„Ich glaube, jede Epoche wird durch ihr dominierendes Kommunikationsmittel definiert“, so die Expertin weiter. „Das Tempo der Veränderungen in der Kommunikation ist derzeit so hoch, dass wir uns überfordert, ratlos und ängstlich fühlen, weil wir nicht vorbereitet sind. Wir haben keinen vergleichbaren historischen Zeitraum, der uns auf eine derart rasante Veränderung vorbereitet hätte.“
Mit Blick auf Rumänien zieht Bârgăoanu eine eindrückliche Entwicklungslinie: „Wir sind gar nicht so weit weg von 1989, als es nur ein einziges Fernsehprogramm gab. Ein Fernseher pro Familie, zwei Stunden Programm am Tag – das war unser gesamter Medienkonsum. Nach dieser Phase der Informationsknappheit folgte der Nachwendeboom mit der Explosion der Printmedien, dann kamen die Radiosender, später die privaten Fernsehsender. Plötzlich war der Informationsraum enorm angeschwollen. Kaum hatten wir uns an die Dauernachrichtensender mit reißerischen Schlagzeilen gewöhnt, tauchten Blogs auf. Dann kamen Online-Ausgaben der Zeitungen, dann Social Media, was den Informationsraum weiter überfüllte. Wir hatten kaum Zeit, Facebook zu verarbeiten, da erschienen Plattformen, die auf Ton und Bild setzten. Bevor wir uns darauf einstellen konnten, kamen Künstliche Intelligenz, ChatGPT und die gigantischen Möglichkeiten zur Inhaltserstellung. In nur 35 Jahren sind wir von zwei Stunden Fernsehprogramm am Tag zu einer totalen Informationsübersättigung und einem ständigen Beschuss mit vielfältigstem Content gelangt.“
Die gesamte Gesellschaft sei in diesen Strudel geraten, und die Auswirkungen neuer Technologien und Veränderungen seien in allen Generationen zu spüren. „Seit Langem geht es nicht mehr nur um simple Verzerrungen von Wahrheit und Fakten“, erklärt Bârgăoanu. „Wir sprechen über Informationskrieg, politisch-informationalen Krieg oder sogar über Kognitionskrieg.“
„Das Informationsökosystem ist zu einer regelrechten Waffe geworden. Digitale Plattformen können gezielt zur Verzerrung der Realität, zur Manipulation der Wahrnehmung und zur Errichtung einer Diktatur der Emotionen genutzt werden. Die Macht neuer Kommunikationsinstrumente, die Realität zu verändern, ist enorm. Deshalb muss auch die Verteidigung dagegen entsprechend sein. Wenn wir die Metapher des Informations- und Kognitionskriegs ernst nehmen, dann bedeutet das, dass man die Menschen nicht einfach sich selbst überlassen kann, um sich allein zu schützen.“
Gleichzeitig betont Bârgăoanu aber auch die positive Seite sozialer Medien: „Vergessen wir nicht, dass sie ein echtes Instrument der Emanzipation waren, zur Sturz von Tyrannen und diktatorischen Regimen beigetragen haben.“ Und sie warnt davor, soziale Netzwerke nur noch mit negativen Aspekten zu verbinden: „Ja, es gibt heute viel Frustration und Kritik an Social Media. Aber es wäre schade, ihre Rolle bei der frühen Demokratisierung des öffentlichen Raums zu übersehen.“
„Sie haben die traditionellen Medien als Platzhirsche herausgefordert – und oft zu Recht, denn diese wurden zunehmend zu geschlossenen Räumen. Social Media hat neuen Stimmen den Zugang zum öffentlichen Diskurs ermöglicht. Doch nun sehen wir vor allem die dunkle Seite, denn sie sind technologisch extrem fortgeschritten und erlauben es, die Wahrnehmung der Inhaltsverbreitung stark zu verzerren. Es gibt sogar Firmen, die sogenannte ‚digital crowds‘ vermieten – wer 1000 Likes für einen Post will, zahlt einen bestimmten Betrag. Und diese sogenannten Engagement-Metrics werden von unserem Gehirn als Zeichen für Popularität und damit für Wahrheit interpretiert.“
Diese Wahrnehmungsverzerrung durch Popularität sei eine der Hauptwaffen. Soziale Netzwerke erzeugten unterschiedliche Verbreitungsgeschwindigkeiten für Inhalte, erklärt Bârgăoanu weiter: „Solche kognitiven Angriffe können sogar mit wahren Informationen erfolgen. Ein viraler Inhalt ist nicht automatisch falsch – er kann völlig faktenbasiert sein. Die Verzerrung entsteht dadurch, dass er durch manipulierte Algorithmen mehr Likes erhält und diese Popularität dann als Beweis für Wahrheit wahrgenommen wird.“
Ihr Fazit: „Die Macht der Künstlichen Intelligenz liegt derzeit vor allem in ihrer Fähigkeit, die Verbreitung von Inhalten zu verzerren.“