Tag: Mythos

  • L’exposition « Mythos – art et mythologie »

    L’exposition « Mythos – art et mythologie »


    Fin 2022,
    l’Association pour la culture et l’art « Arbor » a démarré
    le projet intitulé « Mythos – art et mythologie ». Le projet s’adressait
    aux élèves de collège et de lycée du Lycée Académique
    d’Arts Plastiques « Igor Vieru » de la capitale de la République de
    Moldova, Chișinău. Ils devaient créer des œuvres d’art illustrant des aspects
    de la mythologie grecque, revisités dans une approche moderne et amusante
    par le célèbre écrivain britannique Stephen Fry. Ainsi est née
    l’exposition des œuvres créées par les jeunes artistes, intitulée « Mythos
    – art et mythologie », présentée à la Galerie Arbor de Bucarest.

    L’organisatrice
    et la commissaire de l’exposition, Victoria Nagy Vajda, nous a offert des
    détails sur l’exposition et le projet :

    « Cette exposition est née des livres
    que j’avais l’habitude de lire à mes enfants avant de dormir dès qu’ils étaient
    petits. Un des bouquins que nous avons appréciés a été « Troie »,
    de Stephen Fry, traduit par l’écrivain Radu Paraschivescu. A part son humour,
    ce récit par Stephen Fry est aussi très intéressant, très complet. Qui plus est,
    la Galerie Arbor est un lieu où au moins une fois par an j’essaye
    d’organiser des activités pour les enfants qui étudient l’art et qui souhaitent
    approfondir davantage leurs connaissances, en faire une carrière même. Car
    on le sait très bien très peu de jeunes artistes réussissent à s’affirmer, c’est
    pourquoi je trouve que ce type de contribution est important. En visitant
    leur école, j’ai constaté qu’ils n’avaient jamais travaillé sur le thème de la
    mythologie. Et malheureusement, ils ont très peu de classes de
    mythologie dans le curriculum, alors que la mythologie est un thème essentiel
    de l’histoire de l’art et très important pour leur développement. »


    Victoria Nagy
    Vajda nous a offert encore des détails sur les thèmes préférés des élèves et
    sur les techniques qu’ils ont utilisées :


    « Ils ont préféré les sujets romantiques. L’histoire
    d’Orphée a été reproduite le plus souvent. L’histoire de Pâris et de la
    pomme de la discorde aussi. Il y a aussi des œuvres sur Apollon, le dieu des
    arts, du chant et de la musique, ainsi que sur la guerre, y compris la Titanomachie,
    c’est-à-dire le combat entre les Titans. Ils ont utilisé toute une variété de
    techniques. La plupart des œuvres ont été peintes à l’huile. Quelques-unes
    ont des dimensions moyennes, mais il y a aussi de grands tableaux. Certains
    enfants ont travaillé à l’aquarelle. Les élèves de terminale n’ont pas
    fait partie de ce projet, car ils sont préoccupés par le Baccalauréat. Nous
    avons exposé ici, à la Galerie Arbor, presque 90 % des œuvres, car il
    m’a été trop difficile de faire un tri plus rigoureux. »


    Victoria Nagy
    Vajda nous a parlé aussi de la rencontre des élèves moldaves avec Radu
    Paraschivescu, le traducteur des livres de Stephen Fry. D’ailleurs, Radu
    Paraschivescu a été présent au vernissage de l’exposition.

    « Cette rencontre les a rapprochés davantage de la mythologie et de
    la littérature avant tout, mais aussi d’un modèle intellectuel. Parce qu’il est
    important pour eux de voir des exemples réels, des artistes qui ont réussi, qui
    sont connus, qui ont eu des résultats extraordinaires pour toute la société.
    Avoir de tels modèles les motivera à vouloir réussir à leur tour. Il est
    essentiel de les encourager toujours, afin qu’ils prennent du courage et de la
    confiance en soi. J’aimerais bien voir ces enfants, et nous tous d’ailleurs, être
    motivés par leur passion et que cette passion puisse devenir un métier duquel
    ils puissent s’entretenir. On aurait une société idéale si cela était possible ».

    Avant de finir, nous vous invitons à découvrir les créations des élèves
    inspirées de la mythologie grecque sur la page Facebook de l’exposition
    « Mythos – art et mythologie »,
    https://www.facebook.com/events/2145184365674410/.
    Vous y trouverez aussi des interviews avec Radu Paraschivescu ainsi qu’avec
    deux enseignantes du lycée « Igor Vieru » de Chşinău. (Trad. Andra Juganaru)





  • Brutaler Schlächter als Held verkauft

    Brutaler Schlächter als Held verkauft

    Der von der Kommunistischen Partei aufgestellte Innenminister Teohari Georgescu gründete ein Sonderkommando, das mit der Bandenkriminalität abrechnen sollte. Ihm stand ein Kommissar vor, der zum Mythos wurde — Eugen Alimănescu. Das Regime konstruierte für den Mann das Image eines unbestechlichen Haudegens, der von dem Weg der Gerechtigkeit nicht abzubringen war — so wie sich die Kommunisten gerne selbst inszenieren wollten. Doch in Wirklichkeit war Eugen Alimănescu fast das genaue Gegenteil — ein Werkzeug des Terrors in den Händen des kommunistischen Regimes. Der Historiker Dumitru Lăcătuşu hat in den letzten Jahren den Mythos Alimănescu demontiert: Eugen Alimănescu ist eine extrem umstrittene Persönlichkeit und wurde leider als Held der rumänischen Polizei dargestellt. Bei der Gründung der Miliz wurde Alimănescu zum Chef der Abteilung Bandenkriminalität bei der Kripo ernannt. Alimănescu war eigentlich Buchhalter, hatte im Krieg gekämpft und suchte nach 1945 die Nähe der Kommunisten. Dann trat er in die Polizeiarbeit ein“, wei‎ß der Historiker zu berichten.



    Alimănescus Sonderkommando ging besonders brutal gegen die Kriminellen vor — diese wurden gar nicht mehr verhaftet und aufs Revier zum Verhör gebracht. Sie wurden erschoss, am öftesten unter Vorwand des Fluchtversuchs. Zeitungsberichte über die Vorfälle trugen zu diesem Heldenimage bei. Wie der Historiker Dumitru Lăcătuşu weiter ausführt, lie‎ßen die Berichte etwas aus: Zur gleichen Zeit war Alimănescu nicht nur mit dem Ausmerzen der Verbrecher beschäftigt, wie es im Wortschatz der Kommunisten hie‎ß. Die Polizisten lie‎ßen einen Teil der Beute der Kriminellen mitgehen und Alimănescu hatte in kurzer Zeit eine eigene mehrstöckige Villa im Zentrum von Bukarest. Ein kaltblutiger Killer UND ein korrupter Polizist also“, stellt der Historiker klar.



    Doch Alimănescu war mehr als das — er war instabil. Aus seiner Geheimdienstakte geht hervor, dass im Jahr 1945 der stark alkoholisierte Alimănescu auf der Stra‎ße mit seiner Pistole wild um sich herumschoss und ein Kind tötete. An einem anderen Tag war er im Zug nach Timişoara. Er geriet in Streit mit einem anderen Fahrgast und erschoss ihn kurzerhand. Somit war der Polizist auch perfekt für die Jagd nach antikommunistischen Widerstandskämpfern: Wenn wir über den Partisanenkrieg in den Karpaten sprechen, beziehen wir uns in der Regel nur auf die Securitate, den Geheimdienst. Aber die Miliz, die Polizei also, spielte eine genauso wichtige Rolle, wobei das Sonderkommando Bandenkriminalität sich genau damit befasste. Sie durchkämmten das Land nach Widerstandskämpfern und folterten und mordeten“, sagt der Bukarest Geschichtswissenschaftler.



    Alimănescu und sein Team gingen so brutal vor, dass selbst die nicht gerade zimperlichen Geheimdienstler schockiert waren. Im Gebiet von Argeş griff sich Alimănescu beispielsweise die Tochter und Schwester von flüchtigen Verdächtigen, schlug sie zusammen und fragte sie ständig, wo ihr Vater und Bruder seien. Die 15jährige wollte nichts sagen und Alimănescu überschüttete sie mit Benzin und zündete sie an. In ihren Berichten führen die Geheimdienste an, dass er nicht nur Verdächtige zusammenschlug, sondern auch die eigenen Informanten. Mit Unterstützern der Widerstandsbewegung machte er kurzen Prozess und die Frauen vergewaltigte er.



    Das rabiate Vorgehen wurde ihm schlie‎ßlich zum Verhängnis, weil er für das Regime nicht mehr zweckdienlich war, so Dumitru Lăcătuşu: Weil er au‎ßer Kontrolle geraten war, wurde er 1951 verhaftet — mitten in einer Besprechung bei der politischen Abteilung im Innenministerium — von ihm wurde dann behauptet, er sei als Klassenfeind in die Partei eingesickert. Er wurde dann zu Zwangsarbeit verurteilt, verschwand aber von der Bildfläche. Über sein Ende ist nichts Genaues bekannt — 1954 lebte er auf jeden Fall noch, weil er im Verfahren gegen den Innenminister verhört wurde, der ihn angestellt hatte, nämlich Teohari Georgescu. Er berichtete auch ausführlich über die berüchtigten Todeszüge, in denen 1949 antikommunistische Widerstandskämpfer ermordet wurden, ohne dass die kommunistische Justiz ein offizielles Todesurteil ausgesprochen hatte“, sagt Lăcătuşu.



    Polizeikommissar Alimănescu stand Jahrzehnte später Modell für einen Filmhelden — Starregisseur Sergiu Nicolaescu erschuf in den 1970er Jahren die Filmfigur des Kommissars Moldovan und lie‎ß sich dabei u.a. von Alimănescu inspirieren.

  • Die Amis kommen: ein Mythos der rumänischen Nachkriegsgeschichte

    Die Amis kommen: ein Mythos der rumänischen Nachkriegsgeschichte

    Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Rumänien der Koalition der Achsenmächte beitrat, waren die rumänisch-amerikanischen Beziehungen sehr gut gewesen. Dass ein von Marschall Ion Antonescu geführtes Rumänien am 11. Dezember 1941 den USA den Krieg erklärte, widersprach dem Geist der bisherigen bilateralen Verhältnisse. Dass dann die US Air Force 1944 Bombenangriffe gegen Rumänien flog, gehörte zur Logik des Krieges — einer für die bisherige Konstellation sinnfremden Vernunft. Obwohl sie jetzt Feinde waren, wurden abgeschossene US-Piloten menschlich behandelt. Rumänische Offiziere sollen Zeitzeugen zufolge die Leichen getöteter Piloten geborgen und mit religiösem Zeremoniell bestattet haben. Dass Rumänien am 23. August 1944 die Seiten wechselte und an der Seite der Koalition der Vereinten Nationen gegen Nazi-Deutschland kämpfte, wurde auch als Zeichen der Wiederherstellung eines historischen Normalzustands bewertet.



    Doch das Kriegsende fiel anders aus, als es die rumänische Gesellschaft erwartet hatte. Die Truppen der Sowjetunion mutierten zur Besatzungsmacht, unter ihrem Schutz griffen die Kommunisten nach der Macht — daher die Hoffnung, dass die Amerikaner in Constanţa landen oder den Balkan erobern. Die Amerikaner kommen“ wurde zum Gemeinplatz; für die meisten Menschen in Rumänien war es Ende der 1940er Jahre nur eine Frage der Zeit, bis die amerikanischen Truppen das Land befreien.



    Nicolae Dascălu war zur damaligen Zeit Mitglied der Bauernpartei und engagierte sich zwischen 1947 und 1949 in einem antikommunistischen Schülerverband. Im Jahr 2000 erzählte er den Redakteuren des Rundfunkzentrums für mündliche Geschichte, dass dieser vermeintlich bevorstehende Einmarsch der Amerikaner Dutzende junge Menschen motivierte, für Freiheit und Demokratie einzutreten.



    Alle hofften, dass die Amerikaner kommen, und alle warteten auf Hilfe von den USA! Am Anfang standen natürlich diese Hoffnung und der Mut, die von der eigenen Jugend ausstrahlen. Wir haben im Glauben gekämpft, dass die demokratischen Werte siegen und sich behaupten werden. Niemand hätte diese lange und furchtbar schwere Zeit erwartet! Eine Zeit, die die menschlichen Hoffnungen so stark unterdrückte“, erinnerte sich Nicolae Dascălu,




    Elena Florea Ioan, Schwester des bekannten Widerstandskämpfers Toma Arnăuţoiu, der einen bewaffneten Widerstandsring in den Karpaten führte, bestätigte diese Einstellung: Ihr Bruder sei tatsächlich in der Hoffnung auf einen Einmarsch der Amerikaner kämpfen gegangen.



    Ich habe damals langsam begriffen, dass mein Bruder jetzt weg ist und es keinen Weg gab, um ihn zu halten. Ich hatte meine Mutter gebeten, ihn nicht gehen zu lassen — aber sie stand hinter seinem Entschluss, und da gab es kein Zurück mehr. Unsere Mutter war besorgt, dass er keine Ruhe hat und glaubte, dass er sich im Gebirge beruhigen wird — sie gingen ja alle davon aus, dass die Amerikaner spätestens in einem Monat kommen und uns vor den Russen retten. Das glaubten sie — dass diese Qual von kurzer Dauer ist und sie nicht zu lange in den Bergen warten müssen. Und dieses Widerstandsnest von Nucşoara war dann das langlebigste in Europa — neun Jahre hielten sie aus. Die anderen wurden verhaftet, wurden erschossen, gaben auf.“




    Mit der Enttäuschung umzugehen, dass die Amerikaner nun doch nicht einmarschieren, fanden es viele Widerstandskämpfer schwer — einige desertierten und lie‎ßen ihre Partisanenfreunde im Stich. Elena Florea Ioan erinnert sich an das Beispiel von Oberst Gheorghe Arsenescu:



    Oberst Arsenescu kämpfte um seine eigene Haut. Ich will nichts Schlechtes über ihn erzählen, aber er hat sich echt unpatriotisch verhalten. Er glaubte, dieser Zustand werde nicht dauern. Als sie alle dort waren und sahen, dass das Essen knapp wurde, dass es keinen guten Braten mehr gab, da gerieten sie sich in die Haare. Arsenescu sagte, er bleibt nicht mehr. Andere sagten, sie bleiben, dass es ihnen egal ist, wenn sie Wurzeln und Laub essen. Arsenescu passte das nicht, er konnte sich mit diesem Leben in Hunger und Kälte nicht abfinden. Und er trat die Führung der Gruppe an meinen Bruder Toma ab. Er sah, dass die Amerikaner nun doch nicht mehr kommen, und ging.“




    Die Amerikaner marschierten zwar nicht ein — die Politik der Wahrung des Status Quo zwischen den beiden Blöcken bedeutete aber auch, dass alle Pläne zur Rettung Osteuropas vom Kommunismus aufgegeben wurde. Die USA halfen, so gut es ging: Sie sorgten für Nachschub für die Widerstandsgruppen und schleusten auch ganze Gruppen von Exilrumänen per Fallschirm ein — so im Juli 1953 die Gruppe unter dem Kommando von Hauptmann Sabin Mare.



    Die Amerikaner kamen doch noch nach Rumänien: aber erst nach Ende des Kalten Krieges, den sie für sich entschieden hatten.

  • Nationaldichter Mihai Eminescu: Dekonstruktion eines Mythos

    Nationaldichter Mihai Eminescu: Dekonstruktion eines Mythos

    Der Lyriker Mihai Eminescu (1850–1889) gilt als Nationaldichter der Rumänen. Literaturhistoriker bescheinigen ihm, einer der Schöpfer der modernen rumänischen Literatursprache gewesen zu sein. Besonders seine patriotischen Gedichte sind zum Gemeingut geworden, viele literarische Exegesen schöpfen fast ausschlie‎ßlich aus diesem Teil seines Schaffens. Und hier beginnt die Mythologisierung des Poeten. Eminescu entwickelte sich vom Kultdichter zum Mythos. Vieles von dem, das dem Poeten zugeschrieben wurde und als unanfechtbare Wahrheit galt, ist pure Erfindung. Die Analles-Schule, die einflussreiche französische Strömung der Geschichtswissenschaft, entdeckte die Mythen als Forschungsobjekt, mit dem sich später die Fachrichtung Geschichte der Mentalitäten und des Imaginären auseinandersetzte.



    Der Historiker Lucian Boia stellte sich die undankbare Aufgabe, den Mythos Eminescu in seinem letzten Buch zu dekonstruieren. Allein der Titel dürfte in den Augen vieler eine Provokation sein: Mihai Eminescu, der absolute Rumäne. Die Entstehung eines Mythos und die Entzauberung“. Lucian Boia dazu:



    Der Mythos Eminescu hat mehrere Quellen. Der Personenkult um einen Dichter in gewisser Weise typisch für ein kleines Land mit einer weniger bedeutenden Kultur, ein Land, das um die Überwindung der historischen und kulturellen Verspätung bemüht ist. So sah Rumänien im 19. Jh. aus, als der Mythos Eminescu geschaffen wurde. Der Dichter erscheint wie eine von der Vorsehung bestimmte Figur. Er ist der Rumäne, der alle positiven Eigenschaften in sich vereint und den Genius der rumänischen Nation schlechthin verkörpert. Nach dieser Deutung war Eminescu ein nationales und internationales Genie. Er ist das, was die Rumänen sich selbst und gleichzeitig der ganzen Welt schenken. Eminescu ist der Beitrag der Rumänen zur Weltkultur.“




    Der Mythos Eminescu konnte nur in einem Agrarland mit einer konservativen Gesellschaft entstehen — das war im Grunde die rumänische Welt im 19. Jahrhundert, erläutert weiter Lucian Boia:



    Natürlich ist es heikel, alles auf eine einzige Persönlichkeit zu setzen. In den bedeutenden Kulturen ist das anders. Die Franzosen, die Deutschen, die Briten verehren wohl kaum eine einzige Persönlichkeit ihrer jeweiligen Literatur oder Kultur im allgemeinen Sinne. Was an Eminescus Wahrnehmung hervorsticht, ist die Tatsache, dass er als das vollkommene Symbol der rumänischen Geistigkeit, der rumänischen Nation inszeniert wird. Er ist nicht nur ein gro‎ßer Dichter. Allein ein bedeutender Dichter zu sein, reichte nicht aus; ein nationaler Dichter zu sein, bedeutet viel mehr. Mit der Bezeichnung ‚national‘ wurde er über alle anderen Dichter gestellt, womit nicht nur die Bedeutung seines Werks, sondern auch die Identifikation mit der rumänischen Nation hervorgestrichen werden sollte. Das ist im Grunde das Ergebnis einer Frustration der Rumänen, die Folge des Minderwertigkeitsgefühls, ein kleines Land mit einer unbedeutenden oder kaum wahrgenommenen Kultur zu sein.“




    Wie entstand aber der Eminescu-Kult? Lucian Boia versucht zu antworten:



    Die Verehrung entstand während seiner letzten Lebensjahre. Die wunderschöne Poesie kommt mit dem tragischen Schicksal des Dichters zusammen. Sie verschmelzen. Die Tragik seines Lebens und der Stellenwert seiner Dichtung verflechten sich. In den ersten Jahren nach seiner Entstehung war der Mythos rund um das dichterische Schaffen konstruiert. Wesentlich war also die Poesie, Ideologie war noch nicht im Spiel. Das Ideologische erscheint gleich nach 1900, vor dem Hintergrund nationalistisch-bodenständiger Strömungen wie z.B. des Sämänätorismus. Nach dem vermeintlich viel zu starken ausländischen, pro-westlichen Einfluss folgt eine Etappe, in der der rumänische Bauer, die rumänische Tradition in den Vordergrund gebracht werden. Jetzt wird Eminescu zu einem gro‎ßen Ideologen des sogenannten ‚Rumänismus‘ hochstilisiert. Danach wird der Mythos immer mehr aufgebauscht, bis jeder das findet, was er sucht. Es geht um einen Mythos, der von allen gebraucht werden kann, einschlie‎ßlich politischer Akteure jeglicher Couleur.“




    Der moldauische Dichter Grigore Vieru setzte mit einem Vers einen Spruch in die Welt, der die Dimension des Mythos Eminescu erahnen lässt: Eminescu soll über uns urteilen“. Wir haben Lucian Boia gefragt, wie man Vierus Vers verstehen könne:



    Das bedeutet, dass Eminescu als eine Gottheit des Rumänentums gesehen wird. Er steht über uns und hat immer Recht. Er wei‎ß, woher wir kommen und wohin wir gehen müssen. Er ist unser Führer und Gebieter. Keine andere rumänische Persönlichkeit kann Eminescu überbieten. Wir könnten zwar auch an Stefan den Gro‎ßen, an Michael den Tapferen denken, Figuren, die sicherlich repräsentativ und stark mythologisiert sind. Aber Eminescu übertrifft sie alle, er ist der perfekte Ausdruck der rumänischen Geistigkeit und des Schicksals der Rumänen in dieser Welt. Eminescu ist der absolute Rumäne, wie es der Essayist Petre Ţuţea treffend formulierte — so treffend, dass ich mir erlaubt habe, seine Worte im Titel meines Buches zu zitieren.“




    Mit der Dekonstruktion des Mythos Eminescu will Lucian Boia normale Verhältnisse in der Wahrnehmung des Dichters schaffen und Verschwörungstheorien widerlegen.



    Eminescu in den Himmel zu heben, ihn z.B. neben Einstein zu setzen, ist völlig deplatziert und hat keinerlei Rechtfertigung. Die allerhand hirnrissigen Verschwörungstheorien rund um Eminescu haben auch zu negativen Reaktionen geführt. Es gibt zwar Menschen, die von Eminescu regelrecht besessen sind. Es gibt aber auch solche, die nichts mehr von ihm hören wollen, einschlie‎ßlich jüngerer Menschen. Irgendwann wird man seiner überdrüssig. Man übertreibt viel — in beiden Richtungen — und das schadet dem gro‎ßen Dichter, der er tatsächlich war. Ich plädiere für die Wiederbesinnung auf den authentischen Menschen, den Dichter Eminescu.“