Tag: Konzentrationslager

  • Auschwitz: Zeitzeugenberichte von Überlebenden aus Rumänien

    Auschwitz: Zeitzeugenberichte von Überlebenden aus Rumänien


    Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war ein fester Bestandteil der Nazi-Ideologie, ein Programm zur systematischen Vernichtung der europäischen Juden. Die Anzahl der Opfer der grö‎ßten national-sozialistischen Todesfabrik ist schwer einzuschätzen. Die Angaben unterschiedlicher Autoren schwanken zwischen 1-1,5 Millionen Juden. Die ungarischen Machthaber im infolge des Zweiten Wiener Schiedsspruchs abgetretenen Nordsiebenbürgen schickten ab dem Frühjahr 1944 150.000 Juden nach Auschwitz. Vor dem 70. Jahrestag der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945 hat Steliu Lambru einige Zeitzeugenberichte von Überlebenden aus dem Archiv des rumänischen Rundfunks zusammengetragen.




    Die Klausenburgerin Eva Berger wurde gemeinsam mit ihrer Mutter in mindestens 10 Arbeitslager geschickt. In Auschwitz verbrachte sie nur drei Tage, was aber lange genug war, um verstehen zu können, was dort geschah. Im Interview mit Radio Rumänien 1996 erinnerte sie sich an die furchtbaren Erlebnisse:



    Rechts war das Leben und links lauerte der Tod! Ich war mit meiner Mutter dort und sie haben uns nicht an den Händen gepackt, auch wenn wir uns ähneln. Wahrscheinlich haben sie nicht gemerkt, dass wir Mutter und Tochter sind und uns deshalb auf die rechte Seite gestellt. Wir wussten nicht, was es bedeutete, und die ganze Familie ging auf die linke Seite, denn es waren noch Tanten, Cousins, mit Kleinkindern dort, und wer kleine Kinder hatte, konnte nicht für die Arbeit eingesetzt und musste vernichtet werden. Und was ich beobachten konnte, und das habe ich auch meiner Mutter gesagt, dass dort überhaupt kein Vogel zu hören war, dort gab es eine Art Wald. Das geschah im Mai oder Juni, und kein Vogel war zu hören. Wie kann es sein, ein Wald, in dem kein Vogel singt? Später habe ich dann verstanden, dass dort die Gaskammern waren und der Wind wahrscheinlich das Gas oder den Rauch weitertrug und es deshalb keine Tiere und Vögel dort gab, sie hätten dort nicht überleben können. Anschlie‎ßend habe ich auch meinen Vater gesehen, denn ihn hatten sie auf die linke Seite gestellt, also auf der Seite der zu Vergasenden. Aber die sagten immer: Geht ruhig, denn ihr werdet euch wiedertreffen, die Alten werden gemeinsam mit den Kindern getrennt untergebracht, alles wird gut. Dann gingen wir durch das Tor, auf dem »Arbeit macht frei« stand, und ich dachte, dass muss was Gutes sein. Wir mussten arbeiten und dann werden wir frei sein, wenn wir arbeiten. Sie haben uns in eine Baracke gebracht, uns die Haare geschnitten und dann habe ich meine Mutter nicht wiedererkannt. Sie stand genau neben mir und ich erkannte sie nur an ihrer Stimme, weil sie wie ein Mann ohne Haare aussah. Ich hielt immer ihre Hand, damit wir nicht getrennt wurden. Ich hatte das Glück, nur drei Tage in Auschwitz zu verbringen. Das bedeutet, dass wir nach nur drei Tagen dem Elend dort entkommen konnten, dem Hunger, man kann alles kaum in Worte fassen.“




    Im Mai 1944 wurde Mauriţiu Sabovici aus Sighetu Marmaţiei infolge der Besetzung Nordsiebenbürgens durch das Horthy-Regime in das Ghetto in Vişeu gebracht. 1997 erzählte er im Interview mit Radio Rumänien, wir er in der Nähe des KZ Auschwitz dem Tod in die Augen schaute. Als gelernter Schlosser durfte er in einer Fabrik au‎ßerhalb des Lagergeländes arbeiten.



    Ein Tag im Lager sah wie folgt aus: Um fünf Uhr standen wir auf, duschten schnell oder wuschen uns, danach mussten wir bei der Inspektion stramm stehen und anschlie‎ßend gab es das Frühstück. Da gab es 100 Gramm Brot und Tee oder schwarzen Kaffee und Margarine. Und um sechs mussten wir uns fertigmachen für den Gang nach Gleiwitz. Die Fabrik war nicht in der unmittelbaren Nähe, wir mussten etwa einen, zwei Kilometer gehen. Und während dieses Fu‎ßmarsches kassierten diejenigen, die seitlich gingen, Schläge, die in der Mitte wurden geschont. Deshalb versuchte jeder in der Mitte zu stehen und nicht seitlich. In der Fabrik wurde man nicht von ihnen geschlagen, dort schlugen uns die Zivilisten. Die SS-Soldaten standen rund um das Fabrikgebäude, damit wir nicht flüchten konnten, aber sie hatten drin nichts zu suchen. Im Gebäude selbst waren die Kapos. Das waren ebenfalls Häftlinge, deutsche Kommunisten, in die die SS mehr Vertrauen hatte. Und sie passten auf uns auf, dass wir arbeiten und nicht umsonst rumstehen. Dann waren noch polnische Juden dort, die uns schlecht behandelten wie die Deutschen. Sie achteten nicht drauf, dass wir Juden waren wie sie, sie waren sauer auf uns und warfen uns vor, dass wir erst ’44 und nicht schon ’39 wie sie im Lager gelandet waren. Sie warfen uns vor, dass wir erst dann gekommen waren, als die Fronten bereits zusammenbrachen, also zu spät. Sie machten uns das Leben zur Hölle, anstatt uns zu helfen. Wir gingen unserer Arbeit nach und sorgten dafür, dass wir keine Schläge einsteckten.“




    Auch der Elektriker Otto Scharudi aus Baia Mare berichtete in einem Gespräch 1997 von ähnlichen Erlebnissen. Im Juni 1944 wurden die Juden aus Baia Mare in einem Ghetto versammelt, bevor sie in einen Güterzug nach Auschwitz verladen wurden.



    Von Auschwitz aus fuhren wir etwa 6 Kilometer mit dem Zug weiter bis zur Haltestelle Birkenau, wo das Vernichtungslager stand. Dort waren wir in einem Zigeunerlager untergebracht, die Kommandanten des Lagers waren ebenfalls Zigeuner. Als wir raus mussten zum Appell, mussten wir durch eine kleine Tür hindurch. Sie trieben uns mit Stöcken, damit wir ganz schnell gingen. Sie können sich 1000 Menschen in einem Stall vorstellen, die alle rauswollen. Dort war ich etwa eine Woche lang, denn inzwischen waren die Deutschen gekommen, die SS also. Sie fragten, wer eine Ausbildung im Bauwesen gemacht habe, also wer Maurer, Tischler, Mechaniker oder Elektriker war. Und wir meldeten uns. Und dort sollten wir bleiben, jeder hat auch eine Nummer bekommen, ich hatte die 13034. Von dort aus wurden wir die 6 Kilometer zurück nach Auschwitz gebracht. Drau‎ßen wurden wir alle nach unseren Berufen sortiert. Wir waren insgesamt 16 Elektriker und wurden in die Werkstatt gerufen. Es war eine ganz gro‎ße Werkstatt mit vielen Masten, man musste auf die Masten klettern und die Kabel nach drau‎ßen ziehen. Sie lie‎ßen einen so testen. Und von 16 sind wir dann nur noch zwei übriggeblieben, die den Beruf ausüben durften. Ich bekam die Aufgabe, die Stacheldrahtzäune zu kontrollieren, denn es waren Hochspannungszäune.“




    Wenigen Ideologien ist es gelungen, in einem einzigen Wort das Wesen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit so zu erfassen, wie es der Nationalsozialismus tat. Dieses Wort lautet Auschwitz und jedem menschlichen Wesen mit Vernunft graut es davor.

  • 70 Jahre seit der Deportation der Juden aus Nordsiebenbürgen

    70 Jahre seit der Deportation der Juden aus Nordsiebenbürgen

    Am 19. März 1944 befahl Hitler der Wehrmacht, Ungarn zu besetzen und eine Regierung der rechtsextremen, faschistischen und antisemitischen Pfeilkreuzler-Partei durchzusetzen. Die Operation trug den Namen Unternehmen Margarethe I“ und wurde geplant, um einen möglichen Ausstieg Ungarns aus dem Krieg, so wie es mit Italien 1943 passiert war, zu verhindern. Ein ähnlicher Besatzungsplan Rumäniens war im Besitz des deutschen Botschafters in Bukarest, Manfred von Killinger, und hie‎ß Unternehmen Margarethe II“.



    Die Einführung der Pfeilkreuzler-Regierung unter der Leitung von Ferenc Szálasi brachte mit sich eine Welle antisemitischer Verfolgungen in Nordsiebenbürgen. Diese Region wurde infolge des sogen. Zweiten Wiener Schiedsspruchs vom 30. August 1940 von Ungarn besetzt. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge wurden 150.000 – 200.000 Juden aus Ungarn und Nordsiebenbürgen innerhalb von vier Monaten, zwischen Mai und Oktober 1944, in den Nazi-Konzentrationslagern getötet. Etwa 15.000 waren zwischen 1941 und 1944 deportiert worden. In Ungarn selbst überlebten zudem Hunderte Juden nicht einmal den Weg in die Vernichtungslager: Sie wurden auf der Stelle erschossen und in die Donau geworfen.



    Seit den schlimmen antisemitischen Verfolgungen in Nordsiebenbürgen sind 70 Jahre vergangen. Die rumänische und ungarische Zivilbevölkerung hat so weit wie möglich versucht, die Verfolgten zu schützen. Gheorghe Moldovan war 1941 Schüler in Braşov (Kronstadt). 1997 berichtete er dem Zentrum für Mündliche Geschichte des Rumänischen Rundfunks, wie im unbesetzten, rumänischen Teil Siebenbürgens eine Organisation für die Verteidigung der Juden gegründet wurde.



    Nach der Abtretung Nord-Siebenbürgens an Ungarn flüchteten aus Gherla (dt. Neuschloss od. Armenierstadt) ins Haus des Priesters Macavei in Blaj (Blasendorf) der Geschichtsprofessor Semproniu Mihali, seine Frau Natalia und der Französischlehrer Gheorghe Pop. Wir wohnten alle in diesem zentralgelegenen Gebäude. Sie waren au‎ßerordentliche Menschen, patriotisch eingestellte Rumänen, und kurz nachdem ich in ihrem Haus gewohnte hatte, erfuhr ich, dass sie einer Organisation angehörten. Es handelte sich um einen gegenseitigen Hilfeverein für die jüdische Bevölkerung aus dem abgetretenen Teil Siebenbürgens und Rumänien. Diese Organisation war vom Professor Semproniu Mihali geleitet und ich diente ihr als Verbindungsmann. Ich sollte vier Familien zu den Treffen der Organisation aufrufen, es handelte sich um die Familien Veiss, Grun, Holtzinger und Menden. Insgesamt gab es selbstverständlich mehrere Familien, die sich meistens bei Professor Mihali zu Hause trafen.“




    Die Organisatoren des Hilfsvereins gingen auch über die Grenze, um mit den Hilfsbedürftigen ständig in Verbindung zu bleiben. Zu den kleinen Erfolgen der Organisation zählte auch der Schutz der Juden in Rumänien, die unter Rassenverfolgung viel zu leiden hatten. Gheorghe Moldovan mit Einzelheiten:



    Der Priester Macavei war damals Rumäniens Vertreter in Budapest, weil wir keine Botschaft hatten. Dort gab es eine von ihm geleitete Priestergruppe, die uns ständig über die Situation der Rumänen und Juden aus dem abgetretenen Siebenbürgen informierte. Ein Jude, an dessen Namen ich mich jetzt nicht mehr erinnere, kam regelmä‎ßig heimlich über die Grenze aus Nordsiebenbürgen nach Blaj, um zusammen mit Professor Mihali und den anderen die Flucht der Juden aus Ungarn über Rumänien und weiter nach Palästina (nach 1947: Israel) zu planen. Diese Organisation existierte von 1940 bis 1948. Es gab ziemlich viele Juden in Blaj, weil es dort auch eine Synagoge gab. Alle wurden von dieser Organisation geschützt. Keinem ist etwas Böses geschehen, sie konnten ihre Tätigkeiten fortsetzen, sie wurden nicht deportiert. Professor Mihali war sehr aktiv. Wenn jemand ein Problem hatte, ging er mit Hilfe des Priesters Macavei zu allen Behörden, um Unterstützung zu finden. Frau Mihali fuhr nach Nordsiebenbürgen. Sie hatte ein Haus in Gherla, das sie gegen eines in Bukarest eingetauscht hatte. Sie verbrachte viel Zeit auch in Sângeorgiu de Pădure, wo sie verschiedene Kuren machte. So hatte sie Kontakt zu den Juden in Nordsiebenbürgen und konnte ihnen helfen.




    Gheorghe Moldovan hatte die Chance eines Treffens mit einer legendären Gestalt. Es geht um den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg. Er war der Retter von Tausenden Juden aus Ungarn, die über die Grenze nach Rumänien kamen.



    In erster Linie ging es um die Rettung vor der Deportation. In anderen Landesgegenden wurden die Juden gesammelt und in Arbeitslager gebracht. Die Juden aus Nordsiebenbürgen wurden also nicht nach Auschwitz geschickt. Man konnte illegale Grenzüberquerungen organisieren. Ich traf diesen Menschen, der zahlreiche Male bei uns war und sich bei mir persönlich bedankte. Ich habe nachträglich die Beschreibungen gelesen. Es scheint Wallenberg gewesen zu sein. Er war ein hochgewachsener Mann, ein au‎ßerordentlicher und mutiger Mensch.“




    Der Albtraum der Juden in Nordsiebenbürgen ging am 25. Oktober 1944 zu Ende, als die sowjetische und die rumänische Armee Nordsiebenbürgen befreiten.



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