Tag: Nationalkommunismus

  • „Reflector“: Mutige TV-Sendung nahm es mit kommunistischen Bonzen und Korruption auf

    „Reflector“: Mutige TV-Sendung nahm es mit kommunistischen Bonzen und Korruption auf

     

     

    Es ist eine Binsenwahrheit: In totalitären Gesellschaften ist die Presse gleichgeschaltet, und jeder weiß, dass er in staatlichen Medienprodukten mit Lügen konfrontiert wird und meistens nur Propaganda schlucken muss. So auch im kommunistischen Rumänien geschehen.

     

    Doch die Geschichte der Presse während der kommunistischen Jahre in Rumänien wies auch – für kurze Zeit – ein einigermaßen ehrenwertes Kapitel auf, in dem die Journalisten versuchten, ihre Berufsethik anzuwenden und die Stimme der Gesellschaft zu sein. Die Zeit zwischen 1966 und 1971 war die beste für die Presse unter dem kommunistischen Regime in Rumänien, und einige Medien-Produktionen waren beim Publikum besonders erfolgreich. So z.B. die Sendung „Reflector“ (zu deutsch in etwa: „Im Scheinwerferlicht“), die im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin wurden institutionelle Missstände und Missbräuche durch Politiker oder Leiter staatlicher Behörden vor Augen geführt.

     

    Die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“) war ein Versuch, verantwortungsvollen Journalismus zu betreiben – allerdings setzte das kommunistische Regime dabei klare Grenzen. Die offizielle Ideologie der rumänischen kommunistischen Partei durfte nicht in Frage gestellt werden, ebenso wenig wie das Wesen der Staatsmacht und der sozialen und politischen Ordnung. Ein Tabu waren auch die Person des Führers Nicolae Ceaușescu, seine Familie und die Verwandten, die führenden Aktivisten der Partei, die Armee, der Repressionsapparat, bestehend aus der Miliz und der Securitate, sowie Mitarbeiter der Justiz und des staatlichen Finanz- und Bankensektors. Daher befasste sich die Sendung „Reflector“ meistens mit Missständen und Fehlleistungen in der sozialistischen Konsumwirtschaft.

     

    Die Sendung wurde beginnend mir 1967 ausgestrahlt und orientierte sich an ähnlichen Sendungen in der westlichen Presse. Die Öffnung des rumänischen Fernsehens gegenüber dem Westen ist den Journalisten Silviu Brucan und Tudor Vornicu zu verdanken. Der zu erst Genannte war damals Intendant des Senders und zuvor Botschafter des sozialistischen Rumänien in den USA und bei der UNO gewesen und war von den amerikanischen Medien besonders angetan. Ironie des Schicksals – oder rumänische Paradoxie – der Mann war in den 1950er Jahren einer der schlimmsten Hetzer in der kommunistischen Presse gewesen – und in den 1990ern wieder als Talkshow-Gast gefragt. Tudor Vornicu hingegen, Chefradakteur der Sendung „Reflector“, hatte als Korrespondent des Rumänischen Rundfunks in Frankreich Karriere gemacht und war wiederum mit den französischen Medien vertraut. Aus diesem fragwürdigen Mix sollte ein halbwegs gutes Medienprodukt entstehen. Und darüber weiß der Journalist Ion Bucheru zu berichten, damals Vizeintendant des rumänischen Fernsehens und Koordinator des Teams, das die Sendung machen durfte. In einem Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des rumänischen Rundfunks von 1997 erinnerte sich Bucheru, was den Erfolg der Sendung ausmachte.

     

    Ich war damals verantwortlich für die Sendung, die inzwischen zweimal wöchentlich ausgestrahlt wurde und 20 bis 25 Minuten dauerte. Die Sendung wurde bald zu einer sozialen Instanz. Die fünf Hauptakteure, die routinemäßig in der Sendung auftraten, führten sich wie Staatsanwälte auf und glaubten, einen sozialen Auftrag zu haben und ausüben zu müssen. Sie hatten einen direkten Draht zu den Menschen, sie wurden einfach von Bürgern angerufen, die keine andere Hoffnung mehr im Kampf mit der Bürokratie oder mit staatlichen Institutionen hatten.“

     

    Es war einfach ein schlechtes Omen, im Fernsehen vorgeführt zu werden, vor allem wenn es um skandalöse Fälle von Missbrauch, Inkompetenz oder Gleichgültigkeit in Umgang mit öffentlichen Geldern ging. Deshalb war selbst in den kleinsten Läden oder an Marktständen Panik angesagt, wenn das Kamera-Team von „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“)“ urplötzlich auftauchte. Ion Bucheru, der Chefredakteur von damals, erinnert sich weiter:

     

    Wir schlugen damals ziemlich über die Stränge: Wir beendeten die Sendung immer mit einem Standbild und einem Text. Das Bild zeigte ein schwarzes Auto, das in einer Abgas- oder Staubwolke davon düste, und der sarkastische Text lautete: »In diesem Auto verlässt Genosse Minister Soundso das Ministerium, wahrscheinlich in Eile, um an irgendeiner Sitzung teilzunehmen. Und er hatte es so eilig, davonzukommen, dass er nicht einmal die Zeit hatte, mit dem Reporter der Sendung zu sprechen.« Sie können sich vorstellen, was es für einen Wirbel veursachte, wenn ein Redakteur der Sendung den Leiter eines staatlichen Unternehmens oder einen stellvertretenden Minister anrief, um ihm nur mitzuteilen, dass das Journalisten-Team von »Reflector« bald vorbeikäme oder schon auf dem Gelände angekommen sei.“

     

    Doch dann kam der Moment Juli 1971, als der Diktator Nicolae Ceaușescu seine ominösen Thesen verkündete, mit denen eine 180-Grad-Wende eingeleitet wurde: vom relativ liberalen Kommunismus zum National-Kommunismus, in dem jede Kritik am System nicht mehr willkommen war. Es war im Grunde eine Rückkehr zur stalinistischen Epoche der 1950er Jahre, was eine große Bestürzung in den Ländern der freien Welt auslöste, die bis dahin die angebliche Distanzierung des rumänischen Führers von der Sowjetunion geschätzt und unterstützt hatten. Diese Rückentwicklung beeinflusste auch die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“), die nach und nach an Schärfe verlor und uninteressant wurde, wie sich der damalige Chefredakteur Ion Bucheru erinnerte:

     

    Die sogenannten Juli-Thesen entsprangen Ceaușescus Geist, Kopf und Feder im Zuge eines Fernsehskandals. Es war der Moment, als Ceaușescu nach 1968 den Höhepunkt seiner Popularität und seines nationalen und internationalen Ansehens erreicht hatte. Es war eine Zeit, in der Rumänien international als ein kleines Weltwunder in dieser Ecke Europas galt. Es war eine Zeit, in der die Staatsoberhäupter Rumänien ihre Türen öffneten, selbst die konservativsten, selbst diejenigen, die es bis dahin abgelehnt hatten, Ceaușescu zu empfangen oder ihm die Ehre eines Staatsoberhauptes zu erweisen. Wenn man damals als rumänischer Journalist im Ausland unterwegs war – und ich habe das selbst erlebt –, wurde man nicht nur mit Sympathie, sondern mit einer Art von Brüderlichkeit betrachtet. Wir waren oft schlecht ausgestattet, ohne logistische Möglichkeiten unterwegs, und waren obendrein auch sehr schlecht bezahlt. Aber es gab eine solche Welle der Sympathie um uns herum, dass uns die ausländischen Kollegen beisprangen und uns vieles zur Verfügung stellten.“

     

    Mitte der 1980er Jahre, als das Fernsehprogramm nur noch zwei Stunden am Tag umfasste, wurde die Sendung „Reflector“ („Im Scheinwerferlicht“) eingestellt. Nach der Wende von 1989 gab es den Versuch, sie wiederzubeleben, doch sie konnte nie wieder an ihren vorherigen Erfolg anbinden.

  • Die öffentliche Wahrnehmung der rumänischen Revolution von 1989

    Die öffentliche Wahrnehmung der rumänischen Revolution von 1989

    Eine Obsession der rumänischen Revolution vom Dezember 1989 waren die sogen. Terroristen. Die mutma‎ßliche Verwicklung ausländischer Geheimdienste im Verlauf der Ereignisse hat zudem tief enttäuscht. Die Terroristen wurden zu einer wahrhaften Neurose, die die Wahrnehmung des wichtigsten Moments in der jüngeren Geschichte Rumäniens beeinflusst hat. Die Opfer vom Dezember, der nachfolgende langwierige Wandel und die enttäuschten Erwartungen brachten einige dazu, die rumänische Revolution mit Bedauern oder sogar mit Verachtung zu betrachten.



    Der Historiker Adrian Cioroianu von der Fakultät für Geschichte in Bukarest hat versucht zu erläutern, wer die sogenannten Terroristen waren, die damals aus dem Hinterhalt auf Menschen schossen:



    Es ist ein Begriff, an den viele damals geglaubt haben. Was wir heute als Terroristen bezeichnen, hätten Söldner-Truppen aus mehr oder weniger arabischen Ländern, es hätten die berüchtigten sowjetischen ‚Touristen‘ sein können. Was wir jetzt geschichtlich mit Gewissheit sagen können, ist, dass ein gro‎ßer Teil derjenigen, die bis zum 25. Dezember und sporadisch auch nach diesem Datum geschossen haben, Ceauşescu treu gebliebene Elemente der internen Sicherheitspolizei Securitate gewesen sein könnten. Wenn wir die Verschwörungstheorie befolgen, können wir natürlich Vermutungen anstellen, dass alles gro‎ßartig in Szene gesetzt wurde, um den Eindruck einer Revolution zu erwecken. Das ist eine Interpretation, vor der ich Angst habe, und ich wünsche mir, dass diese in Zukunft nicht bestätigt wird. Es würde zynisch sein, bei den Gefechten sind Menschen ums Leben gekommen.“



    Von Historikern erwartet man gewöhnlich eine klare Antwort betreffend die Terroristen. Aber ihre wohlüberlegten Erklärungen besitzen nicht die Überzeugungskraft der Verschwörungstheorien. Adrian Cioroianu über die Schwierigkeiten, auf die Historiker bei der Deutung geschichtlicher Ereignisse sto‎ßen:



    Solange wir keine glaubwürdigen Berichte von den Zeitzeugen bekommen, die damals die Situation kontrolliert haben, ist die Aufgabe des Historikers eine ziemlich undankbare. Wir können nur Zeugenaussagen von damals sammeln, ihre Glaubwürdigkeit ist aber streitbar. Damals, im Schock und Chaos, war es schwer, zwischen tatsächlich Erlebtem und Eingebildetem, zwischen wahren Eindrücken und falschen Wahrnehmungen zu unterscheiden. Der Historiker ist aber dazu verurteilt, nach der Wahrheit zu suchen. In einer chaotischen Periode ist es praktisch unmöglich, die Wahrheit zu finden, wenn diejenigen, die die Situation verwaltet haben, ihren Teil der Wahrheit nicht sagen. Veteranen der Geheimdienste, diejenigen, die im Dezember 1989 die Macht verloren haben, sprechen von einem Komplott, das vorbereitet gewesen wäre, manche sagen in der Sowjetunion. Wir können nur spekulieren, so lange wir keine minimale Dokumentations-Basis haben.“



    In der Geschichte der Revolutionen spricht man von konterrevolutionären Bewegungen, die sich der Revolution widersetzen. Manche Historiker meinen, die rumänische Revolution sei wegen der Anwesenheit der Terroristen atypisch gewesen. Adrian Cioroianu ist anderer Meinung:



    Ich glaube nicht, dass die rumänische Revolution atypisch war. Sie unterscheidet sich von den anderen in Osteuropa, wenn wir uns mit der Tschechoslowakei, mit Ungarn oder mit der DDR vergleichen. Wir müssen akzeptieren, dass die Existenz eines kommunistischen nationalen Regimes, so wie dieses in Ungarn, Polen oder der Tschechoslowakei nicht existierte, uns von Anfang an zu solchen Auseinandersetzungen verurteilte: Menschen, die gegen Ceauşescu ein Komplott schmiedeten, und Menschen, die Ceauşescu verteidigten. Wenn wir das heute mit klaren Augen betrachten, hätten wir diese Polarisierung und diese Trennung in zwei Konflikt-Parteien erwarten müssen. Und ich möchte dabei nur auf den Fall Jugoslawien verweisen: Dort gab es auch einen nationalen Kommunismus, und wir wissen, wie lange die Trennung von dem noch als kommunistisch angesehenen Regime von Milošević gedauert hat. Der National-Kommunismus hat immer solche Probleme verursacht und hat zu internen Konflikten geführt.“



    Gibt es eine Chance, dass die Rumänen den wahren Wert der Revolution vom Dezember 1989 erkennen werden? Adrian Cioroianu ist optimistisch:



    Ich bin mir sicher, dass immer mehr Rumänen zu der vernünftigen Schlussfolgerung kommen werden, dass diese Energiefreisetzung vom Dezember 1989 — zumindest aufgrund ihrer Folgen — eine Revolution war. Neutral sprechen wir ja von den ‚Dezember-Ereignissen‘, gerade weil wir vermeiden möchten, einen generischen Namen zu finden. Ich glaube, wir müssten es Revolution nennen, weil die Folgen denen einer Revolution entsprechen, ungeachtet dessen, was sich diejenigen vorgestellt haben, die möglicherweise einen Putsch gegen Ceauşescu vorbereitet hatten. Wenn solche Ereignisse in einem Land passieren, treten normalerweise die Geheimdienste der Nachbarländer in Alarmbereitschaft. Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass die sowjetischen Geheimdienste, die Geheimdienste Jugoslawiens und Ungarns die Ereignisse in Rumänien nicht aufmerksam verfolgten. Das war ihre Pflicht. Natürlich muss man zwischen Aufmerksamkeit und Verwicklung unterscheiden. Für uns ist es aber noch nicht klar, inwieweit die Sowjetunion verwickelt war. Ich bin mir aber sicher, dass die Zeit alles heilt, auch in der Geschichte.“



    Die Revolution vom Dezember 1989 hat nach 45 Jahren Kommunismus die Freiheit und die Demokratie zurückgebracht. Die heutige Unzufriedenheit der Rumänen ist unbedeutend gegenüber dem Leben unter der kommunistischen Tyrannei.



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