Tag: Nähe

  • Urbane Nachhaltigkeit: die 15-Minuten-Städte

    Urbane Nachhaltigkeit: die 15-Minuten-Städte

     

     

    Immer mehr Menschen leben heutzutage in Städten, und dies muss bei der Planung und Verwaltung von urbanen Siedlungen ernsthaft berücksichtigt werden. Metropolen stehen vor großen wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen, ökologischen, Ernährungs- und Verkehrsproblemen. Ein altes Konzept wird heute wiederbelebt: die sogenannte „15-Minuten-Stadt“. Ziel dieses Planungskonzeptes ist es, dass die Menschen alles, was sie brauchen, innerhalb von maximal 15 Minuten erreichen können. Vlad Zamfira, Experte in Klimawandel und Fragen der nachhaltigen Umweltpolitik, erläutert das Konzept:

     

    Die Städte auf unserem Planeten nehmen nur 2 % der Erdoberfläche ein, beherbergen aber die Hälfte der Weltbevölkerung. Auf sie entfallen 75 % des weltweiten Energieverbrauchs, 80 % der Kohlenstoffemissionen und 80 % des weltweiten BIP. Schätzungen zufolge werden bis 2050 fast 70 % der Bevölkerung in Städten leben. Gleichzeitig haben Städte einen großen Einfluss auf das Leben ihrer Bewohner und auf die natürlichen Ökosysteme, so dass es wichtig ist, ihre Entwicklung nachhaltig zu gestalten, d. h., dass wir unsere gegenwärtigen Bedürfnisse befriedigen können, ohne die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu gefährden. Sind »15-Minuten-Städte« eine realisierbare Option? Und was ist das überhaupt? Es handelt sich um ein einfaches Konzept, einen prägnanten und einprägsamen Begriff, der für eine Reihe von Grundsätzen steht, nach denen Städte gebaut werden sollten. Kurz gesagt bedeutet dieses Modell, dass alle grundlegenden Dienstleistungen und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten wie Geschäfte, Parks, Schulen und Kindergärten, in kurzer Zeit, d. h. in weniger als 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad, erreichbar sind.

    Carlos Moreno, der Erfinder dieses Konzepts, sprach von vier Grundprinzipien, nach denen sich 15-Minuten-Städte richten sollten. Erstens: Ökologie für eine grüne und nachhaltige Stadt. Zweitens: Nähe – Wohnen in fußläufiger Entfernung zu allen anderen Aktivitäten. Drittens: Solidarität, um Verbindungen zwischen den Menschen zu schaffen. Viertens: Partizipation – die Bürger sollten in die Planung einbezogen werden. In solchen Städten wird die Priorisierung der Verkehrsträger im Vergleich zur heute geltenden Ordnung umgekehrt. Wenn heute das Auto die Grundlage für den Verkehr und die Art und Weise ist, wie wir Städte planen und bauen, stünde es in den »15-Minuten-Städten« an letzter Stelle. Fußgänger und Mikromobilität stehen im Vordergrund. Als nächstes kommen die öffentlichen Verkehrsmittel und dann das Carsharing, das dazu beiträgt, die Zahl der Nutzer pro Fahrzeug zu erhöhen und die Abhängigkeit vom eigenen Auto zu verringern.“

     

    Das Schlüsselwort ist „Nachhaltigkeit“. Damit Nachhaltigkeit in den Städten der Zukunft entstehen kann, müssen laut Experten drei Faktoren berücksichtigt werden. Erstens: die Menschen – um nachhaltig zu sein, muss eine Stadt eine positive soziale Wirkung haben, die Gesundheit ihrer Bewohner und alle sozialen Schichten berücksichtigen. Zweitens: die Umwelt – nachhaltige Städte schaden nicht nur nicht der Umwelt, sondern wirken sich positiv auf die Klimabilanz aus. Drittens: eine gesunde Rentabilität – der wirtschaftliche Aspekt darf nicht vernachlässigt werden, denn auf lange Sicht können Städte nicht nachhaltig sein, wenn sie sich finanziell nicht selbst tragen können.

    Die 15-Minuten-Städte wirken sich auch auf die Gesundheit ihrer Bewohner positiv aus. Studien zufolge besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Anzahl der täglich zurückgelegten Schritte und Fettleibigkeit. Eine Studie zeigt auch, dass Städte, die fußgängerfreundlicher sind, auch eine niedrigere Fettleibigkeitsrate aufweisen. Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass die Fettleibigkeitsrate in Rumänien zwischen 20 und 25 % liegt – im Jahr 1997 lag sie noch bei 14 %. Der nächste Punkt: weniger Lärmbelästigung. Viele Autos sind sehr laut. In einer ruhigen Stadt sind die Menschen produktiver und geistig gesünder. Auch die Unternehmen profitieren davon: Wenn man zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, hält man viel eher an einem Geschäft an, als wenn man mit dem Auto vorbeifährt. Studien zeigen, dass in Straßen, in denen Fußgängern Vorrang eingeräumt wird, die Umsätze der örtlichen Gastronomie und der Geschäfte stärker gestiegen sind als erwartet.

    In einem positiven Szenario geht die Entstehung von „15-Minuten-Städten“ mit dem Rückgang der Abhängigkeit vom Auto einher. Um auf Bukarest zurückzukommen: Es ist eine Stadt der Kontraste, und das gilt auch für den Verkehr. Es gibt Strecken, die leicht mit Metro, Straßenbahn oder Bus zurückgelegt werden können, was sie vorhersehbar und oft die schnellste Option macht. Gleichzeitig gibt es viele andere Strecken, auf denen man, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B zu gelangen, mehrmals umsteigen muss, was die Fahrtzeit verlängert. Derzeit werden in der rumänischen Hauptstadt die Straßen in jedem Stadtbezirk von den insgesamt sechs Bezirksbürgermeistern nach Gutdünken umgestaltet, ohne dass es ein Gesamtkonzept oder eine Strategie für die Entwicklung der Stadt gibt. Dieses Problem gibt es nicht nur in Bukarest, sondern im gesamten Verwaltungsapparat – fehlende oder schlechte Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern.

    Das Fehlen einer angemessenen Infrastruktur für öffentliche Verkehrsmittel, der schlechte Zustand der meisten Verkehrsmittel und das Fehlen effizienter Verbindungen sind die Hauptgründe, warum viele Großstädter in Rumänien es vorziehen, ihr eigenes Auto zu benutzen – selbst für kurze Strecken. Auch spielen Klassendenken und Statussymbole immer noch eine wichtige Rolle. Im Unterschied zu entwickelteren Städten Westeuropas ist in Rumänien immer noch die Mentalität weit verbreitet, dass die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln etwas für Geringverdiener sei, während jeder, der etwas auf sich hält, sein eigenes Auto fahren muss.

  • Nacht der Ideen: Was bedeutet „Nähe“ in Zeiten der Pandemie?

    Nacht der Ideen: Was bedeutet „Nähe“ in Zeiten der Pandemie?

    Die Nacht der Ideen“ ist eine internationale Veranstaltung, die vom Französischen Institut in Paris auf fünf Kontinenten organisiert wird. Die Events, die dieses Jahr um das Thema CLOSE/NAH“ veranstaltet wurden, fanden in Bukarest, Cluj (Klausenburg), Iaşi (Jassy) und Timişoara (Temeswar) online statt. Das diesjährige Thema stand im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und warf die Frage auf, wie sich unsere Vorstellung von Raum und Mobilität verändert hat und wie wir mit dem Thema Solidarität umgehen.



    Rumänien war auch Teil des internationalen Marathons, der am 28. Januar vom Französischen Institut in Paris in den sozialen Netzwerken übertragen wurde und in dem die Sondervorführung Nah — jenseits jedes Alters“ präsentiert wurde. Die rumänischen Freunde des Französischen Kulturinstituts, darunter Ileana Ţăroi, Journalistin und Koordinatorin der französischen Abteilung von Radio Rumänien International, haben dabei über ihre Auffassung des Begriffs Nähe“ und über die Herausforderungen des letzten Jahres gesprochen. Die Marketing und PR-Leiterin des Französischen Kulturinstituts in Temeswar, Teodora Achim, spricht über einige der Veranstaltungen, die in der Nacht der Ideen 2021 online stattfanden:



    Wir haben das Programm so gestaltet, dass es wie ein Marathon aussieht. In Temeswar haben wir uns mehr darauf konzentriert, was Gemeinschaft bedeutet, der Gemeinschaft nahe zu sein — deshalb sind wir zu Menschen und Orten gegangen, die es geschafft haben, Verbindungen zu schaffen und Leute um uns zu versammeln. Ein Beispiel in diesem Sinne ist die international bekannte Temeswarer Buchhandlung »La Două Bufniţe« (dt. »Zwei Eulen«), gegründet von Oana Doboşi und Raluca Selejan. Ein sehr lebendiger Ort in Temeswar ist auch »Scârţ«, das Museum des kommunistischen Konsumenten, gegründet von Christine Cizmaş und Ovidiu Mihăiţă, den Gründern des unabhängigen Theaters »Auăleu«. Wir wollten von ihnen erfahren, wie sie es geschafft haben, in dieser Zeit ihr Publikum nah zu halten. Wir machten uns auch auf den Weg zu einem neu geschaffenen Raum in Temeswar, dem unabhängigen FABER-Zentrum, das inmitten einer Pandemie eröffnet wurde und in der zweiten Hälfte des letzten Jahres ein Referenzort für die Kulturszene der Stadt war. Ich habe auch mit Dominic Fritz, dem Bürgermeister von Timişoara, gesprochen, weil wir es für wichtig hielten, ihn zu fragen, wie er es schafft, die Gemeinde in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir leben, zusammenzuhalten. Ebenfalls in Temeswar habe ich ein Treffen mit der Soziologin Eva Illouz gehabt, einer Spezialistin für die Soziologie der Gefühle. Sie hat ein Buch darüber veröffentlicht, wie die kapitalistische Gesellschaft die Liebesbeziehungen beeinflusst, deshalb fanden wir es besonders interessant, ihre Ansichten darüber zu hören, wie sich unsere Beziehungen in Zeiten der Krise entwickeln und worauf wir zusteuern.“



    Während der Nacht der Ideen hat das Französische Institut in Cluj (Klausenburg) auf seiner Facebook-Seite das Publikum zu einer interessanten Live-Debatte eingeladen, die von Ioana Costaş, der Leiterin des Instituts, moderiert wurde. Thema der Gespräche war die Stadterneuerung durch Stra‎ßenkunst, mit Beispielen guter Praktiken aus Cluj und Nantes, Städte, die dieses Jahr 30 Jahre Partnerschaft feiern. Die Nacht der Ideen bedachte auch die jüngere Generation, es gab auch ein reichhaltiges Programm für Kinder, die an Storytelling-Workshops sowie Workshops zum kritischen Denken oder zur persönlichen Entwicklung teilnahmen.

  • Krebskranke Kinder: Verein „Kinderherz“ hilft bei der Therapie

    Krebskranke Kinder: Verein „Kinderherz“ hilft bei der Therapie

    Monatelang müssen Kinder zuweilen in der Therapie verbringen — sie werden sehr selten besucht, weil sie vom Land sind und die Eltern und Verwandten kein Geld für die Reise in die Gro‎ßstadt haben, oder sie sind Waisen. Sie vegetieren vor sich hin, einfache Subjekte chirurgischer Eingriffe, Strahlungsbehandlungen oder Chemotherapien. Das Personal ist zwar für sie da, aber die für eine Heilung wesentliche menschliche Nähe reicht oft die Zeit nicht. Die Stiftung Kinderherz“ hat vor diesem Hintergrund die Initiative Kein Kind allein im Krankenhaus“ gestartet. Adelina Toncean begann das Projekt im Notfallkrankenhaus Maria Sklodowska Curie“ in Bukarest.



    Ich bin freiwillige Helferin in der Neugeborenen-Therapie im Marie-Curie-Krankenhaus. Ich habe damit im Alleingang angefangen, nachdem ich zwei schwer kranke Kinder zu mir nach Hause genommen habe — eines von ihnen hat es leider nicht geschafft. Das andere Kind hat anderthalb Jahre allein in der Klinik verbracht und selbst wenn es über den Berg ist, leidet es immer noch am Trauma der Einsamkeit“, erzählt Adelina Toncean. Sie hat dann für ihre Idee geworben und heute sind 3200 Helferinnen und Helfer unterwegs in Krankenhäusern, um einsamen Kindern beizustehen.



    Das Redaktionsteam von RRI traf Toncean an einem schweren Tag — sie hält einen Jungen im Arm, dem es offensichtlich nicht sehr gut geht. Das ist eines der Kinder, dem ich täglich zu essen gegeben habe. David habe ich praktisch anfangs mit der Spritze, dann mit der Flasche gestillt. Heute habe ich ihn wieder gefunden. Ihm passiert, was einsamen Kindern oft passiert — sie werden entlassen, landen dann aber in einem schlechten Zustand wieder hier. Diesmal war er intubiert, er ist an Masern erkrankt. Ein anderes Kind muss heute verabschiedet werden — auch nicht der angenehmste Teil im Leben einer Helferin“, seufzt die Frau.



    Tausende Menschen meldet sich für Tonceans Programm — Teenager, aber auch Senioren, die selbst Enkelkinder haben. Die einzige Voraussetzung ist, nicht an übertragbaren Krankheiten zu leiden. Sie absolvieren dann einen Kurs, bei dem sie lernen, wie sie auf der Intensivstation helfen können — aber auch, wie sie mit Situationen zwischen Leben und Tod umgehen. Im Training wird Petruţa“ eingesetzt:



    Petruţa ist ein Simulationsgerät, eine Puppe. Sie sieht aus wie ein Neugeborenes, wiegt auch etwa so viel, und verhält sich auch so. Sie hat eine Wirbelsäule, Schlüsselbeine, den Kopf muss man wie bei einem Baby stützen. Man kann sie realitätsgetreu intubieren, ihr einen Katheter setzen… So lernen die Helferinnen und Helfer, wie man mit einem Kind umgeht und wie man es im Arm hält — denn jedes Kind hat das Bedürfnis, in den Arm genommen zu werden.“




    Das ist eines der ersten Lektionen, die die Helferinnen lernen — unter ihnen auch Andrada Constantiniuc. Ich habe in mehreren Städten lange Zeit als freiwillige Helferin gearbeitet und als ich nach Bukarest kam, suchte ich etwas, das mir auch liegt. Ich habe vom Projekt erfahren und mich sofort gemeldet. Auf der Intensivstation des Marie Curie sind mehrere Kinder, die keine Eltern haben, und weil sie ständig alleine sind, verläuft die Heilung auch langsamer. Unsere Aufgabe ist, bei ihnen zu sein, dem Personal zu helfen, Babys zu stillen — manchmal dauert es ja auch eine Stunde, bis sie 100 ml zu sich nehmen. Ein Kind, das den menschlichen Kontakt spürt, heilt schneller, das Gehirn entwickelt sich besser und auch der Überlebensdrang ist stärker als bei einem Kind, das alleine ist und einfach den Kampf aufgibt“, sagt Andrada Constantiniuc.



    Freiwillige Helfer wie sie verbringen 2-3 Stunden wöchentlich im Krankenhaus. Sie haben so das Gefühl, dass sie auch etwas davon haben: Grundsätzlich ist das für uns ja auch ein Gewinn, nicht nur für die Kinder — denn man begreift, was wichtig ist im Leben und was belanglos ist“, erzählte sie unserem Redaktionsteam.