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  • Armutsbekämpfung: bescheidene Fortschritte, widersprüchliche Statistiken

    Armutsbekämpfung: bescheidene Fortschritte, widersprüchliche Statistiken

    10 Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens werden wie am Flie‎ßband Bilanzen gezogen. Laut Statistiken hat Rumänien in Sachen Armutsbekämpfung erhebliche Fortschritte verzeichnet. Lebten 2007 noch 47% der Rumänen unter der Armutsgrenze, so waren 2015 nur noch 37% der Bürger davon betroffen. Die sogenannte AROPE-Kennzahl dient der Berechnung in diesem Fall, in die sowohl die Jahreseinkommen als auch die eigenen Güter flie‎ßen. Doch der Schein trügt teilweise, wie wir von unseren Gesprächspartnern erfahren werden.



    Die verbesserte Armutsstatistik bedeutet, dass sich immer mehr Rumänen in den letzten Jahren elektronische Haushaltsgeräte und Handys leisten konnten sowie alle zwei Tage mindestens ein Fleischgericht essen oder einmal im Jahr in Urlaub fahren. Die Rumänien-Vertretung der Friedrich Ebert“-Stiftung untersuchte im Rahmen eines Projekts die Zahlen seit dem EU-Beitritt des Landes. Dabei sei die Organisation zu eigenen Schlussfolgerungen in Sachen Armut gekommen, erzählt die Programmdirektorin Victoria Stoiciu.



    Es ist offensichtlich, dass heute viel mehr Menschen ein Handy und einen Farbfernseher besitzen als 2007. Einerseits sind derartige Artikel billiger geworden und andererseits werden den Verbrauchern viel einfacher Kredite gewährt. Wenn wir also diese Kennzahl betrachten, kann davon ausgegangen werden, dass die Armut zwischen 2007 und 2015 erheblich gesunken ist und es den Rumänen besser geht.“




    Andererseits lässt sich aus der Erhebung auch eine widersprüchliche Aussage ableiten: Auch wenn sich die Missstände im Allgemeinen verringert haben, ist die Not in bestimmten Fällen grö‎ßer. Wenn nur die Einkommen betrachtet würden, das hei‎ßt ausschlie‎ßlich das Geld, über das die Menschen verfügen, dann würde man überrascht feststellen müssen, dass die Armut weiter zugenommen hat. Genauer gesagt ist die Anzahl der Personen gestiegen, deren Einkommen um 60% weniger als der Landesdurchschnitt betragen. 2015 machte diese Kategorie knapp 25% der Gesamtbevölkerung aus, während ihr Anteil 2007 noch 18% betragen hatte. Victoria Stoiciu von der Friedrich Ebert“-Stiftung ergänzt:



    Die ärmsten 10% der rumänischen Bevölkerung leben nach wie vor in ländlichen Gebieten. Es sind generell Menschen, die eine Subsistenz-Landwirtschaft betreiben. Auf diesem Gebiet ist überhaupt kein Fortschritt verzeichnet worden. 2007 verdienten die ärmsten 10% der Rumänen 556 Euro im Jahr. Und damit sind Einkommen gemeint, keine Gehälter oder Löhne, also Verdienste, die auch aus dem Verkauf kleiner Eigenerzeugnisse erzielt werden können, etwa Eier, Käse usw. 2015 erreichten die Einkommen der Ärmsten 714 Euro im Jahr, also eine unerhebliche Verbesserung. Geschätzte 2 Millionen Rumänen leben von 714 Euro im Jahr.“




    Über die Mängel der auf dem Lande und vor allem über die in Bergregionen lebenden Menschen wollten wir uns mit Iulian Angheluţă unterhalten. Seine Stiftung Free Mioriţa“ hat sich seit Jahren im Rahmen eines Projekts einem ehrgeizigen Ziel verpflichtet: die letzten nicht elektrifizierten Gemeinden Rumäniens mit Strom zu versorgen. Diese Regionen sind noch recht zahlreich, und am härtesten getroffen sind die isolierten Gemeinden und Weiler in den Bergen. Von Iulian Angeluţă wollten wir als erstes wissen, wie der Alltag in den entsprechenden Regionen derzeit aussieht.



    Dort sind einige Waldwege. Es gibt Wasserquellen, es flie‎ßt dort Quellwasser aus den Bergen. Aber Elektrizität gibt es keine. Fast überall im Apuseni-Gebirge in den Westkarpaten, im Hochland um Hunedoara, in der Maramuresch und um Bistritz, dort sieht man kaum Überlandleitungen. Es gibt nur Pläne und sogenannte Machbarkeitsstudien. Darüber hinaus fehlen an vielen Orten die obligatorischen Anhaltspunkte einer zivilisierten Gesellschaft — etwa Schulen oder Krankenhäuser. Die Menschen kommen mit ihrer Subsistenz-Landwirtschaft über die Runden. Ein jeder hat Tiere auf seinem Hof, vor allem Schafe und Kühe. Aus dem Wald in der Nähe wird das Holz für die Heizung besorgt, und dort pflücken die Einwohner unterschiedliche Früchte und Pilze.“




    Der Anschluss an das Stromnetz würde für diese Menschen ein Mindestkomfort bedeuten, aber auch die Möglichkeit, der Isolation zu entkommen. Einige von ihnen haben das elektrische Licht dank der Photovoltaik- oder Solarstromanlagen erblickt. Iulian Angheluţă und seine Kollegen von Free Mioriţa“ haben die notwendigen Spenden dafür gesammelt. Es seien vor allem die Kinder in den isolierten Gemeinschaften, denen sie mit ihrer Aktion helfen wollten.



    Jeder Haushalt braucht Arbeitskräfte. Ob wir es mögen oder nicht, Kinder werden im Haushalt eingesetzt. Sie gehen mit den Schafen auf die Weiden oder sie helfen ihren Eltern bei anderen Aktivitäten. Sie haben ein sehr schweres Leben, die Bildung bleibt im Hintergrund. Deshalb scheint mir die Elektrizität wichtig. Sie ist wichtig für die Kinder beim Erledigen der Hausaufgaben, aber sie ist auch wichtig für den Zugang zu Informationen und die Bildung im Allgemeinen. Man bekommt Zugang zum Radio oder zum Telefon, mit dem man etwa den Notarzt rufen kann.“




    Die Situation der Kinder und Jugendlichen im Verhältnis zu den älteren Personen ist eben einer der Widersprüche der errechneten Armutsreduzierung, berichtet Victoria Stoiciu von der Friedrich Ebert“-Stiftung.



    Während Rumänien bei der Bekämpfung von Armut und der sozialen Ausgrenzung älterer Personen Fortschritte erzielt hat, waren diese Fortschritte bei den Jugendlichen viel bescheidener. Bei den jungen Rumänen im Alter von bis zu 16 Jahren ist die Armut um nur 6% zwischen 2007 und 2015 gesunken. Bei den über 64-Jährigen nahm die Armut um 24% ab. Für das beschleunigte Tempo könnte es auch eine Erklärung geben. 2009 hat die damalige Regierung eine Ma‎ßnahme getroffen, die zur Armutsreduzierung bei den älteren Personen entscheidend beigetragen hat: die Einführung der sozialen Mindestrente. Und dieser Pauschalbetrag liegt derzeit bei etwa 415 Lei, nicht einmal 100 Euro. Seien wir ehrlich! 100 Euro bieten kein anständiges Leben, aber es ist doch eine Verbesserung gegenüber vorigen Jahren.“




    Angesichts fehlender Strategien der für den sozialen Schutz zuständigen Behörden versucht die Zivilgesellschaft Abhilfe zu schaffen. Allein im vergangenen Jahr gelang es Free Mioriţa“ Solarstrom-Anlagen für 78 Haushalte in 15 Landkreisen zu liefern. Damit trug die Stiftung zur Elektrifizierung von vier Schulen und zwei Kirchen bei.

  • Demographischer Wandel: Rumäniens Bevölkerung altert

    Demographischer Wandel: Rumäniens Bevölkerung altert

    Vielen Fachstudien zufolge nimmt die Alterung der Bevölkerung zu. Mehr alte Menschen stellen eine erhebliche Herausforderung für die Sozialhilfe-, Renten- und Gesundheitssysteme dar, sowohl in Entwicklungsländern als auch in entwickelten Staaten. Die jungen Angestellten von morgen werden immer mehr Rentner unterstützen müssen. Laut Eurostat werde in den nächsten Jahrzehnten mehr als ein Drittel der Bevölkerung Europas über 60 Jahre alt sein.



    Auch in Rumänien wird die Alterung der Bevölkerung zunehmen. Die Geburtenrate sinkt und die Lebenserwartung steigt laut dem Bericht Rumänien altert — Herausforderungen und Lösungen“, der vor Kurzem von der Friedrich-Ebert-Stifung in Rumänien veröffentlicht wurde. Laut der Volkszählung von 2011 seien 16,1% der Rumänen über 65 Jahre alt. Die Prognosen zeigen, dass die Zahl der alten Personen weiter steigen wird. Die Friedrich-Ebert-Stiftung wollte erfahren, was sich hinter den Zahlen und statistischen Daten versteckt. Das Projekt wurde von den Journalisten Laurenţiu Diaconu Colintineanu und Ioana Moldovan durchgeführt und präsentiert Lebensgeschichten alter Menschen.



    Ioana Păunescu ist 101 Jahre alt und war die erste Ingenieurin für Elektromechanik in Rumänien. Sie hat zwei Weltkriege miterlebt und mit 73 hat sie das zweite Mal geheiratet, um nicht allein zu sein:



    Wir waren beide verwitwet und haben uns geeinigt, nicht alleine zu bleiben. Wir sind seit 28 Jahren verheiratet. Wir sind beide 101 Jahre alt. Es waren normale Jahre. Jetzt fällt es uns schwer, weil mein Mann an Alzheimer erkrankt ist, ich muss auf ihn aufpassen. Er spricht nicht mehr, wir können folglich nicht mehr diskutieren. Es ist schwer. Mir wird geholfen, weil ich nicht mehr allein kochen kann, meine Hände und meine Füsse helfen mir nicht mehr. Ohne Unterstützung kann ich nicht mehr gehen.“




    Eine andere Kategorie von alten Menschen sind diejenigen, die von anderen Familienmitgliedern gepflegt werden. Laura T. ist 52 Jahre alt und ihr Leben änderte sich komplett, als ihre 89jährige Mutter einen Oberschenkelknochenbruch erlitt. Sie konnte sich nicht leisten, einen Pfleger oder eine Pflegerin für ihre Mutter anzustellen. Deshalb teilt sie ihre Zeit täglich zwischen ihrer Mutter und ihrer eigenen Familie:



    Es ist ziemlich schwer, weil ich auch einen Job und eine eigene Familie habe. Es ist schwer, alles zu erledigen. Wir haben zum Glück zwei Wohnungen auf derselben Etage. Wir haben uns gedacht, Hilfe zu holen, wir haben nachgerechnet und sind zur Schlussfolgerung gekommen, dass wir uns das nicht leisten können. Ich mache, was ich auch immer kann. Ich helfe ihr. Wahrscheinlich bräuchte sie jemanden, der mehr mit ihr diskutiert. Ich habe aber keine Geduld mehr und auch keine Zeit dazu. Psychisch leide ich darunter, weil es sich um einen fortschreitenden, langsamen und unheilbaren physischen Verfall handelt.“




    In Rumänien gibt es lediglich 131 Altersheime mit insgesamt 7152 Betten. Petru Rotarciuc ist 63 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim in der Kommune Leorda, im nordöstlichen Landkreis Botoşani. Das Personal besteht hier aus einer Assistentin und zwei Krakenschwestern, die 70 Personen pflegen. Petru Rotarciuc ist hier zufrieden:



    Ich bin arbeitslos geblieben. Wo ich auch immer nach Arbeit suchte, sagte man mir, ich sei zu alt. Ich konnte für meine Wohnung nicht mehr zahlen und bin auf der Stra‎ße gelandet. Mehr als ein Jahr habe ich auf der Stra‎ße gelebt. Jemand vom Landkreisrat hat mich hierher gebracht. Es ist besser hier als auf der Stra‎ße, im Wind und Regen. Hier habe ich ein Dach über dem Kopf. Wenn ich in Rente gehe, werde ich hier bleiben. Ich war verheiratet, meine Frau ist gestorben. Ich habe drei Kinder, sie sind weg und ich habe von ihnen nichts mehr gehört. Ich habe sie gesucht, aber nicht gefunden. Ich vermisse sie. Ich brauche nichts, würde sie aber gerne sehen und mit ihnen reden.“




    Der Bericht Rumänien altert“ beinhaltet jedoch auch optimistische Daten: Die Armutsquote der alten Menschen (über 65 Jahre alt) ist in Rumänien von 65% im Jahr 2007 bis auf 35% im Jahr 2013 gesunken. Auch so liegt diese Quote doppelt so hoch als der EU-Durchschnitt, der bei 18% liegt. Ein positives Element war die Einführung der Mindestrente von 356 Lei (ca. 80 Euro) im Jahr 2009. Knapp eine halbe Million Rentner bekommen diese Mindestrente. 123.000 dieser Rentner sind Landwirte. Grund zur Besorgnis gibt es nach wie vor, meint Victoria Stoiciu, Programm-Koordinatorin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung:



    Wir haben weiterhin eine der kleinsten staatlichen Renten in der EU und eine der kleinsten Übergangsraten — das Verhältnis zwischen der Durchschnittsrente und dem Durchschnittslohn. Ein anderer Grund zur Besorgnis ist die starke Polarisierung. 81% der Rentner bekamen im Jahr 2009 weniger als 1000 Lei im Monat. Ein Viertel der Rentner haben eine Rente, die unter dem Warenkorb-Wert liegt, unter 444 Lei. 40% der Rentner, das sind 2 Millionen Menschen, bekommen eine Rente, die unter der Subsistenzgrenze von 587 Lei liegt. 98% der ehemaligen Landwirte bekommen eine solche Rente.“




    Rumänien braucht mehrere Pflegeheime und mehr qualifiziertes Personal. Die meisten Rentner können sich die privaten Altersheime nicht leisten. Das sind nur ein paar der Probleme, mit denen sich die betagten Menschen in Rumänien konfrontieren.