Tag: Kulturkampf

  • Donaufürstentümer im Vorfeld der 1848er Revolution: Kulturkampf um Modernisierung

    Das Konzept der Modernisierung erscheint zunächst diffus nach den 1770er Jahren in Schreiben des Adels an die kaiserlichen Kanzleien in Russland und Österreich, gewinnt dann aber immer mehr an Gestalt. Nach dem Aufstand von Tudor Vladimirescu im Jahr 1821 willigte zunächst der Sultan in Konstantinopel ein, keine Phanarioten mehr als Herrscher einzusetzen, sondern Angehörige des einheimischen Adels. Ein erster Sieg, andere sollten folgen.



    Zwei Generationen von Modernisierern sollten Rumänien nachwirkend prägen: Die 1820er hatte sich im osmanisch-orientalischen Zeitgeist sozialisiert, hatte sich jedoch von westlichen Besuchern beeinflussen lassen. 20 Jahre später folgte eine neue Generation von Reformern, die in Frankreich, Deutschland oder Italien studierte hatten und dort die westliche Moderne hautnah erleben durften. Die Senioren verspotteten diese jungen Adelsleute als Bonjouristen“, weil sie untereinander Französisch sprachen. Doch sie legten ein handfestes radikales Transformationsprogramm vor.



    Historiker wie Alin Ciupală von der Universität Bukarest befassen sich mit dem Spannungsfeld zwischen modernisierender und konservativer Gestaltung. Er glaubt, dass man nach Tudor Vladimirescus Aufstand von 1821 und der Beseitigung der Phanarioten vom Beginn der politischen Gesellschaft sprechen kann:



    Nach der Rückkehr zur Praxis einheimischer Herrscher in 1822 ist der Gro‎ßadel gespalten. Es gab eine Fraktion der Russlandtreuen, die die Politik des Zarenreiches am Balkan unterstützten, und eine weitere Fraktion, die dem Osmanischen Reich als Vormacht und dessen Interessen in der Region dienten. Aber nach 1840 erscheint eine neuen Generation von jungen Adeligen aller Ränge, die ein neues politisches Projekt entwickeln — es ist der Kern der Revolution von 1848, auf deren Basis die Vereinigung der Fürstentümer und die Modernisierung der Gesellschaft folgten.“




    Die Generationen stritten um Grundsätze wie Meinungsfreiheit und Abschaffung der Zensur — interessanterweise verliefen die Gräben nicht nur entlang der Generationen, sondern auch der Geschlechter. Die Adelsfrauen waren viel offener für Veränderungen als ihre Ehemänner, gibt der Historiker Alin Ciupală zu bedenken.



    Es sind in der 1848er Zeit eigentlich zwei Zäsuren zu bemerken. Mitten in der Ehe verlief eine Trennungslinie — die Männer blieben einem orientalischen kulturellen Leitbild treu, während die Frauen mutiger waren und entschiedener den Schritt in die Moderne wagten, also hin zu einem westlichen Modell. Die zweite Trennungslinie war die zwischen Kindern und Eltern.“




    Eine anscheinend weniger relevante, frivolere Front des Mentalitätskonflikts war die Mode im weiteren Sinne des Wortes. Kleidung, Schuhwerk, Schmuck, Musik, Literatur und Gesellschaftsspiele — an all diesen lie‎ßen sich die Unterschiede auslegen. Man sieht in Bildern von damals wie stark der Kontrast in den Familien war: Männer im orientalischen Kaftan, ihre Ehefrauen in Kleidern nach der neuesten Pariser Mode, bemerkt Alin Ciupală:



    Es gibt in Bukarest ein sehr schönes Monument, an dem wir oft ahnungslos vorbeigehen. Es ist das Standbild der Golescu-Familie in der Nähe des Nordbahnhofs. Der Pater Familias Dinicu Golescu ist abgebildet in orientalischen Gewändern, die die Phanarioten Anfang des 18. Jahrhunderts hier etabliert hatten. Seine Söhne hingegen, die der 1848er Generation angehörten, sind nach der damals westlichen Mode gekleidet — nach »deutscher« Mode, wie es damals hie‎ß. Das Monument zeigt klar diesen Bruch und ist ein Bild des Wandels in der Gesellschaft Mitte der 19. Jahrhunderts.“




    Den Grundstein für das moderne Rumänien legten vor 160 Jahren zwei Generationen, die zwar im Clinch über die Methode lagen, sich jedoch einig über das Ziel waren, führt der Historiker Alin Ciupală abschlie‎ßend aus.

  • Weltliche Volkslieder: Gegenstand des Kulturkampfs Anfang des 19. Jahrhunderts

    Weltliche Volkslieder: Gegenstand des Kulturkampfs Anfang des 19. Jahrhunderts

    Ein paar europäisierte Bojaren konfrontierten sich mit der kollektiven Mentalität der Gesellschaft, und eines der Schlachtfelder war die Mainstream-Kultur jener Zeit. Es gab keine erheblichen Unterschiede zwischen der hohen und der volkstümlichen Kultur, und die weltlichen Volkslieder erfreuten sowohl die oberen als auch die unteren Klassen. Die weltlichen Volkslieder waren kulturelle Produktionen mit orientalischen Einflüssen, und die Texte zeichneten sich durch eine starke Erotik aus, die oft an Unmoral und Trivialität grenzte. So waren die weltlichen Volkslieder eines der Ziele der Reformer, die den Wandel und die Europäisierung der rumänischen Gesellschaft vorantrieben.



    Anton Pann war ein Schöpfer von weltlichen Volksliedern. Er kam vom Balkan und wurde Mitglied einer Gruppe von Jugendlichen, die im orientalischen Bukarest den Ton des urbanen Lebens angaben. Der Ethnologe Nicolae Constantinescu, Professor an der Universität Bukarest, porträtierte Panns Platz in seiner neuen Heimat.



    Anton Pann stammte aus einem Gebiet südlich der Donau, im heutigen Bulgarien. Seine Mutter und zwei ältere Brüder starben in den Kriegen. Er hie‎ß Antonache, Sohn des Panteleon, aus Sliven, Bulgarien, der durch die rumänischen Länder wanderte. Er hat eine Zeit in Kischinew verbracht, dann in Bukarest, wo er sich im linguistischen und kulturellen Umfeld der Hauptstadt der Walachei integriert. Der Literaturwissenschaftler Paul Cornea meinte, er sei einer der ersten literarischen Vertreter Bukarests. Anton Pann war auch eine der Säulen der baccisch-erotischen Gesellschaft in den Tavernen und Gärten Bukarests.“




    Natürlich war die durchschnittliche Bukarester Gesellschaft nicht von Partys geprägt, aber die Gelage der Bojaren konnten jeden beeindrucken, besonders einen Fremden. Nicolae Constantinescu dazu:



    Es wäre falsch zu glauben, dass ganz Bukarest Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts seine Zeit mit rauschenden Partys verbrachte oder mit bunt gekleideten Musikanten an den Fenstern der adeligen jungen Damen vorbeizogen, die hinter den Gardinen hervorlugten. Nicht selten waren fremde Reisende vom modischen Leben in den Bojarenhäusern dennoch beeindruckt: üppige Mahlzeiten mit 50 Personen, mit feinen Gerichten, feinen Getränken, mit teurem Kaffee und Likören. Dokumente der Zeit erzählen uns genau, woher die Delikatessen kamen — besonders aus Wien. Die Musiker waren talentiert, die Frauen modisch gekleidet. Wir befanden und zwischen Orient und Okzident.“




    Eines der berühmtesten weltlichen Volkslieder, das auch heute geschätzt wird, war Panns Schöpfung: Leliţă Săftiţă“ (zu deutsch etwa: Liebes Lieschen“). Nicolae Constantinescu hat eine Definition des weltlichen Volksliedes:



    Was sind die weltlichen Volkslieder? Anton Pann wusste als Kirchengelehrter, wie man die Lieder notiert. Er schrieb sich die Melodie der Lieder auf, die er und die anderen sangen. Dabei benutzte er die Kirchenmusik-Notation. Nach 100 Jahren hat Gheorghe Ciobanu sie in die moderne Notation transkribiert und heute haben die Sänger sie aufgenommen, wie sie wahrscheinlich vor 150 Jahren gesungen wurden. Die von Anton Pann gesammelten Lieder waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts modische Lieder, eine Art Hofdichtung, die von namhaften Autoren wie Costache Conachi (1777–1849) im Auftrag geschrieben wurden. Auch Pann schrieb Texte, die er weder den Zeitungen noch der Presse gab, sondern den Sängern, die sie singen wollten. George Sion hat darüber geschrieben. Die Mode, die höchste Eleganz war für die jungen Bojaren, ihren Geliebten Konzerte zu schenken. An verschiedenen Orten in Iaşi sangen Musiker-Gruppen Liebeslieder für bestimmte Schönheiten der Zeit, nachdem sie dafür bezahlt wurden.“




    Anton Pann war Autor einer Sammlung von weltlichen Volksliedern mit dem Titel Krankenhaus der Liebe oder der Sänger der Sehnsucht“. In einer ersten Phase wurde er wurde von der Nachwelt verachtet. Dann änderte sich die Einstellung mancher Intellektueller gegenüber ihm, wie die des Dramatikers I.L. Caragiale. Nicolae Constantinescu erläutert weiter:



    Die Mode kam auch in den Süden. Der romantische Dichter Dimitrie Bolintineanu beklagte sich darüber mit folgenden Worten: ‚In den Städten singen die Musiker überall Liebeslieder. Die Walachei ertrinkt in diesen Liedern aus der Moldau, die meisten davon sind obszön.‘ Selbst Caragiale, der Partys liebte und viele Liebesbeziehungen hatte, verurteilt mit Schrecken die Sammlung »Krakenhaus der Liebe oder der Sänger der Sehnsucht«.“ Ich zitiere: ‚Inmitten dieser albernen Mode, jener Strömung trivialer Erotik, widerlicher Sentimentalität und lächerlicher Galanterie, mit der sich selbst viele geistreiche und talentierte Menschen besudelt haben, veröffentlichte Anton Pann, unser berühmter Volksdichter, neben so vielen bewundernswerten originalen Werken und Übersetzungen, eine Sammlung modischer Lieder… ein trauriger Schatz, ein Haufen literarischen Elends, die makellosen Zeugnisse der Dummheit einer Epoche.‘ Einige Zeit später dämpft Caragiale seine Vehemenz und schreibt, dass Anton Pann der rumänischen Literatur einen gro‎ßen Dienst erwiesen habe, indem er all jene Dokumente sammelte, die charakteristisch für den sozialen Status der Rumänen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren.“




    Mit der Zeit sind die weltlichen Volkslieder in Vergessenheit geraten und sind nur Gegenstand der folkloristischen Forschung geblieben. Und die Modernisierung der rumänischen Gesellschaft ist vorangekommen, mit Rückkehr zu Ursprüngen und Neuinterpretationen.