Tag: Mentalität

  • Borja Mozo Martín: „Osteuropa ermöglicht Neuentdeckung der gesamteuropäischen Identität“

    Borja Mozo Martín: „Osteuropa ermöglicht Neuentdeckung der gesamteuropäischen Identität“

     

     

    Borja Mozo Martín ist literarischer Übersetzer und Kulturredakteur. Der gebürtige Spanier aus Madrid lebt und arbeitet seit 2016 in Rumänien. Er übersetzt Werke der rumänischen und französischen Literatur ins Spanische. Seine Ausbildung erfuhr er an der Complutense Universität in der spanischen Hauptstadt, wo er zunächst französische Literatur und Journalistik studierte. Danach belegte er ein Masterstudium in Literaturwissenschaft und Fremdsprachendidaktik, was ihm danach eine internationale Laufbahn ermöglichte – in den letzten 10 Jahren hat er Spanische Sprache und Kultur an unterschiedlichen Hochschulen in Frankreich und Rumänien sowie am spanischen Kulturinstitut „Cervantes“ in Bukarest unterrichtet.

    Seine literarischen Vorlieben gelten der Moderne und der zeitgenössischen Literatur. Als Übersetzer hat er bislang vier rumänische Romane ins Spanische übertragen – zwei Klassiker der Nachkriegsmoderne und zwei zeitgenössische Romane, darunter den Roman „Und man hörte die Zikaden“ unserer Kollegin Corina Sabău von der Feature-Redaktion. Aktuell arbeitet er an der Übersetzung des Romans „Das Mädchen, das Gott spielen wollte“ von Dan Lungu.

     

    Zunächst fragten wir Borja Mozo Martín, wie er sich der rumänischen Sprache und später der rumänischen Literatur genähert hat.

     

    Mich hat zunächst die rumänische Literatur interessiert, und selbstverständlich muss man auch die Sprache lernen, um einen unmittelbaren Zugang zur Literatur zu haben. Das Interesse für die Literatur hat also auch mein Interesse für die Sprache erweckt. Es war also eine doppelte Entdeckungsreise für mich. Zuvor hatte ich nur durch Übersetzungen Zugang zur rumänischen Literatur gehabt, die großen rumänischen Klassiker waren schon ins Spanische übersetzt und sie wurden an der Uni in Spanien auch gelehrt, doch hier in Rumänien sind sie eher Lehrstoff an Gymnasien. Doch die bekanntesten Werke der Klassik waren fast allesamt beginnend mit den 1970ern bis Ende der 1990er Jahre übersetzt worden. Lange Zeit gab es nur wenige Übersetzer aus dem Rumänischen; umso größer ist ihr Verdienst um die Förderung der rumänischen Literatur im spanischen Kulturraum.

    Ich hatte schon als Teenager ein leidenschaftliches Interesse an der französischen Literatur und später auf der Uni lernte ich ein für mich seltsames Phänomen kennen – die rumänische Exil-Literatur in Paris, die eine sonderbare Rolle im französischen Kulturbetrieb der 1970er–80er Jahre spielte. Und so wollte ich herausfinden, wie rumänische Schriftsteller und Journalisten wie Monica Lovinescu, Dumitru Țepeneag oder Mircea Eliade und andere große Namen, die auch nur zeitweilig in Paris lebten, es schafften, nicht nur ihr eigenes Werk voranzubringen, sondern auch die französische Kultur jener Epoche zu prägen. Und so entfaltete sich mein Interesse für die rumänische Literatur, selbst wenn das heute anekdotisch klingen mag. Ich war neugierig, zu erfahren, wer diese Menschen gewesen sind, wie ihr Leben in der rumänischen Exil-Gemeinschaft war und wie es ihnen gelang, ihre eigene Stimme im Kulturbetrieb Frankreichs hörbar zu machen.“

     

    Doch was hat Borja Mozo Martín dazu bewogen, seine wissenschaftliche Karriere und übersetzerische Tätigkeit nach Rumänien zu verlegen?

     

    Mein Interesse für die rumänische Literatur eröffnete mir neue Perspektiven – durch Literatur kann man nicht nur ästhetische Erlebnisse haben, sondern eine gesamte Kultur kennenlernen. Und bald musste ich feststellen, dass Rumänien – trotz der kulturellen Nähe zu Spanien und Frankreich – kaum bekannt in Westeuropa ist. So dass die Übersiedlung nach Rumänien ein natürlicher Schritt für mich war. Und ich konnte von einem akademischen Austauschprogramm profitieren, das vom spanischen Außenministerium in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Bildungsministerium angeboten wurde. Hochschulprofessoren und Gymnasiallehrer konnten dadurch für mehrere Jahre nach Rumänien kommen und unterrichten. Und ich hatte das Glück, ein Angebot für einen Aufenthalt in Bukarest zu bekommen. 2016 kam ich also nach Bukarest mit der Überzeugung, dass es eine einmalige Chance ist, für eine unbestimmte Zeit in einem Land zu leben, von dem man von Anfang an fasziniert war. Es war folglich eine gelebte Faszination, die mir die Integration auch erleichtert und angenehm gemacht hat.“

     

    Stichwort Faszination – was hat den spanischen Philologen an Rumänien so fasziniert?

     

    Ich glaube, die meisten Westeuropäer empfinden eine gewisse Faszination für Osteuropa. Vielleicht nicht alle, eher meine Generation. Ich bin in den 1980ern geboren, und wir hatten damals viel darüber gehört oder gelesen, was in Osteuropa damals passierte, doch hatten wir keine Möglichkeit, die damaligen Umwälzungen in diesem Teil Europas hautnah mitzuerleben. Und so habe ich schon in sehr jungen Jahren aus Erzählungen, Filmen, Büchern eine Faszination für diese Welt entwickelt, die es so wie damals zwar nicht mehr gibt, aber immer noch präsent ist, trotz der europäischen Integration.

    Doch wenn man als Westeuropäer nach Rumänien oder generell nach Osteuropa kommt, entdeckt man eine leicht unterschiedliche Welt, die einen interessanten Dialog nicht allein mit der fremden Kultur, sondern auch mit sich selbst ermöglicht. Denn trotz aller Unterschiede aus der versunkenen Vergangenheit teilen wir als Europäer eine gemeinsame Geschichte und Realität. Die Übersiedlung nach Rumänien war für mich nicht nur eine Raum- und Zeitreise, sondern auch eine Gelegenheit, meine Identität als Europäer neu zu entdecken.“

     

    Zum Schluss fragten wir den spanischen Übersetzer und Kulturredakteur Borja Mozo Martín, ob ihm etwas am Leben in Rumänien missfällt oder zumindest unangenehm vorkommt.

     

    Es fällt mir manchmal schwer, mich mit diesem Gefühl anzufreunden, dass die Menschen in Rumänien weniger Gemeinsinn an den Tag legen, als ich es aus Ländern in Westeuropa kenne. Hier ist der Individualismus sehr stark ausgeprägt. Ich verstehe die historischen Wurzeln dieser Einstellung und will das gar nicht kritisieren, doch ist es für mich als Westeuropäer manchmal befremdlich, zu beobachten, welch niedrigen Stellenwert das Gemeinwohl in der rumänischen Gesellschaft hat. Ich bin im Westen Europas aufgewachsen, dort ist es eher umgekehrt – die Gemeinnützigkeit spielt eine große Rolle. Dieser Mentalitätsunterschied überrascht mich auch heute noch immer wieder.“

  • Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

    Der bereits in den anderen Ländern des ehemaligen Osblocks einsetzende Niedergang des Kommunismus hatte einen hohen Preis in Rumänien — tausende von Opfern, die meisten davon junge Menschen, die mit ihrem Blut vor 30 Jahren Geschichte geschrieben haben. Eine derartige Revolution verändert die Selbstauffassung der gesamten Gesellschaft in Bezug auf ihren eigenen Werdegang.



    Das Gedächtnis hat jedoch subjektive Züge, und jeder Rumäne erinnert sich anders an die Zeit vor Dezember 1989. Im Suţu-Palast in Bukarest fand ein Treffen statt, das sich mit dem Einfluss der persönlichen Archive auf das Image der Osteuropäer im Zusammenhang mit den Veränderungen von 1989, aber auch mit dem alltäglichen Leben dieser Zeit befasste. Raluca Alexandrescu, Universitätsdozentin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Bukarest, spricht über das subjektive Erinnerungsvermögen:



    Es war kalt in den Wohnungen, die Leute standen für alles Mögliche Schlange in den Läden… Wenn ich Leute treffe, die mir erzählen, dass es ihnen während des Ceauşescu-Regimes gut ging, bin ich immer wieder erstaunt, obwohl es viele Arten gibt, sein Leben zu führen. Andererseits ist es aber auch verständlich, dass die Erfahrungen der Einzelnen vor 1989 unterschiedlich sind und miteinander konfrontiert werden müssen. Aus diesem Grund denke ich, dass die heutige Blockade in der Wahrnehmung mit diesem anhaltenden Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erlebnissen der Einzelnen zu erklären ist. Einige sind nostalgisch, andere haben für die Zeit vor Dezember 1989 sogar eine Art Kult entwickelt und wiederum ist es für andere Menschen unvorstellbar, dem Kommunismus und dem Ceauşescu-Regime mit Nostalgie zu begegnen.“




    In der rumänischen Gesellschaft war die weit verbreitete Angst vielleicht das prägendste Gefühl während des Ceauşescu-Regimes. Der von der Securitate betriebene Unterdrückungsapparat war zu einem unsichtbaren, jedoch allgegenwärtigen Feind geworden, und der Mut, öffentlich über die eigenen politischen Überzeugungen zu sprechen, wurde von den meisten Menschen als riskantes Wagnis angesehen. Raluca Alexandrescu bringt weitere Einzelheiten:



    In diesem schizoiden Umfeld, in dem viele von uns aufgewachsen sind, wusste jeder sehr genau, dass es überhaupt nicht ratsam war, das zu Hause in der Familie Besprochene weiterzuerzählen. Dies ist für meine Generation, für die etwas jüngere und insbesondere für die etwas ältere Generation immer noch ein Problem. Wir leben, wir bilden uns und agieren in der Gesellschaft, vielleicht ohne es zu merken, in einem Zustand der Binarität uns selbst gegenüber, aber auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Unser Bezug zur Öffentlichkeit und zur Stellungnahme und Involvierung im öffentlichen Leben ist ebenfalls davon geprägt, ohne dass wir es merken würden.“




    Der Moment der Revolution änderte das Bewusstsein und bestimmte das Leben der Überlebenden. Der Weg zur Demokratie wurde mit der Überwindung der Angst eröffnet. Die rumänischen Bürger gewannen eines der wichtigsten Grundrechte: die Rede- und Meinungsfreiheit. Raluca Alexandrescu dazu:



    Die Erfahrung von 1989 war bis zu einem gewissen Punkt sogar eine unvermittelte. Ich erinnere mich, dass ich am 21. Dezember 1989 mit meinen Brüdern in die Stadt ging, um etwas für Weihnachten zu kaufen. Wer sich noch daran erinnert, dass es damals kaum noch etwas zu kaufen gab, versteht, dass es nur ein Vorwand war, ein wenig aus dem Haus zu gehen. Mein Bruder, meine Schwester und ich gingen zum Universitätsplatz, wo die Menschen bereits zu protestieren begonnen hatten. Ich erinnere mich, dass ich mit 14 Jahren versuchte, ‚Nieder mit dem Kommunismus!‘ und ‚Nieder mit Ceauşescu!‘ zu skandieren. Doch damals und dort, beim Hotel Intercontinental, kam der Ton aus meinen Stimmbändern, aus meiner Kehle nicht raus. Ich war wie versteinert. Es waren etliche Minuten, in denen meine Stimmbänder auf die Befehle des Gehirns nicht mehr reagierten. Ich schrie aber innerlich, und das ist der Moment, an den ich mich als meine kleine innere Revolution erinnere.“




    Anlass des Treffens zur Erinnerung an die Revolution und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige rumänische Gesellschaft war die Ausstellung des amerikanischen Fotografen Edward Serotta. In jenen Dezembertagen 1989 dokumentierte er — der Securitate zum Trotz — die Ereignisse auf der Stra‎ße. Ähnlich war er noch in Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR vorgegangen, wei‎ß Adrian Cioflâncă, Direktor des Zentrums für die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien und Mitglied der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS):



    Edward Serotta hatte mehr Bewegungsfreiheit als zum Beispiel Anne Applebaum, die 1989 zusammen mit einem BBC-Journalisten nach Rumänien kam und am Flughafen von Securitate-Beamten mit riesigen Walkie-Talkies begrü‎ßt wurde, wie in einem albernen Agenten-Film. Die Securitate wollte die beiden Journalisten einschüchtern, sie daran hindern, sich mit einigen Dissidenten zu treffen und einige wichtige Orte aufzusuchen, die mit der antikommunistischen Dissidenz zu tun hatten. Praktisch konnten die beiden ausländischen Journalisten nicht viel erreichen, überall, wohin sie gingen, waren ihnen Securitate-Leute auf den Fersen. Im Fall von Edward Serotta tappte die Securitate in eine Falle. Serotta hat sie hereingelegt, er hat vorgetäuscht, eher an den jüdischen Gemeinden in Rumänien interessiert zu sein. Er kannte allerdings verschiedene Memoiren über Rumänien in der Zwischenkriegszeit.“




    1989 — das Jahr, in dem Europa zu sich selbst wiederfindet“, eine Ausstellung im Museum für die Geschichte der Stadt Bukarest, die in Partnerschaft mit dem Österreichischen Kulturforum organisiert wurde, setzt sich nicht so sehr mit dem Fall des Kommunismus auseinander, sondern dokumentiert vielmehr die Wiederverankerung der Freiheitsidee im kollektiven Denken. Die rumänische Gesellschaft befindet sich immer noch in einem Wandel der Wahrnehmungen, Mentalitäten und der Erinnerungsfähigkeit.

  • Mobilität und Veränderung in den Roma-Gemeinschaften

    Mobilität und Veränderung in den Roma-Gemeinschaften

    Roma leben über den ganzen europäischen Kontinent verstreut. Die etwa neun Millionen Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe bilden hier die grö‎ßte Minderheit. Von einer erfolgreichen Anpassung der Lebensverhältnisse an die Mehrheitsbevölkerungen kann bis dato jedoch noch keine Rede sein. Ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur gesellschaftlichen Integration ist sicherlich ein besseres Verständnis für ihre Lebenssituation.



    Nach der Volkszählung von 2011 hatte die Volksminderheit der Roma in Rumänien laut offizieller Angaben 621.200 Mitglieder. In Wirklichkeit leben viel mehr Roma in Rumänien, aber es gibt noch keine umfassende soziologische Forschung über diese zahlreiche Volksminderheit. So lautet das Fazit der Studie Positive Aspekte der Migration. Roma-Frauen als Motoren der Veränderung“, die von der Stiftung Eurocentrica mit einer Finanzierung von EEA Grants durchgeführt wurde. Ziel der Forschung war, die Effekte der saisonbedingten Auslandsmigration auf Roma-Frauen und deren Status in ihren Gemeinden festzustellen. Ferner sollte auch ein Teil der sozialen Beziehungen im Rahmen der Roma-Minderheit zur Erscheinung kommen. In Rumänien kennt man die Volksgruppe der Roma nicht besonders gut; dafür gibt es aber viele Klischees über diese Minderheit. Mehr dazu von der Direktorin des Europäischen Instituts in Rumänien, Gabriela Drăgan:



    Es handelt sich um eine Volksgruppe, die sich diskriminiert fühlt, und das ist nicht blo‎ß eine Wahrnehmung ohne wirkliche Basis. Ich las ein Eurobarometer der Europäischen Union von Juni 2015, an dem 28.000 EU-Bürger teilgenommen hatten. Eine Frage lautete: ‚Sind Sie der Meinung, dass ethnische Diskriminierung verbreitet ist?‘ 64% sagten, ethnische Diskriminierung sei weit verbreitet. Die Frage über die ethnische Diskriminierung bezog sich sowohl auf Roma als auch auf andere Ethnien. Es gab aber eine noch interessantere Frage: ‚Wäre es Ihnen unangenehm oder angenehm, wenn Ihre Kinder Beziehungen zu Mitgliedern anderer Ethnien hätten?‘ 34% der Befragten erklärten, es wäre ihnen extrem unangenehm, wenn ihre Kinder Beziehungen zu Mitgliedern der Roma-Minderheit hätten. Das ist die höchste Prozentzahl, die in diesem Zusammenhang von EU-Bürgern angegeben wurde. Ausnahme macht nur die Zurückhaltung gegenüber Transsexuellen. In der Tat ist die Wahrnehmung der Roma-Bevölkerung eher negativ.“




    In dem Versuch, von Diskriminierung frei zu werden und ihre mehr als schwierige wirtschaftliche Situation etwas zu bessern, migrieren viele Roma aus Rumänien in andere Länder Europas. Die Forscher von der Stiftung Eurocentrica besuchten die Roma, die nach Norwegen ausgewandert waren. Die Studie konzentrierte sich auf Roma-Frauen, die aus drei Roma-Gemeinschaften im Landkreis Gorj stammen. Über die Gespräche der Forscher mit diesen Roma-Frauen, sowohl in Rumänien als auch in Norwegen, wo sie nach langem Umherreisen durch ganz Europa angekommen waren, spricht Liviu Iancu:



    Bei unseren Forschungen bemerkten wir einige besonders interessante Aspekte betreffend die Migrationsziele der Roma vom Süden nach Norden, abhängig von der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Europas. Um das Jahr 2000 herum waren viele Roma als Landwirtschaftsarbeiter in Portugal tätig. Nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise suchten sie sich andere Migrationszielländer aus und orientierten sich in Richtung Skandinavien. In den skandinavischen Ländern werden die Roma-Immigranten aber vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, und müssen betteln, um überleben zu können. Viele von ihnen wollen arbeiten, aber die gesetzlichen Normen, die Sprachbarriere und weitere Hindernisse machen es ihnen unmöglich, einer geregelten Arbeit nachzukommen.“




    Neben Diskriminierung, Armut und fehlende Ausbildung werden die Roma-Frauen auch mit spezifischen Problemen innerhalb der eigenen Gemeinschaft konfrontiert. Mehr dazu von Cristina Tănase, Mitglied der Roma-Minderheit und Programm-Managerin bei der Stiftung Rettet die Kinder“:



    Die Roma-Frau ist im Allgemeinen dem Mann nicht gleichgestellt, und je nach Roma-Sippe variiert auch die Frauen-Diskriminierung innerhalb der Gemeinschaft. Eine Roma-Frau darf nicht mit ihrem Ehemann am gleichen Tisch essen, und auf der Stra‎ße muss sie immer einige Schritte hinter ihrem Mann laufen. Der Mann läuft immer einige Schritte vor seiner Frau.“




    Durch Migration ändert sich aber der Status der Roma-Frauen innerhalb der Gemeinschaft; dieser Status wird nicht unbedingt besser, sondern mit neuen Aufgaben ergänzt. Liviu Iancu dazu:



    Was die Roma-Frauen angeht, so konnten wir beobachten, dass die Migration ihren Status in der Gemeinde ein wenig ändert. Das Familienklima wird angenehmer, weil infolge der Migration die finanziellen Ressourcen besser werden. Da die Migration mit Risiken verbunden wird, werden die Frauen in der Familie öfter um Rat gefragt als vorher. Wenn die Männer ihre traditionelle Rolle als Familienernährer nicht mehr erfüllen können — weil sie zum Beispiel krank sind oder lange Zeit der Familie fern bleiben — müssen die Frauen auf die Roma-spezifischen restriktiven Normen verzichten und selbst Entscheidungen treffen. Sie müssen Geld für den Lebensunterhalt gewinnen, kranke Verwandte pflegen und sich selbständig am Migrationsprozess beteiligen.“




    Die Ergebnisse der Studie können auch anders interpretiert werden, sagt Gabriela Drăgan, Leiterin des Europäischen Instituts in Rumänien:



    Wir stellten 26 Fragen, bei denen es meistens um den Status der Roma-Frauen ging, zum Beispiel was sie in Norwegen tun, wie sie ihr Geld verdienen usw. Die Fragen, bei denen eine (oder keine) Änderung im Status der Roma-Frauen festgestellt werden konnte, waren: ‚Hat sich etwas geändert in Ihrer Familie, seitdem Sie nach Norwegen ausgewandert sind? Was hat sich geändert? Wer trifft die Entscheidungen in Ihrer Familie?‘ Auf die erste Frage antworteten mehr als die Hälfte der Frauen mit ‚Ja‘. Dann mussten wir sehen, was sich geändert hatte. Das Einkommen der Familie war höher geworden, und daher gab es auch ein besseres Familienklima. Auf die Frage über das Treffen von Entscheidungen antworteten 70% der Befragten, es hätte sich nichts geändert. Die kulturellen Modelle ändern sich sehr langsam oder gar nicht. Die Hypothese der Studie war interessant, aber ich bin der Ansicht, dass infolge der Migration keine sichtbaren Änderungen stattgefunden haben.“




    Damit die Mentalität der Leute sich wirklich ändert, sollte die Erfahrung der Migration mit Erziehungs- und Ausbildungsma‎ßnahmen ergänzt werden, meint Cristina Tănase.



    Die Erziehung ist besonders wichtig. Wenn die Roma in anderen Ländern Kontakt zu der Mehrheitsbevölkerung aufnehmen, besteht die Möglichkeit, dass die Roma, die sich integrieren wollen, etwas von der Kultur der jeweiligen Länder übernehmen. Ich selbst habe von der Mehrheitsbevölkerung viel übernommen. Deshalb wird bei der Stiftung »Rettet die Kinder« die Erziehung gro‎ß geschrieben; wir führen Projekte zur Ausbildung der Lehrer durch, egal ob sie Roma- oder Nicht-Roma sind, um die Roma-Kultur und –Tradition bekannter zu machen und die Eltern an die Schulaktivitäten der Kinder zu beteiligen. Auf diese Weise lernen sie voneinander.“




    Neben der soziologischen Studie wurden im Rahmen des Projekts Positive Aspekte der Migration“ auch zwei Festivals mit Roma-Handwerkern in Norwegen veranstaltet.