Tag: Nachkriegszeit

  • Arlette Coposu, die leidgeprüfte Frau des „Senioren“

    Arlette Coposu, die leidgeprüfte Frau des „Senioren“

    Über Corneliu Coposu und seine Leidensgeschichte in kommunistischen Gefängnissen ist nach 1989 viel geschrieben worden. Er war ein Vorbild für die Wiederbelebung der rumänischen Demokratie nach 1990 und ein Wahrzeichen dafür, dass man die kommunistische Gefangenschaft mit Würde ertragen kann. In der Zwischenkriegszeit war er persönlicher Sekretär des gro‎ßen christlich-konservativen Politikers Iuliu Maniu (Nationale Bauernpartei – PNŢ). Zwischen 1947 und 1964 wurde er 17 Jahre lang von den kommunistischen Behörden inhaftiert und verbrachte 8 Jahre in Einzelhaft. Im Dezember 1989 baute er mit einigen anderen Überlebenden des kommunistischen Kerkers die Christlich-Demokratische Nationale Bauernpartei (PNŢCD) wieder auf.



    Seine Frau Arlette wurde jedoch weniger Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl diese bemerkenswerte Frau es überaus verdient hätte. Sie erlebte ein noch schlimmeres Schicksal als ihr berühmter Ehemann. Nachdem ihr Mann am 14. Juli 1947 verhaftet worden war, wurde sie aus ihrem Haus vertrieben und musste zur Familie ihres Mannes ziehen. Im Jahr 1950 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester France verhaftet und unter dem Vorwurf der Spionage für Frankreich inhaftiert. Ihre Schwester starb im Gefängnis, und Arlette, obwohl sie das Gefängnis überlebte, starb 1966, zwei Jahre nach ihrer Entlassung und der Wiedervereinigung mit ihrem Mann, an Krebs. Corneliu Coposu heiratete nie wieder, und das Paar hatte nie Kinder.



    Sie wurde 1915 als Arlette Marcovici in Constanţa geboren. Ihr Vater war der General Ion Marcovici, und ihre Mutter, Jeanne Huser, war französisch-schweizerischer Abstammung. Aus der früheren Ehe ihres Vaters stammten die drei Schwestern France, Odette und Antoinette. Die Familie Marcovici hatte ein Hotel am Meer, das Französische Hotel“, in dem sie 1941 ihren zukünftigen Ehemann, Corneliu Coposu, kennenlernte. Sie heirateten am 24. Oktober 1942 und waren nur 5 Jahre lang zusammen.



    Corneliu Coposu hat eine wichtige Rolle in der jüngsten Geschichte Rumäniens gespielt. Manche Historiker sagen, dass die Demokratie in Rumänien ohne ihn und sein Überleben unter der kommunistischen Verfolgung und Inhaftierung viel schwieriger wiederaufzubauen gewesen wäre. Um ihn über seine Politik hinaus besser kennen zu lernen, muss man seine Familie und seine Empfindlichkeiten betrachten. Ionuţ Gherasim ist Vorsitzender der Stiftung Corneliu Coposu“. Er zitiert für uns ein Porträt von Arlette, das von Flavia Bălescu-Coposu, ihrer Schwägerin, skizziert wurde:



    Dass Arlette in unser Leben trat, war ebenso überraschend wie unerwartet. Es war im Frühjahr 1941, als wir Flüchtlinge waren, weit weg von zu Hause. Unser Vater kam von einem Treffen mit dem päpstlichen Nuntius, Erzbischof Andrea Casulo, zurück und traf Corneliu, der in Begleitung einer blonden, blauäugigen jungen Frau ankam. Sie sprach die schönste rumänische Sprache, die kultivierteste, ohne jede Spur eines regionalen Akzents. Sie war strahlend und blickte einem direkt in die Augen. Vater sagte uns, er habe das Gefühl, dass sie die Braut von Corneliu sein würde. Zeitlich betrachtet dauerte die Ehe 24 Jahre, aber sie verbrachten nur 6 Jahre miteinander. In unserer kurzen Begegnung, liebten und bewunderten wir sie, weil sie die Verkörperung ihres Namens war, denn Arlette bedeutet »Ehre«. Sie war kompetent, aktiv, freundlich, gro‎ßzügig, aufmerksam, ernsthaft, kreativ und temperamentvoll.“




    Die Historikerin Andreea Mâniceanu ist die Autorin einer Biografie über Arlette Coposu. Sie verbrachte viele Stunden mit Flavia und Rodica Coposu, ihren Schwägerinnen, die ihr anhand von Fotos und Dokumenten aus dem Familienarchiv von der Beziehung ihres Bruders zu ihr berichteten. Das Ergebnis war ein kleiner Abschnitt der Geschichte, auf den die Autorin sehr stolz ist. Besonders stolz ist sie darauf, dass sie eine Heldin der jüngeren rumänischen Geschichte in den Vordergrund gestellt hat, die beispiellosem Übel gegenüberstand und es überlebte, um in die Zukunft zu blicken:



    Dies ist eine Lebensgeschichte, die ich auf ewig zu erzählen habe. Es ist die Lebensgeschichte eines Vorbildes von Würde und Bescheidenheit. Sie war eine au‎ßergewöhnliche Frau mit ungebremstem Mut und starkem Glauben. Auf dem Foto, das am Tag ihrer Entlassung nach 14 Jahren in kommunistischen Gefängnissen aufgenommen wurde, fand sie die Kraft, zu lächeln. Es ist das Foto einer Frau, die nach über einem Jahrzehnt der Qualen die Kraft findet, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Ihre Geschichte sollte der Historie nicht verloren gehen, sei es auch nur deswegen.“




    Die Geschichte von Arlette Coposu ist den Rumänen heute nicht sehr bekannt, aber sie wäre es würdig, Denkmäler wie die ihres viel bekannteren Mannes in Bukarest und im ganzen Land zu haben.

  • Nachkriegsjahre 1945–46: Versorgungsengpässe und schlechte Infrastruktur

    Nachkriegsjahre 1945–46: Versorgungsengpässe und schlechte Infrastruktur

    Die Menschheit erholt sich schwer nach einem Krieg. Abgesehen von der materiellen Zerstörung müssen die Menschen den Verlust ihrer Angehörigen bewältigen, was eine längere Zeit erfordert. Glücklicherweise führt die Mobilisierung, um die Folgen des Krieges zu beseitigen, und der Druck der jüngeren Generationen dazu, dass schlie‎ßlich jedes Hindernis überwunden wird.



    Aber die Traumen des Krieges sind viel schwieriger zu überwinden, wenn eine Gesellschaft, die heilen will, nicht auf gerechtem Fundament steht. Das von der Roten Armee in allen Ländern Mittel- und Osteuropas installierte kommunistische Regime versuchte die Gesellschaften neu zu gestalten. Diese Länder wurden mit Gewalt besetzt, alle Menschen, die eine andere Meinung hatten, wurden unterdrückt. In Rumänien war das Regime härter als in jedem anderen Land, das von den Sowjets besetzt wurde, so dass der Wiederaufbau länger dauerte, obwohl die erlittenen Kriegsschäden einigerma‎ßen geringer als in anderen Ländern waren. Mitte der 1940er Jahre, als die Menschen versuchten, ihr Leben wieder aufzubauen, wurde die neue kommunistische Regierung von den Schwierigkeiten der Nachkriegsführung überwältigt. Die Unfähigkeit der neuen Politiker, die keine politische und administrative Erfahrung hatten, aber der Sowjets hörig waren, führte dazu, dass die kommunistische Regierung die ohnehin gro‎ßen Schwierigkeiten erheblich vertiefte.



    Die grö‎ßten Mängel waren die Lebensmitteln-Knappheit, die schlechte Beheizung der Wohnungen und die Mobilität in den Städten. Ştefan Bârlea war damals ein junger Mann wie jeder andere, ein Gymnasiast in den 1940er Jahren, später stieg er in der oberen Parteihierarchie auf. Im Jahr 2002 wurde er vom Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks interviewt. Er erinnerte er sich an die täglichen Schwierigkeiten, mit denen sich die Einwohner Bukarests und anderer Gro‎ßstädte konfrontierten.



    Beginnend mit dem Jahr 1946, eigentlich schon ab 1945, gab es enorme Versorgungsprobleme: Probleme im Transport, in der Versorgung, es gab Treibstoffknappheit. 1946 bewegte sich wieder etwas in der Wirtschaft, so wie sie damals war — im kapitalistischen Sektor, in den Genossenschaften und Branchengemeinschaften, im privaten Bereich, vom Staat mal ganz zu schweigen… Die Wirtschaft wurde mit allen Mitteln angespornt, man wollte allen unter die Arme greifen, und die Arbeitsplätze wurden allmählich wieder besetzt. Die ganze Bevölkerung, die während des Krieges geflüchtet war, kehrte zurück, die Schulen funktionierten wieder, schwierig war es aber mit dem Transport. Es war unvorstellbar, wer diese Zeit erlebt hat, versteht, was die Folgen eines Krieges bedeuten.“




    Die Lage des öffentlichen Verkehrs in Bukarest war desolat. Die Komfortverhältnisse der Fahrgäste waren nur schwer vorstellbar, und öfters gab es tragische Unfälle. Ştefan Bârlea erinnert sich weiter:



    Die Stra‎ßenbahnen waren voll, die Leute hingen an den Türen und Treppen. 1945 stellten die zurückgekehrten Flüchtlinge einen wichtigen Teil der Einwohner Bukarests dar. Bis die Leute ihren Platz fanden und das gesellschaftliche Leben sich stabilisierte, war auch der Winter eingebrochen, etwas früher als in den vorangegangenen Jahren. 1945 wartete man nicht 5–10 Minuten auf die Stra‎ßenbahn, sondern eine halbe Stunde. Es gab nur wenige. Wir wohnten im Ghencea-Viertel, ich besuchte aber das Lazăr-Gymnasium im Zentrum. Viele Kinder aus der Nachbarschaft besuchten Schulen im Zentrum. Ich musste ein-zwei Stunden früher aufstehen, um mit der Stra‎ßenbahn fahren zu können. Die Stra‎ßenbahn fuhr an unserem Haus vorbei und ein-zwei Stationen weiter drehte sie um — dort war die Endstation. Ich stieg in die Stra‎ßenbahn und fuhr zuerst in die andere Richtung. Die Stra‎ßenbahn kehrte dann zurück und als sie die Haltestelle vor meinem Haus erreichte, war sie schon voll. Sie stoppte noch einmal, und dann, angefangen mit der Petre-Ispirescu-Station, konnten die Passagiere nur noch auf den Wagenpuffern stehen. Einige sind dabei auch umgekommen, sie fielen von den Puffern zwischen die Räder, solche Unfälle passierten damals häufig. Das war das grö‎ßte Problem — wie man zur Arbeit oder in die Schule kam. Im Sommer gingen wir fot zu Fu‎ß in die Schule und den ganzen Weg zurück.“




    Die Versorgung mit Lebensmitteln war auch ein äu‎ßerst schwieriges Problem. Die Regierung und die lokalen Behörden haben daraufhin Rationskarten eingeführt, um mit der bestehenden Krise fertig zu werden, eine unbefriedigende Notlösung. Ştefan Bârlea dazu:



    Die Versorgung mit Brot und Fleisch war sehr schwierig. Sie waren nur mit der Karte zu bekommen, und das Missgeschick war, dass es kein Fleisch gab. Das Brot kam, aber nicht in ausreichenden Mengen — stellen Sie sich vor, was für riesige Schlangen entstanden. Die Leute standen um zwei oder drei Uhr nachts auf, um sich für Fleisch anzustellen. Und Jahrzehnte später führte Ceauşescu wieder Lebensmittelmarken ein, obwohl es damals nicht mehr notwendig war. Damit warf er Rumänien um Jahrzehnte zurück, ich fühlte mich als Erwachsener erneut wie in meiner Kindheit nach dem Krieg, als alles rationiert war. Ceausescu war unsinnig, er sagte Rumänien hätte eine hohe Auslandsverschuldung. Diese war auch relativ hoch, etwa 12 oder 13 Milliarden Dollar, aber immerhin geringer als die von Ungarn, Polen und anderen Ländern.“




    Der materielle Wiederaufbau Rumäniens nach dem Zweiten Weltkrieg war eine gro‎ße Herausforderung, die die rumänische Gesellschaft in den ersten Jahren nur mühsam bewältigte. In einem demokratischen Regime, ohne den absurden Druck der kommunistischen Ideologie, wäre das Ganze viel einfacher gewesen.

  • Die Amis kommen: ein Mythos der rumänischen Nachkriegsgeschichte

    Die Amis kommen: ein Mythos der rumänischen Nachkriegsgeschichte

    Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Rumänien der Koalition der Achsenmächte beitrat, waren die rumänisch-amerikanischen Beziehungen sehr gut gewesen. Dass ein von Marschall Ion Antonescu geführtes Rumänien am 11. Dezember 1941 den USA den Krieg erklärte, widersprach dem Geist der bisherigen bilateralen Verhältnisse. Dass dann die US Air Force 1944 Bombenangriffe gegen Rumänien flog, gehörte zur Logik des Krieges — einer für die bisherige Konstellation sinnfremden Vernunft. Obwohl sie jetzt Feinde waren, wurden abgeschossene US-Piloten menschlich behandelt. Rumänische Offiziere sollen Zeitzeugen zufolge die Leichen getöteter Piloten geborgen und mit religiösem Zeremoniell bestattet haben. Dass Rumänien am 23. August 1944 die Seiten wechselte und an der Seite der Koalition der Vereinten Nationen gegen Nazi-Deutschland kämpfte, wurde auch als Zeichen der Wiederherstellung eines historischen Normalzustands bewertet.



    Doch das Kriegsende fiel anders aus, als es die rumänische Gesellschaft erwartet hatte. Die Truppen der Sowjetunion mutierten zur Besatzungsmacht, unter ihrem Schutz griffen die Kommunisten nach der Macht — daher die Hoffnung, dass die Amerikaner in Constanţa landen oder den Balkan erobern. Die Amerikaner kommen“ wurde zum Gemeinplatz; für die meisten Menschen in Rumänien war es Ende der 1940er Jahre nur eine Frage der Zeit, bis die amerikanischen Truppen das Land befreien.



    Nicolae Dascălu war zur damaligen Zeit Mitglied der Bauernpartei und engagierte sich zwischen 1947 und 1949 in einem antikommunistischen Schülerverband. Im Jahr 2000 erzählte er den Redakteuren des Rundfunkzentrums für mündliche Geschichte, dass dieser vermeintlich bevorstehende Einmarsch der Amerikaner Dutzende junge Menschen motivierte, für Freiheit und Demokratie einzutreten.



    Alle hofften, dass die Amerikaner kommen, und alle warteten auf Hilfe von den USA! Am Anfang standen natürlich diese Hoffnung und der Mut, die von der eigenen Jugend ausstrahlen. Wir haben im Glauben gekämpft, dass die demokratischen Werte siegen und sich behaupten werden. Niemand hätte diese lange und furchtbar schwere Zeit erwartet! Eine Zeit, die die menschlichen Hoffnungen so stark unterdrückte“, erinnerte sich Nicolae Dascălu,




    Elena Florea Ioan, Schwester des bekannten Widerstandskämpfers Toma Arnăuţoiu, der einen bewaffneten Widerstandsring in den Karpaten führte, bestätigte diese Einstellung: Ihr Bruder sei tatsächlich in der Hoffnung auf einen Einmarsch der Amerikaner kämpfen gegangen.



    Ich habe damals langsam begriffen, dass mein Bruder jetzt weg ist und es keinen Weg gab, um ihn zu halten. Ich hatte meine Mutter gebeten, ihn nicht gehen zu lassen — aber sie stand hinter seinem Entschluss, und da gab es kein Zurück mehr. Unsere Mutter war besorgt, dass er keine Ruhe hat und glaubte, dass er sich im Gebirge beruhigen wird — sie gingen ja alle davon aus, dass die Amerikaner spätestens in einem Monat kommen und uns vor den Russen retten. Das glaubten sie — dass diese Qual von kurzer Dauer ist und sie nicht zu lange in den Bergen warten müssen. Und dieses Widerstandsnest von Nucşoara war dann das langlebigste in Europa — neun Jahre hielten sie aus. Die anderen wurden verhaftet, wurden erschossen, gaben auf.“




    Mit der Enttäuschung umzugehen, dass die Amerikaner nun doch nicht einmarschieren, fanden es viele Widerstandskämpfer schwer — einige desertierten und lie‎ßen ihre Partisanenfreunde im Stich. Elena Florea Ioan erinnert sich an das Beispiel von Oberst Gheorghe Arsenescu:



    Oberst Arsenescu kämpfte um seine eigene Haut. Ich will nichts Schlechtes über ihn erzählen, aber er hat sich echt unpatriotisch verhalten. Er glaubte, dieser Zustand werde nicht dauern. Als sie alle dort waren und sahen, dass das Essen knapp wurde, dass es keinen guten Braten mehr gab, da gerieten sie sich in die Haare. Arsenescu sagte, er bleibt nicht mehr. Andere sagten, sie bleiben, dass es ihnen egal ist, wenn sie Wurzeln und Laub essen. Arsenescu passte das nicht, er konnte sich mit diesem Leben in Hunger und Kälte nicht abfinden. Und er trat die Führung der Gruppe an meinen Bruder Toma ab. Er sah, dass die Amerikaner nun doch nicht mehr kommen, und ging.“




    Die Amerikaner marschierten zwar nicht ein — die Politik der Wahrung des Status Quo zwischen den beiden Blöcken bedeutete aber auch, dass alle Pläne zur Rettung Osteuropas vom Kommunismus aufgegeben wurde. Die USA halfen, so gut es ging: Sie sorgten für Nachschub für die Widerstandsgruppen und schleusten auch ganze Gruppen von Exilrumänen per Fallschirm ein — so im Juli 1953 die Gruppe unter dem Kommando von Hauptmann Sabin Mare.



    Die Amerikaner kamen doch noch nach Rumänien: aber erst nach Ende des Kalten Krieges, den sie für sich entschieden hatten.