Tag: Lesungen

  • Block Party – das etwas andere Bukarester Straßenfest

    Block Party – das etwas andere Bukarester Straßenfest

    Leseempfehlungen, Bücherpyramiden auf der Stra‎ße, Lesungen zeitgenössischer Poesie und organisierte Stadtführungen, kulinarische Delikatessen, zubereitet vom Meisterkoch Liviu Lambrino für eine gemeinsame Mahlzeit (ein langer Tisch, aufgedeckt für etwa 30 Personen) — das alles erwartet die Einwohner von Bukarest im Oktober in der Innenstadt. Au‎ßerdem lädt Paul Dunca die Bukarester zum Tanzen ein, zur Musik von Jim Felix. Die Open-Air-Filmprojektionen ziehen ebenfalls viele Besucher in die Innenstadt der rumänischen Hauptstadt an.



    Edmund Niculuşcă ist der Leiter des Rumänischen Kulturvereins Bildung und Normalität“, kurz ARCEN, und zugleich Urheber der Veranstaltung. Er lieferte uns folgende Einzelheiten zum Event:



    Wir verwandeln die Stra‎ße in einen vielschichtigen Raum. Innerhalb von 12 Stunden sollen ganz viele Veranstaltungen in der Stra‎ße I.L. Caragiale stattfinden: Es kommt die Ausstellung, die Rumänien an der Internationalen Architektur-Biennale in Venedig vertreten hat, Mnemonix, »În faţa blocului« (»Vor dem Wohnblock«), das Projekt, das alle Kindheitsspiele in einem Buch vereinigt. Block Party, unsere Veranstaltung, umfasst einige Schlüsselmomente: das Spiel, den Tanz, den Dialog.“




    Liegestühle, Teppiche, Sitzpolster, Decken, Bücherregale — das alles gab es in der Innenstadt am Wochenende. Die Besucher hatten die Gelegenheit, ein freundliches Wohnzimmer direkt in der Stra‎ße zu genie‎ßen. Eine Buch-Installation lädt direkt vor Ort zum Lesen ein. Eine an einem Ziegelstein befestigte Metallstange mit einer Platte am Ende, worauf das Buch stand — so sah die Buch-Installation aus. Sobald ein Leser das Buch von der Platte hob, fand er darunter einen Zettel, mit der Begründung der Buchempfehlung. Edmund Niculuşcă erzählte uns mehr über die Projektentstehung:



    Bukarest braucht ein neues historisches Kulturzentrum. Die Umgebung von Icoanei ist der richtige Ort dafür. Icoanei ist ein historischer Stadtteil und liegt im Zentrum von Bukarest. Sein kulturelles Potenzial kann genutzt werden. Icoanei kann sich zu einem anderen historischen Zentrum entwickeln.“




    Die Geschichte hat in diesem Stadtteil eine kulturelle Dimension. Sie lässt sich gerne enthüllen, so Edmund Niculuşcă:



    In der Stra‎ße I.L. Caragiale befinden sich alle Partner von District 40: das Französische Institut, die Zentralschule, die Residenz Scena 9, Point, die Buchhandlung Cărtureşti und Cinetics. Es sind sechs Partner, die bereits an diesem Netz — District 40 — teilnehmen. Während der Museennacht fanden verschiedene Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten statt. Nun vereinigen sich all diese Kulturinstitutionen und begegnen einander in einer Stra‎ße. Sie beweisen, dass es möglich ist, zusammenzuarbeiten und das Unmögliche möglich zu machen. Ursprünglich hatten wir das Projekt als »Stadtteil im Zentrum« bezeichnet, bevor wir auf den Namen »District 40« kamen. Wir wollten nämlich ein verschiedenartiges Stadtzentrum schaffen. Die Philosophie, die dem Projekt zugrunde steht, haben wir bewahrt, auch wenn sich der Name geändert hat.“




    An den Stra‎ßenveranstaltungen nahm auch die Dichterin Nora Iuga teil. Sie las aus ihrer Poesie vor. Anwesend waren auch Vertreter verschiedener Urbanismusprojekte, unter anderem der Kurator des Projekts MNEMONICS sowie die Architekten Şerban Sturdza und Şerban Radu. Letzterer ist übrigens der Begründer der Buchhandlung Cărtureşti. Debattiert wurde auch über das Projekt Catalog 40. Das Vorhaben zielte darauf ab, die Menschen mit den geschützten Gebieten in Bukarest vertraut zu machen. Alberto Groşescu, stellvertretender Vorsitzender des rumänischen Kulturvereins ARCEN, mit mehr Einzelheiten:



    Von allen ARCEN-Projekten, die wir bislang umsetzten, war dieses das dynamischste. Es erfuhr die meisten Änderungen. 2015 haben wir zwei weitere bebaute geschützte Gebiete identifiziert. Das war unsere Demo-Version. Bei dieser Gelegenheit stellten wir die Dynamik der Stadt fest. Wir beobachteten, wie schnell sich die Stadt weiterentwickelt. Daher überlegten wir, wie wir die Schutzgebiete innerhalb der Stadt bewahren können: Wir schauten, was noch zu retten war. 2017 fingen wir mit der Datenerfassung an. Das zentrale Stadtviertel Icoanei kam schnell dran. Doch damals wussten wir nicht, das es zur Umsetzung des Projekts District 40 kommen würde.“




    Wir schlichen uns zwischen den Gästen, um von ihnen zu erfahren, was sie von der Block Party hielten. Wir trafen Dana, eine 43-jährige Frau, die in Begleitung ihres Sohns war. Warum sie an der Veranstaltung teilnehme, wollten wir von ihr erfahren:



    Ich las im Internet darüber und wollte schauen, was hier vor sich geht. Ich fand hier Leute wie ich, Bücher, einen ruhigen Ort, wie es kaum in Bukarest gibt. Leute, die uns ähnlich sind, die die Ruhe lieben, gerne lesen und sich eine Stadt wünschen, wie sie hier zu erleben ist.“




    Radu, Danas Sohn, ist 13 Jahre alt. Er sagte uns auch, warum er zur Block Party kam:



    Ich war neugierig, was hier los ist. Es ist eine angenehme Freizeitalternative für einen Sonntag. Da kann man sich entspannen, ein Buch lesen, sich auf einem Liegestuhl ausruhen. Ich glaube, meine Schulkommilitonen würden so etwas nicht unbedingt zu schätzen wissen!“




    Beide Abende gingen im Tanzschritt zu Ende. Von den existenziellen Fragen, die zur Musik gestellt wurden, ist bei mir eine hängen geblieben: Wie lange willst du leben? Stimmt es, dass du mit der Zeit das Älterwerden anders wahrnimmst?“ Ein Thema zum Überlegen!

  • Storytelling-Festival in Bukarest: Freude am Erzählen für Jung und Alt

    Storytelling-Festival in Bukarest: Freude am Erzählen für Jung und Alt

    In Bukarest fand vor kurzem das erste internationale Storytelling-Festival statt. Sämtliche Workshops und Veranstaltungen verliefen unter dem Motto Wir alle sind Geschichten!“. Erzählkunst-Workshops, Konferenzen zum Thema Kunst, Geschichtenerzählen, Märchenabende gepaart mit weiteren erzählenden Künsten“ — von Musik bis hin zu Poesie — das alles konnten die Teilnehmer am Festival genie‎ßen. Dazu kamen noch die Geschichtenlesungen und Lektüreabende. Es lasen die Erzähler, die auch in Kinderkrankenhäusern freiwillige Arbeit leisten und den dort untergebrachten Kindern Geschichten vorlesen. Adriana Ene ist die Veranstalterin des Festivals. Sie ging von dem Gedanken aus, dass wir alle eine Geschichte verkörpern, die es wert ist, erzählt zu werden. Dazu Adriana Ene:



    Es war eine sehr schöne Geschichte — das erste Erzählkunstfestival in Bukarest. Wir sind Geschichten. Jeder von uns verkörpert eine Geschichte. Eigentlich sind wir ein Buch voller Geschichten. Am ersten Storytelling-Festival beteiligten sich Erzähler aus allen Ecken der Welt. Sie kamen aus Südkorea, Gro‎ßbritannien, Marokko, Georgien, der Türkei und Rumänien. Das Programm war vollgepackt mit Veranstaltungen.“




    Adriana Ene kam auf den Gedanken, ein Festival dieser Art in Bukarest zu organisieren, nachdem sie letztes Jahr am vierten Stotytelling-Festival in Arad teilnahm. Es war eine beeindruckende Erfahrung, die sie mit den Bukarestern teilen wollte:



    Letztes Jahr war ich die einzige Erzählerin aus Rumänien, die sich am Storytelling-Festival in Arad beteiligte. Am Erzählkunstfestival in Arad nahmen unter anderem Erzähler aus Hawaii, Portugal, Dänemark und Thailand teil. Die Stimmung war herrlich, die Begegnung beeindruckend. Ich dachte mir, eine solche Veranstaltung müsse unbedingt auch in Bukarest stattfinden. Ein Jahr später gelang es uns, ein Erzählkunstfestival auch in der rumänischen Hauptstadt zu veranstalten. Es war das erste Mal, allerdings war es ein gro‎ßer Erfolg. Daher werden wir das Erzählkunstfestival auch nächstes Jahr organisieren. Eine vorläufige Liste mit Erzählern für das kommende Jahr steht schon bereit: Wir wollen gerne John Mukeny, aus Kenia, Claude Delsoll aus Frankreich, Eric Wolf aus England einladen. Jeff Meyer ist ein wunderbarer Erzähler, er wird aus Hawaii eintreffen. Auch Alicia Dongjoo Bang aus Südkorea wollen wir wieder einladen. Wie gesagt, die Vorbereitungen für die zweite Ausgabe des Erzählkunstfestivals sind schon in vollem Gange.“




    Die erzählten Geschichten vermitteln immer eine Botschaft. Themen wie Liebe, Armut, Güte, Hoffnung, Glück, Mut, Trauer, Freude wurden von den Erzählern in Geschichtensammlungen zusammengebracht. Die von ihnen gesammelten Geschichten widerspiegeln die Weisheit unserer Vorfahren, so unsere Gesprächspartnerin:



    Wenn wir den Kindern eine Geschichte erzählen, sind wir uns dessen bewusst, dass die Geschichte eine Botschaft in sich birgt — meistens geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse, um mutige Taten oder Vertrauen. Die bei einem Storytelling-Festival erzählten Geschichten sind allerdings verschieden. Sie werden von Menschen erzählt, die aus unterschiedlichen Ecken der Welt kommen, die schwer oder sogar nie erreichbar sind. Es werden also besondere Geschichten erzählt. Die für Kinder erzählten Geschichten setzen immer eine Interaktion voraus. Es werden Lieder aufgespielt, die Kinder werden aufgefordert, mitzusingen. Sie werden aufgefordert, Rätsel zu entschlüsseln, sich zu den Märchenfiguren zu äu‎ßern oder die Handlung fortzusetzen. Die Geschichten verknüpfen oft Elemente der zu übertragenden Botschaft mit Elementen, die durch die Interaktion mi der Hörerschaft entstehen. Selbstverständlich werden manche Geschichten lediglich erzählt, ohne weitere Wechselwirkungen. Dafür muss der Erzähler die Erzählkunst besonders gut beherrschen. Der interkulturelle Austausch ist ebenfalls sehr wichtig. Der Erzähler aus der Türkei war in einer typisch türkischen Volkstracht angezogen. Erst stellte er uns seine Volkstracht vor und nachher erzählte er die Geschichte. Tatiana Montic ist eine Journalistin aus Georgien. Sie teilte mit uns eine schöne journalistische Erfahrung. Es ging um eine Geschichte, die sich zu Weihnachten in Kiew ereignete, als sie dort für eine Reportage recherchierte. Andere Erzähler stellten die Bedeutung der Mutter im Leben eines Kindes zur Diskussion. Oder sie erzählten über Gutmütigkeit und Vergebung und wie wichtig sie für unser Wohlergehen seien. Die Geschichten waren sehr vielfältig, sie vermittelten aber immer eine Botschaft. Die Einführungsformel war immer ‚Es war einmal‘, ungeachtet der Sprache, in der sie erzählt wurden. Wenn eine Geschichte in einer Fremdsprache erzählt wird, so sprechen der Erzähler und der Übersetzer im Vorfeld miteinander, um eventuelle Missverständnisse auszuräumen.“




    Wir wollten von Adriana Ene erfahren, ob sie eine Lieblingsgeschichte hat. Dazu die Veranstalterin des Erzählkunstfestivals:



    Es gibt eine Geschichte, die ich besonders gern mag. Allerdings stammt sie nicht aus Rumänien. Es geht hauptsächlich um Weisheit und Vergebung. Die Geschichte gefiel mir sehr gut, weil sie an die wesentlichen menschlichen Werte erinnert, die im gegenwärtigen Alltagsdurcheinander manchmal in Vergessenheit geraten. Die Geschichte hei‎ßt »Die höchste Weisheit liegt darin, Fehler zu verzeihen«. Es ist eine asiatische Geschichte. Sie stammt aus der Region, in der die Menschen ihre Kamele durch kleine Dörfer bis hin nach Bagdad führen, um Handel zu treiben. Auf dem Weg können Dinge passieren, die einem das Leben komplett auf den Kopf stellen. Es ist eine Geschichte für Erwachsene genauso wie für Kinder. Ich hörte sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal, als ich an einem Workshop für Storytelling im Ausland teilnahm. Ich hörte die Geschichte und erzählte sie dann meinerseits weiter. Sie wissen doch, was von Erzählern gesagt wird. Sie kämen zusammen, um Geschichten zu hören, die sie dann weitergeben. Selbstverständlich bereichert jeder Erzähler die Geschichte durch seine eigene Perspektive. Die Geschichte wird dann im eigenen Stil erzählt. Eine Geschichte hört sich niemals zweimal gleich an.“




    Das Storytelling-Festival Wir alle sind Geschichten!“ ist zu Ende gegangen. Es war eine Reise zurück in eine Welt, die vermeintlich nur Kindern gehört. Es war eine fabelhafte Erfahrung, die die Veranstalter im kommenden Jahr wiederholen möchten. Oder wann immer auch Erwachsene die Zeit finden, eine Geschichte zu lesen und Freude daran zu haben.