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  • Leseschwäche: Jüngere Generation hat jegliches Interesse am Lesen verloren

    Leseschwäche: Jüngere Generation hat jegliches Interesse am Lesen verloren

    35 % der Rumänen geben an, noch nie ein Buch gelesen zu haben, obwohl es unzählige Studien gibt, die zeigen, dass Lesen die harmonische Entwicklung eines Individuums fördert, Stress zu reduzieren hilft und auch zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beiträgt. Die Weltbank hat gezeigt, dass höhere Alphabetisierungsraten mit einer gesünderen Bevölkerung, niedrigeren Kriminalitätsraten und grö‎ßeren wirtschaftlichen Wachstumsraten verbunden sind.



    Es sieht so aus, als ob sich das Verhältnis der Rumänen zu Büchern 10 Jahre nach der antikommunistischen Revolution vom Dezember 1989 zu verschlechtern begann und das Interesse der neuen Generationen am Lesen dramatisch gesunken ist. Wer ist schuld daran und was kann man tun, wo doch wissenschaftlich erwiesen ist, dass Lesen zur Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten eines jungen Menschen beiträgt?



    Wir haben die Journalistin Marina Constantinoiu, eine Expertin auf diesem Gebiet, die auch an der Fakultät für Journalismus und Kommunikation lehrt, gefragt, wie sich das mangelnde Interesse junger Menschen am Lesen erklären lässt?



    Leider ist das Verhältnis zwischen Schülern und dem Lesen im Allgemeinen, mit oder ohne Verbindung zum Internetzeitalter, ziemlich schlecht, und das ist nichts Neues, das gibt es schon seit 25 Jahren, denn vielleicht waren die ersten Jahre nach der Revolution von 1989 etwas gro‎ßzügiger, was das Lesen angeht. Man kann dem Internet die Schuld geben, aber auf der anderen Seite ist es nicht der einzige Grund und nicht einmal der schwerwiegendste. Ich denke, dass das Hauptproblem in der Familie liegt, denn die Familie ist es, die das Kind nicht zum Lesen ermutigt oder die Unfähigkeit des Kindes zum Lesen toleriert. Ich wei‎ß nicht, ob wir alle mit einem Interesse am Lesen geboren werden, ich wei‎ß, dass dies für meine Generation etwas ist, das in der Familie kultiviert wurde. Ich denke, jetzt ist es eine Frage des nationalen Notstands, denn wir sind in einer sehr schlechten Situation, was das Lesen angeht. Und das kann man an der gro‎ßen Armut des Wortschatzes sehen, mit dem die Menschen heutzutage kommunizieren.“




    Lesen als tägliche Gewohnheit baut neuronale Verbindungen auf und stärkt sie in jedem Alter, nicht nur bei Kindern und jungen Erwachsenen. Werte wie Bildung, Respekt vor Büchern oder Lehrern haben begonnen zu verschwinden. Wenn wir unsere nationale Identität nicht ernsthaft beschädigen wollen, sollten wir dies zu einem nationalen Notstand erklären, meint Marina Constantinoiu:



    Ich war früher selbst eine Studentin und jetzt unterrichte ich und ich unterhalte mich normalerweise gerne mit meinen Studenten au‎ßerhalb des Unterrichts. Ich versuche herauszufinden, was ihre Leidenschaften sind, ob sie lesen und wie viel. In letzter Zeit musste ich aber leider nicht mehr fragen, weil es offensichtlich geworden ist. An der Art und Weise, wie sie ihre Projekte schreiben und wie sie einen längeren Text betrachten, kann ich erahnen, wie viel sie lesen, denn die Arbeit daran ist für sie mit viel Langeweile verbunden. Viele erschrecken allein schon bei dem Gedanken, einen langen Text lesen, darüber nachdenken, ihn verstehen und etwas darüber schreiben zu müssen.“




    Es ist lebenswichtig, dass die Familie, unabhängig von der eigenen Bildung, in den Kindern den Respekt vor und das Interesse am Lesen kultiviert. Ohne Wissen, ohne Lernen aus Büchern ist es, als würde man eine Reise mit einer leeren Tasche beginnen. Und das ist nie gut, sagt Marina Constantinoiu:



    Lesen als Gewohnheit ist normalerweise etwas für die über 40-Jährigen, und ich gehöre zu dieser Kategorie, ich fühle mich wie ein Dinosaurier, aber es ist nicht normal, so zu sein. Ich denke, es sollte in der Familie beginnen und Lesen sollte eine Verpflichtung sein, die sanft auferlegt wird. Denn Lesen ist das, was einen als Person formt. Das sage ich vielen Kindern, die die Stirn runzeln, wenn sie hören, dass sie in der Schule mehr lesen sollen, denn sie befinden sich gerade in den aufmüpfigen Jahren ihrer Entwicklung. Egal, welches Berufsfeld man wählt, man kann die Reise nicht ohne Informationen antreten und ohne das richtige Vokabular, das man nur durch Lesen erwerben kann. Es ist egal, wie wir sie nennen: Wörter, Informationen, Ideen, Metaphern, es ist egal. Wichtig ist, dass man sie hat und sie im Leben benutzt.“




    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, unsere Kinder zum Lesen anzuregen. Ihnen zu helfen, die Freude daran zu entdecken, jeden Tag für eine Weile innezuhalten und einfach zu lesen. Auf lange Sicht ist es auf jeden Fall lohnend.



    Audiobeitrag hören:



  • Hilfe für Kinder mit Lernstörungen

    Hilfe für Kinder mit Lernstörungen

    Diese Vermutung ist uns wohl allen bekannt: Aus dem eigenen Schulleben oder aus dem Berufs- oder Elternleben, vielleicht kennen wir sie einfach nur vom Hörensagen — lernschwache Kinder sind faul. Oder passen nicht richtig auf. Oder haben kein Interesse. Das ist der traditionelle Ansatz“. Seitdem aber die spezifischen Lernstörungen klar definiert und diagnostiziert wurden, beginnt sich dieser Ansatz auch in Rumänien zu verändern.



    Eine der bekanntesten Lernstörungen ist die Dyslexie oder Legasthenie. Die als Lese- und Rechtschreibschwäche definierte Störung, die auch mit Problemen beim Rechnen einhergehen kann, gilt als unheilbar. Die Betroffenen könnten nur darauf hoffen, dass sie durch ständiges Üben ihre Situation verbessern. Die Sprachwissenschaftlerin Roxana Din hat sich als Therapeutin für legasthenische Kinder spezialisiert. Sie beschreibt die Ausdrucksformen der Störung bei Kleinkindern.



    Sie benutzen die rechte Gehirnhälfte mehr als die linke. Das führt dazu, dass sie sich z.B. nicht wie typische Kinder das Lesen aneignen. Die ersten Anzeichen erkennt man wenn die Kleinen Schreiben und Lesen lernen, das hei‎ßt in den ersten Grundschulklassen. Sie lesen die Buchstaben verkehrt. Aus wird zum Beispiel , aus dem wird ein und umgekehrt. Sie verwechseln ein

    mit einem . Viele von ihnen haben auch eine mangelhafte Aufmerksamkeitsspanne. Es gibt auch Theorien, wonach Dyslexiker auch Gedächtnisdefizite und deshalb auch in der Mathematik Probleme haben.“




    Die Dyslexie wird allerdings nicht von einer geistigen Behinderung begleitet. Im Gegenteil, viele Dyslexiker sind besonders kreativ und überdurchschnittlich intelligent. Aus diesem Grund ist eine Frühdiagnose in den ersten Kindergarten- oder Schuljahren empfehlenswert, eben damit die Kinder nicht nur die Erscheinungen bekämpfen, sondern auch ihr Potential nutzen können. Mirela Niţu, Mutter eines Fünftklässlers, bei dem bereits in der zweiten Klasse die Dyslexie-Diagnose gestellt wurde, lie‎ß uns an ihrer Erfahrung teilhaben.



    In der zweiten Klasse hat uns die Lehrerin empfohlen, einen Logopäden aufzusuchen, und dort haben wir praktisch die Therapie für die Dysgraphie begonnen, denn er verwechselte die Buchstaben beim Schreiben. Er hatte keine Probleme beim Sprechen, und bis dahin haben wir deshalb nichts vermutet. Bei den verschiedenen Wettbewerben im Kindergarten und in der Schule hatte er immer die besten Ergebnisse. Erst in der zweiten Klasse, als es mit längeren Diktaten und komplizierteren Hausaufgaben losging, haben wir gemerkt, dass bestimmte Fehler vermehrt auftraten.“




    Nach der Diagnose folgte die Therapie, die langsam Früchte trug, sagte Mirela Niţu.



    Er tendiert immer noch mehr zum Spielen und will schwierigere Situationen vermeiden, etwa die Hausaufgaben. Er macht immer noch Fehler, wenn er müde ist oder sich nicht ausreichend konzentriert. Dennoch hat er gute Noten, weil er in der Schule gut aufpasst und sich am Unterricht beteiligt, es gibt keine Probleme mit der schulischen Situation im Allgemeinen. Aber Fehler beim Schreiben wird er wahrscheinlich auch in der Zukunft machen.“




    Mirelas Junge macht einmal in der Woche individuelle Therapie und ein weiteres Mal Gruppentherapie mit anderen dyslexischen Kindern. Für ihn und seine Eltern bedeute es, sich ständig anzustrengen, aber gleichzeitig lohnt es sich, behauptet Mirela Niţu.



    Es ist in der Tat eine zusätzliche Anstrengung sowohl für das Kind als auch für die Eltern, ich meine damit die ständigen Fahrten zu den Aktivitäten und der Therapie. Zudem dauert das Erledigen der Hausaufgaben länger als bei anderen Kindern. Wir müssen ständig zusätzlich arbeiten. Man muss sich immer neue Lernmethoden ausdenken. Als Elternteil muss man viel Geduld aufbringen und das Kind stets unterstützen. Wir hoffen, dass es gut wird und er sein maximales Potential erreicht und dann ein Erwachsener nach seinen Vorstellungen wird.“



    Vor allem am Selbstvertrauen der Kinder müsse hartnäckig gearbeitet werden, denn wenn andere einen irgendwie abstempeln, würde dies tiefe Spuren hinterlassen, erklärt die Sprachtherapeutin Roxana Din.



    Oftmals müssen wir am Selbstvertrauen arbeiten weil sie oft als faul gelten und so als Stigmatisierte leben müssen. Manchmal werden sie auch von den Schulkameraden so betrachtet. Demzufolge müssen dyslexische Kinder ermutigt werden und sich verstanden und angehört fühlen.“




    Roxana Din und Mirela Niţu sind sich im EDULER-Center begegnet, eines der wenigen Einrichtungen des Landes, die auf Therapie für dyslexische Kinder spezialisiert ist. Bei der Eröffnung des Zentrums im vergangenen Jahr hatte Leiterin Cristiana Ionescu feststellen müssen, dass es in Rumänien selbst keine Experten auf dem Gebiet gab.



    Wir haben begonnen bei den Experten in Norwegen und Gro‎ßbritannien anzufragen. Alle haben uns geantwortet, dass sie uns gerne die theoretischen Prinzipien zeigen, dass das Ganze aber für die rumänische Sprache angepasst werden muss. Nach einem einjährigen Projekt haben wir am 7. April 2016 unser erstes Center eröffnet und seitdem arbeiten wir an den Lern- und Therapiekits in rumänischer Sprache. Auch die Mathematik-Sets für Kinder mit Dysgraphie und Dyskalkulie. Wir versuchen ein Team aufzustellen, dem Eltern, Kinder und Therapeuten sowie die Lehrkräfte angehören sollen. Wir haben uns überlegt, Experten der klinischen Linguistik einzuladen, sowie Logopäden und Psychotherapeuten. Die Suche war intensiv, es war schwierig, und das nicht nur, weil wir erfahrene Kenner der Dyslexie anwerben wollten, sondern auch Leute gesucht haben, die sich nicht vor bahnbrechenden Projekten fürchten.“




    Zurzeit kommen etwa 20 Kinder täglich zum EDULIER-Center. Leiterin Cristiana Ionescu erklärt den täglichen Ablauf.



    Sie machen entweder Bildungstherapie und tiergestützte Therapie oder arbeiten im Digitalraum, wo sie an einer interaktiven Digitaltafel lernen, sich selbst zu bewerten und zu korrigieren. Wir legen ebenso viel Wert auf die Psychotherapie. Je früher wir das Kind evaluieren, je aufmerksamer wir auf die Signale sind, die unser Kind sendet, desto besser können wir ihm helfen. So wird das Gefälle zwischen ihm und den anderen Kindern schneller abgebaut.“




    Das EDULIER-Center ist ferner auch eine Begegnungsstätte für Eltern dyslexischer Kinder, die im Rahmen von Begleitgruppen ihre Erfahrung teilen können.