Tag: Linguistik

  • Kybernetik, Computer, mathematische Linguistik – zur Geschichte der interdisziplinären Forschung

    Kybernetik, Computer, mathematische Linguistik – zur Geschichte der interdisziplinären Forschung

    Die heutigen Übersetzungsprogramme verwenden Informationstechnologie, eine Technologie, die wie jede andere Technologie um uns herum eine faszinierende Geschichte hat. Es ist eine Geschichte verschiedener Disziplinen, die miteinander verwoben sind und die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben. In der Entwicklung der künstlichen Intelligenz als ein neues Feld, das mehrere Wissenschaften zusammenbrachte, trug auch die rumänische Schule bei. Und einer ihrer Beiträge war es, die Linguistik mit der Mathematik zu verbinden.



    Computerlinguistik erschien in den Vereinigten Staaten, es ist ein interdisziplinäres Feld, das zwischen Linguistik und Informatik bzw. zwischen natürlicher Sprache und der Sprache der Computerprogrammierung als künstliche Intelligenz angesiedelt ist. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg war die Kybernetik die neue Wissenschaft, die die Kombination von Wissenschaften förderte, aus der sich später die Computerlinguistik entwickeln sollte. In den späten 1930er Jahren hatte Rumänien in Ştefan Odobleja einen der Pioniere auf dem neuen Gebiet. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Sowjetarmee das kommunistische Regime durchsetzte, änderte sich der gesamte wissenschaftliche Horizont.



    Einer der Pioniere der mathematischen Linguistik in Rumänien war der Mathematiker Solomon Marcus. In einem Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte des Rumänischen Rundfunks aus dem Jahr 1998 erklärte Marcus, wie die Ideologie der kommunistischen Einheitspartei die Wissenschaft politisierte:



    Die Kybernetik wurde als bürgerliche Schöpfung abgelehnt, aber dann ist etwas passiert. Zu dieser Zeit folgten wir der Moskauer Linie aufs Wort. Und was geschah, war, dass die wirklichen Wissenschaftler in Moskau eine sehr geniale Idee hatten: die Forschung, die im Bereich der Linguistik stattfand, wie die mathematische Linguistik, vom humanistischen Zweig der Kultur zu trennen. Und dann führten sie sie mit dem Zweig der Wissenschaft und Technologie zusammen. Nach der Periode der Verurteilung der Kybernetik gab es also einen Gesinnungswandel in Moskau, und die technisch-wissenschaftliche Revolution wurde begrü‎ßt. Und plötzlich wurde die technisch-wissenschaftliche Revolution zu einem der Ziele der kommunistischen Gesellschaft, um die technisch-wissenschaftliche Gesellschaft zu schaffen.“



    Wie jede andere Änderung in der politischen Einstellung des kommunistischen Regimes erwies sich auch in diesem Fall der Pragmatismus als stärker als die Ideologie. Diese Veränderung, die in Moskau stattfand, wurde von den Satellitenländern der Sowjetunion übernommen. Solomon Marcus dazu:



    Offensichtlich hatte Bukarest diesen Slogan verinnerlicht, und so gelang ein doppelter Coup: Den Wissenschaftlern gelang es, nicht nur die mathematische Linguistik — damals Computerlinguistik genannt — als Wissenschaft anerkannt zu sehen, sondern auch, diesen Schritt durch die Nähe zur Informatik als Ausdruck der technisch-wissenschaftlichen Revolution hochzustilisieren. Damals war das gro‎ße Thema die »maschinelle Übersetzung«, und wir sollten den Einzug der maschinellen Übersetzung vorbereiten. Das Ziel war, dass die Übersetzung aus einer Sprache in eine andere nicht mehr »manuell«, von Hand, also menschlich, sondern von einer Maschine ausgeübt wird. Das Problem war entscheidend, weil sowohl die Russen als auch die Amerikaner in der Lage sein wollten, leicht aus dem Englischen ins Russische und aus dem Russischen ins Englische zu übersetzen. Die Linguistik war aufgrund von Stalins Thesen über Marxismus und Linguistik ein gro‎ßes Minenfeld. Und siehe da — die mathematische Linguistik konnte sich diesem Spannungsfeld entziehen: Sie wechselte plötzlich in den Bereich der Naturwissenschaften und der Technologie.“



    Die beiden wissenschaftlichen Gemeinschaften, die sich aus Philologen und Mathematikern zusammensetzten, blickten mit Vorbehalten auf die Absicht, die neue Disziplin zu schaffen. Solomon Marcus erinnert sich weiter:



    Alexandru Rosetti war einer der wenigen Philologen, die dieses neue Anliegen begrü‎ßten und förderten. Doch seine Kollegen ignorierten das Thema einfach oder argumentierten dagegen. Sie sagten, dass dies keine Linguistik sei. Professor Emanuel Vasiliu wandte eine Art von Linguistik an, die der Logik und der Mathematik nahe stand. Auch für Mathematiker war die Zusammenarbeit mit einer humanistischen Disziplin wie der Linguistik völlig gegen die Tradition. Sie sagten, traditionsgemä‎ß würde die Mathematik eher mit der Mechanik, der Physik und der der Chemie einiges am Hut haben als mit anderen Disziplinen. Und deshalb waren viele sehr skeptisch. Sie glaubten nicht, dass dies etwas bewirken würde. Der einzige, der nicht skeptisch, sondern enthusiastisch war, war [der Mathematiker und Informatiker] Grigore Moisil. Wissen Sie, was für ein Glück wir hatten, dass wir dank seiner Unterstützung schon in den frühen 1960er Jahren die Möglichkeit hatten, mathematische Linguistik an der Universität Bukarest zu lehren?!“



    In seiner Absicht, das neue Gebiet zu erforschen, erhielt Solomon Marcus die Unterstützung von einflussreichen Mathematikern wie Grigore Moisil und Philologen wie Alexandru Rosetti. Und so machten er und Emanuel Vasiliu sich daran, den neuen Trend durch Universitätskurse und Publikationen umzusetzen:



    Ich hatte gro‎ßes Glück, denn Moisil und Rosetti, ein Mathematiker und ein Linguist, setzten sich gemeinsam für die Einführung der mathematischen Linguistik-Forschung in Rumänien ein. Sie kämpften auch für die Einrichtung von Universitätsstudien in mathematischer Linguistik, und wir waren eines der ersten Länder in der Welt, die dies taten. Ich, als Mathematiker, und Professor Emanuel Vasiliu vom Fachbereich Philologie, als Linguist, machten die ersten Schritte auf diesem Gebiet. Wir wurden auch durch gewisse Austausche im Ausland unterstützt, ich hatte ein Lehrbuch über mathematische Linguistik an der Universität Bukarest veröffentlicht, es kam 1963 im Didaktischen Verlag heraus, und wir durften diese Arbeiten ins Ausland an verschiedene Persönlichkeiten schicken, die an ähnlichen Themen forschten. Das Dieses Buch wurde sofort in London, New York, Moskau, Paris und Prag übersetzt.“



    Im Jahr 1966 wurde in Bukarest der Internationale Kongress für Linguistik organisiert, an dem viele ausländische Sprachwissenschaftler teilnahmen und der eine bedeutende rumänische Präsenz hatte. Das Ereignis setzte Rumänien auf die Landkarte der modernsten Wissenschaft, einer Wissenschaft, die in nur wenigen Jahrzehnten den Computer zum wichtigsten Objekt der heutigen Welt machen würde.

  • Hörerpostsendung 26.7.2015

    Hörerpostsendung 26.7.2015

    Mir ist aufgefallen, dass ich vergangenen Monat vergessen habe, die QSL für den Monat Juni vorzustellen. Heute hören Sie den letzten Funkbriefkasten des Monats Juli, daher möchte ich an dieser Stelle für unsere Hörer ohne Internetzugang die QSL-Karten Nummer 6 und 7 kurz beschreiben. […]



    Und jetzt zu Hörerzuschriften. Von Günter Spiegelberg (aus Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern) erhielten wir ein Fax:



    Ich höre Ihre Sendungen sehr gerne, schön, dass es Ihren Sender noch gibt. Seit wann senden Sie? Seit wann gibt es Ihren Sender im Internet?




    Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Sender, lieber Herr Spiegelberg. Der rumänische Rundfunk strahlte am 1. November 1928 seine ersten Signale in den Äther aus. Die erste offizielle Sendung begann mit einer Ansprache Professor Dragomir Hurmuzescus, eines rumänischen Physikers und Radiopioniers, der später Vorsitzender des Verwaltungsrats der Rumänischen Gesellschaft für Radiotelephonische Übertragung“ wurde, wie der Rundfunk zunächst hie‎ß.








    Die Worte Hallo, hallo, hier spricht Radio Bukarest“ gelten als der erste Babyschrei des Rumänischen Rundfunks. Aus den frühen Jahren des Rumänischen Rundfunks stammt der folgende Vorspann. Im Jahr 1936 eröffnete man das Programm mit einem Hahnenschrei, gefolgt von Glockengeläut und der Stimme eines das Vaterunser aufsagenden Kindes. Und das hörte sich so an: src=http://devrri.freshlemon.ro/wp-content/uploads/2023/10/foto.jpg
    Erster Sitz der “Radiotelefonischen Gesellschaft”




    Das war ein historischer Vorspann zur Programmeröffnung des Rumänischen Rundfunks aus dem Jahre 1936. Weitere historische Pausenzeichen rumänischer Radiosender finden Sie übrigens auf unserer Webseite im Abschnitt Nostalgieecke — Unterabschnitt Audioarchiv.



    Die ersten Auslandssendungen wurden ebenfalls in den 1930er Jahren ausgestrahlt. Schon die ersten experimentellen Sendungen waren auch fürs Ausland gedacht. Im Jahr 1932 konnte man die Sendungen des Rumänischen Rundfunks sogar in Australien empfangen. Zwei Jahre zuvor hatte das rumänische Konsulat in Palästina den Behörden in Bukarest das Ansuchen vieler Menschen aus dem Nahen Osten übermittelt, Radio Bukarest möge auch Sendungen in französischer Sprache ausstrahlen.



    Die ersten offiziellen Sendungen in Fremdsprachen wurden Anfang der 1930er Jahre konzipiert und waren als Informationsquelle für das Corps Diplomatique gedacht. Sie bestanden aus kurzen Info-Meldungen, zunächst in französischer und englischer Sprache, später auch auf italienisch und deutsch, über die Reichtümer, die Wirtschaft, die Kultur und das Schaffen Rumäniens“. Die Sendungen in Fremdsprachen wurden eine Viertelstunde vor Mitternacht und damit kurz vor Sendeschluss ausgestrahlt.



    Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hat einen Anstieg und eine Auffächerung der Informationen aus Rumänien in den Auslandssendungen in Fremdsprachen mit sich gebracht. Neben den Sendungen in deutsch, französisch, englisch und italienisch kommen noch andere in griechisch, türkisch, serbisch, russisch und später in ukrainisch hinzu. In der Kriegszeit hatten diese Sendungen allerdings einen ausgeprägt propagandistischen Charakter, zur Unterstützung der militärischen Operationen und politischen Handlungen Rumäniens sowie auch zur Unterstützung der Achsenmächte, vorrangig Nazi-Deutschlands, mit denen Rumänien verbündet war.



    Das nach dem Krieg an die Macht gehievte kommunistische Regime markierte auch die Geschichte des Rumänischen Rundfunks dramatisch. Im Kalten Krieg und hinter dem Eisernen Vorhang wurden die Sendungen für das Ausland zum Propaganda-Instrument degradiert. Trotzdem beinhalteten die Sendungen auch brauchbare bis genie‎ßbare, von der Zensur weniger bestimmte Inhalte über Freizeit und Tourismus, Kultur, Musik und Sport. Ab 1950 sendete Radio Bukarest seine Programme in diversen Fremdsprachen in die ganze Welt. Mehr Info zur Geschichte unseres Senders und seiner Sprachdienste finden Sie auf unserer Homepage im Abschnitt Über uns — Unterabschnitt RRI-Geschichte. Unten links befindet sich auch ein RRI-Geschichte-Button, der direkt zum erwähnten Artikel führt.



    Und jetzt spanne ich einen Bogen über Jahrzehnte bis ins Internetzeitalter, um die zweite Frage von Herrn Spiegelberg zu beantworten. Die erste, etwas rudimentäre Homepage erhielt Radio Rumänien International im Jahr 1999. Ab dem Jahr 2003 erfuhr sie mehrere Faceliftings, um den immer höheren Ansprüchen der Internetnutzer gerecht zu werden. Seit wann wir einen Livestream anbieten, wei‎ß ich nicht mehr genau, es muss aber um das Jahr 2007 oder 2008 herum gewesen sein. Und schlie‎ßlich haben wir seit Mitte 2013 einen komplett neuen Internet-Auftritt, inklusive einer Mobilansicht für tragbare Geräte wie Handys oder Tablets. Die alte Webseite ist übrigens immer noch unter der Adresse old.rri.ro abrufbar, sie öffnet sich allerdings leer, da sämtliche Artikel ins Archiv gerutscht sind. Wenn Sie also ältere Artikel lesen möchten, müssen Sie im jeweiligen Abschnitt auf den Button Archiv“ klicken, um sie zu finden. Dasselbe gilt auch für die Suchfunktion: Nach einer ersten Betätigung, die meistens nicht findet, müssen Sie die Suche im Archiv wiederholen, um fündig zu werden.




    Von Reinhard Westphal (aus Admannshagen, Mecklenburg-Vorpommern) erhielten wir eine E-Mail, in der er sich u.a. über den Streik der Deutschen Post ärgerte:



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    in den letzten 4 Wochen hat die Post in Deutschland gestreikt. Eigentlich müsste man sie verklagen, gemessen an dem, was in der Zeit auch an Werten vergänglich oder unbrauchbar geworden ist. Irgendwie sollte sich der deutsche Staat einmal die Mühe machen, das Streikrecht der heutigen Situation anzupassen. Als Deutscher in Deutschland habe ich das Gefühl, dass nichts mehr ausgenutzt und teilweise auch missbraucht wird wie das Streikrecht. Unvorstellbar vor allem auch der enorme materielle und ideelle Verlust für den ganz normalen Verbraucher. Manchmal sind es die Lotsen, dann die Piloten, die Lokführer dürfen auch nicht fehlen usw. Es ekelt mich mittlerweile an. Dann sollen Verdi und andere Organisationen des DGB doch vor dem Kanzleramt streiken und nicht immer den Bürger drangsalieren. Immer wir als Menschen haben die negativen Folgen von Streiks zu erdulden. Das empfinde ich mittlerweile als ausgesprochen anma‎ßend, boshaft und frech. Ich kann mich noch gut an eine Reise in 2014 erinnern, als das Bodenpersonal des Hamburger Airports streikte. Wir kamen morgens aus Asien in Wien an und mussten dort bis zum letzten Flug gegen 23.00 Uhr warten. Nun soll ich auch noch einen solchen Streik tolerieren. Bei allen Streiks der letzten Jahre haben nur wir Verbraucher gelitten, kein Verdi und keine andere Organisation. Ich habe schon sehr lange kein Verständnis mehr für Streiks.



    Nun zu Ihnen. Der Radiotour-Beitrag über den Landkreis Bihor war fantastisch und daher ist auch das Radiohören und das Nutzen Ihrer Webseite ein Muss für jeden interessierten Menschen unserer Erde. Das soll nicht pathetisch klingen, ich empfinde einfach so. Es war für mich eine echte inhaltliche und emotionale Bereicherung.



    Die Sendung vom 25.6.15 (über Nachwuchssportler in der Champ-Schule in Deva) wusste ebenfalls zu gefallen, zumal ich in meinem aktiven Berufsleben eine Volleyball-Mannschaft trainierte, viel mit jungen Eleven in Trainingslagern und bei Wettkämpfen unterwegs war. Das war eine wunderschöne Zeit, junge Menschen zu trainieren, ihre Entwicklung verfolgen zu dürfen und teilzuhaben an ihren Erfolgen. Denke heute noch sehr gerne daran.





    Das Interview mit Sophie Anfang habe ich auch noch in guter Erinnerung, zumal

    ich Menschen bewundere, die sich an Sprachen versuchen und diese dann auch

    noch lernen.



    Ich hatte mit Russisch, Englisch und Schwedisch alle Hände voll zu tun und bin wahrlich kein Sprachtalent. Rumänisch ist sicherlich auch eine sehr schwierige Sprache. Ich habe mir gerade einen Bericht über [den irischen Wirtschaftler] Gerry Eastwood in Rumänisch angehört und glaube als Laie herausgehört zu haben, dass eine gewisse Ähnlichkeit mit Italienisch besteht. Eine andere Verwandtschaft könnte ich mir nach 5 min. Zuhören nicht vorstellen.




    Vielen Dank für Ihr detailreiches Feedback, lieber Herr Westphal. Ihr Eindruck täuscht Sie nicht, Rumänisch ist tatsächlich eine romanische Sprache, die am nächsten wohl mit dem Italienischen verwandt ist. Sprecher des Rumänischen können in der Regel bis zu 70-80% von dem verstehen, was ein Italiener sagt, ohne unbedingt Italienisch gelernt zu haben. Wenn man auch noch Französisch in der Schule gehabt hat, versteht man sogar noch mehr, denn italienische Wörter, die nicht den rumänischen ähneln, kann man sich aufgrund deren Ähnlichkeit mit den französischen zusammenreimen. Umgekehrt ist es schwieriger: Ein Italiener versteht viel weniger, was ein Rumäne sagt. Das kommt u.a. davon, dass das Rumänische nicht wenige Lehnwörter aus slawischen Nachbarsprachen, aus dem Ungarischen und anderen Sprachen hat, die es in den westromanischen Sprachen nicht gibt. Allerdings ähnelt Rumänisch wiederum mehr süditalienischen Dialekten oder der sardischen Sprache. Gewisse Parallelen gibt es andererseits auch zwischen dem Rumänischen und dem Portugiesischen oder dem Kastilischen und Katalanischen. Linguisten nennen das Theorie der Seitenareale in der Romania — soll hei‎ßen: Romanische Sprachen, die entweder auf der Achse Nord-Süd oder auf der Ost-West-Achse am jeweiligen Ende des romanischen Sprachareals liegen, haben oft eine ähnliche Entwicklung gehabt, aufgrund ihrer Entfernung vom Zentrum. Anders gesagt: Während die Idiome, die näher an Rom waren, eine langsamere Entwicklung vom Lateinischen hin zu romanischen Sprachen hatten, konnten sich an der Peripherie Neuerungen schneller durchsetzen. Andererseits konnten an der Peripherie manchmal bestimmte Vokabeln (oder grammatikalische Aspekte) erhalten bleiben, die in den anderen romanischen Sprachen verloren gingen. Nur ein kleines Beispiel: Während im Italienischen und Französischen für schön die lateinischen Eigenschaftswörter bellus, bella, bellum in entsprechend abgewandelter Form erhalten blieben, hat man im Portugiesischen, Spanischen und Rumänischen ein anderes Wort dafür. Die lateinischen Adjektive formosus, formosa hei‎ßen heute formoso, formosa auf portugiesisch, frumos, frumoasă auf rumänisch und hermoso, hermosa auf spanisch. Die Ähnlichkeit der portugiesischen und rumänischen Formen liegt auf der Hand. Und ähnlich gibt es auf der Nord-Süd-Achse Vokabeln oder Formen, die nur im Rumänischen und in süditalienischen Dialekten oder in der sardischen Sprache vorkommen.



    Die Zeit drückt schon — zum Schluss die Posteingangsliste. Postbriefe lagen diese Woche nicht in der Ablage. E-Mails erhielten wir bis Freitagmittag von Andreas Pawelczyk, Bernd Seiser, Klaus Nindel, Reinhard Westphal, Ralf Urbanczyk, Timm Andres, Beate Hansen und Alexander Buşneag (alle aus Deutschland) sowie von Juck Sherak (Bangladesch) und unserem Stammhörer Dmitrij Kutusow (Russland). Das Online-Formular nutzten Timm Andres und Waldemar Scheu (beide aus Deutschland).




    Audiobeitrag hören:




  • „Totaler Horizont“ – ein Gespräch mit dem Mathematiker Solomon Marcus

    „Totaler Horizont“ – ein Gespräch mit dem Mathematiker Solomon Marcus

    Ich war immer der Meinung, dass eine meiner gro‎ßen Chancen im Leben die Wahl dieses Berufes war: Forschungsprofessor in Mathematik und all ihren Erweiterungen, die für mich überall hin reichen.“ Dieses ist das Bekenntnis des Akademiemitglieds Solomon Marcus anlässlich seines 90. Geburtstags in einem Interview mit Radio Rumänien International über Mathematik, Poesie und Offenbarung — Bestandteile eines Lebens, das der Forschung gewidmet wurde. Ein Leben unter dem Zeichen der Frage, die er sich in seiner Kindheit gestellt hat: Was ist, wenn du weiter und weiter blickst?“ Die Welt ist das, was wir es schaffen, darin zu sehen. Wenn unsere Vorstellungskraft stark genug ist, wird die Welt, in der wir leben, genauso reich sein.“




    Als Autor zahlreicher fachübergreifender Studien über den Einsatz von Mathematik in der Linguistik, in der Theateranalyse, in der Poesie, der Natur- und Sozialkunde, in den visuellen Künsten wurde das Akademiemitglied Solomon Marcus einschlie‎ßlich für seine Literaturkritik mit verschiedenen Auszeichnungen geehrt. Seine Bücher wurden in unzählige Sprachen übersetzt, er veröffentliche über 50 Bände und hunderte Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften im In- und Ausland.




    Für Solomon Marcus fand das Treffen mit der Dichtung um das Alter von 15 Jahren statt. Damals hatte er Sara pe deal“ (Abends am Hügel“) des rumänischen Nationaldichters Mihai Eminescu gelesen, das er als ein Gedicht von einem au‎ßerordentlichen Erglühen beschreibt. Ich habe gefühlt, wie ich in diesen zauberhaften Zustand eintauche. Diesen habe ich dann bei Rilke, Edgar Allan Poe, Baudelaire wiedergefunden. In die Mathematik stieg er viel später ein, weil die Schulmathematik nicht ideen- und visionsgerichtet, sondern von mechanischen Prozessen beschlagnahmt war. Sie diente zwar zur Bildung des Ordnungsgefühls, es war aber nichts Tiefgründiges“ — sagt der heutige Akademiker.




    Du hast einen Apfel. Du isst heute eine Hälfte davon, morgen noch eine Hälfte von dem was übrig geblieben ist, übermorgen wieder eine Hälfte vom Tag zuvor. Und dann, wann hört diese Apfelesserei auf? Wir kennen das aus der Praxis: Einen Apfel isst man recht schnell auf. Aber gemä‎ß diesen Berechnungen wird der Apfel niemals ganz aufgegessen. All diese Fragen überfielen mich, aber ich konnte nicht erkennen, was es mit ihnen auf sich hat, denn Schulmathematik hat mich niemals angezogen.“ So erklärt Solomon Marcus seine Annäherung an seinen Exzellenzbereich — Mathematik, aber auch die Offenheit anderen Fächern gegenüber.



    Die ersten Vorbilder von Informatikprogrammiersprachen gab es in der Biologie — der Kreislauf und dann die Vererbung. Eigentlich war es ein intellektuelles Unternehmen, bei dem eine Vielfalt von Akteuren angestellt war — Linguistik, Mathematik, Logik, Biologie, Psychologie und es kam immer etwas dazu. So bin ich auf Semiotik gesto‎ßen. Ich bin zum Entschluss gekommen, dass man das Wissen auf natürliche Weise nicht auf ein Fach begrenzen kann. Mann muss einen totalen Horizont vor sich haben.“




    Mit der Literatur kann man sich auch ohne eine andere bürokratische Legitimierung, ein Diplom z.B., befassen. Doch in der Mathematik ist es schwieriger. Es ist ein Fach, für das man sich einem systematischen Lernprozess unterziehen muss, fügt Solomon Marcus hinzu. Und die Logik, Biologie, Psychologie und Poesie kommen ergänzend hinzu. Solomon Marcus:



    Die Herrlichkeit des Schauspiels des menschlichen Wissens kommt in erster Linie aus der Art und Weise, wie sich die Einheit der Welt unterschiedlich ausdrückt. Es handelt sich um eine gewisse Einheit, eine gewisse tiefe Einfachheit. Solange wir eine teilweise Darstellung beibehalten, eine Darstellung, die die Welt in Scheiben teilt, und jede Welt hat ihre eigene Einstellung, dann werden wir von einer fehlenden integrativen Beobachtung frustriert sein. Wir müssen sehen, wie die Welt aussieht, wenn Landschaften aus den unterschiedlichsten Richtungen gleichzeitig auf uns zukommen. Z.B. stellen wir fest, dass die Isomerie in der Chemie letztendlich ein Phänomen ist, das der menschlichen Vererbung ähnelt, mit der Art, wie Töne in der Sprache verwendet werden. All diese stehen unter dem Zeichen des Primats der Struktur vor der Substanz. Dies führte zur Entstehung des Strukturalismus aus dieser profunden Ähnlichkeit zwischen scheinbar sehr unterschiedlichen Gestalten. Gerade das ist das Schöne beim Wissen und das ist auch die Genugtuung der Tatsache, dass man die Welt begreift.“




    Ein Begreifen, für das das Internet ein sehr nützliches Werkzeug darstellt, meint Solomon Marcus:



    Wir leben noch in einer Übergangszeit — das Internet ist noch jung –, einer Übergangszeit, in der wir genügend beachtenswerte Schriftsteller haben, die noch nicht einmal das ABC des Internets kennen. Wir haben auch sehr viele junge Internetenthusiasten, die eine Einladung in die traditionelle Bibliothek mit Grauen entgegennehmen.“




    Auch wenn das Internet irgendwann mal die Quasi-Gesamtheit der gedruckten Kultur übernehmen werde, so Solomon Marcus, brauchen wir noch eine wesentlich kombinierte Erziehung. Wir befinden uns an einem historisch besonders wichtigen Kreuzweg, sagt der rumänische Wissenschaftler.