Tag: Krimkrieg

  • Zur Geschichte der Donaukommission: zweitälteste internationale Organisation der Welt

    Zur Geschichte der Donaukommission: zweitälteste internationale Organisation der Welt

    Der Krimkrieg (auch Orientkrieg oder 9. Türkisch-Russischer Krieg) war ein von 1853 bis 1856 dauernder militärischer Konflikt zwischen Russland einerseits und dem Osmanischen Reich sowie dessen Verbündeten Frankreich, Gro‎ßbritannien und seit 1855 auch Sardinien-Piemont andererseits. Er begann als neunter Russisch-Türkischer Krieg, in den die westeuropäischen Mächte eingriffen, um eine Gebietserweiterung Russlands auf Kosten des geschwächten Osmanischen Reichs zu verhindern. Am 30. März 1856 schloss Russland mit seinen Kriegsgegnern — dem Osmanischen Reich, Gro‎ßbritannien, Frankreich und Sardinien sowie den nicht kriegführenden Staaten Preu‎ßen und Österreich — den Dritten Frieden von Paris. Darin wurde die Integrität und Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches erklärt. Die Donaumündungen und ein Teil Bessarabiens gingen an das Fürstentum Moldau. Die Schifffahrt auf der Donau wurde freigegeben, die Kommission der Donau-Uferstaaten gegründet und das Schwarze Meer zu einem neutralen Gebiet erklärt.



    Das Ende des Krimkrieges markierte die Anfänge des modernen rumänischen Staates, als die Entscheidungen der Siegermächte 1859 zur Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei und 1878 zur Unabhängigkeit Rumäniens führten. Die Donau wurde schlie‎ßlich zu einem freien europäischen Schifffahrtsweg, und man konnte auf dem Rhein und auf der Donau von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer fahren. Der Historiker Constantin Ardeleanu von der Universität Dunărea de Jos“ (Niederdonau“) in Galaţi unterstreicht die gro‎ße Bedeutung der Donau für die Entstehung, die Modernisierung und die Verwestlichung Rumäniens:



    Die Donau spielte eine zentrale Rolle nicht nur bei der wirtschaftlichen, sondern auch bei der politischen Modernisierung der Donaufürstentümer, wie sie Mitte des 19 Jh. genannt wurden. Die Donau ist einer der Pfeiler, auf denen das moderne Rumänien gegründet wurde. Die Donau ist ein äu‎ßerst interessanter Fluss, weil sie, wie der Rhein, Gegenstand einer internationalen Kommission war.“




    Das Erscheinen Rumäniens auf der europäischen Landkarte bedeutete aber auch das Entstehen eines internationalen Gremiums, das die Freiheit der Donau garantierte. Es war die Europäische Donaukommission, bestehend aus Österreich, Frankreich, Gro‎ßbritannien, Preu‎ßen, Sardinien, Russland und dem Osmanischen Reich, eine gesamteuropäische Institution, die kurz nach dem Ende des Krimkrieges entstand, um die freie Flussschifffahrt zu sichern. Über die Geschichte der Europäischen Donaukommission sagte der Historiker Constantin Ardeleanu:



    Es handelte sich um eine internationale Einrichtung, die nach dem Krimkrieg geschaffen wurde und die Aufgabe hatte, die Donaumündungen von den technischen und politischen Problemen zu befreien, die die Schifffahrt in der Region behinderten. Sie war die zweite internationale Organisation der Welt; die erste war eine ähnliche Kommission, die 1815 zur Regulierung des Rheins gegründet worden war. Die Europäische Donaukommission unterschied sich aber von der Rheinkommission — sie wurde von den 7 europäischen Mächten gegründet, die die Existenz der Vereinigten Rumänischen Fürstentümer garantierten. Aus einer kurzfristig angelegten Aktion wurde eine solide Institution, die von 1856 bis 1948 dauerte. Die Europäische Donaukommission war die erste Institution, die als ‚europäisch‘ bezeichnet wurde.“




    Es wird oft gesagt, Rumänien sei die Kornkammer Europas“ gewesen. Der Ursprung dieses Ausdrucks liegt genau in der internationalen Politik des 19. Jahrhunderts, als die Westmächte eine einfache Möglichkeit suchten, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, und die rumänischen Fürstentümer die nächste und sicherste Quelle für Agrarprodukte waren. Dazu der Historiker Constantin Ardeleanu:



    Die Donaufürstentümer waren ein äu‎ßerst wichtiger Markt für die Versorgung mit Getreide. Europa befand sich mitten in einer industriellen Revolution und die Donaufürstentümer waren einer der grö‎ßten Versorgungsmärkte. In der Tat hing das Entstehen des modernen Rumänien vom dem Wohlstand ab, den der Getreidehandel brachte. Gleichzeitig war Russland das grö‎ßte Hindernis, die russische Macht, die die Donaufürstentümer kontrollierte, setzte dem internationalen Handel alle möglichen Hindernisse in den Weg. So hatte der Krimkrieg auch eine wichtige wirtschaftliche Komponente. Am Ende des Krimkrieges wurde der internationale Grundsatz aufgestellt, dass die Flüsse frei schiffbar sein müssen. Dieses Prinzip galt für die Donau nach 1856, als Russland die Donau nicht mehr kontrollierte.“




    Der neue rumänische Staat hatte den Auftrag, der ihm zuteil gewordenen Ehre würdig zu sein. In dieser Hinsicht haben die europäischen Mächte über seinen internationalen Status entschieden. Constantin Ardeleanu:



    Aus der Sicht der Gro‎ßmächte bestand die Rolle Rumäniens darin, die Freiheit der Donaumündungen zu garantieren. Dies wurde später, mit dem Berliner Vertrag von 1878 sehr deutlich, als die Unabhängigkeit Rumäniens anerkannt und Rumänien Mitglied der Europäischen Donaukommission wurde. Rumänien sollte als Pufferzone zwischen Russland und dem Osmanischen Reich fungieren und die Unabhängigkeit der Flussschifffahrt auf der Donau garantieren.“




    Die Europäische Donaukommission war keine rein bürokratische Institution. Sie hat aufgrund ihrer Effizienz, ihrer erfolgreichen Projekte und ihrer Neutralität an Ansehen gewonnen. Mehr dazu von Constantin Ardeleanu:



    Die Europäische Donaukommission begann eine immer aktivere Rolle in der internationalen Politik zu spielen, und zwar bereits in den ersten Jahren nach ihrer Gründung, als die sieben europäischen Kommissare als ausgleichender Faktor in einem geopolitisch komplizierten Gebiet angesehen wurden. Während des Krieges für die Unabhängigkeit Rumäniens von 1877–1878 wurde die Donauhafenstadt Sulina gerade durch die Existenz dieser Kommission verteidigt. Die Russen versuchten, die Stadt zu bombardieren, aber sie achteten sehr genau darauf, wo sie ihre Schüsse abgaben, um die Neutralität der Donaukommission zu respektieren. Diese Kommission war eine äu‎ßerst effiziente bürokratische Einrichtung, die sich auf genaue Regeln konzentrierte. Am Ende des Ersten Weltkriegs galt die Europäische Donaukommission als Vorbild für die internationale Zusammenarbeit.“




    Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Europäische Donaukommission (EDK) auf der Basis der Versailler Verträge neu belebt. Daneben gründete sich im Jahr 1921 die Internationale Donaukommission (IDK), die ihren Sitz zuerst in Pre‎ßburg (Bratislava) nahm. Im Jahr 1927 wurde dieser nach Wien verlegt. Die Präsidentschaft der EDK wurde im Wechsel von Vertretern der Anrainerstaaten übernommen. Schlie‎ßlich lösten sich die beiden Kommissionen (EDK und IDK) im Jahr 1940 auf, dafür entstand der Flussrat mit Sitz in Pre‎ßburg/Bratislava. Die Kriegseinwirkungen führten in den 1940er Jahren zum völligen Erliegen der Schifffahrt auf der Donau, weswegen alle entsprechenden Organe ihre Arbeit einstellten.



    Am 18. August 1948, nachdem in Belgrad auf sowjetischen Vorschlag ein entsprechendes Übereinkommen über die Regelung der Schifffahrt von ursprünglich sieben Staaten unterzeichnet worden war, gründete sich die Donaukommission neu und siedelte sich in Galaţi (Galatz) in Rumänien an. Im Jahr 1954 zog die Kommissionsverwaltung nach Budapest. Deutschland und Österreich wurden bei der Gründungskonferenz nicht zugelassen, da sie für den Krieg verantwortlich gemacht wurden. Österreich ist seit 1960 Mitglied. Deutschland konnte auf Grund russischer Vorbehalte erst nach 1999 beitreten. Gro‎ße Bedeutung hatte die Donaukommission neben den laufenden Aufgaben im Zuge der Kriegswirren des Balkankonflikts, als die Donau nicht mehr passierbar war. Der Kommission wurde das Projekt Räumung der Donau bei Novi Sad übertragen.



    Ein Teil des Vermächtnisses der Europäischen Donaukommission, das wir täglich auf Radio Rumänien hören, sind die auf Rumänisch, Russisch und Französisch verlesenen Pegel der Donaugewässer. Der Rumänische Rundfunk bietet seit Jahrzehnten diesen Dienst an. Grund für das tägliche Verlesen der Eckdaten über den Donaupegel ist eine Empfehlung der Donaukommission aus dem Jahr 1979, in der es hie‎ß, dass diese für den Schiffsverkehr wichtigen Informationen im rumänischen Sektor des Donauverlaufs durch den Rumänischen Rundfunk zu erfolgen habe, und zwar in den Sprachen Rumänisch, Französisch und Russisch. Warum gerade diese drei Sprachen? Das ist einfach zu beantworten: Rumänisch ist die Landessprache, Russisch und Französisch sind zwei von den insgesamt drei Amtssprachen der Donaukommission. Deutsch ist zwar auch Amtssprache der besagten Organisation, in der Aussendung des Rumänischen Rundfunks wird sie aber nicht berücksichtigt.



    Seit 2008 werden die Wasserstände der Donau allerdings nicht mehr im ersten Programm ausgestrahlt, das sich Radio Rumänien Aktuell nennt, sondern im Programm für Landwirte, das sich Antena Satelor (Dorfantenne) nennt und auf Langwelle sendet. Die Donaupegel an den verschiedenen Messstationen werden täglich von 12:10–12:20 Uhr Ortszeit auf 153 kHz verlesen — das ist nach MEZ 11:10–11:20 Uhr, also eine Stunde früher.

  • Historische Fälschungen aus patriotischer Gesinnung: die Huru-Chronik

    Historische Fälschungen aus patriotischer Gesinnung: die Huru-Chronik

    Patriotische Fälschungen mobilisierten die latenten Energien, die sich paradoxerweise schlie‎ßlich positiv auf die nationale Emanzipation auswirkten. Mitte des 19. Jahrhunderts, nach dem Krimkrieg von 1853–1856, wurde das Schicksal der rumänischen Donaufürstentümer Moldau und Walachei entschieden. Die nationale Bewegung, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts entstanden war, forderte, dass sich die beiden Fürstentümer zu einem einzigen Staat zusammenschlie‎ßen und sich vom osmanischen Einfluss befreien.



    Dies konnte nur durch die Überzeugung der Gro‎ßmächte des Westens erreicht werden, und die rumänischen Eliten griffen zur Erreichung ihrer politischen Ziele zu allen Mitteln. Eines der Mittel war die Fälschung mittelalterlicher Dokumente, um zu zeigen, dass die Situation vor der Ankunft der Türken in Europa und der Eroberung der rumänischen Länder besser gewesen sei. Die bekannteste historische Fälschung mit patriotischem Hintergrund war die Huru-Chronik, die eine offizielle Chronik der Moldau aus dem 13. Jahrhunderts sein sollte und in der die lateinische Herkunft der Rumänen dargestellt worden wäre. Verfasser der Chronik sei ein gewisser Huru gewesen, der angebliche Chronist des Prinzen Dragoş, des Gründers der Moldau.



    Mircea Anghelescu ist Professor an der Philologischen Fakultät der Universität Bukarest und Autor des Buchs Mistificţiuni“, das sich mit Fälschungen, Apokryphen, Farcen und anderen Mystifikationen in der rumänischen Literatur beschäftigt. Eines der Kapitel konzentriert sich auf die Huru-Chronik, die er als typische Manifestation einer historischen Zeit betrachtet:



    Es gibt besondere Bedingungen, die das Umfeld schaffen, in dem patriotische Fälschungen entstehen. Der Kontext, in dem all dies geschieht, steht im Zusammenhang mit der Schaffung einer historischen Zeit. Die kritische Masse wird erreicht und die Idee wird geboren, und jemand setzt sie in die Tat um. Es wurde von Versuchen zur Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit gesprochen, von Konfrontationen, die Rumänen wähnten sich unter mehreren Feinden, es war sehr schwierig, auch nur eine gewisse Autonomie zu bewahren. Dies ist der historische Moment, der die Schaffung von Fälschungen und deren Verbreitung ermöglicht und unterstützt. Eine berühmte Fälschung vor den Fälschungen des 19. Jahrhunderts ist die eines maltesischen Mönchs. Im 18. Jahrhundert behauptete er, dass einige unwichtige arabische Manuskripte religiösen Inhalts Chroniken darstellen würden, in denen es Zeugnisse über einige Besitztümer auf Malta gibt. Napoleon intervenierte und der Mönch kam lebend davon. Sein Name war Giuseppe Vella. Doch die Fälschung hatte Konsequenzen — sie veränderte die Wirtschaftsordnung des Landes.“



    Patriotische Fälschungen mobilisieren Energien — das kritische Denken bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Es galt, die höhere Vernunft“ über akademische Debatten walten zu lassen, und rumänische Intellektuelle nutzten die Praktiken der damaligen Zeit. Mircea Anghelescu erläutert weiter:



    In den Jahren kurz vor der Revolution von 1848 forderte die Proklamation von Heliade Rădulescu die Rückkehr zu einem Zustand vor der osmanischen Präsenz — mit folgenden Worten: ‚Wir machen keine Revolution, wir wollen eine Restitution!‘ — d.h. eine Wiederherstellung des Geltungsbereichs alter Gesetze. Die Proklamation brachte wahrscheinlich ein Mitglied der Familie Sion auf die Idee, eine Chronik zu fingieren, obwohl nie erwiesen wurde, wer die wahren Urheber der Fälschungen bzw. der Huru-Chronik waren. Sion berief sich auf alte Zeiten als eine Art Bescheinigung des ehrwürdigen Alters der eigenen Familie, weil er seine Kinder in eine russische Adelsschule in Sankt Petersburg einschreiben lassen wollte. Die gefälschte Huru-Chronik wurde in der Zeit nach dem Krimkrieg veröffentlicht, als die Zukunft der rumänischen Fürstentümer von dem abhing, was der Pariser Friedenskongress beschlie‎ßen würde. Wie kam es zur Fälschung? Einer der Nutznie‎ßer, der allerdings naiv und nicht selbst an der Fälschung beteiligt war, war der Nachkomme einer Bojarenfamilie, Boldur-Lăţescu, der behauptete: ‚Mit ist ein Dokument unter die Finger gekommen.‘ Niemand fragte ihn, woher er es hatte. Hatte er es von jemandem bekommen? Hatte er es in einem Archiv gefunden? Heutzutage, da wir eine legalistische Sicht der Geschichte haben, wäre dies die erste Frage an jemanden, der behauptet, ein historisches Dokument zu besitzen.“




    Wie jede Fälschung wurde auch die Huru-Chronik später als solche entlarvt, nachdem die politischen Forderungen der Rumänen erfüllt waren. Mircea Anghelescu erzählt, wie das Dokument als Fälschung enttarnt wurde:



    Die Sprache war der erste Hinweis, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte, und die Zeitgenossen verwendeten dieses Argument in der Debatte, die ihren Höhepunkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte, als der Fall schlie‎ßlich gelöst wurde. Sie verglichen das älteste rumänische Schriftstück, das eine gewisse Konsistenz im Rumänischen hatte, Ende des 16. Jahrhunderts verfasst wurde und vollkommen verständlich war, mit dem Text der angeblichen Chronik von Huru. Der Text der Chronik ist absurd, die Satzgliedstellung ist dem Lateinischen nachempfunden, weil der Fälscher wohl annahm, dass eine ältere Sprachstufe des Rumänischen diese bewahrt habe. Es gibt auch Wörter, die von lateinischen Stammwörtern abgeleitet sind, als ob sie im Rumänischen erhalten geblieben seien, und hier inspirierte sich der Fälscher wahrscheinlich von Cantemir. Diese gekünstelte Sprache wäre sofort aufgefallen, wenn es in den Augen der Öffentlichkeit, auch in den Augen von Spezialisten, ein Gespür für historische Entwicklungen gegeben hätte. Das war am Anfang nicht der Fall, denn die kritische Perspektive kommt erst mit der Zeit, nach objektiver Forschung. Der erste Hinweis war also die Sprache. Der zweite Hinweis bezog sich auf das Wissen über ferne Zeiten. Diese Chronik beinhaltet eine ganze Reihe von Referenzen: Sie sei an einem bestimmten Tag geschrieben worden und ist vom Autor unterschrieben, als wäre sie ein notarielles Dokument. Niemand dachte im 14. und 15. Jahrhundert daran. Es wird auch erwähnt, wie die Rumänen politisch organisiert waren — in Scharen, als ob es sich um die biblischen Stämme Israels handelte. Alles wird in eine kirchliche Ordnung gegossen, die Anführer werden als eine Art Bischöfe dargestellt. Sogar ihre Kleidung wird beschrieben — wei‎ße und rote Togen mit bestimmten Knöpfen, je nach Rang. Doch Kenntnisse über die Kleidung der Frühzeit gab es damals noch nicht, Nachforschungen darüber wurden es erst später angestellt.“




    Historische Fälschungen mit patriotischem Hintergrund waren keine Hochstaplerei im eigentlichen Sinne, sondern ein fragwürdiger Weg, um politische Ziele zu erreichen. Und manche meinen, Machiavellismus zum Wohle der Allgemeinheit sei eine Kunst, kein moralisches Urteil.