Tag: Katastrophen

  • Rettungshunde: ein Mensch-Tier-Tandem im Dienste der Menschheit

    Rettungshunde: ein Mensch-Tier-Tandem im Dienste der Menschheit





    Die jüngsten Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Februar haben eine besondere Kategorie von Rettern in den Blickpunkt der nationalen und internationalen Öffentlichkeit gerückt: gemischte Teams aus Menschen und Suchhunden, die im Fall von Katastrophen bei der Rettung von Verletzten oder der Bergung von Toten zum Einsatz kommen. Liviu Ionescu leitet das Nationale Hundeausbildungszentrum im südrumänischen Craiova. Er selbst war als Freiwilliger in der Türkei im Einsatz und ist einer der rumänischen Experten, die am besten erklären können, warum es wichtig ist, Hunde für Such- und Rettungseinsätze auszubilden:



    Im Nationalen Ausbildungszentrum für Hunde versuchen wir seit etwa 30 Jahren, eine Datenbank für Such- und Rettungshunde für alle Spezialgebiete dieser Tätigkeit zu entwickeln, d.h. für Rettungsspürhunde, die Verschüttete unter Trümmern suchen können, die bei Wasserrettung oder bei der Suche nach vermissten Personen in städtischen Gebieten zum Einsatz kommen. Dies sind die Spezialgebiete, die wir in Rumänien entwickeln wollen. Warum das wichtig ist? Weil es neben dem sportlichen Aspekt der Ausbildung von Hunden und der Steigerung ihrer Intelligenz, nicht nur ihrer Schönheit, es auch einen sozialen Aspekt gibt, einen Bedarf an Such- und Rettungshunden in allen Gebieten, Regionen und Städten für jede Art von Notsituation, für natürliche wie menschenverursachte Katastrophen. Deshalb versuchen wir, das Bewusstsein der Bevölkerung, der Tierliebhaber und der Tierzüchter zu schärfen, unabhängig davon, ob sie Mitglieder des rumänischen Kynologenverbandes oder eines Klubs sind, um ihre Hunde auf Eignung testen zu lassen.“




    Die Auswahl von Rettungshunden ist sehr hart und und wird unter realistischen Bedingungen getroffen. Unabhängig davon, ob sie von ihren Besitzern zum Testen gebracht werden, weil sie ihre Qualitäten beurteilen wollen, oder ob sie von den Spezialisten des Hundetrainingszentrums selbst entdeckt werden, müssen künftige Rettungshunde sehr strenge Anforderungen erfüllen. Aus diesem Grund können nur maximal 5–10 % der Hunde, die in mehreren Phasen — im Dunkeln, in der Nähe von Feuer, in Höhenlagen usw. — getestet werden, eine Ausbildung zum professionellen Suchhund beginnen, wie Liviu Ionescu weiter erläutert:



    Der Vierbeiner kommt in ein Erziehungsprogramm, und je nach seinem Temperament, seinem Charakter, seiner Anpassungsfähigkeit, dem Alter, in dem er anfängt, der Herkunft und der Lebensverhältnisse, seinem Tagesablauf und je nach dem Fachgebiet, dem wir ihn zuführen wollen, kann die Ausbildung 6 Monate oder 2 Jahre dauern. Es gibt Ausbildungsmodule, die auf solche Hunde zugeschnitten sind, und nach 2 Jahren, vielleicht sogar 3 Jahren intensiver Ausbildung, durchlaufen sie einige offizielle internationale Prüfungen und Wettbewerbe, bei denen man ihre wahren Fähigkeiten ermitteln kann. Sie müssen also eine rigorose Ausbildung und Prüfungen durchlaufen, und nachdem sie all diese Prüfungsstufen bestanden haben, können sie in die Nationalmannschaft aufgenommen werden, und von dort aus ist der nächste gro‎ße Schritt die Teilnahme an der Weltmeisterschaft der Rettungshunde. Dann werden sie in eine internationale Datenbank aufgenommen und können in jeder realen Situation eingesetzt werden.“




    Die Tests, die von den Spezialisten für die Hundeausbildung durchgeführt werden, gelten für jede Hundeart, d.h. es gibt keine bestimmte Rasse, die für die Ausbildung zum Rettungshund vorbestimmt ist. Je früher ein Hund getestet wird, sogar schon im Alter von 3 bis 4 Monaten, desto eher kann er in den eigentlichen Ausbildungsprozess einsteigen. Einmal ausgebildet, ist er bereit zu handeln. Doch was kann ein Retter auf vier Beinen alles leisten? Nach Angaben des Präsidenten des Nationalen Hundeausbildungszentrums ist der Hund beispielsweise in extrem heiklen Situationen in der Lage, in in bis zu 3 Metern Tiefe vorzudringen, etwa in Fällen, in denen selbst hochleistungsfähige elektronische Audio- und Videosysteme nicht eingesetzt werden können. Theoretisch kann ein Such- und Rettungshund für vermisste Personen beispielsweise ein Areal von 50 000 m² in 20 Minuten abstecken, und zwar mit mindestens der dreifachen Effizienz eines professionellen menschlichen Teams. In einem Mensch-Hund-Tandem ändert sich dieses Kräfte-Verhältnis zu Ungunsten des Menschen, weshalb eine nahezu perfekte Kompatibilität der menschlichen Retter mit den Hunden erforderlich ist. Obwohl rumänische Suchhunde auf internationalen Wettbewerben vielfach ausgezeichnet wurden, läuft noch nicht alles rund in der Ausbildung, gibt Liviu Ionescu zu bedenken:



    In Rumänien stecken wir noch in den Kinderschuhen in diesem Bereich. Während andere Länder bereits vor den beiden Weltkriegen mit der Ausbildung von gemischten Mensch-Hund-Rettungsteams begonnen haben, so kann man hierzulande erst ab Ende der 1980er und 1990er Jahre und von einer ernsthaften Entwicklung gemä‎ß den internationalen Standards sprechen. Das Nationale Hundeausbildungszentrum verfügt über eine Datenbank mit etwa 30 Such- und Rettungshunden. Das Problem ist, dass der beste Freund des Menschen in jeder Familie, in die er kommt, unbewusst zum Therapeuten wird und leider eine viel kürzere Lebenszeit und vor allem eine noch kürzere aktive Zeitspanne hat. Bei uns werden Mensch und Hund für jede Art von Katastrophen ausgebildet. Leider können die Vierbeiner uns nur bis im Alter von 7, 8, vielleicht 9 Jahren in Notsituationen helfen. Wir sind in einem ständigen Wettlauf um die Erweiterung der nationalen Suchhundestaffel. Wenn Sie dazu imstande sind, helfen Hunde dem Menschen bedingungslos, selbst wenn sie schon 14 Jahre alt sind. Wir müssen jedoch auch auf ihre Gesundheit achtgeben, daher sind sie meistens im Alter von 3 bis höchstens 9 Jahren optimal als Rettungshunde einsetzbar.“




    Nach den verheerenden Erdbeben in Syrien und der Türkei wurde klar, dass eine weltweit bessere Koordinierung der Rettungseinsätze — einschlie‎ßlich mit Suchhunden — notwendig ist, sagt zum Schluss noch Liviu Ionescu, der Leiter des rumänischen Zentrums für die Ausbildung von Rettungshunden, der zugleich Chef der einschlägigen Kommission bei der Fédération Cynologique Internationale (FCI), dem grö‎ßten kynologischen Dachverband mit Sitz in Belgien ist:



    Wir befinden uns mitten in einem Programm zur Neuausrichtung, zum Überdenken der Interventionsstrategie, zur Kommunikation und zur gemeinsamen multinationalen Ausbildung. Ich koordiniere dieses Programm weltweit und beobachte dabei die Anwendbarkeit, die Geschwindigkeit, die Intensität, die Aufnahmefähigkeit des menschlichen Denkens in bestimmten Regionen der Welt, und es freut mich, dass wir beginnen, in solchen realen Situationen effektiver zu werden und die sportliche Schwelle zu überschreiten, denn bis zum Erdbeben in der Türkei galt die Weltmeisterschaft als das wichtigste Ereignis. Die Kynologie entwickelt sich schlagartig wie die Informatik, es geht alles sehr schnell. Man muss zukunftsorientiert denken und sich fragen, wie sich die Leistung der Rettungshundestaffeln in 5 oder 10 Jahren entwickeln wird, denn ich glaube nicht, dass Erdbeben oder unvorhergesehene Situationen mit vermissten Personen in Zukunft nachlassen werden. Wir müssen auf jede Art von Einsatz vorbereitet sein, bei dem speziell trainierte Hunde zu echten Rettungshelfern werden können. Nach den Ergebnissen, die wir bei den letzten drei Ausgaben der Weltmeisterschaften des Internationalen Hundezüchterverbandes erzielt haben — Rumänien ist Vizemeister und Weltmeister, zum Beispiel in der Sektion »Fährtenaufnahme« — haben wir eine Visitenkarte, wir haben einige Ergebnisse, die sich zeigen lassen. Es ist klar, dass Rumänien und unser Zentrum in Craiova ein wichtiger Standort in der Ausbildung der Rettungshunde auf weltweiter Ebene ist.“

  • Katastrophengeschichte: der Eisenbahnunfall von Ciurea

    Katastrophengeschichte: der Eisenbahnunfall von Ciurea

    Rumänien war im August 1916 an der Seite der französisch-anglo-russischen Allianz in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Nach fast vier Monaten heftiger Kämpfe besetzte die deutsche Armee am 6. Dezember 1916 die rumänische Hauptstadt Bukarest. Die rumänischen Behörden zogen sich in die Moldau zurück, doch der Rückzug verlief weitgehend chaotisch. Mitten in diesem Chaos ereignete sich in der letzten Nacht des Jahres 1916 in der Nähe von Iaşi das schwerste Zugunglück der rumänischen Geschichte.



    Dorin Stănescu ist Historiker und Eisenbahnwissenschaftler und hat über die Katastrophe in Ciurea geforscht. Ihm zufolge wurden auf einem 1330 km langen Schienennetz in der Moldau 1000 Lokomotiven und etwa 25.000 Waggons einrangiert, die gesamte Eisenbahnflotte von Rumänien. Dies führte zur Sperrung der Gleise und zu starken Störungen im Bahnverkehr. Für Dorin Stănescu begann die Geschichte des Vorfalls mit dem Tag des 30. Dezembers. Die Lage an Bord des überfüllten Zugs beschreibt der Historiker anschaulich:



    In dem Kontext, in dem sich die rumänische Armee in Richtung Moldau absetzte, fuhr am 30. Dezember 1916 ein Zug aus Galaţi ab, einer Stadt, die von der deutschen Armee bombardiert wurde und vor einer drohenden Besetzung stand. Dieser Zug fuhr mit einigen Stunden Verspätung nach Iaşi ab. Er war völlig überfüllt, weil so viele Zivilisten nach Iaşi flüchten wollten und auch Soldaten nach dem Heimaturlaub wieder in ihre Kaserne zurückkehren mussten. Auch viele russische Soldaten waren an Bord. Zu den Passagieren gehörten auch Prominente wie der ehemalige Finanzminister Emil Costinescu, die Tochter des ehemaligen französischen Botschafters in Bukarest, Yvonne Blondel, und der Geograph George Vâlsan. Der Zug wurde auch immer länger, weil unterwegs weitere Waggons dazukamen, die einfach gestürmt wurden. Viele Reisende wollten unbedingt in den Zug einsteigen, auch auf den Dächern der Waggons sa‎ßen Menschen. Infolgedessen wurde der Zug von Haltestelle zu Haltestelle immer länger und voller. Ich habe am Beispiel der Waggons und ihrer Fläche schätzungsweise ausgerechnet, wie viele Fahrgäste sich in den Abteilen, in den Gängen und auf den Dächern der Waggons befinden würden. Dabei stellte sich heraus, dass bis zu 5.000 Menschen in diesem Zug reisten, während der Zug normalerweise nicht mehr als tausend befördern konnte. Die Menschen waren verzweifelt, sie wollten aus Galaţi fliehen, und die Soldaten wollten zurück in die Kaserne.“




    Am 31. Dezember 1916 näherte sich die Fahrt des Galaţi-Iaşi-Zuges ihrem Ende — es sollte ein tragisches sein, erläutert der Historiker Dorin Stănescu weiter:



    Am 31. Dezember erreichte der Zug Bârlad und blieb in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember stehen. Am nächsten Tag waren es noch 120 km bis Iaşi. Der Zug kam um Mitternacht in Ciurea an, einer Ortschaft und Bahnstation, die einige Kilometer von der Stadt entfernt in einem Tal liegt. Der Winter war hart und es gab starke Schneefälle. In dem Moment, in dem der Zug begann, talabwärts zu fahren, versuchten die Lokmechaniker abzubremsen. Aber bei dem überfüllten Zuges war das viel schwerer als üblich. Der Zug fuhr mit sehr hoher Geschwindigkeit talabwärts und entgleiste.“




    Im Bahnhof Ciurea selbst waren alle Gleise voll mit Personenzügen und Tankwagen mit Öl. Als der Zug vom Gleis abkam, krachte er in andere Wagen und verursachte eine starke Explosion. In der Nähe des Bahnhofs Ciurea befand sich zudem ein Munitionsdepot, das von der Explosion erfasst wurde. Zeitzeugen berichteten von erdbebenartigen Explosionen. Viele Menschen wurden in den Schnee geschleudert, aber noch viel mehr starben eingequetscht zwischen den Trümmern der Waggons oder wurden durch die Explosionen getötet. Die Zahl der Todesopfer wurde damals auf etwa 1000 geschätzt.




    Die Folgen der schrecklichen Eisenbahnkatastrophe waren absehbar, die Überlebenden und die Kinder der Opfer forderten Gerechtigkeit, allerdings mit wenig Erfolg, wie der Historiker Dorin Stănescu wei‎ß:



    Viele Verletzte oder Kinder der Opfer versuchten, die rumänische Eisenbahn und die rumänische Armee auf Entschädigung zu verklagen. Offensichtlich kam der Prozess nicht voran und man kam zu dem Schluss, dass das Gebiet aus rechtlicher Sicht unter der Gerichtsbarkeit der Armee stand und die Schäden als Kriegsschäden zu betrachten waren. In der menschlichen Gesellschaft sind es oft die Toten, die für schuldig befunden werden. Der Untersuchungsausschuss argumentierte, dass der Zug wegen der Reisenden, die angeblich die Manöver der Bahnmitarbeiter blockierten, nicht angehalten werden konnte. Es gibt eine Ähnlichkeit mit einer anderen Eisenbahnkatastrophe, die sich im gleichen Zusammenhang, aber in Frankreich ereignete. Am 12. Dezember 1917 entgleiste im Departement Savoie (Savoyen) ein Zug mit französischen Soldaten auf Urlaub, die in einer hügeligen Gegend unterwegs waren, und die Schlussfolgerungen der Untersuchung waren fast identisch. Niemand ist für die dortige Katastrophe, bei der 400 Menschen starben, zur Rechenschaft gezogen worden. Auch dieser Zug war überfüllt. Sie wollten keine Sündenböcke mehr suchen, und so wurde der Krieg für das Unglück verantwortlich gemacht.“