippe, uraufführte, der beim Amsterdamer Dokumentarfilmfestival, einer Art Cannes des Dokumentarfilms, einen Preis gewann, sagte man mir, ich hätte eine Lektion über die conditio humana und das Leben der Roma erteilt.


    Aber ich glaube, dass es nicht nur ein Film über Roma ist, und ich beziehe mich hier auf den jüngsten Dokumentarfilm Europa Passage, sondern über Menschen, die unter sehr harten Bedingungen versuchen, einen Rest von Normalität zu retten. In Europa Passage bewahren sich diese Personen einen außergewöhnlichen Sinn für Humor, der ihnen hilft, den Kampf nicht aufzugeben. Und das ist bewundernswert. Țîrloi, eine der Hauptfiguren des Dokumentarfilms, sieht immer ein halb volles Glas. Ich wünschte, ich hätte eine ähnliche Dosis an Optimismus.



    Filmkritiker Victor Morozov sagte zum Fim: Diese Menschen, die gezwungen sind, ein Leben im Ghetto zu führen, die durch Aushilfsjobs gedemütigt und von der Gesellschaft abgelehnt werden, sind das unsichtbare Gesicht einer vermeintlichen Erfolgsgeschichte der Integration in die große europäische Familie. Der Film sorgt dafür, dass diese Menschen präsent sind und einen Namen haben – Țîrloi, Maria und ihre Verwandten – und holt sie so zumindest vorübergehend aus ihrer traurigen Anonymität heraus. Als eine immer wieder nützliche Erinnerung an den wesentlichen Zweck des Dokumentarfilms: Begleitung, Zuflucht und Stärkung für Menschen in Not.“ Regisseur Andrei Schwartz über die Reaktionen, die er nach der Premiere von Europa Passage erhielt.



    Interessant war, dass wir mit dem Film etwa 25 deutsche Städte erreicht haben, in denen ich auch bei den Gesprächen anwesend war. Dadurch wurde mir klar, dass die Situation, die ich in Europa Passage darstelle, nicht nur für Hamburg typisch ist, sondern dass die Situation der Roma in allen westlichen Städten und Ländern ähnlich ist. Beeindruckend war, dass die Reaktionen der Menschen, die den Film gesehen haben, positiv waren. Und diese Haltung gegenüber den Bettlern, die oft Gewissensbisse hervorruft, ist kein typisch rumänisches Problem und kein Thema, das nur mich betrifft. Aus meiner Sicht sind Menschen wie meine Figuren, Țîrloi und Maria, ein Symptom für eine entgleiste Gesellschaft, und ich glaube, dass wir diese Situation nicht lösen können, wenn wir nicht auch die anderen Probleme lösen. Es wäre nur wünschenswert, dass die Behörden einige Maßnahmen ergreifen, um das Leben dieser Menschen zu erleichtern.



    Der Dokumentarfilm Europa Passage wurde gedreht von Susanne Schuele, geschnitten von Rune Schweitzer, vertont von Giacomo Goldbecker, Helge Haack, Marin Cazacu, Stefan Bück und Simon Bastian und produziert von Stefan Schubert.

  • Rumänisches Kino auf der Berlinale

    Rumänisches Kino auf der Berlinale

    Auch in diesem Jahr feiert ein rumänischer Film Weltpremiere bei der Berlinale. Die 66. Berliner Filmfestspiele zeigen diesmal Illegitimate“, ein anspruchsvolles Familiendrama des Regisseurs Adrian Sitaru. Der 45jährige Filmemacher hat sich auf psychologisch komplizierte Themen spezialisiert — im Film Hooked“ vom Jahr 2008 erforschte er die Widerstandskraft einer Ehebeziehung unter hoher Stresseinwirkung, drei Jahre später thematisierte er in der Komödie Best Intentions“ die Verhältnisse in einer Familie, in der die Mutter gerade krank wird und 2012 untersuchte er die seltsame Nähe zwischen Haustieren und Menschen in Domestic“.



    Illegitimate“ setzt noch einmal ein Stück Dramatik drauf. Der Film handelt über den Witwer und Familienpatriarch Victor, gespielt von Sitarus Lieblingsdarsteller Adrian Titieni und seine vier erwachsenen Kinder. Ganz plötzlich wird er von einem der Söhne mit einem vergessen geglaubten Teil seiner Vergangenheit konfrontiert. Er soll offenbar im Kommunismus Frauen verpfiffen haben, die abtreiben wollten — darauf standen schwere Strafen. Das Thema Schwangerschaft und Abtreibung im kommunistischen Regime hatte Cristian Mungiu in seinem in Cannes prämierten Film 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ behandelt, allerdings aus einer ganz unterschiedlichen Perspektive. Sitaru reicht so viel Spannung anscheinend nicht aus — denn nicht nur mit Spitzeltum und Abtreibung muss sich der Zuschauer auseinandersetzen, sondern auch mit Inzest.


    Originell ist Sitarus Ansatz auch aus der Perspektive seiner Methoden.


    Es ist ein Film an der Grenze zwischen Fiktion und Dokumentarfilm, deshalb wurde er wahrscheinlich auch für die Sektion Forum der Berlinale gewählt — die Leute stehen dort eher auf Experimentalfilme an der Grenze zwischen Kunst und Kino“, sagte der Regisseur in einem Interview mit den Kollegen vom Inlandsprogramm.






    Stichwort Dokumentar: Im Programm der Berlinale läuft auch die Produktion Himmelverbot“ von Andrei Schwartz, eine Dokumentation über Gabriel Hrib, einen zu lebenslänglich verurteilten doppelten Mörder, der 2007 anlässlich der Aufnahme Rumäniens in die EU vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Rumänien, dass sich seit seiner Verhaftung von Grund auf verändert hat, kennt er nur noch aus dem Fernsehen — doch er sucht mutig nach seinem Platz in der Gesellschaft. Der Regisseur Andrei Schwartz und sein Team, die Hrib bereits zehn Jahre zuvor während der Dreharbeiten zu Jailbirds — Geschlossene Gesellschaft“ kennenlernten, begleiteten den Ex-Häftling zwei Jahre lang in seinem neuen Leben.






    In der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Filmfestspiele gibt es dann einen weiteren Höhepunkt mit Rumänienbezug. Vom Hamburger Regisseur Ronny Dörfler, Jahrgang 1984, stammt A Quiet Place“, ein 24 Minuten langer Film über angespannte Familienbeziehungen am Dorf in der rumänischen Neuzeit. Beleuchtet wird dabei auch das Thema Menschenhandel: viele junge Frauen aus Rumänien und der Moldau, besonders aus armen ländlichen Gebieten, gehen skrupellosen Schleppern in die Falle und landen in Westeuropa auf dem Strich. Mit Serban Pavlu, Madalina Craiu, Oana Rusu und Maria Obretin hat sich Dörfler die Mitarbeit echter Stardarsteller gesichert.



    Gewalt unter Jugendlichen am rumänischen Dorf ist auch das Sujet im Kurzfilm A Night in Tokoriki“ von Roxana Stroe, der in der Sektion Generation 14plus gezeigt wird. Die Handlung dreht sich um den 18. Geburtstag eines Mädchens, der in einer Dorfdiskothek nach allen Regeln der Kunst gefeiert werden soll.



    Ein rumänischer Star ist bei der diesjährigen Berlinale Cosmina Stratan — die 2012 in Cannes für die Rolle einer Nonne im Exorzismus-Krimi Hinter den Hügeln“ prämierte Schauspielerin spielt eine der Hauptrollen in der schwedisch-dänischen Koproduktion Shelley“. Stratan ist in diesem dunklen Horrorfilm Elena, die junge rumänische Haushaltshilfe in einer weit abgelegen lebenden dänischen Familie. Elena bietet sich an, als Leihmutter einzuspringen — aber die Schwangerschaft verläuft anders als erwartet. Der Film wird in der Sektio Panorama gezeigt.



    Ob auch diesmal rumänische Kinoschaffende den einen oder den andern Bären bekommen, erfahren wir in wenigen Tagen.